Export Indien

Wir planen unser Visa Interview 17. Januar 2018

Wir haben nicht damit gerechnet, dass es irgendwelche Schwierigkeiten mit dem indischen Visum geben würde – aber es scheint, dass heutzutage niemand einen Fremden so leicht in’s Land lässt, um zu arbeiten. Auf jeden Fall haben wir eine Einladung erhalten an die indische Botschaft für ein Interview. Hoffentlich gibt es nicht wirklich Probleme.

Discussing the visa interview 22. Januar 2018

Getting the visa seemed to me not that problematic as it turned out to be.

We applied for an employment/intern visa as this was the recommended approach for us – we got some good invitations from the NGO we wanted to work for.

For end of January we received an invitation to the Indian embassy – which ended up – in short words – humiliating. We were treated like trash begging to work in India for no money (btw. after letting us wait for 45 minutes even we had an appointment – then interviewing at the corridor) . Here some of the crazy arguments the officer from the Indian embassy told to us:

  • Why don’t you rather go to Somalia for help?
  • This is a very small organisation – there is no sense for you to go there.
  • Don’t you think, India has enough IT experts to do all the work you are planning to do?
  • The description in the invitation is far too simple – it should be much more detailed with proper plan what exactly to do.
  • But even though you would describe more – aargh – this would not help either as you are over qualified for the job.
  • You are such a high qualified expert – why do you waste your time out there in the rural area?
  • We would be rather very happy to provide to you a multi entry tourist visa to visit all your friends.

We took the last advice and thought about it – the first idea obviously was „F… off! If you don’t want us there, we find good other places.“.  But after sleeping over – we gave it a chance and this is how we gonna start.

Just going there as tourists – visit the friends – visit some NGOs – but no official work. It’s gonna be fine anyway. We are excited about this and preparing for the flights now.

And here the invitations we had – for me they looked good:

Das Dorf erwartet uns 11. Februar 2018

Heute haben wir ein paar Bilder von der Dorfschule bekommen. Das sieht schon alles ziemlich gut aus. Sie warten auf uns – und wir sind schon ziemlich aufgeregt. Hoffentlich können wir auch die Erwartungen erfüllen.

Abschiedsparty 17. Februar 2018

Mit unseren Freunden haben wir vor dem Sabbatical eine Abschiedsparty gemacht. Wieder mit viel Musik und afrikanischem Essen dank Lamin.

Abschied nehmen 27. Februar 2018

In den letzten Tagen habe ich mich schrittweise und auf sehr unterschiedliche Art und Weise von Freunden, Familie und Arbeitskollegen verabschiedet. Eigentlich hatte ich gar nicht mit so vielen Abschiedsemotionen sowohl von mir als auch von anderen gerechnet. Schließlich kommen wir ja in nur einem halben Jahr wieder, und was ist schon ein halbes Jahr? Im Alltag ist das oft nicht viel… aber als Auszeit dann doch richtig lange!
Zum Abschied habe ich so viel bekommen: herzliche Grüße, gute Wünsche, selbst gestaltete Karten mit tollen Gedanken. Ich war überwältigt von so viel Anteilnahme für meine kleine Auszeit. Es gab auch etliche Abschiedskaffees. Gott sei Dank habe ich die alle gut vertragen… na ja zum Ausgleich gibt’s die nächsten Monate Indischen Tee!
Es war auch richtig schön, gemeinsam zum Abschied zu kochen, Essen zu gehen oder einfach was Leckeres zum Essen einzukaufen und Zeit miteinander zu haben.
Zwei Abschiedsgeschenke werde ich richtig auf Reisen mitnehmen: einen Glücks- bzw. Segensstein, den mein Mann und ich von einer lieben Kollegin bekommen haben. Der passt wirklich noch gut in unser Reisegepäck. Und mein eigenes kleines Reisemonster wird mich begleiten. Ein Kollege hat es mit anderen Kreativen extra für mich entstehen lassen.
Ich bin unterdessen schon etwas aufgeregt, in zwei Tagen geht es los. Die letzten Vorbereitungen beim Packen laufen. Zum ersten Mal weiß ich nicht so genau, was mich erwartet und wie die Reise verlaufen wird. Aber, was hat mir eine liebe Kollegin zum Abschied geschrieben: „Wer von Anfang an genau weiß, wohin sein Weg führt, wird es nie weit bringen.“ (Napoleon)
Ich danke euch allen für die schönen Abschiede… wir sehen uns dann in 6 Monaten wieder.

LG Sonja

1. März 2018

Endlich geht’s los. Die Sachen sind gepackt und fertig verstaut, auf dem Rücken und wir sind unterwegs.

Ankunft in Mumbai 4. März 2018

Freitag früh 5:17 Uhr sind wir in Mumbai auf dem Flughafen angekommen, Dank der Ankunftszeit waren die Temperaturen erträglich, nur 30 Grad. Dann brauchten wir noch 1 Std. mit dem Taxi bis zum Haus unserer Freunde in Neu Mumbai.
Drei Dinge nimmt man schon in wenigen Stunden wahr: die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen, das wunderbare vielfältige Essen aber auch den Schmutz und die Armut überall.
Zum Ausruhen sind wir in den ersten zwei Tagen noch nicht gekommen. Uns wurde in kurzer Zeit ein Update des gesamten Lebens unserer Gastgeber vermittelt, eine Einführung in indische Traditionen gegeben und einige Sehenswürdigkeiten im Schnelldurchlauf gezeigt. Selbstverständlich fehlte gutes selbstgemachte Essen und ausreichende Getränke nicht.

Unterdessen sind wir heute in PUNE angekommen. Morgen geht es von hier aus nach Alegaon ( Dorfgemeinschaft mit Schule) in der Nähe von Sangola (die nächste Stadt, 10 km entfernt). Auch hier in PUNE sind unsere Gastgeber phantastisch, es ist kaum auszuhalten, was wir alles geboten bekommt. In nur wenigen Stunden kennt man die ganze Familie (fremde Leute), bekommt man ein Motorrad zum Herumreisen, ich werde indisch eingekleidet damit das Abendessen auch perfekt ist und schön ist, wir besuchen zum Nachtgebet einen der schönsten, vergoldeten Tempel und nehmen an einer Feiertagszeremonie teil. Und wieder ein toller Tag vorbei.

Erste Kontakte 6. März 2018

In Pune treffen wir Sagar und seine Familie. Gemeinsam mit Sagars Vater Baba ist er Hauptinitiator der Schule. Diese entstand ansatzweise vor 10 Jahren und wurde schrittweise erweitert. Wir besprechen in traditionellem Outfit, was die Anforderungen an uns sind. Es wird schnell klar, dass es ein rieges Projekt ist und wir viele Freiheiten bekommen, um zu strukturieren, die Lehrer zu vernetzen, Angehörigenarbeit zu etablieren, Öffentlichkeitsarbeit zu initiieren, Spendenakquisition durch den Aufbau einer Web-Site zu betreiben und natürlich mit unserer Anwesenheit für die Schule zu werben. Also kein Gedanke an ausruhen, oder doch?

Unsere Gastgeber 7. März 2018

Nach einer quälend langen Autofahrt von 5 Stunden über Straßen, die diese Bezeichnung gar nicht verdienen, sind wir gestern Abend in Alegaon angekommen. Irgendwo im Nirgendwo! Wir sollen/wollen die nächsten 5 Monate in einem Farmhaus bleiben, in dem eine Familie mit 7 Personen lebt. Mit ihnen leben zwei Hunde, eine Katze, ein Dutzend Ziegen, 9 Kühe, 2 Ochsen und etliche Hühner. Das Farmland besteht aus einer kleinen Granatapfelplantage, Maisfeldern und einigen Mangobäumen.
Für uns wurde extra ein separates kleines Haus (eigentlich ist es nur ein Zimmer) freigeräumt. Waschraum und Toilette sind in gemeinschaftlicher Nutzung im Nebengebäude und immerhin gefliest sowie mit europäischem WC ausgestattet, also nicht nur ein Loch im Boden. Beides wurde auch extra für uns gebaut und wenige Tage vor unserer Ankunft fertiggestellt. Bis dahin sind alle zur Toilette aufs Feld gegangen (aus Gewohnheit machen Sie das wohl auch noch einige Zeit). Elektrizität ist vorhanden, jedoch mit einigen 5 Minütigen Ausfällen am Tag. Internet gibt es auch, jedoch ebenfalls mit häufigen Unterbrechungen.

Und das sind unsere Gastgeber: drei Brüder, von denen einer-mit 72 Jahren der Älteste- die Schule vor 10 Jahren gegründet hat. Auch heute noch geht das gesamte Geld seiner Pension in die Schule und er lebt bescheiden auf der kleinen Farm.

Heute früh war dann auch unser erster „Arbeitstag“. Wir haben uns mit 6 von 12 Lehrern und dem Schulleiter getroffen und erste Themen besprochen, die angegangen werden sollten. Dabei haben wir dann auch gleich feststellen müssen, dass das gesamte Unterfangen ein recht großes Projekt wird oder werden könnte aufgrund der vielen Themen. Na ja, erstmal drüber schlafen und dann schauen wir morgen mal.

Was uns richtig zu schaffen macht, ist die Hitze. Man kann eigentlich effektiv nur 7-11 Uhr und 16-19 Uhr was machen, zwischenzeitlich sind 37 Grad! Ab 18:30 Uhr ist es dunkel… und ich meine dunkel, da kein Licht aus anderen Fenstern scheint, keine Strassenbeleuchtung den staubigen Weg erhellt, ist es nicht nur dunkel, sondern finster. Aber man sieht einen traumhaften Sternenhimmel, man hört Geräusche, die man nicht kennt und man riecht Dinge, die man nicht zuordnen kann. Natur und Landleben auf einfachste und puristische Art und Weise. Toll zum Ausspannen! Bin gespannt, ob ich das in ein paar Tagen auch noch so sehe oder nur heute, da alles neu und ungewohnt, aufregend ist.

7. März 2018

Nun sind wir eine Woche in Indien und Magen und Darm sind (noch) in Ordnung. Während wir in Mumbai noch relativ milde Gerichte bekommen haben, nimmt die Schärfe jetzt von Tag zu Tag zu. Unser Besucherbonus scheint aufgebraucht, wir sind in die Familie aufgenommen und bekommen „keine extra Wurst gebraten“ und das im wahrsten Sinne. Die Schwiegertochter bekocht alle und muss daher früh als Erste aufstehen (4:30), da die Männer aufs Feld und zu den Tieren müssen. Sofern es dann der unterschiedliche Arbeitsalltag in der Landwirtschaft und in der Schule zulässt, essen wir gemeinsam mit der Familie. Morgens gibt es Grieß oder Reis mit gerösteten Erdnüssen, Koriander und zahlreichen anderen Gewürzen.

