300 Hochzeitsgäste

Nachdem wir im August bereits an der standesamtlichen Trauung von Callixte und Eugenie teilgenommen hatten, waren Thomas und ich nun im November offiziell zur kirchlichen Trauung mit weiteren 300 Gästen eingeladen. Wir sollte jedoch auch eine spezielle Rolle in einer Hochzeitszeremonien einnehmen, so dass wir dazu natürlich beide die traditionelle Kleidung- Mushanana- tragen würden. Das Organisationsteam einer jeden Hochzeit stellt dafür einen Ankleideraum mit Personal zur Verfügung, wobei Männer und Frauen selbstverständlich getrennt angekleidet und vorbereitet werden. Jeder von uns bekam zusätzlich auch noch einen persönlichen Übersetzer zugeteilt. Mir wurde Beth und Thomas ein Freund von Callixte zur Seite gestellt, von denen wir komplett abhängig waren, da wir nicht die geringste Ahnung hatten, was wann an diesemTag passieren würde und wo wir ganz konkret in Erscheinung treten würden.

Am Samstag den 11.11. war ich mit Beth um 8:30 Uhr verabredet. Sie hatte auf meine Empfehlung hin für uns einen Kosmetik-Termin für ein professionelles Make up organisiert denn auch das ist in Rwanda üblich in Vorbereitung auf große Feste und Feierlichkeiten. Danach würden wir beide in den Mushanana gekleidet, der in den von der Braut gewählten Farben bei einem Hochzeitsausstatter ausgeliehen wird. Für Thomas gab es bis dahin noch keinen festen Zeitplan zum Ankleiden. Doch das sollte sich bald ändern.

Zufällig wachte ich an dem Samstag schon gegen 6:00 Uhr auf und schaute instinktiv auf mein Handy. Beth hatte in der Nacht noch eine Nachricht geschickt. Thomas müsste 7:30 Uhr bereits zum Ankleiden bei Callixte eintreffen und wir beide würden uns auch schon um 7:00 Uhr treffen, um alle Vorbereitungen zeitlich zu meistern. Ich weckte Thomas und schon waren wir mehr im Stress, als zu unserer eigenen Hochzeit.

Beth holte mich tatsächlich 7:00 Uhr ab und fuhr mit mir zu „light-veil“, einem Kosmetik-Studio in der City, um einen zeitigeren Termin zu bekommen, was jedoch nicht möglich war. Alles ausgebucht! Wir sollten bis zu unserem offiziellen Termin 8:30 Uhr warten. Die erste Hochzeitszeremonien war jedoch bereits für 9:00 Uhr geplant. Wie sollte das zeitlich funktionieren? Beth war jedoch optimistisch und wollte die verbleibende reichliche Stunde nutzen, um mich bei einem Friseur unterzubringen. Ich war überrascht denn davon war nie die Rede gewesen. Welcher Friseur hatte schon Erfahrungen mit dünnem langen leicht ergrauten europäischen Haar und konnte in kurzer Zeit eine festliche Frisur daraus zaubern? Doch Beth liess von dieser Idee nicht ab. Der erst Friseur war zwar bereits geöffnet, doch das entsprechende Personal noch nicht vor Ort. Der zweite Friseur lehnte es ab, meine Haare in der verbleibenden Zeit von 40 Minuten zu stylen. Der Dritte Friseur stimmte mürrisch und genervt zu, da Beth verzweifelt insistierte. Nun wurde das Glätteisen rausgeholt, Spangen und Klemmen bereitgelegt und ich nahm auf einem der üblichen Friseurstühle Platz. Beth erklärte in Kinyarwanda, was in nur 30 Minuten das Ergebnis auf meinem Kopf sein sollte und fragte mich immer wieder nach meiner Vorstellung von der Frisur. Ich hatte gar keine Idee aber auf alle Fälle eine Meinung und bekam immer mehr Bedenken hinsichtlich des möglichen Resultats in der verbleibenden Zeit. Meine Haare dampften unterdessen im Glätteisen und wurden abwechselnd mit dem Föhnt und einer Rundbürste bearbeitet. So wird das nix! Ich sah schon meine zarte Haarpracht in Rauch aufgehen oder zu einer Kurzhaarfrisur zusammenschrumpfen. Eine „normale“ Hochsteckfrisur würde bei meinen glatten Haaren nicht halten, doch das schien außer mir niemanden zu interessieren. Ein Friseurhelfer kam dazu und beide Männer begannen zu drehen, zu knoten, steckten Klemmen auf meinem Kopf fest und sprühten mehr als reichlich Haarlack. Beth hatte von dem Friseur Sprechverbot bekommen, da sie immer wieder Anweisungen gab und somit die Profis nervte.

