Kanu-Tour auf dem Nyabarongo

Nachdem wir nun die Vorbereitungen (Installation eines Dachgepäckträgers) für unsere Kingfisher Kanu-Tour kurzfristig gut gemanagt hatten, trafen wir uns am Samstag 11.00 Uhr in der Nähe des innerstädtischen großen Busbahnhofs. Dort sammelten wir das „Kigali-Team“ ein, bestehend aus dem Organisator Dan, zwei Bekannten von uns und drei Fahrern. Letztere würden die privaten Fahrzeuge der teilnehmenden 3 Parteien aus Kigali, Huye und Musanze vom Ausgangspunkt der Kanutour zum Endpunkt fahren und uns dort alle wieder abholen.

In Musanze, nach zwei Stunden Fahrt angekommen, warteten wir auf weitere Teilnehmende und auf unser Boot. Mit etwas Verspätung kam beides an und wir brachen nun final in das Landesinnere zum Nyabarongo auf. Nach wie vor fehlte noch eine Familie, die in einem Dorf unweit von Musanze zu uns stoßen würde. Doch eine Reifenpanne verzögerte deren Ankunft und so warteten wir eine weitere Stunde umringt von neugierigen Dorfbewohnern.

Die anfangs geteerte Straße verwandelte sich mehr und mehr in eine off-road Piste, die schlammig und rutschig war, da es zwischendurch heftig geregnet hatte. Die Schlaglöscher wurden größer und tiefer und der Anstieg steiler. Wir holperten über marode Rundhölzer, die als schmale Brücken über kleine Rinnsale führten.

Vor Fahrtantritt hatten wir zwar den Reifendruck jedoch nicht das Kühlwasser noch einmal gecheckt und nach einer weiteren Stunde Fahrt im Gelände wurden wir dafür unmittelbar bestraft. Mangels Wasser und aufgrund eines nur temporär funktionierenden Lüfters streikte die Motorkühlung und das verbliebene Kühlwasser begann zu kochen. Wir mussten anhalten, 20 Minuten warten bis sich die Technik unter der Motorhaube etwas abgekühlt hatte. Mit unserem Wasserschlauch füllten wir dann neues Kühlwasser nach. Auch hier verfolgen uns die neugierigen Augen zahlreicher Dorfbewohner, die wie aus dem Nichts plötzlich am Wegrand standen und aus allen umliegenden Farmen, Feldern und Plantagen zusammengekommen schienen. Die vier Jeeps mit den Muzungus, die versuchten einen Autoschaden zu beheben, waren das Wochenendereignis.

Wieder einmal sass uns die Zeit im Nacken, da es ab 18 Uhr schnell stockdunkel wird und wir noch etliche Kilometer fahren mussten bevor wir unser Zeltlager im Nirgendwo aufbauen konnten. Doch zum Glück schafften wir es noch knapp vor Einbruch der Dunkelheit.

Das Auf- und Abbauen unserer Zelte und aller anderen nützlichen Campinggeräte wie z. B. Kocher muss auf die Einheimischen gewirkt haben, wie eine Reise in die Zukunft. Matten, die aufgeblasen werden! Zelte, die sich selbst entfalten, wobei sie nur in die Luft geworfen werden! Stühle, die faltbar sind und große Decken, die auf eine Minimalgröße zusammenschrumpfen und in winzigen Beuteln verstaut werden können! Das hatten sie noch nie gesehen.

Um vermutlich etwas Entspannung in die zuschauende Menge zu bringen, hielt ein uns begleitender Fahrer, der gleichzeitig Gemeindepfarrer war, eine kurze Predigt für die Dorfbewohner und übergab kleine Textbücher in Kinyarwanda.