Wasser gibt es zu den Mahlzeiten offiziell nicht. Wir brauchen das jedoch, schon wegen der zu erwartenden Hitze. Ansonsten wird immer nur ca. eine halbe Stunde vor dem Essen getrunken, da bekommen alle gesüßten Schwarztee mit Milch.
Mittagessen entfällt für uns aufgrund der Hitze. Wir bekommen ohnehin keinen Bissen runter und trinken literweise Wasser. Zu Hause schaffe ich es oft nicht einmal, einen Liter zu trinken aber hier kann es nicht genug sein!
Das Abendessen wird für jeden auf einem kleinen runden Tablett mit einem etwas höherem Rand serviert. Darauf stehen zwei bis drei winzige Schüsseln, in denen sich eine Sauce, gedünstetes Gemüse oder ein Curry befinden. Alles unterschiedlich scharf. Außerdem sind auf dem Tablett Chapati (Fladenbrot) und verschiedene kleine, ebenfalls sehr unterschiedlich scharfe Gewürzhäufchen angerichtet. Alles wird irgendwie mit den Inhalten der kleinen Schüsseln „vermanscht“. Man hat darauf zu achten, nur und ausschließlich die rechte Hand zu benutzen. Ich schaffe das bisher nicht und muss nach einem Löffel fragen. Das trägt oft zur Belustigung aller bei. Thomas isst fast wie ein Einheimischer und bekommt daher auch schneller immer wieder Nachschlag. Ich versuche das „Fingerfood“, nutze jedoch irgendwann immer den Löffel.
Die Lebensmittel für die Mahlzeiten kommen alle aus Eigenanbau und sind absolut biologisch. Was nicht auf natürliche Art und Weise wächst, gibt es nicht. Somit ist die Vielfalt auf dem Land, im Gegensatz zu Mumbai, doch sehr eingeschränkt. Aber alles ist immer richtig lecker und nicht nur salzig sondern phantastisch gewürzt. Auch hier bleibt abzuwarten, wie ich das in einigen Wochen oder gar Monaten einschätze.

Um unsere Gastfamilie zu unterstützen, waren wir am Spätnachmittag mit dem Motorrad auf einem lokalen Lebensmittelmarkt ca. 30 Minuten von unserem Farmhaus entfernt. Der Geruch auf dem Markt… unbeschreiblich! Fisch und Fleisch auf engstem Raum bei Temperaturen von immer noch 30 Grad.
Wir wollten Hühnchenfleisch kaufen, da sich das die Familie nicht leisten kann. Sofort bekamen wir ein lebendes Huhn angeboten aber was sollten wir damit auf dem Motorrad. Also wurde fix ein herumhängendes, ausgenommenes blutiges Huhn in kleine Einzelteile zerhackt und in eine Plastiktüte gestopft. Ich bin nur nicht zusammengebrochen, da ich durch meinen Schnupfen starkes Eukalyptusöl unter der Nase hatte, das war meine Rettung!
Außerdem wollten wir auch noch Obst, Gemüse und Wasser kaufen. Alles haben wir bekommen und um den Preis gefeilscht, wie die Profis. Zum Schluss hatten wir von allem und so viel, dass der Rücktransport mit 10 Liter Wasserflaschen und einem vollen Rucksack auf dem Rücken eine kleine Herausforderung war.
Bin gespannt, wie weitere Einkäufe ablaufen und ob ich mich auch daran gewöhnen werde.

Internationaler Frauentag in Indien 8. März 2018

Jeder Schultag beginnt 8:30 und endet 12:50 Uhr. Unsere Arbeitszeit!
Es ist kaum zu glauben, heute am 8. März wird hier der Internationalen Frauentag richtig und ganz offiziell gefeiert. Alle Mädchen wurden gestern bereits aufgefordert, in festlichem Sari zur Schule zu kommen. So durfte auch ich nicht europäisch angezogen erscheinen. Gott sei Dank hatte ich bereits in Pune von unserer dortigen Gastfamilie traditionelle Sachen mitbekommen, die nun gleich zum Einsatz kamen.
Als Frau und noch dazu als Europäerin, war ich die Hauptperson der Zeremonie. Was ich natürlich nicht wusste und auch in dem anstehenden Umfang bzw. mit dieser Wichtigkeit nicht geahnt hatte. Thomas bekam zwar auch extra einen orangefarbenen Turban verpasst aber mir wurde die Ehre zuteil, die Zeremonie abzuhalten unter verbaler Anleitung des Schulstifters (Baba). In größter Hitze das Richtige tun und das Falsche unterlassen vor den Augen von 200 Schülern und 12 Lehrern und noch etlichen Schulhelfern sowie Neugierigen das war eine Herausforderung. Unzählige Male wurden wir fotografiert. Ich musste ständig wegen des grellen Sonnenlichtes (ohne Sonnenbrille) blinzeln und daher dauerte das Fotografieren noch länger. Bereits nach den ersten Fotos war ich fix und alle.
Danach referierten 5 Schülerinnen aus der 7. Klasse in englisch kurz zu jedem Frauenbild wichtige Lebensdaten zur Person. Anschließend sollte auch ich spontan ein paar Worte zur Wichtigkeit dieses Tages und zu den neuen Errungenschaften für Frauen sagen. Gar kein Problem! Das mache ich doch in englisch jeden Tag… mir wurde noch heißer! Aber einige allgemeine Sätze habe ich dann doch geschafft! Somit war das Thema Frauenrechte bzw. die Rolle der Frau gleich am dritten Tag abgehandelt und eine an mich gestellte Anforderung erreicht.

10:30 Uhr sind wir von Baba ins Dorf zum Tempel begleitet worden. Uns wurde ein Motorrad zur Verfügung gestellt, damit wir ein wenig Fahrtwind bekommen. Der Weg ins Dorf ist nicht weit, wäre zu Fuß von der Schule auch möglich gewesen aber wie gesagt, bei diesen enormen Temperaturen, bewegt sich eigentlich niemand. Also absolvierten wir erneut in größter Hitze das gewünschte Mittagsgebet und das ganze Dorf war zufrieden und hatte uns nun auch einmal life gesehen und nicht nur von uns gehört.

Das reichte jedoch an Ereignissen noch nicht aus. Gerade heute wurde auch noch das 100-jährige Bestehen des örtlichen Kreditinstitutes (Dorfbank) gefeiert. Also ging es 12 Uhr erneut ins Dorf zur nächsten Zeremonie. Auch hier war ich kurz Teil der Zeremonie und es folgten gefühlte 100 Fotos. Jeder aus dem Dorf musste, wollte und sollte mit uns aufs Bild. Mein Lächeln wurde verkrampfter, die Schweißtropfen rannen den Rücken runter und die Performance hörte schier nicht auf. Zum krönenden Abschluss wurde uns und allen anderen Teilnehmenden ein Becher Tee gereicht und es gab etwas Brot, kleine gründe Pepperoni und einen frittierten Kartoffelball (den indischen Namen dafür habe ich schon wieder vergessen). Alle waren nun gespannt, was wir mit den Pepperoni machen würden. Thomas hatte damit gar kein Problem und ich knabberte Mikro- nein Nanostückchen und freute mich, dass mir nicht die Tränen in die Augen schossen. Gut für Magen und Darm, dachte ich…und nur weg damit!

Wie selbstverständlich werden wir in alles einbezogen. Das ist manchmal anstrengend, da die Kommunikation in englisch nur mit wenigen Personen möglich ist. Hindi sprechen wir nur ein paar wichtige Sätze bzw. Worte und Marathi (separate Sprache in Mittelindien) gar nicht.
Es war ein toller Tag mit vielen Eindrücken. Jetzt freue ich mich aber auf den Nachmittag: entspannt im Schatten vor dem Haus sitzen und NICHTS machen, nur Wasser trinken und darauf warten, dass das leckere Abendessen fertig ist. Fein!

Lektion gelernt 9. März 2018

Unterdessen haben wir vier Unterrichtstage miterlebt und morgen, Samstag ist auch noch ein Schultag. Das System kennen Thomas und ich teilweise auch noch aus unserer Schulzeit.
Am ersten Tag waren wir erstaunt, ja teilweise schockiert, was hier Unterricht bedeutet. Nach vier Tagen haben wir unsere Lektion jedoch gelernt! Die Bedingungen unter denen die Lehrer ihren Unterricht gestalten und die Schüler lernen müssen, sind um ein vielfältiges härter, als man es sich nur ansatzweise vorstellen kann. Alle Klassen bzw. Jahrgänge-angefangen von der Kita bis zur 8. Klasse-sind mit 10 bis 16 Schülern in kleinen, überdachten halbwandigen Räumen untergebracht. Wunderbar denkt man, dann kann in der Hitze ja etwas Luft zirkulieren. Stimmt! Allerdings ist der Geräuschpegel dadurch auch gigantisch. Man hat an jedem Klassenraum immer mind. 2 angrenzende Räume, in denen lautstark andere Unterrichtseinheiten abgehalten werden. Liest in der 7. Klasse z. B. gerade jeder Schüler leise für sich einen englischen Text, singt dahinter die Kitagruppe, nebenan referieren die Schüler der 6. Klasse in Marathi und auf dem Hof toben die Kids der Lehrerinnen, die (noch) nicht in die Einrichtung aufgenommen wurden. Auf dem Gang unterhält sich ein Lehrer mit dem Schulleiter in Hindi, der Hausmeister scheppert mit Wasserkübeln durch angrenzende Flure und Schulhelferinnen kehren singend den Abstellraum. Ich bin komplett überfordert! Ich höre alles und verstehe doch gar nichts!

Ausversehen hatte ich gestern in der 7. Klasse Interesse an ihrer Yoga-Stunde bekundet. Das hatte ich mir wohl nicht gut überlegt. Pünktlich 12 Uhr ging heute die Tür des Klassenzimmers auf, in dem wir gerade versuchten, dem Unterricht zu folgen. Ich wurde mit strahlendem Lächeln von einer Schülerin eingeladen, nun Yoga mitzumachen. Ich konnte auf keinen Fall ablehnen! So saß ich in der größten Mittagsglut mit 3 Schülern und 4 Schülerinnen auf einer überdachten kleinen Terrasse im Schneidersitz. Schnell wurde klar, dass meine bisherigen Yogastunden (immerhin 1 Jahr) diesen Anforderungen nicht genügen würden aber ich gab mein Bestes: dehnte, atmete und Omm´te, was auch immer möglich war. Zur Freude aller versteht sich und mit Fotoaufnahme durch den Schulleiter. Klassenbeste war ich natürlich nicht!

Thomas und ich sind jedoch nicht nur in der Schule präsent. Diese erste Woche war zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Kontakte knüpfen. In Indien läuft alles sehr hierarchisch. Ohne bestimmte Personen geht einfach gar nichts. Man muss immer bedenken, den Schulstifter zu fragen, danach erfolgt noch die Abstimmung mit dem Schulleiter, im besten Fall auch noch mit dem Schuladministrator und selbstverständlich mit dem Lehrer. Gott sei Dank, kennt Thomas das System schon. Ich hätte sicherlich zahlreiche Fettnäpfchen erwischt.