30 Minuten später und um mindestens 35 Haarklemmen reicher, zahlte ich 20.000 RwF (14,90 EURO) und war relativ zufrieden mit dem Ergebnis. Mehr war einfach nicht machbar und ich sah definitiv festlicher aus, als vorher und das war die Hauptsache. Wir verliessen eilig den Salon. Nun schnell noch das Make up in weiteren 30 Minuten- eine erneute Herausforderung! Das Gesamtergebnis konnte sich dann aber sehen lassen. Beth war zufrieden und ich ebenfalls, wobei mir bereits der Kopf leicht schmerzte aufgrund der festgezwirbelten Hochsteckfrisur.

Die erste traditionelle Hochzeitszeremonie begann ruandisch pünktlich um 9:30 Uhr und war eine zweistündige Verhandlung des Brautgeldes. Dieses wird in der Tat noch von der Familie des Mannes an die Familie der Frau gezahlt und üblicherweise auch verhandelt. Die Zeremonie ist dagegen eine Art Theaterstück, welches auf unterhaltsame Art und Weise diese Tradition darstellt. Dazu sitzen sich Vertreter der Familie des Bräutigams und der Braut als Gruppen in einem großen Saal gegenüber. Ein Moderator leitet die Zeremonie und die Kommunikation zwischen den Parteien und unterstützt auch bei der Übergabe der Gastgeschenke an die Familie der Braut. Sie soll schließlich positiv gestimmt werden, um möglichst zügig der Hochzeit zuzustimmen. Alle anderen Gäste sitzen ebenfalls getrennt nach Zugehörigkeit zur Braut oder zum Bräutigam und verfolgen aufmerksam die Brautgeldverhandlungen.

Da ich mit Beth in der ersten Reihe platziert wurde, bekam ich nach ca. 1 Stunde plötzlich das Mikrophon vor’s Gesicht gehalten und sollte im Rahmen der Verhandlungen als Vertreterin der Braut dem verabredeten Hochzeitsprozess vor allen 300 geladenen Gästen zustimmen, was ich auch zum richtigen Moment tat, da Beth das Geschehen schnell noch übersetzt hatte und ich somit wusste, worum es ging bzw. welche Frage gerade an mich gestellt worden war.

Während ich im traditionellen Mushanana gekleidet in der ersten Reihe bei der Familie der Braut sass, war Thomas einer von Callixtes „Junggesellen“ ebenfalls im historischen Mushanana gekleidet und mit Stock. Die Männergarde begleitet den Bräutigam auf die Bühne, wo er auf die Ankunft seiner Braut wartete.

Den Gästen werden unterdessen Getränke gereicht, so dass die ersten in der Realität nach dem zweiten Bananenbier schon leicht angetrunken dem weiteren Verlauf der Brautgeldverhandlungen beiwohnen. In unserem Fall gab es Fanta, Cola, Wasser und verschiedene Sorten Bier, die außer dem traditionelle Bananenbier ausgeschenkt wurden.

