Nach reichlich 4 Wochen schlägt sie nun zu, meine „innere Unruhe“ ist wieder da. Sicherlich bringen viele Tage immer noch aufregende Erlebnisse, unerwartete Begegnungen und oft auch ausreichend Arbeit. Es kehrt aber auch etwas Alltag ein. Nach wie vor bin ich 8:30 bis 14:00/15:00 Uhr mit dem Schulprojekt in Anspruch genommen. Danach ist Freizeit. Nun kommt mein Problem. Was mache ich in meiner freien Zeit? Meine Unabhängigkeit habe ich komplett verloren. Ich gehe hier keinen Schritt ohne Thomas, weder ins Dorfzentrum nach Alegaon noch in die Stadt Sangola. Was sollte ich dort auch allein machen? Die Verständigung mit Einheimischen ist nicht möglich oder nur mit einzelnen Personen, die man zufällig trifft. Ein Fitnessstudio gibt es nicht, Freunde habe ich hier nicht und anderen Aktivitäten anschließen, kann ich mich nicht…welchen denn? Private Yogastunden (habe ich zwar noch nicht recherchiert) werden vermutlich in Hindi oder Marathi abgehalten, so dass ich die Anleitung zu den Übungen nicht verstehen werde. In einer größeren Stadt besteht vielleicht die Chance, diese in englisch zu bekommen. Aber dafür umziehen? Als Frau sitzt man hier auch nicht in einem Café und liest, allein schon gleich gar nicht. Abgesehen davon gibt es hier auf dem Land kein Café. Und Frauen treten in der Öffentlichkeit (fast) nicht in Erscheinung. Von meinem eingeschränkten Bewegungsradius hatte ich ja bereits geschrieben. Ich habe auch dafür immer noch keine wirklich gute Lösung gefunden. Somit bin ich ausschließlich in meiner Freizeit (ausgenommen die Wochenenden) im Farmhaus und sitze im Schatten vor dem Haus. Die innere Unruhe treibt mich raus aber es gibt keinen Ort, wohin ich (allein) gehen könnte. Entweder machen mit die Hitze, die zeitige Dunkelheit, regelmäßige Stromausfälle oder die fehlende Anbindung an irgendetwas einen Strich durch die Rechnung. Wie und womit soll ich mir die freie Zeit gestalten? Es gibt keine Abwechslung und keine externen Anregungen. Meine Lernaufgabe: Ich muss mich mit den veränderten Gegebenheiten irgendwie arrangieren und mich in Ruhe und Geduld üben. Dabei möchte ich mich allerdings auch wohlfühlen, also muss ein Kompromiss her.

Darüber haben Thomas und ich gestern lange diskutiert.

Wir wollen versuchen, nun zweimal pro Woche früh Yoga nach einer App zu machen und erst gegen 10:00 Uhr zur Schule zu gehen. Dazu müssen wir uns nur noch einen passenden Ort überlegen. Vor dem Farmhaus im Schatten ist es wahrscheinlich etwas unpassend, wenn um uns herum die Landwirte ihre harte Arbeit verrichten. Eine andere Überlegung ist, gemeinsam 2 x pro Woche am Nachmittag ins Dorf zu gehen und dort in einem Straßencafé zu lesen oder ggf. noch was für unser Projekt zu machen. Wenn sich dann alle an unser regelmäßiges Erscheinen gewöhnt haben, könnte ich auch mal allein auftauchen. Somit hätte ich ein klein wenig mehr Unabhängigkeit.

Im April ist noch viel Aufregendes in Planung. Es gibt kommende Woche eine Zeremonie im Dorf anlässlich der „Hochzeit der Hauptgottheit“ und dazu finden 5 Tage lang Feierlichkeiten statt. Dann stehen im Rahmen unseres Projektes Hausbesuche in den umliegenden Dörfern an, die wir teilweise begleiten werden und nicht zu vergessen…Thomas hat Geburtstag! Wie ich den gestalte, weiß ich noch nicht. Blumenstrauß und Kuchen wird es nicht geben aber viel Sonnenschein! Vielleicht spendiere ich ihm eine kühle Pepsi!

Schulregeln

Alle Schüler/innen wachsen mit zahlreichen Regeln und Zeremonien auf. Jeder Schultag beginnt mit einer 15-minütigen Zeremonie. Selbstverständlich wird die Nationalhymne gesungen, alle schwören ihre Verbundenheit mit dem Vaterland, es wird ein Gebet gesprochen, die Geburtstagskinder werden vor allen Versammelten geehrt und wichtige Inhalte werden durch einen Schüler oder einen Lehrer verkündet. Dies alles erfolgt sowohl in englischer Sprache als auch in Marathi.
Daher war es für uns sehr verwunderlich, dass es keine festgeschriebenen Schulregeln gab. Diese haben wir nun gestern in einem kleinen Workshop auf drängenden Wunsch aller mit den Lehrern erarbeitet. Es sind 5 allgemeinen Regeln für Lehrer und Schüler entstanden:

1. Ich liebe mein Land und die Umwelt.
2. Ich liebe es, zu lernen.
3. Ich spreche gern englisch.
4. Ich stehe zu dem, was ich sage (Disziplin).
5. Ich verpflichte mich, Ergebnisse (Leistung) zu erzielen.

