Der Tag begann heute mit einer erneuten Zeremonie. Der serpanch (Dorfvorsteher) von Alegaon hatte extra zu unserer Begrüßung dazu eingeladen. Allerdings waren nur männliche Vertreter unserer Gastfamilie Babar gebeten worden zu kommen. Demnach war Thomas diesmal die Hauptperson und musste Teile der Zeremonie übernehmen. Wir bekamen beide den uns schon bekannten orangefarbenen Turban und durften als besondere Ehre das Innere des Tempels betreten und dort beten. Das Heiligtum wird normalerweise nur von Tempelverantwortlichen betreten. Selbstverständlich musste Thomas eine kurze Rede halten, auf englisch und auf deutsch. Die Herren wollten unsere Muttersprache einfach mal hören. Dass wieder zahlreiche Fotos gemacht wurden, brauche ich eigentlich nicht erwähnen.

Auch den zweiten Teil des Tages, unseren Workshop mit den Lehrern, haben wir in 2 Stunden gut geschafft. Zwar konnten wir nicht mit unserer vorbereiteten PowerPoint Präsentation starten, da der Strom gerade dann wieder ausfiel. Damit hatten wir jedoch gerechnet und waren auch anderweitig gut vorbereitet! Der typische Plan B für deutsche Projektmanager.
Da das englische Sprachniveau der einzelnen Lehrer sehr unterschiedlich ist, musste oft in Marathi übersetzt werden. Jeder Lehrer musste je 3 positive und 3 zu verbessernde Inhalte im Schulalltag aufschreiben und diese dann vor den anderen Kollegen/innen vorstellen. So eine offene Kommunikation ist eher untypisch. Ich hatten den Eindruck, dass es für einige der Frauen noch etwas schwieriger war, vor den anderen (Männern) zu sprechen. Aber sie brachten gute Inhalte. In der Kommunikation der Männer ist mir aufgefallen, dass sie überwiegend zu uns und weniger zu den (weiblichen) Kolleginnen gesprochen haben. Auf Fragen wird sehr schnell zugestimmt, „Yes, yes…“ oder „Ha, ha…“ in der Muttersprache. Dabei wird aber der Kopf geschüttelt! Obwohl ich diese konträre Verhaltensweise kenne, bin ich immer mal wieder verunsichert und werde stutzig. Zweimal kam eine Diskussion in der Muttersprache auf zu einem Thema, welches unterschiedlich, also positiv und negativ, von den Lehrern bewertet wurde. Da mussten wir dann deutlicher strukturierend eingreifen. Ansonsten lief alles ganz prima. Strom war auch nach einer gewissen Zeit wieder vorhanden und so verlief alles zu unserer Zufriedenheit. Wir haben auch Ergebnisse erzielt. Diese müssen jedoch jetzt schrittweise in 5 Arbeitsgruppen umgesetzt werden. Das wird, aufgrund anderer Vorstellungen von Pünktlichkeit und Disziplin, eine weitere Herausforderung für alle!

Lektion gelernt

Unterdessen haben wir vier Unterrichtstage miterlebt und morgen, Samstag ist auch noch ein Schultag. Das System kennen Thomas und ich teilweise auch noch aus unserer Schulzeit.
Am ersten Tag waren wir erstaunt, ja teilweise schockiert, was hier Unterricht bedeutet. Nach vier Tagen haben wir unsere Lektion jedoch gelernt! Die Bedingungen unter denen die Lehrer ihren Unterricht gestalten und die Schüler lernen müssen, sind um ein vielfältiges härter, als man es sich nur ansatzweise vorstellen kann. Alle Klassen bzw. Jahrgänge-angefangen von der Kita bis zur 8. Klasse-sind mit 10 bis 16 Schülern in kleinen, überdachten halbwandigen Räumen untergebracht. Wunderbar denkt man, dann kann in der Hitze ja etwas Luft zirkulieren. Stimmt! Allerdings ist der Geräuschpegel dadurch auch gigantisch. Man hat an jedem Klassenraum immer mind. 2 angrenzende Räume, in denen lautstark andere Unterrichtseinheiten abgehalten werden. Liest in der 7. Klasse z. B. gerade jeder Schüler leise für sich einen englischen Text, singt dahinter die Kitagruppe, nebenan referieren die Schüler der 6. Klasse in Marathi und auf dem Hof toben die Kids der Lehrerinnen, die (noch) nicht in die Einrichtung aufgenommen wurden. Auf dem Gang unterhält sich ein Lehrer mit dem Schulleiter in Hindi, der Hausmeister scheppert mit Wasserkübeln durch angrenzende Flure und Schulhelferinnen kehren singend den Abstellraum. Ich bin komplett überfordert! Ich höre alles und verstehe doch gar nichts!