Nachdem das Brautgeld verhandelt und beide Parteien dem Datum der Hochzeit zugestimmt hatten, wurde das Mittagsbuffet eröffnet. Leider ist das nach nur wenigen Minuten kein appetitlicher Anblick mehr. Jeder Gast schaufelt so viel er kann in einem Berg auf einen mittelgroßen Teller, wobei unberücksichtigt bleibt, ob es sich um eine Vor- oder Hauptspeise oder um Obst als Desert handelt. Sehr befremdlich.

Etliche der Gäste waren, wie auch der Bräutigam und die Braut, blind. Auch von meiner Partnerorganisation „Rwanda Union of the Blind“ waren Kolleg*innen und Vorstandsmitglieder gekommen. Callixte ist in der Gemeinschaft sehr anerkannt und durch seine Fähigkeiten im Bereich der unterstützenden Technologien ein sehr gern gesehener Partner und Kollege.

Anschließend wurde gesungen und vereinzelt getanzt. Callixte spielte für seine Eugenie Gitarre, Seeing Hands sang für beider ein Lobpreis-Lied und zwei Künstler spielten auf traditionellen Instrumenten. Fotos wurden selbstverständlich auch geschossen und wir hoffen, davon noch das eine oder andere als Erinnerung zu bekommen.

Am Nachmittag folgt die eigentliche kirchliche Trauung, die ebenfalls 2 Stunden dauerte und ab 18 Uhr waren alle Gäste zur Übergabe der Geschenke eingeladen. Das Überreichen erfolgt nach Aufruf durch den Zeremonienmeister und dauert weitere 2-3 Stunden. Wir waren in der Gemeinschaft von „Seeing Hands Rwanda“ an der Geschenkübergabe beteiligt und überreichten von uns aus noch einen separaten Umschlag mit Geld. Das wird nach solch einer Feier mit 300-350 Gästen mit Sicherheit gebraucht und ist sehr willkommen.

Wir hatten einen wundervollen Tag und auch Callixte schien glücklich, uns dabei zu haben. Die gegenseitige Wertschätzung mit der Bemühung einer wechselseitigen Einbindung in den sehr unterschiedlichen Alltag des anderen ist im Rwandischen Kontext nicht immer gegeben. Daher sind wir umso dankbarer für die Möglichkeit dieser Erfahrung.

Auto-freier Tag (Car free day)

Aller zwei Monate organisiert die „City of Kigali“ einen „Car free day“. Etliche Hauptstrassen um „Kigali Hight“ einem Zentrum neben der Universität von Kigali werden sonntags von 7:00 bis 10:00 Uhr für den Autoverkehr gesperrt und statt dessen für sportliche Aktivitäten der Bevölkerung freigegeben. Diese Veranstaltung ist stets ein kleines Volksfest. Gesundheitseinrichtungen präsentieren sich, eine große Bühne mit einem Flat-Screen ist aufgebaut, aus riesige Lautsprechern dröhnen Beats und ein Trainer demonstriert Aerobic-Übungen, die von hunderten Menschen nachgeahmt werden. Private aber auch Vereinssportgruppen verabreden sich, um gemeinsam unterschiedliche lange Strecken in der City zu laufen. Sie haben alle entsprechende einheitliche T-Shirts an mit lustigen Namen auf dem Rücken. Viele singen während sie laufen, so dass alle Läufer den gleichen Takt und Laufschritt halten. Einzelne Personen radeln oder skaten, andere Gruppen führen traditionelle ruandische Tänze auf, verbiegen sich gekonnt und ästhetischen in Yoga-Übungen oder entspannen bei zeitlupenartig anmutenden Tai-Chi Bewegungen.

Somit ist jeder „Car-free day“ ein Gesundheitstag und ein Tag der Bewegung für die ganze Bevölkerung- jung und alt ist dabei. Wenn man Glück hat, sieht man sogar den Präsidenten und seine Familie oder Mitglieder des Parlaments , die sich den sportlichen Aktivitäten anschließen.