Am nächsten morgen brachen wir sehr zeitig auf, um eine weitere Stunden im Gelände aufwärts zum Ausgangspunkt unserer Tour zu fahren. Wieso denn nur immer aufwärts? Der Fluss liegt doch mit Sicherheit im Tal. Ich verstand das alles nicht. Doch die Aufklärung sollte bald folgen. Auf der Höhe angekommen, wartete nämlich bereits eine unglaubliche Menschenmenge auf uns. Einheimische sollten und wollten unsere Boote runter zum Fluss tragen und sich somit ein wenig Geld verdienen.

Dieser Einstieg in den Nyabarongo mit unseren Booten war vom Organisator bewusst gewählt worden, da der Fluss hier mit zahlreichen Stromschnellen herausfordernd und die Landschaft beeindruckend war. Würden wir die nun anstehenden 5 Stunden auf dem Wasser bewältigen und das Kanu gut steuern können? Eine Herausforderung an uns, da wir nicht mit einer solchen Fliessgeschwindigkeit gerechnet hatten.

Gott sei Dank war der Fluss trotz der Regenzeit nicht zu stark angewachsen sondern nur knietief. Daher war das „Kentern“ einzelner Boote auch gar kein allzu großes Problem. Das abrupte Steckenbleiben auf Sandbänken oder das Auffahren auf große Steine, die durch das lehmige trübe Wasser nicht sichtbaren waren, warf einen dagegen schon teilweise heftig aus der Bahn. Aber wir meisterten die gesamte Fahrt ohne große Zwischenfälle und kamen angenehm ausgepowert und zufrieden ans Ziel.

An einer Fortsetzung dieser Unternehmung auf andere Art und Weise sind wir auf alle Fälle interessiert. Dan, der Organisator, wird uns bestimmt mit neuen und spannenden Outdoor-Aktivitäten überraschen. Wir sind sehr froh, dass wir ihn kennengelernt haben.

Bis zum nächsten Mal!

Abenteuer auf Probe für „Kingfisher“

Wir hatten auf einem unserer Wochenendausflüge an den Kivu Lake den Amerikaner Dan kennengelernt. Er ist seit mehr als 10 Jahren in Rwanda und arbeitet als Consultant für diverse staatliche und private Organisationen. Sein Hobby ist das Erkunden neuer Wanderwege, Kletter- und Kanu-Touren. Seine Erkenntnisse und aufgezeichneten Wege stellt er „Kingfisher“, einem Outdoor Reiseanbieter, zur Verfügung. Auch die GIZ arbeitet mit ihm zusammen, um den nachhaltigen Tourismus in Rwanda zu etablieren und diesen Bereich als Einnahmequelle für den Staat und den Privatsektor auszubauen.

So kamen wir in den Genuss einer kostenlosen Probe-Kanu-Tour, die wir mit einer Gruppe von 7 Erwachsenen und 6 Kindern für Kingfisher ausprobierten. Unser Feedback würde danach in das offizielle Tourenangebot einfließen und ab dann gibt es die Tour offiziell für interessierte Abenteurer zur Nachahmung.

Doch vorher hatten wir noch einige Vorbereitungen zu treffen. Die geplante Selbstversorgung und eine Nacht zelten waren keine großen Hürden, da wir durch unsere bisherigen Urlaube unterdessen gut und auch regensicher ausgerüstet sind. Was dagegen eine Herausforderung darstellte, war die Anschaffung eines Dachgepäckträgers. Schließlich musste unser Kanu zum Einsatzpunkt in der Abgeschiedenheit des Landesinneren transportiert werden.

Eine Bestellung bei AMAZONE! Prima Idee, doch leider nicht umsetzbar, da keine Lieferung nach Rwanda möglich ist. Auch Freunde und Bekannte würden zeitnah nicht von Deutschland nach Rwanda einreisen und einen passenden Dachgepäckträger mitbringen können. Was blieb, war nur die Unterstützung des einheimischen Handwerks durch eine Anfrage nach Maßanfertigung. Doch wollten wir uns wirklich darauf verlassen? Ein Versuch war es wert. Na ja, mehr hatten wir ja auch nicht. Entweder war der Dachgepäckträger in der uns verbleibenden Zeit aufs Dach geschweißt oder eben nicht. Dann würde die Kanu-Tour im schlimmsten Fall ausfallen müssen.

