Chaos

Wir hatten ja schon geahnt, dass wir einen sehr durchwachsenen Start nach unserem Urlaub im Juni haben werden – aber dass es gleich so hart wird, hätten wir nicht gedacht. Am Ende unserer ersten Arbeitswoche ist unser Plan, das Management auf ein solides Fundament zu stellen, in sich kollabiert. Darüber hinaus haben wir nicht genug Lehrer und somit eigentlich ab Mitte Juni nicht mehr ausreichend zu tun (da wir die Managementthemen nicht weiter verfolgen können).
Weiterhin haben wir einige sehr herbe persönliche Enttäuschungen erlebt, die definitiv nicht dazu beitragen, unseren Glauben an eine wie auch immer geartete Loyalität der Inder zu erhärten. Es ist sich jeder selbst der Nächste. Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein sind in Größenordnungen nicht gegeben. Wir überlegen momentan intensiv, wie wir unsere Aufgabe zu einem geordneten Ende bringen können, obwohl wir extrem demotiviert und gefrustet sind. Aber die an uns gestellte Projektaufgabe, das Schulmanagement auf ein solides Fundament zu stellen, können wir nicht mehr realisieren.

Ich habe versucht, unsere letzte Woche mal in einem kurzen Abriss darzustellen – das ist in der Gesamtheit sicher etwas lang und Sonni ermahnt mich gerade, dass das vermutlich keinen interessieren wird – aber irgendwie bekomme ich es nicht vernünftig gekürzt. Es sind vielleicht etwas viele indische Namen am Stück – daher noch einmal eine kurze Einführung:

  • Baba: Der Gründer der Schule, der seine ganzen Ersparnisse und seine aktuelle Pension in die Schule steckt. Momentan besucht er gemeinsam mit der Familie seines jüngeren Sohnes die Familie seines anderen Sohnes in den USA.
  • Sagar Babar: Der jüngere Sohn von Baba, der unser Hauptansprechpartner ist und momentan die Schule leitet, momentan ebenso in den USA bis Ende Juli.
  • Pravin: Der inhaltliche Leiter, eine Rolle, die er bisher aber nie ausgefüllt hat. Er ist zwar ein sehr guter Lehrer, schafft es jedoch nicht, gegenüber den anderen Lehrern in Führung zu gehen.
  • Prashant: Ein Mitglied der Babar Familie, Lehrer für den Kindergarten und ein Macher. Er organisiert den Schulbau, die Finanzen für den Schulbus und wann immer irgend etwas zu machen ist.
  • Balasaheb: Der aktuelle Headmaster, unser Lieblingsgegner, unsteuerbar, lügt, faul…
  • Sagar Pawar, Sarita, Tai: Lehrer an der Schule.

Nach langen Telefonaten mit Sagar hatte er Mitte Mai entschieden, endlich den bisherigen Headmaster Balasaheb abzusetzen und sukzessive Prashant aufzubauen, der uns bisher am Verlässlichsten erschien. In einem Gespräch mit Sagar hatte dieser auch zugesagt, auf jeden Fall noch ein Jahr an der Schule zu bleiben. Mit dieser Entscheidung waren wir sehr zufrieden und bereiteten uns darauf vor, ab Juni die Finanzen gemeinsam mit Prashant aufzubereiten und aus ihm und Pravin ein Führungsteam zu formen, dass Balasaheb ablöst. Für ihn waren nur noch einige administrative Tätigkeiten vorgesehen. Er sollte zusätzlich auch wieder unterrichten. Für Montag hatten wir uns 8:30 Uhr in der Schule verabredet. Im Vorfeld hatten wir den Fakt auch mehrfach nachgefragt, ob das alle schaffen würden, da wir dafür unseren Urlaub abbrechen würden. Natürlich hatten wir für uns mit massiven Verspätungen gerechnet aber die Realität war noch frustrierender.

Montag

Wir warten von 8:30 bis 11:00 ohne dass jemand auftaucht oder sich meldet bzw. auf unsere Telefonate antwortet. Gegen 11:00 erreichen wir Prashant und kurz danach Pravin, die uns mitteilen, dass sie leider entweder Farmarbeit haben oder grad mit ihrer Mutter im Krankenhaus, bzw. beim Mittagessen sind. Für den nächsten Tag verabreden wir uns nachmittags für 14:30. Balasaheb teilt uns per SMS mit, dass er erst Donnerstag zu erscheinen gedenkt. Es geht noch etwas hin und her mit Balasaheb. Sagar Babar teilt ihm mit, dass er nur zum Managementteam gehört, wenn er spätestens am Mittwoch erscheint.