Am Straßenrand hatten heute auch wieder die zahlreichen Gesundheitsorganisationen aber auch NGO’s ihre Stände aufgebaut. Man konnte sich zu verschiedenen Themen wie z. B. Brustkrebsvorsorge und Diabetes informieren, oder seinen Blutdruck und Blutzucker messen lassen. Dafür bekam man sogar auch einen Gesundheitspass ausgestellt, der die Referenzbereiche auswies und kritische Werte hervorhob. Auch Körpergröße und Gewicht wurden gemessen und Empfehlungen zur Gesundheitsverbesserung gegeben. Diesen Stand habe ich wissentlich ausgelassen 🙂 Geduldig warteten jedoch zahlreiche Teilnehmende in einer Schlange, um diesen kostenlosen Service zu bekommen.

Heute, am 15.10. dem Internationalen Tag des weissen Blindenstockes, war ich erstmalig mit „Seeing HandsRwanda“ mit dabei. Leider hatte ich diese Chance zur Beteiligung erst sehr spät wahrgenommen und so waren die Vorbereitung innerhalb einer Woche enorm: Antrag bei der „City of Kigali“, Teilnahme an einem zentralen Vorbereitungstreffen und Bestellung von Zelten, Tischen und Stühlen. Ohne unseren Fürsprecher, die locale NGO „Rwanda Bookmobile“ hätten wir das vermutlich gar nicht mehr geschafft. Beth hatte extra noch kurzfristig neue Pull-up-Banner und Rabatt-Gutscheine drucken lassen.

Wir waren trotz der kürze der Zeit super vorbereitet und mit 22 blinden und sehbeeinträchtigten jungen Frauen und Männern vertreten. Es war offensichtlich das erste Mal, dass Menschen mit einer Behinderung an diesem Event teilnahmen. Viele starten uns verwundert an, etliche lächelten bewundernd und kommentierten unsere sportliche Betätigung mit „courage, courage!“ Ebenso viele lasen auch interessiert die Pull-up-Banner und plötzlich ging der Run auf die kostenlosen Massage-Angebote von Seeing Hands los. Vermutlich wollten alle testen, ob blinde Frauen und Männer tatsächlich professionell massieren können. Es war unglaublich! Wir hätten Nummern für die Wartenden vergeben sollen, um die Reihenfolge besser im Auge zu behalten. Ich konnte es kaum glauben.

Wir hatten nur eine Massage-Liege und zwei Massage-Stühle mitgebracht, da wir nicht mit großem Zuspruch gerechnet hatten. Doch es kam wie gesagt ganz anders. Es war nicht nur ein großes Interesse an den Massagen sondern auch an Informationen über „Seeing Hands Rwanda“. Es war so schön zu sehen, wie alle miteinander im Gespräch waren, Sport machten, lachten, beteten und sangen. Eine einmalige und wunderschöne Atmosphäre.

Mit diesem Auftritt haben wir die Sichtbarkeit von „Seeing Hands Rwanda“ in der Öffentlichkeit so sehr verbessert und die Inklusion tatsächlich um einen großen Schritt voran gebracht. Besonders gefreut hat mich, dass es in der Überzahl die Ruandische Mittelschicht war, die Interesse gezeigt und sich Flyer mitgenommen hat.

In den nächsten Monaten wollen wir auch wieder mit dabei sein, jedoch in einer anderen Besetzung und mit mehr Massage-Liegen und -Stühlen. Immerhin haben wir es heute schon gleich in die Lokalnachrichten geschafft

M&O (Mobilität und Orientierung)

Meine Partnerorganisation hat neben der GIZ zahlreiche andere nationale und internationale Kooperationspartner, die mit unterschiedlichen finanziellen Mitteln, Aktivitäten finanzieren, die meine Kolleg*innen planen und local aber auch national implementieren müssen. Dabei geht es zum Einen darum, blinden und sehbeeinträchtigten Menschen bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen, aber zum Anderen auch darum, die Ruandische Gesellschaft auf die Menschenrechte dieser Gruppe aufmerksam zu machen.