So fragten wir Betty und ihr Team, ob sie mit ihrer neu gegründeten „SIBOA Engineering Ltd“ für uns diese Maßanfertigung ausführen würden. Die Begeisterung darüber war groß. Schließlich würden wir mit diesem Auftrag natürlich zur Erweiterung ihrer Produktpalette und zu einem weiteren Einkommen beitragen aber auch dem Business-Marketing zu einem neuen Werbevideo verhelfen. Na dann, auf gehts!

Messen, zeichnen, Ideen zur Umsetzung sammeln…, alles unter dem wachsamen Auge von Thomas. Leider hat unser alter Land Rover keine Dachreling und daher war die Frage der Befestigung des Gepäckträgers schon eine sehr entscheidende. Aber Ideen gab es, sie müssten nur professionell umgesetzt werden.

Uns blieb genau noch ein Tag Zeit, um den Gepäckträger zu installieren. Rechtzeitige Verabredungen waren aus diversen Gründen nicht zustande gekommen. Freitag nach Feierabend gegen 17 Uhr trafen Thomas und ich auf dem Gelände ein.

Doch was war das? Ein silbernes Riesenmonster von Dachgepäckträger lag auf dem Boden und sollte nun fest angebracht werden. Damit könnten wir auf unserem Autodach ein Haus bauen, so massiv waren die Schweissarbeiten im Ergebnis ausgefallen. Und natürlich ganz anders, als mit Thomas besprochen und ursprünglich geplant. Egal, ein leichtes Kanu würde das silberne Ungetüm auf alle Fälle aushalten. Die Lackfarbe klebte noch und war vor wenigen Stunden frisch aufgesprüht worden.

Nach 30 Minuten vergeblichen Hin- und Herschiebens stand fest, der Gepäckträger passte nicht aufs Dach. Das Ausmessen war dann wohl doch schief gegangen bzw. durch die Veränderung der ursprünglichen Konstruktion stimmten die Maße nicht mehr. Doch unser junges Ingenieurteam hatte gleich eine Idee und sägte eine Seite der Halterung ab, bog einfach den oberen Teil des wuchtigen Gestells ein wenig nach aussen und schweisste erneut alles zusammen. Darüber verging eine weitere Stunde und es war stock dunkel.

Aufgrund der Abgeschiedenheit des Geländes gab es keine Straßenlaternen. Thomas leuchtete mit seiner Handy-Taschenlampen zur besseren Orientierung. Man sah im dunkel nur den Funkenflug des Schweissvorganges. Ich hatte mich bereits nach einem Platz umgesehen, an dem man 1. Hilfe würde leisten können und wartete etwas abseits mit Betty auf das Ende der Aktion. Gott sei Dank ging alles gut und niemand wurde verletzt. Allerdings war unser Auto nun mit silbernen Lackflecken bedeckt, da der frische Anstrich des Dachgepäckträgers während des Arbeitens natürlich abgegangen und überall in Form von Handabdrücken verteilt worden war. Mit ein wenig Lösungsmittel begann nun die Reinigung und eine weitere halbe Stunde verging.

Unterdessen war es fast 20 Uhr als wir endlich das Gelände mit unserem neuen Gepäckträger auf dem Autodach verliessen. Unsere Kanu-Tour würde stattfinden können. Am nächsten Tag sollte es los gehen.