Es war ein sehr gelungener Workshop. Thomas hat nach der gemeinsamen Erarbeitung dieser Regeln jeden Lehrer mit persönlichem Handschlag auf diese Regeln „eingeschworen“. Das war ein ganz phantastischer Moment, alle waren mega stolz! Durch diese Geste wurde das persönliche Engagement gewürdigt und die individuelle Zustimmung zu den Regeln abgefordert.
Heute früh hat der Schulleiter in der morgendlichen Zeremonie diese 5 Regeln offiziell für alle eingeführt und verkündet. Alle Schüler mussten sie dann im Chor aufsagen. In der sich anschließenden ersten Unterrichtsstunden hat jede Klasse alle 5 Regeln aufschreiben und inhaltlich diskutieren müssen. Nun wird jeden Morgen eine der Regeln in die Zeremonie eingebaut, so dass sie sich verfestigt.
Das alles erinnert mich sehr stark an das sozialistische Schulsystem. Es ist in Ansätzen durchaus wirksam, gerade wenn es um Disziplin geht. Trotzdem versuchen wir, gerade deshalb, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Regeln wichtig sind aber die Individualität ebenso gefördert und berücksichtigt werden muss.

Dabei ist mir mit Erschrecken aufgefallen, dass auch ich mit meinen Kollegen/innen keine allgemeinen Regeln für die Ambulante Betreuung habe. Vielleicht sollten auch wir uns mal die Zeit nehmen, uns auf 5 allgemeine Standards zu verständigen. Spannend! Was da wohl rauskommt?

Auch heute hatten wir wieder nach dem üblichen Samstagsunterricht einen Workshop mit allen Lehrern/innen. Es wurden die Ergebnisse der 5 Unterarbeitsgruppen, die wir letzte Woche ins Leben gerufen hatten, präsentiert. Wie erwartet viel der Strom aus, so dass unsere wunderbare Exceltabelle mit allen Auflistungen an Themen, Terminen und Verantwortlichkeiten leider nicht zum Einsatz kam. Das war jedoch kein großes Problem, da wir nun alle gemeinsam die anstehenden Aufgaben zusammentragen mussten. Lief sehr gut!
Die neue Arbeitsstruktur des Teams schaut nun so aus, dass wir bis Ende Juni jeweils 2-wöchige Umsetzungsphasen mit konkreten Aufgabengeplant geplant haben. Einzelne Lehrer haben konkrete Aufgaben übernommen und werden in der kommenden Zeit von uns angeleitet, so dass sie diese auch erfolgreich ausführen können. Aufgaben sind z. B. 1. kleine Artikel für die Website schreiben
2. Erstellen von Schulregeln, die für die Lehrerschaft gelten 3. Inventurliste zu Arbeits- und Lehrmitteln erstellen
4. Erstellen einer Reparaturliste
5. Erstellen einer Investitionsliste und Priorisierung der Investitionen

Ich habe in den letzten Tagen Fotos von allen Mitarbeitenden gemacht und gemeinsam mit einigen Lehrern deren Kurzbiographien für die Website erstellt. Das hat total viel Spaß gemacht. Alle waren mega stolz, zukünftig auf der Homepage der Schule zu erscheinen. Mit den Fotos habe ich mir auch richtig Mühe gegeben, um auch den Einsatzbereich der jeweiligen Person ansatzweise mit abzubilden. Die Schulbusfahrer waren anfangs etwas skeptisch, da sie sich nicht nur stocksteif vor ihre Fahrzeuge stellen durften, sondern etwas „posieren“ sollten. Also mit geöffneter Fahrertür, im Bus sitzend oder das Auto „putzend“. Aber nach einer kurzen Übersetzungseinheit durch Baba hatten auch sie Freude. Ich musste sogar immer noch ein Foto machen, weil keines gut genug war. Auch der Hausmeister wurde abgebildet, wie er gerade die „Schulklingel“ bedient. Diese ist ein rostiges Metallteilen, auf das mit einer langen, ebenso verrosteten Schraube eingeschlagen wird.

Das Management wurde am PC abgelichtet, obwohl das Internet und die Tastatur nicht wirklich funktionieren und somit die Nutzung sehr eingeschränkt ist.

Mein Lieblingsfoto aus dieser Woche ist jedoch dieses hier!

Unser Projekt läuft nun in der 2. Woche. In der 1. Woche haben wir den Ablauf in der Schule beobachtet. Am Samstag hatten wir dann den großen Workshop mit allen Lehrern zur Bestandsaufnahme und es wurden viele Verbesserungsvorschläge zu unterschiedlichen Themen eingebracht. Zu diesen haben wir in Vorbereitung der nun laufenden 2. Woche Unterprojektgruppen gebildet. Es gibt nunmehr:

1. Management und Investment
2. Language Improvement
3. Website
4. teach the teacher
5. selfmade teaching material

Mit je einer dieser Arbeitsgruppen treffen wir uns pro Tag nach dem Unterricht für 2 Stunden, um Details zu besprechen und konkrete Maßnahmen zu verabreden. Am Ende dieser Woche stellen am Samstag alle Unterprojektgruppen ihre Ergebnisse vor. Diese werden mit dem Beamer vor allen Lehrern präsentiert. Es geht dabei auch um die Nutzung neuer Medien durch die Lehrerschaft.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele sehr gute Ideen von einzelnen Lehrern kommen. An Kreativität mangelt es auf keinen Fall.

Themen zur Verbesserung müssen jedoch von einer außenstehenden Autorität moderiert werden. Sich selbst motivieren, verbesserungswürdige Themen erkennen und kommunizieren sowie passende Maßnahmen formulieren, funktioniert mit dem hier eingesetzten Management nicht. Die Fähigkeit, auch nur ansatzweise Themen zu bearbeiten und voranzubringen ist nur marginal ausgeprägt.

Ich bin gespannt, welche Ergebnisse wir tatsächlich erzielen werden und erst recht, was nachhaltig und langfristig umgesetzt werden wird.