Wer mich kennt weiss, dass ich weniger gern administrative und Managementaufgaben übernehme, obwohl ich diese fast mein ganzes Berufsleben ausgeführt habe. Was für eine Ironie! Viel lieber arbeite ich jedoch „hands on“ mit Menschen und begleite meine Kolleg*innen auf so genannten „field visits“ in entlegene Dörfer oder kleine Orte , in jedem Fall außerhalb der Hauptstadt Kigali.

Daher freue ich mich stets wenn ich Workshops vorbereiten, bei Trainingseinheiten assistieren und dafür Konzepte, Materialien oder Präsentationen entwickeln kann. Ein kürzlich abgehaltenes „Mobilitäts- und Orientierungstraining“ fand in einer Augenklinik in Muhanga, ca. 2 Stunden von Kigali entfernt, statt. Das Personal, welches täglich mit blinden und sehbeeinträchtigten Menschen in engem Kontakt steht, sollte einen persönlichen Eindruck davon bekommen, wie wichtig der Sehsinn für uns Menschen ist und wie man Personen bei Verlust dieses Sinnes entsprechend assistieren kann.

Nach einer zweistündigen Autofahrt teilweise im Schritttempo hinter schrottreifen LKW’s und qualmenden Zweitaktern kamen wir in Muhanga an. Die Augenklinik, ein modernes katholisches Krankenhaus, finanziert und gegründet vom CBM (Christoffel Blindenmission) arbeitet mit zahlreichen internationalen Ärzten zusammen. Die Fachlichkeit des nationalen Personals wird durch internationalen Austausch gesichert.

Eine kurze Kaffeepause vorab in einem kleinen Straßenkaffe, wobei diese Bezeichnung ein wenig übertrieben ist, war möglich. Schließlich erhalten meine Kollegen für solche Dienstreisen (2 h Anreise, 2 h Training und 2h Rückreise) eine Pauschale von ca. 30.000 RwF je nach Profession. Zum Vergleich: unsere Security Guards für’s Haus haben monatlich mit einer 6- Tage-Woche und je 10 Stunden pro Tag knapp 50.000 RwF ausgezahlt bekommen. Willkommen in der Privatwirtschaft! In der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit werden jedoch diese Tagespauschalen refinanziert und in den Projekt-Budgets eingeplant und verhandelt. Diese „Allowances“ (Zuschläge) sind ein Teil des monatlichen Einkommens, mit dem die nationalen Kolleg*innen rechnen. Daher finden Workshops und Trainings auch immer außerhalb von Kigali statt, um sicherzustellen, dass diese Zusatzeinnahmen auch tatsächlich fliessen. Damit wird außerdem sichergestellt, dass die Teilnehmenden den Workshop nicht vorzeitig verlassen können, um zu Hause Familienangelegenheiten oder im Büro anderweitige Arbeitsthemen zu klären.

Das Training wurde von zwei Kollegen meiner Partnerorganisation durchgeführt, wovon ein Kollege ebenfalls vor einigen Jahren erblindet ist. Der andere Kollege assistierte und ich war als Fahrer*in und weibliche Teamergänzung dabei. Die Gender-Perspektive wird in Ruanda in bestimmten Bereichen sehr ernst genommen. Das ist jedoch noch einmal ein ganz anderes Thema, worüber man kontroverse diskutieren kann.

Das Training ist als Selbsterfahrungsworkshop konzipiert. Jeder Teilnehmende bekommt mit einer gepolsterten Augenbinde die Augen verbunden und muss sich mit einem weissen Blindenstock den Weg zu einem bestimmten Ort in der näheren Umgebung bahnen. Einerseits ist das natürlich ein Riesenspass für die Teilnehmenden aber auch für die Öffentlichkeit, die natürlich Zeuge des Spektakels wird. Andererseits reflektieren die Teilnehmenden im Anschluss stets ihre Erfahrungen und wissen nun, wie sie sich adäquater gegenüber blinden und sehbeeinträchtigten Patient*innen verhalten können. „Schau mal dort!“ oder „Hier befindet sich…!“ sind Aussagen, die ein blinder Mensch nicht nachvollziehen kann. Detaillierte Beschreibungen des Umfeldes und Angaben der Richtung mit hinter dir, vor dir, rechts oder links von dir…sind unbedingt notwendig und ermöglichen blinde Personen die Orientierung in ihrem sozialen Umfeld.