Unsere Aufgabe ist es, die Schule finanziell sicherer zu stellen ( neue Web-Site für spendende Unterstützer), die Unterrichtseinheiten zu verbessern und die Sichtbarkeit der Schule in der einheimischen aber auch in der internationalen Öffentlichkeit zu erhöhen. Eine RIESEN Aufgabe. Aber ich reise ja mit meinem persönlichen Profi-Projektmanager und gemeinsam haben wir unter Beachtung aller Hierarchien eine Plan gemacht, der nun noch Struktur bekommen soll. Dazu veranstalten wir morgen mit den 12 Lehrern, dem Schulleiter und dem Schuladministrator einen mehrstündigen Workshop. Wir wollen versuchen, aus der Lehrerschaft für die Zielerreichung tragfähige Ideen zu generieren. Nur dann werden diese auch praktisch im Alltag umgesetzt. Es gibt nur ein Problem…das ist ein typisch deutsches Vorgehen, mit Struktur und Flipchart, Witheboard, Kartenmaterial, Brainstorming…na ja mit den ganzen Moderationsmodulen. Wir haben keine Ahnung, ob das hier „wirkt“ also ob das System der offenen Meinungsäußerung und der selbstkritischen Reflexion möglich ist. Sicher ist, dass der Workshop morgen richtig schwer für uns wird. Alle Lehrer sind total motiviert und freuen sich, mit uns was zu machen. Ha, noch wissen Sie ja nicht, was morgen auf sie zukommt. Viele haben heute nach der Schule gemeinsam mit uns den Raum für morgen vorbereitet. Die Gesichter hättet ihr sehen müssen… Pinnwand? Großflächiges Papier? Flipchart? Textmarker? Beamer? Letzteres haben wir, alles andere ist total improvisiert. Erstaunlich, was man alles anders als ursprünglich gedacht nutzen kann. Ich muss an mein Väterchen denken: „ …erst brauchen wir eine vernünftige Ausrüstung und dann fangen wir an…“ So funktioniert hier gar nichts! Ausstattung? Kann doch alles irgendwie verwendet werden und was wir nicht haben, können wir auch nicht nutzen, also Improvisation ist hier das A und O!

Ich bin sehr gespannt auf den Workshop und ob es uns gelingt, die doch etwas träge Masse zu aktivieren. Auf keinen Fall wollen wir als die besserwissenden Europäer daherkommen und jahrelange gute Aufbauarbeit kritisieren. Und trotzdem müssen bestimmte Dinge angesprochen werden, die die Routine der Lehrerschaft unterbrechen werden. Das ist unser Auftrag, dafür wurden wir eingeladen. Morgen geht es also richtig los. Bitte alle Daumen drücken!

10. März 2018

Der Tag begann heute mit einer erneuten Zeremonie. Der serpanch (Dorfvorsteher) von Alegaon hatte extra zu unserer Begrüßung dazu eingeladen. Allerdings waren nur männliche Vertreter unserer Gastfamilie Babar gebeten worden zu kommen. Demnach war Thomas diesmal die Hauptperson und musste Teile der Zeremonie übernehmen. Wir bekamen beide den uns schon bekannten orangefarbenen Turban und durften als besondere Ehre das Innere des Tempels betreten und dort beten. Das Heiligtum wird normalerweise nur von Tempelverantwortlichen betreten. Selbstverständlich musste Thomas eine kurze Rede halten, auf englisch und auf deutsch. Die Herren wollten unsere Muttersprache einfach mal hören. Dass wieder zahlreiche Fotos gemacht wurden, brauche ich eigentlich nicht erwähnen.

Auch den zweiten Teil des Tages, unseren Workshop mit den Lehrern, haben wir in 2 Stunden gut geschafft. Zwar konnten wir nicht mit unserer vorbereiteten PowerPoint Präsentation starten, da der Strom gerade dann wieder ausfiel. Damit hatten wir jedoch gerechnet und waren auch anderweitig gut vorbereitet! Der typische Plan B für deutsche Projektmanager.
Da das englische Sprachniveau der einzelnen Lehrer sehr unterschiedlich ist, musste oft in Marathi übersetzt werden. Jeder Lehrer musste je 3 positive und 3 zu verbessernde Inhalte im Schulalltag aufschreiben und diese dann vor den anderen Kollegen/innen vorstellen. So eine offene Kommunikation ist eher untypisch. Ich hatten den Eindruck, dass es für einige der Frauen noch etwas schwieriger war, vor den anderen (Männern) zu sprechen. Aber sie brachten gute Inhalte. In der Kommunikation der Männer ist mir aufgefallen, dass sie überwiegend zu uns und weniger zu den (weiblichen) Kolleginnen gesprochen haben. Auf Fragen wird sehr schnell zugestimmt, „Yes, yes…“ oder „Ha, ha…“ in der Muttersprache. Dabei wird aber der Kopf geschüttelt! Obwohl ich diese konträre Verhaltensweise kenne, bin ich immer mal wieder verunsichert und werde stutzig. Zweimal kam eine Diskussion in der Muttersprache auf zu einem Thema, welches unterschiedlich, also positiv und negativ, von den Lehrern bewertet wurde. Da mussten wir dann deutlicher strukturierend eingreifen. Ansonsten lief alles ganz prima. Strom war auch nach einer gewissen Zeit wieder vorhanden und so verlief alles zu unserer Zufriedenheit. Wir haben auch Ergebnisse erzielt. Diese müssen jedoch jetzt schrittweise in 5 Arbeitsgruppen umgesetzt werden. Das wird, aufgrund anderer Vorstellungen von Pünktlichkeit und Disziplin, eine weitere Herausforderung für alle!

11. März 2018

Heute wollten wir am Sonntag in‘s Kino nach Sangola, auch wenn wir bestimmt Probleme mit dem Verständnis gehabt hätten. Das Kino ist ewig weit außerhalb. Man fährt über eine staubige Landstraße vorbei an vereinzelt hingespuckten Wellblechhütten und noch nicht ausgewachsenen Bauwerken bis man irgendwo im Nirgendwo auf ein riesiges Multiplexkino stößt, dass Sonntags leider geschlossen ist. Wir hatten eigentlich vorgehabt, die Mittagshitze schön klimatisiert im Kino zu verbringen und standen nun in der brutzelnden hirnwegschmelzenden Hitze mitten in der Pampa. Wir haben uns dann zu Fuß ein wenig durch das staubige Gelände gewagt und stießen hinter einem Damm auf eine grüne Gemüseplantage, verbunden mit einem riesigen Bewässerungssystem. Inzwischen hat man angefangen, hier Wasser als Bodenschatz abzubauen. Wer auch immer etwas Geld zusammenkratzen kann, bohrt ein paar 200m tiefe Löcher – und wenn Strom da ist, gibt es auch Wasser.

Der Effekt ist gewaltig, wie man auf den Bildern sehen kann. Auf der einen Seite wüstes Brachland – auf der anderen Seite blühende Landschaften.

Indische Zeit 12. März 2018

Heute habe ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen deutscher und indischer Zeit erfahren.
Wir waren 14 Uhr zu einer Tanzaufführung eingeladen worden, die im Kulturhaus von Sangola stattfinden sollte. Da wir die Sonntagsmittagshitze ruhig und entspannt im klimatisierten Bollywood-Filmkino verbringen wollten, sagte Thomas erst für 15 Uhr zu. „Das reicht für indische Zeitverhältnisse auch noch aus!“, meinte er.
Da das Kino leider gar nicht geöffnet hatte, bummelten wir über einen phantastischen Lebensmittelmarkt in der Stadt. Dort besorgten wir etwas Gemüse für die nächsten Tage, da wir schließlich weiterhin so lecker bekocht werden möchten!
Nach etlichem Hin und Her und einigen Telefonaten mit dem Veranstalter, wo wir uns mit ihm treffen sollten, kamen wir gegen 15:15 Uhr in dem Kulturhaus an. Baba, der uns zur Tanzaufführung begleiten wollte, um netterweise darauf zu achten, dass wir nicht von einer Zeremonie zur nächsten weitergereicht werden, kam zeitgleich mit uns an. Das Kulturhaus kann man für richtig große Veranstaltungen ab 200 Personen (z. B. Indische Hochzeiten) buchen. Einige Besucher waren bereits da. Moderne indische Musik dröhnte aus riesigen Lautsprechern, ein Moderator war noch beim Soundcheck und Kinder tobten die Gänge entlang. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Alle Besucher waren festlich gekleidet und wir wurden gleich in die erste Reihe des riesigen Saales platziert. Dort standen dunkelrote, mit Goldmuster versehene Metallbänke, die jedoch noch mit der Einkaufsschutzfolie bespannt waren. Nach wenigen Sekunden war ich durchgeschwitzt und ich befürchtete nasse Schweissflecken beim Aufstehen.
Der Veranstalter kam und erklärte uns, das Tanzevent würde in 10 Minuten beginnen und vorher könnten wir uns ja noch traditionelle „Rangoli“ anschauen, die heute während eines Wettbewerbs entstanden seien. Außerdem sollten wir am Ende der Veranstaltung gegen 18:00 Uhr den 3 besten Tanzperformances die Preise übergeben. Ich bekam schlechte Laune aber nun ging es ja erstmal zu den „ Rangoli“.

Das sind auf den Fußboden aufgebrachte Sandgemälde. Mit feinstem, farbigen Sand werden wundervolle Muster gestaltet. Diese entstehen häufig bei öffentlichen Zeremonien vor einem Tempeln. Leider sind die „Rangoli“ nicht von langer Schönheit, da sie ganz schnell vom Wind und dem üblichen Strassenstaub zerstört werden.
Bei unserem Rundgang und der Besichtigung der Sandgemälde tauchte plötzlich die lokale Presse auf und wir mussten wieder mal ein kleines Video-Interview geben. Ich war pappe satt. Niemals wird im Voraus gesagt, was man zu erwarten hat, geschweige denn wird gefragt, ob man das alles machen will. Es werden einfach Tatsachen geschaffen. Ich war stinkig!
Wir kehrten in die Halle zurück, unterdessen war es 16:20 Uhr und die Show hatte noch immer nicht begonnen. Dafür hatte sich der Saal weiter gefüllt. Jeder zweite Besucher wollte ein Foto mit uns. Meine Laune verschlechterte sich weiter. Thomas frage erneut nach, wann es denn nun endlich starten würde und bekam „… in 10 Minuten geht es los.“ zur Antwort.
Baba war mit seinen 72 Jahren auch ersichtlich erschöpft und von der zeitlichen Verzögerung und der Lautstärke im Saal angenervt. Er schlug vor, einen Tee trinken zu gehen. Wir suchten also einen kleinen Straßenstand, gleich vor dem Kulturzentrum auf und ich wurden mit frisch zubereitetem Tee wieder positiver gestimmt.
16:45 Uhr zurück im Kulturhaus und noch immer war von einem baldigen Beginn der Tanzveranstaltung nichts zu spüren. Statt dessen wurden nun erst einmal drei VIP-Chairs vor die Bühne gestellt, auf denen drei Herren (vermutlich die Jury) Platz nahmen.
Thomas war unterdessen auch frustriert und suchte zum dritten Mal den Veranstalter auf, um ihm mitzuteilen, dass wir 17 Uhr den Saal verlassen würden, sofern bis dahin die Veranstaltung noch nicht begonnen hätte. Unterdessen warteten wir 1,5 Stunden und eigentlich waren wir ursprünglich ja bereits zu 14 Uhr eingeladen worden. Ich konnte es nicht fassen. Das war mehr als indische Zeit!  Etwas enttäuscht wegen der langen und vergeblichen Wartezeit, da wir ja von der versprochenen tollen Tanzveranstaltung nichts mitbekamen, fuhren wir tatsächlich 17 Uhr mit dem Motorrad zurück zum Dorf. Alle sollten mal die „deutsche Pünktlichkeit“ oder zumindest die Konsequenzen wahrnehmen! Doch grundsätzlich wird sich natürlich nichts an der indischen Zeitvorstellung ändern. Ich muss lernen, geduldig zu sein und das Warten sinnvoll zu füllen. Sicherlich hatten wir trotz allem tolle Begegnungen und unterhaltsame Kommunikation. Dies alles anders wahrzunehmen, fällt mir schwer. Ich hänge doch sehr an zeitlichen Strukturen. Hier ist also meine Lernaufgabe in den nächsten Monaten, wie bereits erwartet.