Gegensätze

In Kigali begegnen uns oft enorme Gegensätze. Es gibt einerseits teure und gut ausgestattete Privatschulen und andererseits staatliche Schulen, denen es an der Basisausstattung mangelt. Kleine dunkle Lehmhütten stehen im Kontrast zu riesigen Einfamilienhäusern mit großen Gärten und mannshohen Zäunen, die eher einem Palast als einem Haus gleichen. Man kann eine Flasche Wein aus Südafrika für 50 EUR und mehr erwerben aber auf dem Land mangelt es an Trinkwasser. Eine Designer-Boutique stellt Kleidungsstücke aus edlen Stoffen her, besetzt mit traditioneller Perlenstickerei. Die Dorfbevölkerung ist dagegen im wahrsten Sinne des Worte in Sack und Leinen gehüllt. Am Straßenrand stehen hungernde Kinder mit dicken Blähbäuchen. Muzungus können jedoch die gesamte Bandbreite der internationalen Küche in der Hauptstadt Rwandas geniessen und sogar ein erlesenes Gourmet-Restaurants besuchen. Zu letzteren zählen auch wir.

Es ist nicht einfach, die täglich wahrnehmbaren Gegensätze hier in Rwanda zu ertragen und auch selbst noch ein Extrempol davon zu sein. Bisher habe ich noch keinen befriedigenden Umgang für mich damit gefunden, dass wir uns alles und andere sich gar nichts leisten können. Dass wir so viel und andere gar nichts haben. Ich bemühe mich, umwelt- und sozialverträglich meinen befristeten Aufenthalt hier in Rwanda zu gestalten. Trotzdem fällt es mir schwer, dauerhaft auf schöne Dinge zu verzichten, weil die überwiegende Mehrheit sie sich nicht leisten kann. Ich hoffe, dass ich mit meinem Konsum hier in Kigali wenigstens die Einheimischen unterstütze, die innovativ und arbeitsam sind und die versuchen, sich mit Nischenprodukten oder mit Dienstleistungen für Muzungus ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Damit unterstützen sie nicht nur ihre eigenen und oft großen Familien sondern hoffentlich auch einige andere Landsleute. Das hilft mir, mein tägliches schlechtes Gewissen ein wenig zu beruhigen.

So leiste ich mir also weiterhin Massagen von blinden Frauen der NGO „Seeing Hands“ oder ein wahrhaftiges Gourmet-Essen im „Meza Malonga“. Das Restaurant wird von dem 28-jährigen Congolese Dieuveil Malonga geführt, der aus aller Welt und natürlich ganz besonders aus Afrika stammende, seltene Gewürze sammelt und diese in erlesenen exotischen („Afro-fusion“) Speisen verwendet. Er hat eine gastronomische Ausbildung in Deutschland in Michelin-Sterne Restaurants absolviert und sein Business in Kigali aufgebaut.

Da eine Freundin vor zwei Wochen Geburtstag feierte, hatten wir die Ehre, sie in diese gastronomische Besonderheit zu begleiten.

Das „Meza Malonga“ ist ein unauffälliges kleines Restaurant in einer Seitenstraße Nyarutaramas. Kein Schild deutet daraufhin, dass man dort ganz vorzüglich speisen kann. An nur vier 4-er Tischen wird eine begrenzte Anzahl an Gästen auf Bestellung mit einem monatlich wechselnden Menü bewirtet. Dazu gibt es selbstverständlich die passenden Weine und einen ganz phantastischen Blick auf die Stadt.

Uns erwartete ein 8- Gänge Menü, von dem ich nicht mehr genau weiß, was ich da eigentlich alles gegessen habe. Der Chef persönlich hat alle einzelnen Speisen serviert und am Tisch die Zusammenstellung erklärt sowie die verwendeten Gewürze vorgestellt. Jedes der kleinen Gerichte war geschmacklich einmalig und alle waren auf irgend eine Art und Weise mit essbaren Blüten oder Blättern verziert. Serviert wurde teilweise ebenfalls in außergewöhnlichen Gefäßen wie z. B. kleinen Reagenzgläsern oder mit schwarzen Bohnen ausgelegten Holzkästen und das Dessert wurde auf einem Lavastein angerichtet. Sehr originell!

Für jedes Menü zahlt man pro Person 50 EUR und zusätzlich die Getränke, die man separat bestellt. Dabei kann man stets zwischen einem Weisswein und einem Rotwein wählen. Sekt als Aperitife und ein selbst gebrauter Obstler aus exotischer Frucht als Digestif sind selbstverständlich auch möglich.