Dienstag

Wir treffen uns um 16:00 (das war im Übrigen sogar eine Punktlandung bezogen auf unsere Zeiterwartung). Pravin und Prashant teilen uns mit, dass sie beide leider nur noch für 2 Monate als Lehrer zur Verfügung stehen und außerdem zusätzlich zu Tai, die in den Schwangerschaftsurlaub verschwunden ist noch Sarita und Sagar Pawar die Schule verlassen haben. Sagar hätte die Schule verlassen, weil er gern mehr leitende Aufgaben übernehmen würde. Unsere gesamte Planung für das kommende Schulhalbjahr kollabiert innerhalb von Minuten. Mit Balasaheb können und wollen wir keine Managementthemen wie Finanzen oder Lehrerweiterbildung bearbeiten, da er uns einfach schon zu oft angelogen hat, des Weiteren stinkend faul und beratungsresistent ist. Darüber hinaus, wie am Montag gesehen, folgt er keinerlei Anweisungen, weder von uns noch von Sagar Babar. (In Deutschland wäre das längst ein Kündigungsgrund – hier jedoch auf dem Land findet Sagar einfach keinen Ersatz und Balasaheb nutzt das aus) Wir kontaktieren Sagar Babar in den USA und verabreden, uns am nächsten Morgen zum weiteren Verfahren abzustimmen. Ich bitte Pravin, sowohl Sagar Pawar zu kontaktieren (u.U. lässt sich ja da noch etwas bewegen) und Rupali (die hier schon einmal gearbeitet hat, sehr geradlinig aber auch streitbar ist und es sich deshalb schon mit Baba verscherzt hat).

Mittwoch

Das Gespräch am Morgen mit Sagar in den USA findet nicht statt und wird auf den Abend geschoben – wir sagen das eigentlich geplante Treffen mit Prashant und Pravin ab und machen uns gefrustet auf den Weg nach Sangola in der (korrekten) Annahme, dass Balasaheb sowieso nicht erscheinen wird. Im Tagesverlauf melden sich Rupali und Sagar Pawar. Mit beiden vereinbaren wir Gesprächstermine an der Schule- mit ihr noch gleich für den Mittwoch Nachmittag. Wir wälzen verschiedene Optionen, die wir Sagar vorstellen könnten, hin und her. Ohne Veränderung des Managements vor Ort ist unsere Arbeit nicht mehr umsetzbar. Die meisten Themen sind dort angesiedelt. Wenn wir bei diesen Themen nicht ansetzen können, bleiben uns ab 15. Juni, wenn die Schüler kommen, nur täglich ca. 1h Arbeit mit den Lehrern übrig. Das steht gemessen an den Umständen in keinem vernünftigen und erstrebenswerten Verhältnis mehr.
Am Abend sprechen wir mit Rupali und haben einen sehr guten Eindruck von ihr. Sie spricht gutes Englisch, weiß wovon sie redet, hat klare Vorstellungen zur Methodik im Unterricht und Steuerung der NGO. Mit ihrer sehr direkten Art stößt sie jedoch in der indischen Männergesellschaft sehr schnell an. Wie sich später herausstellt, ist auch ein Problem, dass ihr Mann und sie sich getrennt haben. Sie ist mit den Kindern allein im Dorf im Haushalt ihres Bruders geblieben und versucht nun, irgendwie durchzukommen.
Am Abend erreichen wir telefonisch nun endlich Sagar in den USA und verabreden uns für den Folgeabend zur Entscheidung. Er nimmt das Thema “Rupali” noch einmal als Diskussionsvorschlag für Baba mit. Die Idee, dass wir mit Sagar Pawar sprechen wollen, um mit ihm Alternativen zu besprechen, findet er prima.