12. März 2018

Natürlich mache ich auch Hausarbeit, z. B. habe ich schon Wäsche gewaschen. Das nimmt allerdings etwas mehr Zeit in Anspruch, da ich nicht nur auf den Startknopf der Waschmaschine drücken muss.
Die Wäsche ist durch den täglichen Staub und das regelmäßige Sitzen auf dem Fußboden sehr schmutzig und es reicht nicht aus, diese „ nur einmal kurz durch‘ s Wasser zu ziehen“, wie wir das üblicherweise mit verschwitzten Sommersachen auf Reisen machen würden.
In einem Eimer mit Speewasser wird für ca. 15 Minuten die Wäsche eingeweicht. Dann schlage und rolle ich jedes einzelne Kleidungsstück mehrfach auf einem Stein. Das Schmutzwasser daraus läuft in den total vermüllten Hintergarten ab. Danach wird die Wäsche gespült und zum Trocknen auf eine Leine gehangen. Das Trocknen geht dagegen relativ fix und in nur 20 Minuten liegen alle Sachen wieder frisch gewaschen im Schrank. Es hat also alles wie immer zwei Seiten!
Das Wäschewaschen erfolgt im Hocken, da es keine erhöhten Flächen, Becken o.ä. gibt. Bisher bereitet mir diese Position Schwierigkeiten, doch ich denke, die europäischen, büroverwöhnten Gelenke gewöhnen sich mit der Zeit noch an diese neue Möglichkeit. Bis es soweit ist, Wäsche ich vorerst täglich kleine Mengen.

12. März 2018

Gestern zum Sonntag haben Thomas und ich einen Spaziergang durch‘s Dorf gemacht. Wir haben eine Hose zum dortigen Schneider gebracht. Der saß in einem Holzverschlag mit einer Nähmaschine, die noch mit dem Fuß angetrieben werden musste und nähte ein neues türkis-kariertes Herrenhemd. Das sah nicht nur farbig sondern auch qualitativ gut aus. Gegenüber vom Schneidermeister bestellten wir ein Huhn zum Abendessen für die Familie (beim Abholen am Abend sollte es nicht mehr leben und bereits ausgenommen sein). Wir schlenderten einfach etwas herum und versuchten möglichst unauffällig, was natürlich nicht immer gelang, das Dorfleben zu beobachten.

Hier stellen zwei Frauen gerade diese dünnen asiatischen getrockneten Griessnudeln her, die es bei uns abgepackt in den Asiashops zu kaufen gibt. In Indien werden sie als Süssspeise mit Milch und Zucker gegessen.
Was alles auf dem Kopf und wie viel auf einem Motorrad transportiert werden kann, ist-wie in anderen asiatischen Ländern auch- gigantisch. Wir haben Schwierigkeiten eine Tasche zusätzlich mitzunehmen und hier wird der ganze Hausstand, die komplette fünfköpfige Familie oder enorme Futtermengen für das Vieh auf diesem traditionellen Weg bewegt. Auf dem Land sind ausschließlich die Männer motorisiert unterwegs. In den Grossstädten fahren dagegen auch Frauen Motorrad oder Mofa.

Ravi, der Sohn unserer Gastgeber, transportiert hier ausnahmsweise mal nur die Hälfte des gerade frisch geschnittenen Maises. Das bekommen dann die Kühe gleich am Abend.

Die Armut ist unbeschreiblich. Niemand kann sich in Europa vorstellen, dass Menschen so leben. Hütten mit Wellblechdächern sieht man abseits der Dorfhauptstrasse überall. Mit hängenden Decken oder Matten wird versucht, kleine Bereiche abzutrennen. Privatsphäre gibt es nicht. Die Großfamilien besteht mindestens aus 3 Generationen, und meist leben auch noch Schwägerin/ Schwager oder verwitwete bzw. noch nicht verheiratete Familienangehörige mit im Haus. Ebensowenig existieren richtige Toiletten, nach unseren Vorstellungen. Viele der älteren Farmer/innen gehen zu ihren täglichen großen und kleinen Geschäften nach wie vor auf ihre Felder. Somit wäre schonmal gedüngt. Fehlt halt nur noch die Bewässerung.
Das Leben spielt sich zu 90% draussen ab: auf der Straße, auf dem Schotterweg oder direkt auf der Treppe vor dem Haus. Die Männer sitzen auf einer überdachten großflächigen Terrasse direkt auf dem Marktplatz in unmittelbarer Nähe zum Tempel und schauen dem Treiben um sie herum zu.
Kinder kennen kein Spielzeug. Sie nutzen alles was herumliegt wie z. B. Plastikmüll, Teile kaputter Haushaltsgeräte oder was die Umgebung hergibt wie z. B. Steine, Samen und Stöcke. Oft jagen sie in Scharen einfach nur laut kreischend durchs Dorf.
Gekehrt wird mit Reisigbesen oder gebundenen Palmblättern, gekocht wird auf offenem Feuer mit Holzscheiten. Es gibt zwar überall in den Häusern kleine Gaskocherstellen, die jedoch nur vereinzelt beim Kochen des Essens verwendet werden. Heißes Wasser wird nur über offenem Feuer gemacht. Daher werde ich leider hier nicht das Kochen erlernen. Aber Anregungen bekomme ich allemal.

Landwirtschaft 13. März 2018

In „unserer neuen heimischen“ Landwirtschaft hat sich in den letzen Tagen einiges getan. Der Schwerpunkt liegt auf der Versorgung von nunmehr 10 Kühen, so dass diese möglichst viel Milch geben. Vor zwei Tagen wurde erst eine neue Kuh gekauft und am Abend auch gleich geliefert. Derzeit steht sie separat im Gehege mit zwei unterschiedlich alten Jungtieren.
Es existiert sogar eine kleine mobile Melkmaschine und 2 x täglich werden alle 10 Kühe gemolken. So kommen insgesamt 2 x 60-80 Liter zusammen, die dann an den Serpanch (Dorfvorsteher) verkauft werden. (Zum Vergleich: eine deutsche Milchkuh liefert ca. 30-40 Liter am Tag) Der Serpanch fungiert als Zwischenhändler für die Firmen in der Stadt. Unterdessen haben wir jedoch gelernt, dass die Milch der Kühe von den Einheimischen als minderwertig angesehen wird. Die Büffelmilch dagegen ist höherwertig und wird kleinen Kindern 2 x täglich gegeben, damit sie Abwehrkräfte bekommen. Am hochwertigsten ist jedoch die Milch der weißen heiligen Kühe.

Außerdem wurde ein neuer Kuhstall gebaut. Da hat die halbe Nachbarschaft mitgeholfen.

Dazu passend gab es dann auch gleich noch einen neuen Futterunterstand und so ist das „Milchkuhgeschäft“ erfolgreich erweitert worden.

Die gesamt Familie war heute mit dem Dreschen von Hirse beschäftigt. Auf dem Dach des Haupthauses lagen tagelang zum Trocknen Hirserispen. Diese wurden von den beiden Frauen, Shria und Mangal, in Säcke gestopft.

Hinter dem Haus wurde extra eine Dreschmaschine aufgebaut. Ein richtig historisches Teil. Die Männer schleppten die Säcke also zu dieser Maschine, schütteten die Rispen in den oberen Trichter und unten füllte sich dann schrittweise ein Sack mit den Hirsekörnern. Die Abfallspäne flogen in kleinen Stücken hinten aus der Maschine raus und bildeten schnell einen kleinen Berg.

Die Frauen haben meine absolute Hochachtung. Sie arbeiten am meisten und am längsten von allen, besonders die jungen Frauen. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass „nur“ die Hausarbeit und die Kids in ihre Zuständigkeit fallen und die Versorgung der Familie sowie das Business die Männer verantworten. Heute ist mir jedoch klar geworden, dass auch die harte Arbeit in der Landwirtschaft teilweise mit von den Frauen übernommen wird. Das hatte ich so in dem Umfang nicht erwartet.

Aktionsradius 14. März 2018

Mein Schnupfen und Husten sind endlich weg. Ich merke, wie ich nun auch die enorme Hitze, unterdessen sind es schon 39 °C, besser verkrafte. Selbstverständlich muss man sich anpassen, alles langsamer und viel weniger Dinge machen, regelmäßig Pausen einlegen, viel trinken und von 14-16 Uhr einfach gar nichts machen oder am besten irgendwo drinnen mit heftig rotierendem Ventilator versuchen, diese Mittagszeit zu überstehen. Ab 19:00 Uhr wird es dann innerhalb kurzer Zeit richtig dunkel. Ohne starke Taschenlampe sind Aktivitäten draußen danach nicht mehr möglich. Somit ist das Zeitfenster für Unternehmungen auf dem Land relativ gering.

Die Helligkeit und auch die Wärme (bis zu einer gewissen Grenze) sorgen bei mir generell für gute Stimmung, ich fühle mich hier sehr wohl! Wir werden versorgt und brauchen uns um nichts zu kümmern. Selbst einen kleinen gekühlten 20 Liter Kanister mit sauberem Trinkwasser bekommen wir alle zwei Tage in unser Zimmer gestellt. Alle sind so großartig, dass mir die Anpassung an das mehr als einfache Landleben hier doch erstaunlich gut gelungen ist. Das hat jedoch 1 Woche gedauert und ich komme immer noch täglich an meine Grenzen, kann damit aber besser umgehen!
Am Abend unserer Ankunft wollte ich allerdings gleich wieder abreisen, ging natürlich nicht, da wir wussten, was für unsere Ankunft alles um- und ausgebaut worden war. Somit habe ich mich „meinem Schicksal ergeben“ und wollten dem Ganzen eine Chance geben. Besonders schwer ist für mich der Umgang mit dem so wahnsinnig anderen Verständnis von Sauberkeit und Ordnung. Das war ja zu erwarten! Diese Begriffe bekommen eine ganz neue Bedeutung!
In allen Zimmern des Farmhauses gibt es nur zwei Möbelstücke, hochbeinige Metallbetten und Metallschränke. Keine Stühle, denn gesessen wird auf dem Boden. Kein Tisch, denn das Essen kommt auf den runden Tabletts, die auch wieder auf dem Boden abgestellt werden. Man erkennt eigentlich nicht, in welchem Raum man sich gerade befindet. Ist es das Schlafzimmer der Eltern, das Gäste- oder das Kinderzimmer? Nur die Küche ist als solche erkennbar und verfügt über Regale, zum Verstauen von Dingen. Somit ist Ordnung halten einfach anders und die Dinge bzw. Sachen liegen, aus meiner Perspektive, einfach irgendwo draußen herum oder sind in die Schränke gestopft. Die Einheimischen wissen jedoch ganz genau, wo sie was haben „liegen lassen“ und von dem Platz aus nutzen Sie es erneut.
Was mir auch stark zu schaffen macht, ist der eingeschränkte Aktionsradius. In Berlin bin ich oft kilometerweit und stundenlang unterwegs, hier dagegen nur 800 Meter bis zur Schule. Anfangs war dafür sogar noch Begleitung durch Baba nötig, damit die Wachhunde der Nachbarschaften uns nicht „angreifen“. Unterdessen kennen Sie uns und wir können am Tag auch allein den kurzen Weg laufen. Im Dunkeln ist das jedoch schon wieder keine gute Idee, wie wir gestern bei einem Spaziergang herausgefunden haben.
Bis zum Dorf Alegaon ist es dann doch immerhin 1 Kilometer. Alle anderen Ortschaften können nur mit dem Motorrad erreicht werden und das muss man halt organisieren bzw. mit dem Rest der Familie abstimmen. Somit ist mein Aktionsradius enorm eingeengt.