Und da war es dann wieder mein schlechtes Gewissen, doch schön war es trotzdem!

Florence

Florence ist 28 Jahre alt, blind und hat eine 7- jährige Tochter, die sie allein erzieht. Aufgewachsen ist sie in einem abgelegenen Dorf in der Nähe von Kigali im Haus ihrer Stiefmutter.

Im Zusammenhang mit dem „Dare to Dream Fond“ wollte Beth und ihre NGO „Seeing Hands Rwanda“ die unglaubliche und dramatische Lebensgeschichte dieser jungen Frau und ihrer Tochter über die Medien in Rwanda bekannt und dadurch auf die Lebensumstände von Menschen mit besonderen Bedürfnissen aufmerksam machen. Gabriella, Beth und ich fuhren in Begleitung eines Kameramannes in das Dorf und begleiteten Florence und ihre Tochter auf einem ihrer Alltagswege. So erfuhren wir hautnah von ihrer bedrückenden Lebensgeschichte.

Die Tochter von Florence ist das Kind ihres Cousins. Er hatte sie zu einer intimen Beziehung genötigt, nachdem sie bei ihm Schutz vor den handgreiflichen Attacken ihrer Stiefmutter gesucht hatte. Täglich musste Florence Feuerholz und Wasser vom Fluss holen. Kam sie nicht mit ausreichend von beidem und rechtzeitig zurück, wurde ihr von der Stiefmutter das Essen verweigert.

Um trotzdem überleben zu können, bewirtschaftete Florence ein kleines abgelegenes Stück Ackerland. Ihre kleine Tochter, damals noch ein Baby, war stets um sie herum. Eines Tages geschah das Unerwartete und trotzdem Vorhersehbare. Florence traf mit der Feldhacke ihre auf dem Boden krabbelnde Tochter am Kopf und verletzte sie schwer. Es kam aus dem Dorf jedoch keine Hilfe und niemand begleitete sie zum lokalen Gesundheitszentrum im Nachbarort. So eilte Florence allein mit ihrem verletzten Baby vom Feld zur Notversorgungsstation, wo die Tochter behandelt wurde. Die Narbe ist heute noch deutlich sichtbar. Gott sei Dank sind keine dauerhaften Schäden bei dem Mädchen zurückgeblieben.

Der Weg, den Florence mit Holz auf dem Kopf balancierend und mit einem 20 Liter Kanister voll Wasser bewältigen musste, ist kein normaler, einfacher und gerader Weg. Es ist ein Weg, den Thomas und ich als Trekkingtour laufen würden. Er verläuft vom in der Hochebene gelegenen Dorf tief in das Flusstal hinab. Ein Auf- bzw. Abstieg von ca. 150 Metern. In der Regenzeit, und so auch bei unserem Besuch, ist der Weg schlammig und rutschig, die Abhänge teilweise ausgespült, steil und steinig. Diesen Pfad zum Flussbett hatte Florence barfüssig einmal täglich absolvieren müssen, um sich somit ihren Aufenthalt im Haus der Stiefmutter zu verdienen. Keine Menschenseele im Dorf hatte es all die Jahre interessiert, wie das Leben von Florence aussah. Blinde gelten in den dörflichen Strukturen der Einheimischen als verfluchte Menschen, die man unbedingt meiden sollte.

Für mich war die Landschaft, die uns umgab sehr beeindruckend. Dicht bewachsene Berghänge, kleine Rinnsale am Wegrand, die sich im Tal zu einem schmalen Fluss vereinten. Ganz wunderbare Fotomotive. Doch verbunden mit dieser natürlichen Schönheit, ist gleichzeitig die menschliche Grausamkeit, der Florence ausgesetzt war.