Donnerstag

Wir sprechen am Morgen eine Stunde mit Sagar Pawar. Er zeigt sich begeistert von der Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Teil eines Managementteams zu sein. Allerdings möchte er seine Frau mitbringen, die gerade ihren pädagogischen Abschluss gemacht hat und nun ihren Einstieg als Lehrerin sucht. Wir fallen vor Freude fast um und glauben, zwei Probleme auf einmal gelöst zu haben. Bisher ist uns Sagar durchaus positiv als ein Kandidat für zusätzliche Verantwortung aufgefallen. Wir hätten sie ihm unter Umständen jedoch ein wenig später gegeben, aber so kommt nun alles etwas schneller. Abends holen wir uns aus den USA die Freigabe für unseren Ansatz. Rupali ist leider bei Baba “verbrannt”. Er sträubt sich mit Händen und Füßen gegen ihre erneute Einstellung. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Baba ist eigentlich ein sehr umgänglicher und verträglicher Mensch. Wenn er jemanden so abschiebt, dann hat es da mal mächtig gerappelt.

Freitag

Sagar erscheint mit seiner Frau, die keinen einzigen Brocken Englisch versteht oder spricht. Uns wird schon etwas mulmig aber das erscheint uns als Preis dafür, das Managementthema geklärt zu haben, noch vertretbar. Ein Großteil der Lehrer trudelt am ersten Arbeitstag irgendwann im Verlauf des Vormittags ein. Wir stellen das neue Managementteam (und Sagars Frau als neue Lehrerin) vor und beginnen mit der Vorbereitung für das neue Schulhalbjahr.

Samstag

Sagar und seine Frau erscheinen nicht. Er geht weder ans Telefon noch hat er eine Nachricht geschrieben. Wir werden im Verlauf des Tages aufgeklärt, dass er schon am Freitag allen gesagt hat, dass er am Folgetag nicht mehr erscheint und sich alle anderen Lehrer selbst genau überlegen sollten, ob sie für das Gehalt die festgelegte Arbeitszeit akzeptieren wollen.
Wir sind entsetzt und frustriert und brauchen erst einmal eine kurze Auszeit mit einer Runde um die Schule, um uns zu fangen und inhaltlich auszutauschen. Es fehlen uns vier Lehrer (nur noch acht sind da, von denen zwei aber auch demnächst gehen). Das Management besteht nur noch aus Balasaheb, dem wir nicht einen Meter über den Weg trauen und der vor allem mit stumpf lächelndem Gesicht die meisten Dinge einfach nicht tut.
Positiv ist, dass wir es schaffen, den Lehrern trotzdem noch die Arbeit zu erleichtern, indem wir das erste Mal nun gemeinsam das Minicomputerlab benutzen und den Lehrern die ersten Schritte in Excel beibringen.

Wir werden für die restliche Zeit hier vor Ort von solchen kleinen Erfolgen zehren müssen. Der große Wurf wird uns nicht mehr gelingen.

9 1/2 Wochen

Ganz solange ist es zwar noch nicht – aber es ist trotzdem Zeit für einen Zwischenstand. Am Ende der ersten Hälfte unseres Projektes haben wir uns nun auf den Weg in unseren Urlaub gemacht. In den letzten Wochen haben wir uns mehrfach die Frage gestellt, wie wir die Nachhaltigkeit unserer Aktivitäten sicher stellen können. Wie so häufig setzt das Probleme an der Führung der NGO an. Zusätzlich gibt es unendlich viele Schwierigkeiten durch äußere Faktoren. Wesentlich ist jedoch dann, insbesondere unter diesen Gegebenheiten, eine klare Managementstruktur einzuführen und durchzusetzen. Diese ist bisher nicht gegeben. Nicht nur, dass mit Balasaheb jemand die Schule führen soll, der dazu weder intellektuell noch eigenmotiviert in der Lage ist.

Komplexer wird es noch durch die darüber liegende Managementstruktur. Wir haben Baba als Gründer der Schule, der sich jedoch mehr und mehr aus den operativen Themen herauszieht. Jedoch vereinzelt und gerade bei fehlendem Management, greift er dann doch bei Bedarf immer mal wieder direkt in die operativen Entscheidungen ein. Das eigentliche operative Management verantwortet Sagar, sein jüngster Sohn. Er ist jedoch mit seinen eigenen privaten und beruflichen Themen total ausgelastet und kann nicht die notwendige umfangreiche Zeit für die Schule bzw. das Management investieren. Als dritte Person kommt Milind, der ältere Sohn von Baba ins Spiel, der jedoch mit seiner Familie inzwischen 3 Jahre in Florida lebt. Aufgrund dieser Entfernung ist er nur noch begrenzt aktiv involviert, jedoch bei Entscheidungen und Diskussionen stets angefragt.