Überall wird man aufgefordert, sich zu setzen. Wir dürfen uns auch nicht auf den Boden setzen sondern bekommen einen Plastikstuhl angeboten; in der Schule beim Gespräch mit den Lehrern, beim Abendessen in einer Gastfamilie, man sitzt natürlich auch auf dem Motorrad und im Schatten vor dem Haus…

Wohin kann ich mal laufen, wie komme ich in Bewegung? Von 8:30 bis 14:30 Uhr sind wir bisher in der Schule. Danach laufen wir nach Hause und machen bis 16:30 Uhr nix. Anschließend wird Wäsche gewaschen oder Lebensmittel auf dem Markt eingekauft und dann ist es auch schon dunkel. Diese Abhängigkeit ist für mich schwer zu ertragen und nimmt mich gerade etwas mit. Ich habe mir vorgenommen, meine bisherige Tagesstruktur nochmal zu überdenken!
Immerhin habe ich heute mal gegen 17:30 Uhr für 20 Minuten ein paar Sportübungen auf der Terrasse vor der Schule gemacht. Und sofort war die Stimmung wieder gut!

Ich finde schon noch meinen Rhythmus, dauert halt alles etwas. Wir sind ja auch erst 1,5 Wochen hier vor Ort. Na ja, Geduld war noch nie meine Kernkompetenz. Ich arbeite dran!

15. März 2018

Unser Projekt läuft nun in der 2. Woche. In der 1. Woche haben wir den Ablauf in der Schule beobachtet. Am Samstag hatten wir dann den großen Workshop mit allen Lehrern zur Bestandsaufnahme und es wurden viele Verbesserungsvorschläge zu unterschiedlichen Themen eingebracht. Zu diesen haben wir in Vorbereitung der nun laufenden 2. Woche Unterprojektgruppen gebildet. Es gibt nunmehr:

1. Management und Investment
2. Language Improvement
3. Website
4. teach the teacher
5. selfmade teaching material

Mit je einer dieser Arbeitsgruppen treffen wir uns pro Tag nach dem Unterricht für 2 Stunden, um Details zu besprechen und konkrete Maßnahmen zu verabreden. Am Ende dieser Woche stellen am Samstag alle Unterprojektgruppen ihre Ergebnisse vor. Diese werden mit dem Beamer vor allen Lehrern präsentiert. Es geht dabei auch um die Nutzung neuer Medien durch die Lehrerschaft.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele sehr gute Ideen von einzelnen Lehrern kommen. An Kreativität mangelt es auf keinen Fall.

Themen zur Verbesserung müssen jedoch von einer außenstehenden Autorität moderiert werden. Sich selbst motivieren, verbesserungswürdige Themen erkennen und kommunizieren sowie passende Maßnahmen formulieren, funktioniert mit dem hier eingesetzten Management nicht. Die Fähigkeit, auch nur ansatzweise Themen zu bearbeiten und voranzubringen ist nur marginal ausgeprägt.

Ich bin gespannt, welche Ergebnisse wir tatsächlich erzielen werden und erst recht, was nachhaltig und langfristig umgesetzt werden wird.

16. März 2018

In unserer Familie gibt es zwei Kinder, die 6 Jahre alte Sahi und den 4 Jahre alten Arush.

Beide gehen in die Englischschule, in der wir die Projekte gerade initiieren. Jeden Morgen laufen wir also gemeinsam, Baba vornweg, den kurzen Weg über die Felder zur Schule. Vorbei an einigen Nachbarhäusern, aus denen wir freundlich begrüßt werden und auch immer mal eine Einladung zum Tee zugerufen bekommen.
Wir sind schon eine lustige kleine Parade, die sich da jeden früh auf den Weg macht. Ein rüstiger alter Herr von 72 Jahren in weißen Leinensachen, dahinter läuft meist Thomas mit seiner knall-roten Notebooktasche unter dem Arm und Base-cap auf dem Kopf. Er versucht schnell auf dem Weg noch ein paar Dinge mit Baba abzuklären. Und dann komme ich mit einem schwarzen Regenschirm, da die Sonne auf dem Rückweg noch ganz ordentlich scheint. Dieser Schirm wurde extra für uns von Baba organisiert, aus welcher Ecke der wohl gekommen ist? Jeder von uns hat auch gleich auf dem Schulweg eine Literflasche Wasser in der Hand und ich noch einen Rucksack auf dem Rücken mit meinen Arbeitsmitteln (Fotoapparat, Notebook aber auch Stift und Papier). Zwischen uns Erwachsenen wuseln die Kids in ihrer Schuluniform und je einer blauroten Schultasche. Wobei die Farben durch den Staub, der sich darauf abgesetzt hat, fast nicht mehr zu erkennen sind.
Die meisten Kinder sind sehr neugierig und versucht mit uns englisch zu sprechen. Am liebsten wollen sie jedoch beobachten, was wir mit dem Handy und dem Notebook machen. Sehr beliebt sind auch Berichte über unsere Familie. Wir müssen Fotos von jedem einzelnen Familienmitglied zeigen und berichten, was er oder sie tut usw.

Wir werden ausgefragt über Lieblingsfarbe, Lieblingsessen, Lieblingsfilm und selbstverständlich müssen wir über Deutschland berichten. Es beginnt immer mit der Frage nach den Unterschieden zwischen Indien und Deutschland und hört z. B. auf bei der Frage, wie lang der längste Fluss bei uns wohl ist. Ich stelle sehr schnell fest, dass meine Geographiekenntnisse auch mal ein Update brauchen. Wann wurde unser Bildungssystem eingeführt und seit wann gibt es die Schulnoten 1-5 oder 6? Ich habe keine Ahnung! Wir haben daher versprochen, mal eine Unterrichtsstunde über Deutschland zu gestalten und Bilder zu zeigen. Das würde den dafür vorgesehenen Geographieunterricht etwas plastischer gestalten. Bis dahin kann ich diese ungewöhnlichen Fragen ja auch noch recherchieren.

Ab und an machen wir auch die Hausaufgaben mit den Kids, üben englisch lesen und schreiben oder singen. Man muss allerdings sehr gut aufpassen, sonst überschreitet man eine Schwelle und bekommt die kleine Bande nicht mehr los. Es ist aber immer lustig, als uncle oder auntie angesprochen und befragt zu werde.

17. März 2018

Auch heute hatten wir wieder nach dem üblichen Samstagsunterricht einen Workshop mit allen Lehrern/innen. Es wurden die Ergebnisse der 5 Unterarbeitsgruppen, die wir letzte Woche ins Leben gerufen hatten, präsentiert. Wie erwartet viel der Strom aus, so dass unsere wunderbare Exceltabelle mit allen Auflistungen an Themen, Terminen und Verantwortlichkeiten leider nicht zum Einsatz kam. Das war jedoch kein großes Problem, da wir nun alle gemeinsam die anstehenden Aufgaben zusammentragen mussten. Lief sehr gut!
Die neue Arbeitsstruktur des Teams schaut nun so aus, dass wir bis Ende Juni jeweils 2-wöchige Umsetzungsphasen mit konkreten Aufgabengeplant geplant haben. Einzelne Lehrer haben konkrete Aufgaben übernommen und werden in der kommenden Zeit von uns angeleitet, so dass sie diese auch erfolgreich ausführen können. Aufgaben sind z. B. 1. kleine Artikel für die Website schreiben
2. Erstellen von Schulregeln, die für die Lehrerschaft gelten 3. Inventurliste zu Arbeits- und Lehrmitteln erstellen
4. Erstellen einer Reparaturliste
5. Erstellen einer Investitionsliste und Priorisierung der Investitionen

Ich habe in den letzten Tagen Fotos von allen Mitarbeitenden gemacht und gemeinsam mit einigen Lehrern deren Kurzbiographien für die Website erstellt. Das hat total viel Spaß gemacht. Alle waren mega stolz, zukünftig auf der Homepage der Schule zu erscheinen. Mit den Fotos habe ich mir auch richtig Mühe gegeben, um auch den Einsatzbereich der jeweiligen Person ansatzweise mit abzubilden. Die Schulbusfahrer waren anfangs etwas skeptisch, da sie sich nicht nur stocksteif vor ihre Fahrzeuge stellen durften, sondern etwas „posieren“ sollten. Also mit geöffneter Fahrertür, im Bus sitzend oder das Auto „putzend“. Aber nach einer kurzen Übersetzungseinheit durch Baba hatten auch sie Freude. Ich musste sogar immer noch ein Foto machen, weil keines gut genug war. Auch der Hausmeister wurde abgebildet, wie er gerade die „Schulklingel“ bedient. Diese ist ein rostiges Metallteilen, auf das mit einer langen, ebenso verrosteten Schraube eingeschlagen wird.

Das Management wurde am PC abgelichtet, obwohl das Internet und die Tastatur nicht wirklich funktionieren und somit die Nutzung sehr eingeschränkt ist.

Mein Lieblingsfoto aus dieser Woche ist jedoch dieses hier!

18. März 2018

Heute am 18.03. ist Indisches Neujahrsfest. Dafür wird jedes Haus mit einer „kleinen Puppe“ geschmückt. Diese ist jedoch nur ein Sari mit einem kleinen umgekehrten Kupfertopf auf einem langen Holzstecken, der mit einer Kette aus Süßigkeiten geschmückt ist. Auch orangefarbene Fahnen sieht man überall und es duftet nach Räucherstäbchen.

9:00 Uhr sind wir mit dem Motorrad aufgebrochen, um noch vor der großen Mittagshitze etwas zu unternehmen. Gemütlich sind wir über Land gefahren und haben dann eine kleine Wanderung entlang eines ausgetrockneten Flussbettes bis zum nächsten Dorf gemacht. Das war jedoch nur eine Stunde lang möglich und schon brannte wieder die Sonne. Gott sei Dank hatten wir unseren 5 Liter Wassersack und noch zwei 1 Liter Wasserflasche dabei.