Vor einem Jahr wurde sie beim Wasserholen von einem Mann vergewaltigt. Er war aus dem Nichts mit 3 wilden Hunden in Begleitung erschienen. Die Tochter hatter er mit einer Machete bedroht und zum Schweigen gezwungen. Als Florence mit monotoner Stimme detailliert berichtete, rannen ihr Tränen übers Gesicht und ihre Tochter ergriff schweigend die Hand ihrer Mutter.

Von dem grauenhaften Vorfall sichtlich gezeichnet kam Florence an dem Tag nach Hause und wurde von ihrer Stiefmutter lediglich aufgefordert, sich ordentlich anzuziehen, sie sehe ja furchtbar aus! Auch der „Sektorverantwortliche“ und Dorfvorsteher reagierten nicht, als Florence ihnen alles berichtete. Ein Versagen der hierarchischen Struktur, die noch immer auf den abgelegenen Dörfern besteht und die eigentlich zum Schutz der Dorfbewohner installiert wurde. Die staatlichen Organe in der Hauptstadt sind zu weit entfernt, um in Notsituationen einzugreifen. Jedoch zeigt sich nicht nur strukturelles sondern auch menschliches Versagen, was für uns Muzungus in unserem demokratischen Rechtsstaat unvorstellbar ist.

Ich konnte den Bericht von Florence nicht vollständig mit anhören. Ich war zu ergriffen und musste mich kurze Zeit von der Gruppe entfernen. Tief getroffen und hilflos fühlte ich mich bei dem persönlichen Bericht der Opfer. Als Florence auch noch vom Missbrauch ihrer Tochter durch einen Jungen im Dorf berichtete, war für mich das Ende des Ertragbaren erreicht.

Wie dokumentiert man eine solche Lebensgeschichte und bringt sie in die Öffentlichkeit, ohne die dörfliche Gemeinschaft und die Ruandische Gesellschaft allgemein zu verurteilen? Es gibt Gründe, weshalb die Gemeinschaft so reagiert hat, wie sie reagiert hat. Fehlende Bildung und unzureichende Aufklärung! Wen klagt man dafür an? Steht es uns als „helfendes System“ zu, so offen bestehende Missstände aufzuzeigen? Ist das der richtige Weg, um zukünftig Unterstützung für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu bekommen? Würden wir u. U. mit einer Veröffentlichung das Leben von Florence und ihrer Tochter noch weiter verschlimmern und Racheakte heraufbeschwören? Mir gingen tausend Fragen durch den Kopf und ich hatte keine Antworten. Florence würde hoffentlich über alle möglichen Konsequenzen und Auswirkungen der Veröffentlichung aufgeklärt werden und auch die abschließende Entscheidung darüber haben, was und ob überhaupt etwas von ihrer Lebensgeschichte veröffentlicht wird.

Unterdessen war es bereits 18 Uhr und wir waren noch im Dorf mit dem zuständigen „Sektorverantwortlichen“ verabredet. Er würde uns über die Statistik und über die tatsächliche Zahl der Menschen mit besonderen Bedürfnissen informieren. Darauf sollten dann die späteren Unterstützungsprojekte abgestimmt werden.

In einem privaten Haus im Zentrum des Dorfes hatten sich unterdessen ca. 40 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen versammelt und warteten auf unser Kommen. Es hatte sich herumgesprochen, dass Muzungus eintreffen und Lebensmittel verteilen wollten. Beth hatte uns aus ihren Erfahrungen darauf aufmerksam gemacht, ausreichend Lebensmittel mitzunehmen. So konnten wir 50 kg Reis und 50 kg Bohnen verteilen. In diesen abgelegenen dörflichen Strukturen ist bis heute die Versorgung mit ausreichenden Lebensmitteln nicht immer sichergestellt.

Florence lebt unterdessen seit 3 Monaten im Haushalt von Beth hier in Kigali. Als wir uns gegen 20 Uhr von ihr verabschiedeten, versicherte sie mir, dass sie uns ihr Dorf unbedingt hatte zeigen und alle damit verbundenen Erinnerungen präsentieren wollen. Bisher hätte sich niemand für ihre Geschichte und die Wahrheit interessiert. Nun sei sie dankbar, alles erzählen zu können. Darüber zu sprechen, helfe ihr zu verarbeiten, zu vergeben und mit ihrem Leben fortzufahren.