Alle drei Männer haben neben einer langen gemeinsamen Familien- und Businessgeschichte bei diesem Projekt natürlich auch unterschiedliche Ansichten, die sie nicht immer in Übereinstimmung bekommen.

Alle Schwierigkeiten, die wir bei der Umsetzung von Veränderungen in der Schule und im Management haben, resultieren letztendlich genau aus dieser „3-Personen-Konstellation“. Es werden oft keine klaren Entscheidung zu konkreten Themen getroffen, die wir vor Ort stellvertretend für die drei Herren bearbeiten sollen. Keinem der Männer kann man persönliches Desinteresse oder fehlendes Engagement vorwerfen aber effektives Management leider nunmal auch nicht.

Wenn wir auf unseren anfänglichen Projektplan schauen, haben wir trotzdem unheimlich viel erreicht, worauf wir gerade unter diesen Bedingungen sehr stolz sind:

  • Die Lehrer bilden sich täglich nach ihrem Unterricht in Englisch weiter.
  • Die Website ist bereit, live zu gehen.
  • Wir haben regelmäßige Trainings für Methodiken und zur Nutzung neuer Technologie (Beamer, Outlook, Smartphone, kurze online Dokumentationen) aufgesetzt.
  • Reparaturen im Schulgebäude sind zum großen Teil durchgeführt.
  • Kleinere Reparaturen werden jetzt selbst vom Schulhandwerker durchgeführt – es gibt eigenes Werkzeug und einen Werkzeugkasten (Ordnung muss sein!)
  • Auch ein Überblick über die notwendigen Investitionen besteht dank Exceltabelle.
  • Das Zeitmanagement (Fingerprint) der Lehrer wurde an deren Gehalt gekoppelt und nun kommen alle pünktlich.
  • Wir haben eine Inventur über vorhandene Unterrichtsmaterialien durchgeführt. Anschließend wurde ein einfaches Aufbewahrungssystem eingeführt (stapelbare rote Kisten)
  • Das ganze Schulhaus wurde komplett sauber gemacht und aufgeräumt- wir haben Tonnen an unbrauchbaren Dingen weggeschmissen.
  • Aus den vorhandenen alten Computern haben wir so eine Art Mini-Computerlab mit nun drei funktionstüchtigen PC’s gebaut.
  • Es gibt ein Power-Backup und seither keine Ausreden mehr von wegen „der Strom ist ständig weg“.
  • Wir haben Google Drive als zentrale und einheitliche Ablage für alle Computer etabliert.

Zusätzlich haben wir noch das Accounting (Ein- und Ausgaben per Excel verwalten) eingeführt. Dank Excel gibt es jetzt auch eine Übersicht über alle Schulgebühren, so das ausstehende Zahlungen leichter eingefordert werden können.

Zur Nachhaltigkeit fehlt nun jedoch noch, dass wir mit dem Management alle oben genannten Themen regelmäßig in den nächsten zwei Monaten wiederholen, bis es tatsächlich verstanden und in gewisser Weise automatisiert ist. Darüber hinaus benötigt es einen Ansatz für die Steuerung des lokalen Managements. Dies funktioniert jedoch nur mit dem vollen Support von Sagar und Milind und einer gewissen Regelmäßigkeit in der Abstimmung mit ihnen. Bisher hat es hier jedoch im Wesentlichen nur Lippenbekenntnisse gegeben. Dies ist eigentlich die Hauptquelle unseres Ärgers und unserer Enttäuschung, die uns manchmal ereilen.