Erneut auf dem Motorrad mit etwas Fahrtwind, ließ sich alles wieder besser ertragen. Wir sind dann in die nächstgrößere Stadt, Sangola, gefahren. Endlich nach dreifachem Anlauf haben wir die Mittagsvorstellung des Muliplex-Kinos abgepasst. 12:20 Uhr begann ein dreistündiger Film (nach einer wahren Geschichte) über einen Steuerskandal im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh im Jahr 1981. Wir haben logischerweise kein Wort verstanden aber es war ein echtes Erlebnis. Vor Filmbeginn kam Werbung, die so laut war, dass wir uns Zellstoff in die Ohren stopfen mussten. Danach wurde die Indischen Nationalhymne gespielt und auf der großen Leinwand war eine wehende Indische Flagge zu sehen. Alle standen auf, Hände an die Hosennaht. Erst danach startete der Hauptfilm.

Für die Einheimischen waren wir der beste Teil der Vorstellung. Wir wurden im Kino, vor dem Kino und selbst auf dem Rückweg fahrend mit dem Motorrad fotografiert.

19. März 2018

Unsere dritte Woche beginnt und verspricht viel Abwechslung!
Morgen, Dienstag, sind wir privat zum Tee bei einem Lehrer eingeladen, daher steht erneut eine Fahrt mit dem Motorrad durchs ausgetrocknete Flussbett an. Er wohnt 15 km entfernt.
Als Dankeschön für die ersten zwei arbeitsreichen Wochen haben wir alle Lehrer zu einem kleinen gemeinsamen Ausflug eingeladen. Mit den Schulbussen geht es in ein Nachbardorf in einen Tempel. Dort hoffen wir, ihnen auch noch ein Essen spendieren zu können.
Am Freitag besucht uns Palavi, eine langjährige Freundin von Thomas. Sie ist in einem Slum in Pune grossgeworden und unterdessen, teilweise auch mit seiner Unterstützung, Englischlehrerin in einer staatlichen Schule. Sie möchte sich nun mal „unsere Schule“ anschauen und mit uns das Wochenende verbringen. Es wird also wieder viele Eindrücke geben, die ich gern mit euch teilen werde.

Übrigens hat es gestern Abend zum ersten Mal geregnet. Die Luft war danach gleich viel viel angenehmer. Sofern die Regenzeit auch in diesem Ausmaß bleibt, schaffen wir auch die. Allerdings haben wir bereits riesige ausgetrocknete Flussbetten in der Umgebung gesehen. Sollten sich diese in der Regenzeit füllen, habe ich keine Idee, wie ich diese Regenmassen, verbunden mit Schlamm überall überstehen soll! Ehrlich, das sind Tiefen und Breiten, da macht man sich keine Vorstellung.

Das ist z. B. ein Staudamm unweit unseres Dorfes.

Sommergewitter 20. März 2018

Gestern Abend hat Mutter Natur wieder einmal gezeigt, welch starke Kräfte sie besitzt.
Nach einem recht warmen Vormittag und schwül-warmen Nachmittagsstunden zogen am Abend einige Wolken auf und etwas Wind wehte. Die recht angenehmen Temperaturen ließen uns etwas aufatmen. Jedoch gegen 20:00 Uhr brach plötzlich ein heftiger Sturm aus. Eine Naturgewalt, wie ich sie bisher im städtischen Umfeld noch nicht kennengelernt habe. Die Luft war plötzlich voll stickigem Sand, der aufgewirbelt wurde. Zweige und Blätter tanzten ebenfalls in der Luft, es verschlug einem den Atem. Man konnte nur noch wenige Meter sehen. Sandkörner im Mund und in den Augen. Das Maisfutter für die Kühe und die Futterschüsseln flogen herum. Auch alles andere, was ansonsten immer draußen irgendwo herumlag oder herumstand wirbelte durcheinander: Schuhe, Fahrrad, Seife, Lappen, Besen, abgespültes Metallkochgeschirr, Plastikstühle.
Es blitzte so heftig, dass man den Eindruck hatte, der Himmel würde dadurch geteilt und aufgerissen. Donner folgte!
Von Baba kam nur noch die laute und kurze Ansage „Go inside! Lock windows and door.“ Und schon ging es richtig los! Ein Sandsturm mit heftigstem Regen. Der trommelte auf unser Blechdach, so dass man kein Wort mehr verstand. Wir verriegelten alles und lauschten angespannt, was sich da plötzlich abspielte. Auf dem Hof versuchten die Männer die Motorräder zu sichern. Auch die Gatter der Tiere mussten schnell noch geschlossen werden, da vermutlich sonst die Gefahr bestand, dass sie ausbrechen. Aber das konnten wir alles nur erahnen.
In wenigen Minuten viel der Strom aus (und kam auch bis heute Mittag nicht zurück). Es war rabenschwarze Nacht drinnen und draußen. Wir öffneten die Tür einen kurzen Spalt, um rauszuschauen, ob wir helfen können, wobei auch immer. Blitze zuckten gespenstisch und zeigten die Umrisse der Gebäude. Wir kramten drinnen hektisch unsere zwei Outdoorstirnlampen raus. Ein kleiner aber ausreichender Lichtschein erhellte nun unseren Raum. Darüber konnten wir uns jedoch nur kurz freuen, da durch den Lichtkegel alles fliegende Getier angezogen wurde. Es brach ein Flattern und Krabbeln aus und ich bekam einen Panikanflug!
Der Regen peitschte weiter heftig und die Tropfen prasselten wie Hagelkörner auf das Blechdach. Ich dachte, es bricht gleich zusammen. Durch kleine Risse und undichte Stellen sickerte allmählich der Regen. Wir versuchten alle technischen Geräte im Schrank zu sichern, die Daunenschlafsäcke zu verstauen und schoben die Matratze, auf der Thomas schläft von einer Ecke in die andere. Die Stirnlampe hatte ich in der Mitte des Raumes angehangen, so dass alle fliegenden Mitbewohner dorthin gelenkt wurden. Ausgetrickst!
Sicherheitshalber wechselte ich vom legere und luftige Heimdresscode zum kompletten Strassenoutfit, nur für den Fall, dass wir das Haus verlassen müssten oder das Dach einstürzt. Ohne Lüftung und Ventilator war es jedoch in wenigen Sekunden unerträglich warm, erst recht wenn man komplett angezogen ist. Der Schweiß lief mir in Bahnen den Rücken runter. Ich war klatschnass und saß schon wieder im Dunkeln, da die Batterie der einen Stirnlampe den Geist aufgegeben hatte. Also Strom/ Licht sparen.
Zur Vermeidung weiterer Panik und als Lichtquelle wollten wir ein Video anschauen, jedoch verstanden wir kein Wort aufgrund des heftigen Regens und brachen die Aktion daher ab.
Nach einer Stunde beruhigte sich das ganze Naturschauspiel. Es klopfte plötzlich an unserer Tür und Shria brachte unser Abendessen. Ich war perplex und hatte nicht ansatzweise damit gerechnet, noch eine warme Mahlzeit zu bekommen. Wir konnte Shria denn nur gekocht haben? O.k., offenes Feuer aber die Stelle dafür in der Küche ist im Dach ebenfalls offen damit der Rauch abziehen kann, und dort hatte es doch mit Sicherheit reingeregnet. Auch sie konnten nur eine Taschenlampe als Lichtquelle genutzt haben… und dann noch kochen? Ein Rätsel, wie das funktioniert hat.
Wir waren erleichtert und ein wenig hungrig. Auf einem Metallbett sitzend, mit etwas Licht von der zweiten Stirnlampe in der Raummitte, speisten wir wieder vorzüglich.
Mehr Abenteuer kann ich allerdings nicht gebrauchen, das ist vollkommen ausreichend!

Schulregeln 21. März 2018

Alle Schüler/innen wachsen mit zahlreichen Regeln und Zeremonien auf. Jeder Schultag beginnt mit einer 15-minütigen Zeremonie. Selbstverständlich wird die Nationalhymne gesungen, alle schwören ihre Verbundenheit mit dem Vaterland, es wird ein Gebet gesprochen, die Geburtstagskinder werden vor allen Versammelten geehrt und wichtige Inhalte werden durch einen Schüler oder einen Lehrer verkündet. Dies alles erfolgt sowohl in englischer Sprache als auch in Marathi.
Daher war es für uns sehr verwunderlich, dass es keine festgeschriebenen Schulregeln gab. Diese haben wir nun gestern in einem kleinen Workshop auf drängenden Wunsch aller mit den Lehrern erarbeitet. Es sind 5 allgemeinen Regeln für Lehrer und Schüler entstanden:

1. Ich liebe mein Land und die Umwelt.
2. Ich liebe es, zu lernen.
3. Ich spreche gern englisch.
4. Ich stehe zu dem, was ich sage (Disziplin).
5. Ich verpflichte mich, Ergebnisse (Leistung) zu erzielen.

Es war ein sehr gelungener Workshop. Thomas hat nach der gemeinsamen Erarbeitung dieser Regeln jeden Lehrer mit persönlichem Handschlag auf diese Regeln „eingeschworen“. Das war ein ganz phantastischer Moment, alle waren mega stolz! Durch diese Geste wurde das persönliche Engagement gewürdigt und die individuelle Zustimmung zu den Regeln abgefordert.
Heute früh hat der Schulleiter in der morgendlichen Zeremonie diese 5 Regeln offiziell für alle eingeführt und verkündet. Alle Schüler mussten sie dann im Chor aufsagen. In der sich anschließenden ersten Unterrichtsstunden hat jede Klasse alle 5 Regeln aufschreiben und inhaltlich diskutieren müssen. Nun wird jeden Morgen eine der Regeln in die Zeremonie eingebaut, so dass sie sich verfestigt.
Das alles erinnert mich sehr stark an das sozialistische Schulsystem. Es ist in Ansätzen durchaus wirksam, gerade wenn es um Disziplin geht. Trotzdem versuchen wir, gerade deshalb, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Regeln wichtig sind aber die Individualität ebenso gefördert und berücksichtigt werden muss.

Dabei ist mir mit Erschrecken aufgefallen, dass auch ich mit meinen Kollegen/innen keine allgemeinen Regeln für die Ambulante Betreuung habe. Vielleicht sollten auch wir uns mal die Zeit nehmen, uns auf 5 allgemeine Standards zu verständigen. Spannend! Was da wohl rauskommt?

22. März 2018

Vergangene Woche hatten wir zum Abschluss der ersten Projektphase vorgeschlagen, dass wir als Dankeschön für die zwei anstrengenden Arbeitswochen gern etwas Privates mit allen Lehrern/innen nach der Schule machen wollen würden. Da einige Lehrer auch noch eine Farm führen und die Lehrerinnen die Familie versorgen, war uns klar, dass ein gemeinsames Treffen sicherlich nicht so einfach werden würde. Wie erwartet, wurde unser Vorschlag verhalten aufgenommen. Nach einer kurzen gemeinsamen Abstimmung favorisierten alle einen Ausflug zu einem Tempel, der sich 1 Stunden Busfahrt entfernt befindet. Das sei für alle machbar! Wir übergaben die Organisation in die Hände zweier Lehrer, da wir das Reiseziel ja nicht kannten. So sollte es nach dem Unterricht, 13:00 Uhr mit dem Schulbus los gehen. Wir würden unterwegs etwas essen und dann den Tempel besuchen.
Selbstverständlich ging die Fahrt nach indischem Zeitverständnis 13:00 Uhr los. Wir starteten 14:00 Uhr. Bis 13:20 Uhr musste noch eine Reifenpanne behoben werden und die restlichen Minuten vergingen halt auch noch, aus verschiedenen Gründen.
Mit uns im Bus saßen einige Schüler, die wir auf unserem Weg zum Tempel noch in ihren Heimatdörfern absetzten. Die Fahrt ging über Stock und Stein, in entlegenste Gegenden mit sehr karger Natur und weiten ausgetrockneten Flächen.