Dadurch dauern Aktivitäten, die von blinden Menschen durchgeführt werden verständlicherweise länger. Es müssen nicht nur umfangreichere Erklärungen sondern auch mehr Pausen zur Entspannung eingeplant werden. Die Aufmerksamkeitsspanne ist geringer, da das Gedächtnis intensiver arbeiten und die verbliebenen vier Sinne das fehlende oder eingeschränkte Sehen kompensieren müssen. In Ruanda gibt es leider keine bzw. nur sehr vereinzelt taktile, auditive oder technische Hilfsmittel, die das Lernen oder Orientieren erleichtern könnten. Demzufolge sind Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen viel stärker auf Beschreibungen und Hilfe von Dritten angewiesen, wodurch diesen Trainingseinheiten in Orientierung und Mobilität eine ganz entscheidende Bedeutung zukommt.

Für zukünftige Workshops möchte ich gern stärker an der Entwicklung auditiver Trainingsmaterialen arbeiten. Dazu werde ich bald Gelegenheit haben, da ein dreitägiger Workshop zum Thema „sexualisierte geschlechtsspezifische Gewalterfahrung“ geplant ist. Die Zusammenarbeit mit „Rwanda Bookmobile“, von der ich schon berichtet habe, wird mir dabei helfen denn mit dieser lokalen NGO habe ich bereits auditives Material zusammengestellt und bin auf dessen Einsatz im Workshop sehr gespannt.

Die „Region der Großen Seen“ (Great Lake Region)

Der Tanganyika See, der Malawi und der Victoria See sind die drei größten Seen Afrikas. Sie gehören zur so genannten „Region der Großen Seen“. In dieser Region haben sich 12 Afrikanische Länder zusammengeschlossen.

  1. Zambia
  2. Zimbabwe
  3. Mozambique
  4. Uganda
  5. Ruanda
  6. Tanzania
  7. Demokratische Republik Congo (DRC)
  8. Burundi
  9. Kenya
  10. Malawi
  11. Äthiopien
  12. Südsudan

Die GIZ Rwanda hat ein Entwicklungshilfeprogramm in dieser Region, welches Projekte für den Länderzusammenschluss unterstützt. Um die Entwicklung der benannten Länder abgestimmt voranzubringen, wurde das „International Committee of the Great Lake Region“ (ICGLR) gegründet. Jedes Land schickt Repräsentanten in dieses Komitee, das nach bestimmten Regeln arbeitet und für die Länder gemeinschaftlich Entscheidungen vorbereitet und umsetzt. Besonders wichtig ist dieses Gremium für den Bereich des Mineralien- und Gold-Abbaus in der Region.

Seit April dieses Jahres arbeitet Thomas zu 51% seiner Arbeitszeit in diesem Regionalprogramm der GIZ. Aufgrund meiner Expertise zur Prozessanalyse und zum Prozessmanagement bekam auch ich die Gelegenheit mit diesem Internationalen Komitee zusammenzuarbeiten. Der Auftrag für die GIZ bestand darin, die Prozesse der Personalverwaltung (HR Prozesse) zu definieren, zu analysieren und zu digitalisieren. Letzteres wird von Thomas durchgeführt.

In einem Workshop mit den Ländervertretungen war es meine Aufgabe, ihnen ein einheitliches Grundverständnis für HR Prozesse und deren Inhalte mit Spezifizierung im Kontext des Länderverbundes zu vermitteln. Daher musste ich mich erst einmal ein wenig in das Thema einlesen, um einen Überblick und meinerseits ein Grundverständnis der Situation der ICGLR zu bekommen.

