„Wir sind fertig!“ Das trifft in zweierlei Hinsicht zu. Zum einen ist das die Aussage von NPD (Nyarutarama Property Developers), der nationalen Bauorganisation Ruandas. Unser Weg vorm Haus ist nun zu einer befestigten Straße geworden und nach 5 Wochen fast fertig. Zum anderen bin ich fertig und am Rande eines Nervenzusammenbruchs, da die mit den Baumaßnahmen einhergehenden Auswirkungen (Stromausfälle, inakzeptable Internetverbindung, kein sauberes fließendes Wasser, Lärm) alles andere als lustig sind für verwöhnte Europäer, wie wir es nun einmal sind.
Bereits 6:15 Uhr treffen die ersten von später ca. 30 Bauarbeitern ein. Sie versammeln sich schwatzend, telefonierend und manchmal auch singend (was eigentlich sehr schön ist) vor unserem Haus und warten auf den Einsatzleiter. Ab 6:30 Uhr werden die ersten riesige Steinbrocken manuell mit wuchtigen Hämmern zerschlagen und zum Verbauen fertig gemacht. Das verursacht im gesamten weiteren Tagesverlauf ein monotones dröhnendes Geräusch. Übertönt wird das jedoch ab 7:00 Uhr von den auf kurzer Strecke auf- und abfahrenden Baufahrzeugen. Entweder vibriert das Geschirr auf dem Tisch, sobald eine Verdichtungswalze die enormen Sandmassen am Boden festdrückt oder ein nervtötendes Sicherheitssignal beim Rückwärtsfahren setzt ein, begleitet von lauten Ausrufen des einweisenden Bauleiters. Arbeitsanweisungen für die zahlreichen Frauen, die Sand schaufeln oder Steine auf dem Kopf zum Verbauen an eine andere Stelle transportieren, werden ebenfalls geschrien, um den Baulärm zu übertönen. Was für eine gigantische Geräuschkulisse. Diese haben ich nicht nur vor dem Haus, sondern auch seitlich vom Haus, da natürlich auch die neue Hauptverkehrs- und Umgehungsstraße unter unserem gemieteten Grundstück weiterhin gebaut wird. Also alles im Doppelpack. Es ist zum Verzweifeln! Wo soll ich hin? Es ist Lockdown, also keine Chance zu entkommen. Die guten Bose-Kopfhörer helfen auch nicht mehr, den Lärm zu reduzieren. Ich verkrieche mich in die hinterste Ecke des Hauses und schließe alle Türen, in der Hoffnung, dass es dadurch leiser wird. Einen Film auf Netflix anschauen oder ein YouTube-Sportvideo einschalten zur Nachahmung ist ausgeschlossen. Man versteht kein Wort. Lesen? Ich kann mich nicht konzentrieren.
Es hilft nur, sich mit Haushaltstätigkeiten abzulenken. Abspülen, sauber machen, etwas kochen, Basilikum-Öl herstellen oder Weißkohl sowie Spinat aus dem Garten ernten und verarbeiten. Aber auch das ist alles nicht so einfach, ohne Wasser bzw. nur mit Regenwasser. Die Waschmaschine bleibt daher aus. Wir sammeln unsere Wäsche für den Besuch bei Freunden. Geschirrspülwasser oder Wasser zum Säubern von Obst und Gemüse muss erst abgekocht werden und dann wieder abkühlen. Aus Verzweiflung und Ungeduld mische ich es aber mit kühlem Regenwasser. Ganz schlecht! Das bringt Spaß für den Darm, was den Wasserverbrauch bei Toilettengängen auch nicht gerade reduziert.
Oder mache ich doch lieber erst mit dem Regenwasser die Zimmer sauber? Aber dann reicht es nicht mehr für den Abwasch und ich muss erneut unsere Security bitten, die Kanister zu füllen oder ich klopfe selbst noch mal beim Nachbarn. Die winzigen Eintagsfliegen schwirren jedoch schon um die verklebten Teller und das Kochgeschirr von gestern. Also Abspülen muss heute sein! Ein Albtraum für mich und das über 5 Wochen!
Doch damit nicht genug. Zusätzlich hat unser Vermieter entschieden, jetzt endlich mal etwas im und am Haus zu machen. Er hat drei Handwerker bestellt. Sie klopfen eine Woche lang außen und innen den bereits seit Monaten abbröckelnden Putz an einigen Wänden ab, verspachteln diese Stellen neu, schleifen sie vorbildlich ab, um abschließend die Wände wieder zu streichen. Der feine weiße Staub von den Wänden und der rotbraune Staub der Straßenbauarbeiten kriecht in alle Ritzen. Wischen oder kehren ist nicht so einfach. Mit einem Staubsauger wäre alles schnell weg, der ist jedoch nicht vorhanden. So sehe ich bei jeder Bewegung meine eigenen Fußspuren auf dem Boden und weiß, wo ich schon im Haus unterwegs gewesen bin.
Die Nerven liegen blank! Gott sei Dank gibt es unterdessen Lockdown Lockerungen und wir dürfen seit zwei Wochen auch mal wieder zum Spaziergang raus. Das hat mich ernsthaft gerettet. Teilweise bin ich 4 Stunden zu Fuß unterwegs und laufe ziellos herum. Schwitzend und schwer atmend durch die Gesichtsmaske, die wir dauerhaft in der Öffentlichkeit tragen müssen. Mal hole ich Thomas von Arbeit ab, ein Fußweg von 1,75 Stunden. Oder ich laufe zur Café-Bäckerei „Lamane“, die ich in knapp 1 Stunde erreiche. Jedoch sind nicht alle öffentlichen Einrichtungen wieder für Besucher geöffnet, obwohl sie es mit den entsprechenden Sicherheitsabständen und Hygienemaßnahmen dürften.
Trotz der Erleichterungen flüchten wir am Samstag, 23.05. erst einmal zu Freunden. Sie reisen vorübergehend mit ihren beiden kleinen Kindern aus, da auch sie alle aufgrund der Gesamtsituation fertig sind. Im September wollen sie zum Neustart der Schulen wiederkommen. Bis dahin können wir in ihrem Haus wohnen, haben sauberes Wasser und vor allem Ruhe sowie eine bessere Internetverbindung durch die Nähe zur Innenstadt.
Thomas und ich freuen uns riesig auf diese Auszeit. Es wird ein Kurzurlaub in einem Ferienhaus in Kigali-City. Wir sind gespannt, was wir dann noch so alles erleben.