Unterwegs wurde dann nach ca. 1 Stunde eine kleine Rast in einem Dorf (max. 5 Häuser) eingelegt und frisches Wasser und Obst besorgt. Von einem Tempel jedoch weit und breit keine Spur. Im Bus war es stickig und staubig durch den heissen Fahrtwind, der durch die offene Tür und einige offene Fenster hereinkam.
Die Stimmung jedoch war grandios! Das hatten wir so auf keinen Fall erwartet. Alle scherzten, lachten und erzählten. Es wurde viel in Marathi gesprochen. Daher waren Thomas und ich manchmal etwas außen vor. Wir bekamen jedoch auch immer mal wieder eine Übersetzung, so wussten wir ansatzweise, worum es ging und hatten ebenfalls sehr viel Spaß.

Wir wurden, kaum dass wir im Bus saßen wieder aufgefordert, Fotos von Lotti und Leo und auch von allen anderen Familienangehörigen zu zeigen. Jeder Einzelne wird dann bestaunt und man muss genau berichten, was jeder macht bzw. wo derjenige lebt etc. Auch mein Foto im Sari wollen immer alle sehen! So verging die 2. Stunde im Schulbus und plötzlich, wie aus dem Nichts, war hinter blühenden Sträuchern und frischen grünen Bäumen der Tempel zu sehen. Wir waren sprachlos. Was für ein Unterschied zwischen der ländlichen kargen Umgebung und dem angelegten Tempelgarten. Alle waren begeistert! Es begann ein Fotoshooting, was auch allen sehr viel Spaß gemacht und viele schöne Motive hervorgebracht hat.

Auch diesmal durften wir als Fremde in den 1000 Jahre alten Tempel hinein, jedoch nur den Männern war es gestattet, in das „Allerheiligste“ einzutreten. Vorher mussten sich jedoch alle einer rituellen Reinigung (Hände und Füsse) unterziehen.

Nach jedem Gebet im Tempel wurde eine der zahlreichen, an Sticken im Raum hängenden Metallglocken per Hand angeschlagen. Und jede/r von uns bekam wieder den roten Punkt zwischen die Augenbrauen, als Zeichen der Segnung.
Wir picknickten im Tempelgarten das mitgebrachte Obst, kauften ein paar Kokusnüsse, die vor dem Tempel mit einer kleinen Zeremonie aufgeschlagen wurden.
Gestärkt und gesegnet begann die Rückfahrt auf einer anderen Strecke, so dass wir nicht mehr 2 Stunden unterwegs waren. 18:10 Uhr wurden wir an der Dorfstraße zu unserem Farmhaus abgesetzt. Was für ein schöner erlebnisreicher Tag!

25. März 2018

Am Ende unserer ersten drei Wochen schwanken wir beständig zwischen totalem Frust und Motivation. Die Probleme an allen Stellen sind so augenfällig, dass wir uns manchmal fragen, wie die Schule überhaupt bis jetzt überlebt hat. Dabei wächst auch täglich der Respekt vor Baba, der seine ganze vorhandene Kraft und sein gesamtes Geld in diese Schule steckt.

Es geht mit unseren Projekten vorwärts aber natürlich nicht  mit Sonni- oder Thomas – Geschwindigkeit, sondern mit indischer Gelassenheit. Alles muss gepusht werden, ohne ständiges Nachhaken passiert wenig bis gar nichts. Ein Beispiel:

25. März 2018

Seit mehr als 10 Jahren kennt Thomas Pallavi. Er hat mit ihrem Vater in Pune gearbeitet, als er beruflich in Indien war. Am Wochenende hat sie uns nun in unserer lieb gewonnenen ländlichen Einöde besucht. Es war Ihre erste große Reise ohne Begleitung durch ein männliches Familienmitglied. Pallavis Mutter hat der Reise auch nur zugestimmt, da wir die gesamte Familie erst vor drei Wochen in Pune besucht haben. Daher wusste sie, „Onkel Thomas“ ist mit seiner Frau in Indien und den Onkel kann man ja wohl mal allein besuchen. Es gab jedoch zahlreiche gute Reiseratschläge für die Tochter wie z. B. „Sprich mit niemandem!“ und „Verhülle dich gut mit deinem Tuch!“. Außerdem hatte Baba in einem Telefonat mit der Mutter versichert, dass er persönlich auf ihre Tochter aufpassen und sie auch persönlich am Sonntag wieder zu ihr zurück bringen würde. Dieses Versprechen hat er gehalten. Gerade haben wir beide in Sangola am Busbahnhof in den Überlandbus nach Pune verabschiedet. 

Thomas und ich haben uns anscheinend schon sehr gut an unsere Umgebung angepasst. Daher waren wir etwas erstaunt, dass Pallavi am Freitagabend in ihren Sonntagssachen, mit goldenen Lederschuhen, glitzerndem Haarschmuck und rotem Lippenstift ankam. Dagegen sah ich wie eine graue (allerdings sehr praktisch gekleidete) Maus aus. Pallavi war sichtlich schockiert von den ländlichen Wohnbedingungen (Bad und Toilette). Auch das nächtliche Erscheinen zahlreicher grau-grüner Kröten und dunkelbrauner „Springfliegen“ (keiner weiß, was das für Insekten sind, eine Mischung aus Fliege und Heuschrecke) fand sie nicht so lustig. Ängstlich schaute sie auch auf einem Spaziergang den streunenden Hunden hinterher, die manchmal auf unserem Hof toben. Die farblosen Geckos, die sich ganz flink an den Wänden und an der Decke entlang bewegen und vereinzelt immer mal wieder von dort auf den Fußboden herabfallen, erwähnte ich ihr gegenüber erst gar nicht. Ihr Erstaunen über die Lebensbedingungen auf dem Land, war für mich unerwartet. Pallavi ist selbst in einem Slum in Pune gross geworden und lebt immer noch mit ihrer Familie dort. Sie hat sich durch gute Bildung und Ausbildung weiter entwickelt und arbeitet jetzt als Lehrerin mit 6 Jährigen in einer Englischschule in Pune. Daher war sie sehr gespannt auf „unsere Schule“. 

Am Samstag waren wir gemeinsam von 8:30 bis 14:00 Uhr vor Ort. Nach einigen Hospitationen in verschiedenen Unterrichtseinheiten bestätigte Pallavi unsere Beobachtungen. Es waren also nicht unsere überzogenen deutschen Anforderungen nach Struktur und Ordnung, sondern in der Tat fehlen einige Grundvoraussetzungen in der Schule, die wir jedoch unterdessen schrittweise mit den Lehrern erarbeiten.
Nach überstandener Mittagshitze im Schatten des Farmhauses und mit kühlem Limettenwasser gingen wir 16 Uhr zum Markt nach Alegaon. Jeden Samstag ist Markttag im Dorf und so kauften wir wieder etwas Obst und Eis für die Kids.

Baba sitzt immer wenn er ins Dorf geht mit den Dorfältesten auf einer großen Bank, neben der einzigen Bushaltestelle in der Umgebung. Alle hochbetagten Herren sind von Kopf bis Fuß weiß gekleidet. Einige der Männer tragen sogar weiße Kappen. Ein Teil hat schwarze und der andere Teil hat pinkfarbene Punkte/Striche auf der Stirn (den Grund für diesen Unterschied muss ich noch in Erfahrung bringen). Ein tolles Bild, was ich mir jedoch nicht getraue, zu fotografieren.
Auf dem Marktplatz haben wir auch einen Lehrer und den Hausmeister „unserer Schule“ getroffen. Es ist schon ein irres Gefühl in dieser Abgeschiedenheit Menschen zu kennen, die einen freundlich grüßen und mit denen man sich dann auch noch einigermaßen englisch unterhalten kann. Die Blicke aller Dorfbewohner sind allerdings dann auf uns gerichtet und so kommt doch wieder ein Gefühl des Beobachtetwerdens auf.

Den Abend verbringen wir in angeregter Diskussion über die „Heiratstraditionen“ auf dem Land und in der Stadt. Das ist ein sehr aktuelles Thema für Pallavi, da sie mit 22 Jahren von ihrer Mutter nun verheiratet werden soll. Eigentlich sucht der Vater (oder ein älterer Bruder) nach einem Mann für die Tochter. Beide gibt es jedoch nicht (mehr) in Pallavis Familie und daher tritt die Mutter in Aktion. Zwei Bewerber hat Pallavi schon abgewiesen. So ein Verhalten ist in der Stadt möglich, auf dem Land jedoch eher unwahrscheinlich. Wir diskutieren sehr offen und versuchen unterschiedliche Perspektiven zu betrachten, also die Elternsicht, die Familie allgemein aber eben auch die jungen Frauen. Wirkliches Verständnis ist mir nicht möglich. Einerseits sind viele Frauen gerade in der Stadt durch Bildung und Arbeit schon stärker emanzipiert und trotzdem besteht noch ein restriktives Frauenbild, dem man sich fügt.

Indien ist das Land der Widersprüche. Häufig passen Dinge einfach nicht zusammen und man fragt sich, wie diese Gegensätze bestehen können. Aber das ist ein weiteres seitenfüllendes Thema.
Wir hatten jedenfalls ein erfahrungsreiches Wochenende. Pallavi sehen wir im Mai in Pune wieder. Dann sind Schulferien und wir besuchen erneut Freunde und ihre Familie.

Braut gesucht 26. März 2018

Am Sonntag Nachmittag sind wir mit Pallavi unverhofft in eine für uns alle recht unangenehme Situation gekommen.

Nachdem wir in der Schule auf den Tischler und den Elektriker gewartet hatten, die beide schon längst versprochene Reparaturarbeiten ausführen wollten, sollten wir ins Dorf gehen. Im Haus von Ana, dem 2. Bruder der Babar-Familie erwartete uns dann eine höchst offizielle Heiratsanbahnungszeremonie (was für ein Wort!). Wir erfuhren, dass heute die Eltern eines Heiratsbewerbers zu Besuch da sind und dass Sarita, die 22 jährige Tochter der Babarfamilie, in ihrem Wohnumfeld „begutachtet“ werden soll. Anders kann man die Situation nicht beschreiben. Die gesamte Babar-Familie war anwesend und selbstverständlich die Eltern des Heiratskandidaten, der junge Mann selbst jedoch nicht. Alle Frauen hielten sich separat im hinteren Teil des Hauses, der Wohnküche, auf und nur Pallavi und ich durften neben den männlichen Familienangehörigen auf einer gelben Matte auf dem Boden sitzen.

Der Vater des Heiratsbewerbers thronte im Schneidersitz auf dem einzigen Metallbett im Raum. Es war eine komische Atmosphäre. Niemand sprach, nur betretenes Schweigen. Wir warteten und warteten und warteten…immer kam noch ein weiteres Familienmitglied( Onkel, Cousin, Schwager) dazu, blieb eine Weile und verschwand wieder. Es wurde Wasser in bauchigen Metallkrügen gereicht. Ich konnte es leider nicht trinken, da ich immer die Hälfte verschütte. Man darf beim Trinken nämlich nicht den Flaschenhals oder den Becher mit dem Mund berühren. Also weiterhin dursten!