Wenn wir uns nicht mehr sicher sind, dass wir die Nachhaltigkeit hinbekommen, werden wir unsere Arbeit nach unserem Urlaub in Alegaon abbrechen. Wir möchten nicht unsere Kraft und Zeit in eine NGO setzen, deren eindeutig kommunizierten Veränderungswunsch aufgrund fehlenden Managements zum Scheitern verurteilt ist. Dann machen wir lieber noch etwas. Es wäre sehr schade drum – denn die Lehrer und die Schule sind uns sehr an’s Herz gewachsen. Wir drücken uns selbst ganz doll die Daumen, dass in den nächsten Tagen ein paar konkrete und längst überfällige Entscheidungen getroffen werden, die uns dann die weitere Projektarbeit in der Schule ermöglichen.

Zwei Schulen, zwei Welten

Unsere Gastfamilie in Pune, Sagar und Sarika Babar, ist im Schulbusiness tätig. Sie haben innerhalb von 30 Tagen eine eigene private Schule eröffnet, da es mit dem Eigentümer der bisher schon bestehenden Schule, in der Sarika tätig war, starke Auseinandersetzungen und ein Gerichtsverfahren gab. Diesen Prozess haben wir während unseres kurzen Aufenthaltes hier nun auch mitbekommen.

Die Eröffnungsveranstaltung der „CLARA global“ Schule am 02.05. war sehr professionell und stand mit allem im krassen Gegensatz zu „unserer Schule“ in Alegaon. Zahlreiche interessierte aber auch kritisch nachfragende Eltern waren gekommen, um sich über das neue Schulangebot und die zusätzlichen Aktivitäten für ihre Kinder informieren zu lassen. Es gibt ein Musikkabinett mit 7 Keyboards, ein Computer-Lab und perspektivisch sogar noch eine Schwimmhalle und Reitunterricht. Die Ausstattung ist genial, die Lehrer sehr engagiert und kreativ. Alle sprechen hervorragend englisch. Als Überraschung gab es auf der Einweihungsfeier sogar einen kleinen Roboter, der das Unterrichtsfach „robotics“ unterstützen und die Kinder beim aktiven und modernen Lernen begleiten soll. Sponsored bei IBM! Dort hat Sagar gearbeitet, bevor er mit zwei Freunden eine eigene Marketingfirma eröffnet hat.

Indien, das Land der Gegensätze…so auch hier in Bezug auf die Schulen. Alles auf der einen und (fast) nichts auf der anderen Seite. Das Schulgeld für „CLARA global“ beträgt für 1 Schuljahr 1 Lac = 100.000 IRU = 1250 EUR. In Alegaon beträgt das Schulgeld 3000 IRU = 37 EUR für ein Schuljahr.

Wir sind emotional sehr hin und her gerissen. Natürlich ist es eine große Leistung, innerhalb so kurzer Zeit einen Schulneubau für 250 mögliche Schüler, einen Toilettentrakt und sogar einen kleinen Spielplatz zu realisieren und alles für ein neues Schuljahr arbeitsfähig einzurichten. Das Geld von Sarikas Eltern regiert hier jedoch schon mächtig, in jedweder Beziehung wie z. B. Genehmigungen, zuverlässige Handwerker, Hilfsarbeiter und halt die Ausstattung mit Lehrmaterialien und mit moderner Technik sowie Security für das Gelände.

Sarikas Mutter ist aktiv und sehr bekannt in der Politik und der Vater besitzt viel Land in Pune, was er verkauft hat bzw. auf dem jetzt die neue Schule steht.

Zwischen beiden Schulen gibt es schon seit einigen Jahren einen fachlichen Austausch. Die tollen Schulbücher der Privatschule in Pune werden z. B. kopiert und für die 200 Schüler in Alegaon zur Verfügung gestellt. Auch die bunten Zeugnismappen für die jüngeren Schüler werden in großer Stückzahl in Pune hergestellt und bei einem privaten Besuch der Familie nach Alegaon mitgenommen. Alle Lehrer kommen einmal im Jahr für 2 Tage an die Schule nach Pune zum Hospitieren, um Anregungen für ihren Unterricht zu bekommen. Auch einige Materialien wie z. B. Laminierfolie oder auch Kopien von Unterrichtsmaterialien (Übersichtstafeln, Bilder, Zahlen etc.) werden aus Pune bereitgestellt. Es gibt die Möglichkeit des Kopierens und Laminierens in ländlichen Gegenden ansonsten nicht oder nur auf sehr umständlichem Weg.