Ein Dokument in der Vorbereitung war ein Evaluationsbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernest & Young aus dem vergangenen Jahr. Die Unternehmensstrukturen der ICGLR wurde darin erklärt und zahlreiche Empfehlungen zur Verbesserung ausgesprochen. Eine davon war die Prozess-Strukturierung im Personal- und Finanzbereich. Für den Finanzbereich waren die gegebenen Empfehlungen berücksichtig, erste Entscheidungen getroffen worden und die Digitalisierung hatte ebenfalls bereits begonnen. Für die Personalverwaltung standen entsprechende Veränderungen noch aus und sollten mit dem geplanten Workshop initiiert werden.

Wo sollte ich jedoch beginnen? Was konnte ein Ergebnis des Workshops sein? Welche Erwartungen hatten die Teilnehmenden an diesen Workshop und vor allem wie gestaltete man ihn partizipativ, so dass sich die unterschiedlichen Nationalitäten mit ihren Themen berücksichtig fühlen? Viele Fragen, die in der Vorbereitung geklärt werden mussten. Dazu trafen Thomas und ich uns zweimal mit den Kolleginnen des GIZ Regionalprogrammes, um uns inhaltlich auszutauschen und Antworten auf die vielen Fragen zu erarbeiten.

Danach erstellte ich ein Power Point Präsentation, die thematisch in das Thema einführen und Begriffe klären würde. Des Weiteren entwickelten wir in langen Diskussionen mit Thomas eine Excel Tabelle und Assessment-Kriterien, mit denen die Workshop Teilnehmenden ihre HR Prozesse definieren und evaluieren könnten. Bereits vom Länderverbund erarbeitete Anforderungen (Requirements) für das Prozessmanagement wurden den Haupt- und Sub- Prozessen der Personalverwaltung zugeordnet, um sie später im Rahmen der Digitalisierung erneut aufgreifen und ggf. berücksichtigen zu können.

Alle Beteiligten hatten bereits in 2 Workshop-Tagen verschiedene Themen bearbeitet, Analysen diskutiert und die Halbjahresplanung für das länderübergreifende Projekt vorgenommen. Daher war meine Befürchtung eine nur noch minimale Teilnahme am letzten Workshop-Tag. Doch alle Anwesenden waren ausgesprochen interessiert, engagiert und kommunikativ, so dass sich ein wunderbarer Austausch entwickelte. Auch die Gruppenarbeit war sehr erfolgreich und brachte die großen Herausforderungen in Bezug auf eine geplante Digitalisierung der HR Prozesse zum Vorschein.

Der partizipative Arbeitsansatz war uns richtig gut gelungen. Wir hatten auch alle Register gezogen von Präsentation, Diskussion, Gruppenarbeit, Visualisierung, über individuelle Priorisierung bis zur Evaluation des Workshops mit Mentimeter.

Die inhaltlich doch recht aufwendige Vorbereitung und Einarbeitung hatte sich sehr gelohnt. Ich hatte viel gelernt und methodisch ausprobieren können. Die Teilnehmenden und auch die GIZ Kolleginnen waren sehr zufrieden mit dem Ergebnis und auch für mich stimmte die Qualität des Workshops.

Vielleicht ergibt sich für mich zeitnah eine weitere Möglichkeit mit der ICGLR zu arbeiten, Prozesse zu definieren und den nächsten Schritt der Implementierung zu begleiten. Ein Anfang ist jedenfalls gemacht.

Heiraten auf Ruandisch

Seit drei Jahren sind Thomas und ich mit Beth und Callixte von „Seeing Hands“ verbunden. Aus dem anfänglichen Arbeitskontext, bezogen auf ein IT Training blinder Frauen und Männer finanziert durch die Amerikanische Botschaft, ist unterdessen eine Freundschaft entstanden.