Ausversehen hatte ich gestern in der 7. Klasse Interesse an ihrer Yoga-Stunde bekundet. Das hatte ich mir wohl nicht gut überlegt. Pünktlich 12 Uhr ging heute die Tür des Klassenzimmers auf, in dem wir gerade versuchten, dem Unterricht zu folgen. Ich wurde mit strahlendem Lächeln von einer Schülerin eingeladen, nun Yoga mitzumachen. Ich konnte auf keinen Fall ablehnen! So saß ich in der größten Mittagsglut mit 3 Schülern und 4 Schülerinnen auf einer überdachten kleinen Terrasse im Schneidersitz. Schnell wurde klar, dass meine bisherigen Yogastunden (immerhin 1 Jahr) diesen Anforderungen nicht genügen würden aber ich gab mein Bestes: dehnte, atmete und Omm´te, was auch immer möglich war. Zur Freude aller versteht sich und mit Fotoaufnahme durch den Schulleiter. Klassenbeste war ich natürlich nicht!

Thomas und ich sind jedoch nicht nur in der Schule präsent. Diese erste Woche war zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Kontakte knüpfen. In Indien läuft alles sehr hierarchisch. Ohne bestimmte Personen geht einfach gar nichts. Man muss immer bedenken, den Schulstifter zu fragen, danach erfolgt noch die Abstimmung mit dem Schulleiter, im besten Fall auch noch mit dem Schuladministrator und selbstverständlich mit dem Lehrer. Gott sei Dank, kennt Thomas das System schon. Ich hätte sicherlich zahlreiche Fettnäpfchen erwischt.

Unsere Aufgabe ist es, die Schule finanziell sicherer zu stellen ( neue Web-Site für spendende Unterstützer), die Unterrichtseinheiten zu verbessern und die Sichtbarkeit der Schule in der einheimischen aber auch in der internationalen Öffentlichkeit zu erhöhen. Eine RIESEN Aufgabe. Aber ich reise ja mit meinem persönlichen Profi-Projektmanager und gemeinsam haben wir unter Beachtung aller Hierarchien eine Plan gemacht, der nun noch Struktur bekommen soll. Dazu veranstalten wir morgen mit den 12 Lehrern, dem Schulleiter und dem Schuladministrator einen mehrstündigen Workshop. Wir wollen versuchen, aus der Lehrerschaft für die Zielerreichung tragfähige Ideen zu generieren. Nur dann werden diese auch praktisch im Alltag umgesetzt. Es gibt nur ein Problem…das ist ein typisch deutsches Vorgehen, mit Struktur und Flipchart, Witheboard, Kartenmaterial, Brainstorming…na ja mit den ganzen Moderationsmodulen. Wir haben keine Ahnung, ob das hier „wirkt“ also ob das System der offenen Meinungsäußerung und der selbstkritischen Reflexion möglich ist. Sicher ist, dass der Workshop morgen richtig schwer für uns wird. Alle Lehrer sind total motiviert und freuen sich, mit uns was zu machen. Ha, noch wissen Sie ja nicht, was morgen auf sie zukommt. Viele haben heute nach der Schule gemeinsam mit uns den Raum für morgen vorbereitet. Die Gesichter hättet ihr sehen müssen… Pinnwand? Großflächiges Papier? Flipchart? Textmarker? Beamer? Letzteres haben wir, alles andere ist total improvisiert. Erstaunlich, was man alles anders als ursprünglich gedacht nutzen kann. Ich muss an mein Väterchen denken: „ …erst brauchen wir eine vernünftige Ausrüstung und dann fangen wir an…“ So funktioniert hier gar nichts! Ausstattung? Kann doch alles irgendwie verwendet werden und was wir nicht haben, können wir auch nicht nutzen, also Improvisation ist hier das A und O!

Ich bin sehr gespannt auf den Workshop und ob es uns gelingt, die doch etwas träge Masse zu aktivieren. Auf keinen Fall wollen wir als die besserwissenden Europäer daherkommen und jahrelange gute Aufbauarbeit kritisieren. Und trotzdem müssen bestimmte Dinge angesprochen werden, die die Routine der Lehrerschaft unterbrechen werden. Das ist unser Auftrag, dafür wurden wir eingeladen. Morgen geht es also richtig los. Bitte alle Daumen drücken!