Trotz dieser Unterstützung ist jedoch die Ausstattung der Schule in Alegaon noch sehr gering. Weitere Hilfen sind wünschenswert. Wir versuchen nun für das kommende Schuljahr die Zusammenarbeit zwischen der Schule in Pune und den Colleges in Sangola zu intensivieren. Dadurch hoffen wir, die Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort stärker zu aktivieren und auch einheimische Kooperationspartner noch stärker einzubinden.

Homevisits

Gestern und heute haben nun endlich die ersten Homevisits stattgefunden. Wir hätten natürlich gern etwas mehr deutsche Vorbereitung in das Ganze hineingebracht, doch zum Schluss lief es einfach mit solidem indischen Chaos. Allerdings hatten wir damit weniger Arbeit und mehr Spaß – vermutlich natürlich auch weniger Ergebnis – aber wie soll man das nun bewerten?
Die Homevisits im April dienen eigentlich dazu, potentielle neue Studenten zu finden, indem man über die Dörfer fährt und schaut, was sich da so im letzten Jahr ereignet hat. Also starten wir am Morgen nach unserer Sprachnachhilfestunde, die wir regelmäßig jeden Tag für die Lehrer eingeführt haben, zu einem wilden Ausflug aufs Land.
Sonja und ich hätten vermutlich die Lehrer in Zweiergruppen eingeteilt, vermutlich jeweils ein Mann und eine Frau, damit man auch alle Familienmitglieder ansprechen kann, so wälzt sich hier aber ein Pulk von mindestens 6 Lehrern in jeden Haushalt. Wir bleiben mitten in der Pampa bei einzelnen Farmhäusern stehen und versuchen herauszubekommen, ob es Kinder im Schulalter gibt, deren Eltern bereit sind, sie auf eine englischsprachige Schule zu schicken.
Dabei wird regelmäßig auch nach einem gewissen materiellen Wohlstand geschaut. Ganz armselige Hütten werden ausgelassen, da sich die Eltern noch nichtmal die tägliche Busfahrt zur Schule leisten könnten selbst wenn irgend jemand (Spender, der Staat, die Schule) für das Schulgeld aufkommt (6000 Rupien für das Schulgeld und 500 im Monat für den Bus, Umrechnungskurs 80). Es ist schon bitter, zu erkennen, das unser kleines armseliges Hüttchen hier für die Umgebung schon einen gewissen materiellen Wohlstand darstellt. Es geht immer noch viel weiter nach unten.
Durch die Homevisits kommen wir mit Unterstützung unserer lokalen Begleiter in Dörfer hinein, in die wir uns ansonsten nicht hineintrauen würden. Insgesamt fühlt man sich aber schon so, wie eine Drückerkolonne, die auf dem Land Abos für die „TAZ“ im Doppelpack verscherbeln möchte. Wir treffen sozusagen nicht auf ungeteilte Begeisterung.

In einigen Haushalten werden wir jedoch freundlich aufgenommen, am Ende des Tages habe ich dreimal Tee und vier Zitronenwasser und vermutlich nun doch meinen ersten Magenkollaps durch haufenweise ungefiltertes Wasser vom Land erhalten.
Es ist daher verwunderlich, dass wir am Ende trotzdem mit 20 potentiellen Studenten wieder zu Hause ankommen. Wir drücken die Daumen, das davon tatsächlich auch einige zu uns kommen.

Andere Herangehensweise

Gestern waren Thomas und ich an einem Punkt angekommen, an dem wir beide ernsthaft überlegt haben, ob das hier alles Sinn macht und nachhaltig sein wird. Immer mal wieder sind wir schon im Rahmen des Projektes an unsere Grenzen gekommen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die komplett andere Arbeitsweise. Vieles hat für uns den Anschein der Beliebigkeit. Es kommt, was kommt und es ist, was ist und wie es gerade ist. Eine Tätigkeit in einer bestimmten Art und Weise zu tun, damit das Ergebnis besonders gut genutzt werden kann oder damit ein gerade gekaufter Gegenstand besonders lange hält, ist nicht abgespeichert. Für das persönliche Stresslevel ist diese Herangehensweise ganz wunderbar. Stress hat hier niemand! Wirklich niemand!! Steht z. B. Farmarbeit an, kann ich halt nicht als Lehrer arbeiten und komme 3 Tage nicht zum Unterricht. Ist in meinem Dorf eine offizielle Zeremonie, bleibe ich auch zu Hause, kümmere mich um Gäste und um die Familie. Hat ein PC Fachmann gerade einen alten Computer repariert, wartet er geduldig darauf, dass dieser sich 50 Minuten lang updated. Das auch erforderliche WLAN Kabel schonmal zu verlegen, ist jetzt noch nicht dran (das ist übrigens ein aktuelles und kein Beispiel aus meinem bisherigen Arbeitsumfeld!!!). Alles schön nacheinander, parallel arbeiten geht nicht! Sehr weise, nur leider das komplette Gegenteil zu unserem Arbeitsansatz und zu unserem Arbeitsverständnis. Wir wollen und müssen uns anpassen.