Wir feiern gemeinsam unsere Geburtstage, sitzen bei uns im Garten während Beth’s Kids im Pool planschen. Sogar Callixte hatte großen Spass daran, mit seinem Blindenstock den Swimmingpool zu ertasten. Er war sogar mutig genug, ins Wasser zu gehen.

So erfahren wir viel von der jeweils anderen Kultur und bekommen Einblicke in besonders schöne aber manchmal auch in besonders dramatische Ereignisse. Ein besonders schöner Moment war für uns die Bekanntgabe Callixtes Verlobung und seine anstehende traditionelle Hochzeit im November dieses Jahres, zu der wir nicht nur als Gäste sondern als Teil der Familie eingeladen sind. Thomas und ich werden in traditioneller Kleidung, gestellt vom Hochzeitsausstatter, eine kleine Funktion übernehmen und die Zeremonie mit begleiten.

Doch erst einmal durften wir an der amtlichen Trauung bzw. an der sich daran anschließenden Familienzusammenkunft im Haus von Calixtes Eltern teilnehmen.

Der Tradition folgend, stellen sich beide Familien und Freundeskreise einander vor. Jede Person wird einzeln vom Moderator der Veranstaltung aufgerufen und muss seine Beziehung zur Braut oder zum Bräutigam kurz darstellen. Es gibt Getränke und eine Torte, die das Brautpaar gemeinsam anschneidet, jedoch gefeiert wird erst nach der traditionellen Hochzeit. Auch erst danach darf das Brautpaar offiziell gemeinsam in einem Haus(halt) zusammen leben und sexuell aktiv sein.

Callixte und Eugenia kennen sich bereits aus der Schulzeit. Sie haben beide eine Blindenschule besucht, können Braille lesen und schreiben und sind im Alltag wahnsinnig selbständig. Auch von ihren Familien haben sie viel Unterstützung erhalten. Eugenia hat ihre Herkunftsfamilie im Genozid verloren und ist bei Verwandten aufgewachsen, die sie durch den Prozess ihrer Erblindung begleitet haben. Sie ist ausgebildete Masseurin bei „Seeing Hands“. Callixte hat an der Universität Informationstechnology studiert und sich später auf blindenspezifische Hilfsmittel im IT Bereich spezialisiert. Regelmäßig trainiert er blinde und sehbehinderte Männer und Frauen in der Nutzung dieser technischen Hilfsmittel und arbeitet mit dem Bildungsministerium sowie dem National Council for Persons with Disability (NCPD) zusammen. An kleineren Projekten im Umfeld der GIZ konnte er mit Unterstützung von Thomas ebenfalls schon mitgearbeitet und so mehr Berufserfahrungen sammeln.

Callixte ist ein zum Leben sehr positiv eingestellter und lernbegieriger junger Mann. Er war 2022 allein 6 Wochen in Amerika, wo er am „Mandela Fellowship Trainingsprogramm“ für junge afrikanische Führungskräfte teilnahm. Mit neuen Ideen, Konzepten und Kontakten kam er nach Ruanda zurück. Er lässt nichts unversucht, um für sich und andere von Blindheit Betroffene Arbeits- und Lernmöglichkeiten zu schaffen. Er selbst probiert alles aus und es gibt nichts, was er nicht wissen, ertasten und verstehen möchte. Daher macht es uns einfach sehr viel Freude, ihn zu unterstützen und mit ihm zu diskutieren.

Sein besonderes Erlebnis für ihn mit uns war eine Einladung in der Vorweihnachtszeit 2021. Thomas hatte Stollen gebacken, es gab Glühwein und Kakao mit Rum sowie selbst gebackene Plätzchen. Außerdem erklärten wir ihm das Prinzip einer sich drehenden Weihnachtspyramide mit den Figuren aus der Bibelgeschichte. Unvergesslich für ihn ist auch das Räuchermännel, der „smoking man“.

Thomas und ich freuen uns sehr auf die Hochzeit am 11.11. 2023 und viele weitere schöne Erlebnisse mit Beth und Callixte und zukünftig auch mit Eugenia, seiner Frau.