Ich hoffe inständig, dass sie und wir den richtigen Weg der Auseinandersetzung gehen.

„Dare to Dream Fund“

„Trau dich zu träumen!“ So lautet der Name eines Fonds, zu dem ich gekommen bin, wie die Jungfrau zum Kind. Ich kann gar nicht mehr im Detail rekapitulieren, weshalb ich die Bekanntschaft der Fond-Gründerin, Gabriella gemacht habe. Beth von „Seeing Hands Rwanda“ hatte sie zu einem unserer üblichen Treffen eingeladen und da war sie dann. Eine beeindruckende aber auf den ersten Eindruck auch ein wenig einschüchternde Erscheinung. Gabriella ist Künstlerin, Buchautorin und sozial über alle Maßen engagiert. Als Tochter aus gut situierter Familie hat sie an der Harvard Universität Psychologie studiert. Ihr Vater war Chef eines bekannten Kreditinstituts in Ruanda, ihr Bruder leitet eine deren Filialen hier in Kigali und Vertreter der Familie sind im Management Board der African Leadership University Rwanda. Somit ist Gabriella nicht nur mit besonderer Intelligenz sondern auch mit besonderen finanziellen Möglichkeiten ausgestattet, welche sie dankenswerter Weise für benachteiligte Menschen in Afrika nutzen möchte. Ihr Pilotprojekt zur Unterstützung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen beginnt sie in Ruanda. Welch ein Glück für Beth und mich, da wir nun unsere zwei kleinen Projekte für blinde Frauen auf Gabriellas Wunsch in ihr visionäres Großprojekt einbinden können. Ihr Traum ist die Errichtung eines Campus für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Verschiedene Wohnmöglichkeiten, ein Krankenhaus, Bildungs- und Ausbildungsstätten und eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur sollen entstehen. Wie das genau ausschauen wird, ist mir bisher noch nicht ganz klar. Grund und Boden dafür besitzt ihre Familie in Kigali bereits. Sollten wir wirklich Teil eine so visionären Projektes hier in Rwanda werden können? Kaum vorstellbar! Aber „dare to dream“ ist die Aufforderung, der Beth und ich nun auch folgen.

Der Hintergrund ihres Engagements beginnt jedenfalls mit einem Kinderbuch, das Gabriella geschrieben hat. „Necklaces for the Headless“, wörtlich übersetzt „Halsketten für die Kopflose“, eine Geschichte über ein Mädchen mit deformiertem Kopf (Treacher Collins Syndrom). Das unerwartet große Interesse an dem Buch und der Erlös von dessen Verkauf haben Gabrielle darin bestärkt, „to make the invisible visible“. Ein besonders hier in Ruanda sehr passender Arbeitsansatz, „die Unsichtbaren sichtbar zu machen“. Seither widmet sich Gabriella unermüdlich den vielen in der Öffentlichkeit noch „unsichtbaren“ Menschen mit speziellen Bedürfnissen, ihren Alltagssorgen und Nöten.

Als ersten Schritt im Rahmen des Großprojektes wird eine Datenanalyse bzw. -sammlung erfolgen, um eine Statistik zum Thema Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Rwanda zusammenstellen zu können. Daher will Gabriella mit Beth und mir alle Districts in Rwanda (besonders auch die ländlichen Regionen) mehrfach aufsuchen, die dortigen Verantwortlichen zu konkreten Zahlen von Menschen mit speziellen Bedürfnissen befragen und danach eine Zusammenstellung präsentieren, die den Handlungsbedarf im gesamten Land darstellt. Ein sehr ambitioniertes Vorhaben.

Mal sehen, wie sich die weitere Zusammenarbeit gestaltet und welche gemeinsamen Aktivitäten wir initiieren können.