Auch dass Verständnis für konkrete (komplexe) Sachverhalte ist anders ausgeprägt. Komplexität hat ein ganz anderes Ausmaß. Ich könnte z. B. nicht für 25 Personen mehrere warme Gerichte kochen und unterschiedliche Fladenbrote zubereiten. Dagegen ist es eine Herausforderung für die Lehrer, selbständig Arbeitsmittel (Papier, Schere, Locher, Kreide, Ordner) zu verwalten. Dafür gibt es Schulhelfer. Diese holen und bringen den ganzen Tag lang diese Dinge von einem Lehrer zum anderen.

Erschwerend für unser Projekt ist natürlich auch die sprachliche Verständigung. Aber das war ja vorauszusehen.

Diesen Tatsachen versuchen wir uns von Anfang an anzupassen. Wichtige Aufgaben, die von den Lehrern zu erfüllen sind, werden mehrfach und sehr kleinteilig erklärt. Es ist jedoch nicht unbedingt üblich, selbständig zu denken und Verständnisfragen zu stellen. So nicken bzw. schütteln alle Beteiligten bei gestellten Arbeitsaufgaben zustimmend den Kopf aber jeder macht dann das, was er denkt. Ein Beispiel…

Ich hatte gemeinsam mit Thomas für jede Klassenstufe eine Inventurliste in Excel für Unterrichtsmaterial angelegt. Die Struktur dafür, also die Überschriften der Spalten, hatten wir kurz mit dem „head of the teachers“ besprochen. Um die Nutzung möglichst einfach zu machen, bekam jeder Lehrer eine ausgedruckte Liste und sollte diese ausfüllen. Die Tabelle hatte ich in einer Projektrunde vorgestellt und erklärt. Sogar mit zwei Beispielen hatte ich versucht, alles deutlich darzustellen. Die Listen kamen zurück, jedoch waren das „Wunschlisten“, also was möchten wir für neues Unterrichtsmaterial haben. Um den Inhalt in der Tabelle wiederzufinden, den wir eigentlich gewollt hätten, hätten wir folgendes kommunizieren müssen:

  1. Liste zur Hand nehmen
  2. Einen Stift bereit legen
  3. Den Schrank im Klassenzimmer öffnen
  4. Erst alle Bücher zählen und in die Tabelle eintragen
  5. Dann überlegen, wo die Bücher aufbewahrt werden sollten (zentral/dezentral) und ein Kreuz in der Tabelle machen bei zentral oder dezentral
  6. Danach alle Anschauungsmaterialien zählen, die in dem Schrank sind und die Anzahl in die Liste eintragen
  7. Werden Unterrichtsmaterialien benötigt, die nicht vorhanden sind, diese auch in die Liste eintragen und vermerken, wieviel Stück davon gebraucht werden…

Gut, nun habe ich 12 Wunschlisten und werde damit auch etwas anstellen. Die Inventur wird jetzt praktischer:

  1. große Plastikkisten kaufen
  2. Datum für „Monsoonputz“ festlegen
  3. Arbeitsgruppen pro Klassenraum einteilen
  4. Alle Schränke ausräumen
  5. Nutzbares in Kisten verstauen
  6. Unbrauchbares auf dem Schulhof stapeln
  7. Liste erstellen, was wo aufbewahrt wird

Fertig!

Manche Skills sind halt weltweit einsetzbar. Internationales Projektmanagement muss jedoch in seiner Herangehensweise angepasst werden.