Die Männer begannen Zeitung zu lesen, weiterhin minutenlanges Schweigen! Plötzlich kam Sarita in den Raum in einem traumhaften rot-goldenen Sari, den Kopf bedeckt. Sie nahm auf einem Stuhl in der Mitte des kleinen Raumes Platz. Der potentielle Schwiegervater fragte förmlich : „Wie heißt du?“ Sarita antwortete mit Vor- und Nachname und war dabei so aufgeregt, dass sie die ganze Zeit nur auf den Fußboden blickte. Der Sari rutschte ihr ständig vom Kopf, sie konnte ihn nicht korrekt festklemmen. Ich fühlte mich furchtbar bei diesem Anblick. Es war deprimierend, eine junge schöne Frau so vorgeführt zu bekommen. Aber Tradition ist Tradition. Auch für Pallavi war es mehr als unangenehm, da sie vor wenigen Wochen selbst noch in dieser Situation war und sie sich daher auch sehr gut in Sarita hineinversetzen konnte.

Es begann eine Zeremonie, die nur von den Frauen ausgeführt wurde. 4 Frauen (Mutter, mögliche Schwiegermutter, Schwägerin und Tante) segneten nacheinander Sarita mit je einem roten und orangefarbenen Tupfer zwischen die Augenbrauen. Heute habe ich erfahren, was es mit den Farben auf sich hat. Die Farbe bezeichnet die Gottheit zu der gebetet wird oder deren Segen man erhält. Rot ist Lakshmi, die Göttin des Wohlstandes. Orange ist Ganesh, der Elefantengott des Glückes und pink steht allgemein für Gottheit.

Sarita musste bei der möglichen Schwiegermutter die Füße als Zeichen der Ehrerbietung berühren. Eine andere Frau hielt ein Metalltablett mit Kokosnuss, Reis und Tamarind vor sie hin und dieses musste von ihr im Uhrzeigersinn geschwenkt werden. Danach verließen alle Frauen nacheinander wieder den Raum und wir warteten und warteten und warteten. Ich konnte schon nicht mehr im Schneidersitz sitzen. Eine Stunde war unterdessen vergangen. Nunmehr wurden die Kochkünste von Sarita durch die potentielle Schwiegermutter überprüft bzw. ihr Verhalten in einer alltäglichen Situation. Sie musste süß-salziges Limettenwasser für uns alle zubereiten und anschließend noch Poha (Reisflocken mit gerösteten Erdnüssen, Kokosraspeln, scharfen Gewürzen und frischem Koriander) für 10 Personen servieren.

Finden die Eltern des Heiratskandidaten Sarita und das Wohnumfeld gut, dann bekommen Saritas Eltern eine Gegeneinladung in das Elternhaus des jungen Mannes. Stimmen dann auch Saritas Eltern der Verbindung zu, wird ein Kontrakt aufgesetzt, in dem steht, was die Braut nach der Hochzeit alles für Pflichten hat. Meist sind das:

  1. Versorgung der Schwiegereltern
  2. ggf. Versorgung anderer Verwandter im Haushalt des Mannes
  3. Kindererziehung
  4. Haushaltsführung
  5. Verbot, den örtlichen Markt aufzusuchen (das ist z. B. eine Regel in Alegaon für zugezogene angeheiratete Frauen
  6. Unterstützung in der Landwirtschaft

Somit macht die Frau eigentlich alles! Also ich werde mich nicht mehr so schnell aufregen, wenn die Pflichtenverteilung im Alltag bei uns nicht ganz meinen Vorstellungen entspricht.

Nach einer weiteren halben Stunde kam endlich durch Baba das Zeichen zum Aufbruch nach Pune. Thomas und ich fuhren mit dem Motorrad nach Sangola. Baba folgte mit Pallavi im öffentlichen Linienbus und wir trafen uns am Busbahnhof. Durch die Zeremonie waren wir 1 Stunde später als geplant losgekommen. Da war es wieder, das indische Zeitverständnis. Noch immer regen mich solche unkommunizierten Aktionen, in denen man von anderen abhängig ist furchtbar auf. Bringt aber nix!

27. März 2018

Pravin ist „ the head of the teachers“ aber eben nicht der Schulleiter (Direktor). Vielleicht kann man diese Positionen vergleichen mit einem Ärztlichen Direktor und einem Verwaltungsdirektor in einem Krankenhaus. Wie das bei uns im Bildungsbereich heißt, weiß ich gar nicht.

Gestern waren wir bei seiner Familie eingeladen. Auch sie sind Farmer, so dass Pravin früh erst die Kühe versorgt, dann als Lehrer arbeitet und nachmittags von 14-17 Uhr die Granatapfelplantage wässert, verschneidet, düngt etc. Die Plantage ist riesig und in der trockenen Gegend musste die Familie extra 3 Brunnenbohrungen mit je 200 Meter Tiefe veranlassen, sonst würde alles vertrocknen. Selbst damit reichen sie jedoch nicht aus. Das Regenwasser wird während des Monsoon in tiefen und breiten Erdmulden, die mit einer Gummifolie ausgekleidet sind, aufgefangen. Auch darin befindet sich eine Pumpe, die das Wasseraus nach oben auf die Felder oder auf die Plantage pumpt.

Bei einem Spaziergang durch das Anwesen erfuhren wir viel über den Anbau von Granatäpfeln. Es gibt, wie bei normalen Äpfeln auch, verschiedene Granatäpfelsorten. Für uns klassifizierbar sind nur die dunkelroten und die gelben. Letztere sind nicht so hochwertig, da sie im Anbau einfacher zu handhaben sind. Sie schmecken jedoch viel süßer. Die roten Granatäpfel sind dagegen anspruchsvoller und bringen höhere Einnahmen beim Verkauf auf dem Markt. Ernten kann man zweimal im Jahr, sofern man die Bewässerung ermöglichen kann. Die Bäume sehen total spannend aus, da sich die dunkelroten Blüten (ähnlich einer Hibiskusblüte) direkt zu den hartschaligen Früchten ausformen. Sieht richtig toll aus!

Pravins Familie ist verhältnismäßig klein. Er lebt mit seinen Eltern und seiner Frau in einem modernen und eher städtisch eingerichteten Farmhaus auf einem winzigen Dorf. Es gibt „richtige“ Möbel, je nach Nutzung der Räume. Landleben ist also nicht gleich Landleben, auch hier gibt es Abstufungen. Wir haben dann wohl das absolut ländliche Landleben in Alegaon erwischt.

Obwohl es eigentlich nur eine Einladung zum Tee für uns war, wurden wir spontan mit einem kompletten Abendessen verwöhnt. Unterdessen kennen wir die Abläufe und fühlen uns etwas sicherer mit dem Wassertrinken ohne das Gefäß zu berühren, dem Reinigen der Hände vor und nach dem Essen, dem barfuß Sitzen im Schneidersitz und dem kleinen „Mouthrefreshment“ nach der Mahlzeit, bestehend aus Anissamen, Kandiszucker und einer Prise Salz.

Da es unterdessen 18 Uhr war und wir noch Geld von der Bank in Sangola abholen mussten, kamen wir erst 19:15 Uhr (im Dunkeln) zu Hause an. Das hatte erheblichen Stress bei unserer Gastfamilie hervorgerufen. Sie machten sich Sorgen, wo wir bleiben und hatten Pravin angerufen, ob alles in Ordnung ist. Es ist gigantisch in welchem Netzwerk alle Personen verbunden sind, die mit uns zu tun haben. Jeder informiert jeden über unseren Aufenthalt, unseren Aufbruch und unsere Pläne. Wir leben hier sehr behütet. Das ist schön zu wissen!

30. März 2018

Nach unseren ersten vier Wochen hier vor Ort fahren wir über die Ostertage nun nach Aurangabad – das erste Mal nun auch allein und nicht unter der wohlgemeinten direkten Familienkontrolle.
Gestern haben wir noch einmal mit allen Lehrern die ersten zwei Wochen der Projektumsetzung ausgewertet. Wir haben trotz aller Rückschläge schon eine Menge erreicht. An die aushängende „to do Liste“ (Projektplan) konnten wir schon etliche rote Haken machen.

Neben den Schulregeln sind es nun tägliche Englisch-Unterrichtseinheiten für die Lehrer, wir haben Wörterbücher angeschafft, diverse Reparaturen in der Schule durchgeführt und sind dabei, gemeinsam eine Website mit Inhalten zu füllen. Irgendwann im April gehen wir damit hoffentlich schon live. Wer vorher schonmal drauf schauen mag, findet die “Arbeitsversion” unter http://staging.dnyanankur.com.

Hinweise zur Verbesserung der Website sind immer gern willkommen.

Gestern haben wir nun auch einen Power Inverter besorgt – (Kleine Spende von uns). Dieses Herumgemurkse mit den dauernden Stromausfällen war einfach nicht mehr zum Aushalten. Um eine funktionierende Schulverwaltung einzuführen, bedarf es nunmal ein wenig IT – und die hängt am Strom.
Nachdem wir in der letzten Woche Zeitregeln für die Lehrer eingeführt haben, die ab April gelten sollen, damit die Lehrer nicht sofort nachdem Unterricht ohne weitere Vor- und Nachbereitung zu ihren Farmen nach Hause springen, müssen wir nun natürlich für deren Umsetzung sorgen. Da passt es natürlich nicht ganz, dass der aktuelle administrative Leiter (Balasaheb Shinde) es selbst mit dem Aufschreiben nicht so genau nimmt. Bisher tragen alle Lehrer ihre Anwesenheiten handschriftlich in einem großen Buch ein und bestätigen das mit ihrer Unterschrift. Diese Werte wollten wir mal in eine Exceltabelle übertragen und dann die Auswirkungen auf das Gehalt darstellen. Mit Balasaheb haben wir angefangen. Komischerweise ergaben seine Stunden laut Buch ziemlich genau 100%, obwohl wir sehr oft wahrgenommen hatten, dass er nicht da war. Gefragt, ob das alles überprüfbar wäre, bestätigte er sofort, dass Ein- und Ausgangszeiten an einem Fingerscanner erfasst werden – unter anderem auch seine.

Das haben wir natürlich sofort überprüft – hat natürlich nicht gestimmt. Seine Zeiten waren nicht erfasst. Er kam dann sofort mit der Begründung, dass das Gerät ja wegen der regelmäßigen Stromausfälle nicht funktionieren würde – doof nur, dass ich wusste, dass es Batterie gepuffert war.
Es ist vollkommen klar, dass mit so einer Führung keine einzige unserer Änderungen nachhaltig sein wird. Aber das werden wir noch im Detail mit unserem “Auftraggeber” Sagar diskutieren sobald wir wieder zurück sind aus Aurangabad.

Bis dahin haben wir frei und freuen uns auch riesig auf ein wenig Zeit für uns – bisher war alles doch ziemlich eingebunden.

Die Fahrt dahin übrigens im Mietauto (der Fahrer ist immer incl.) über fürchterlichsten Straßen – 350km in 7h. Man bekommt fast ein Schleudertrauma, dauernde Beschleunigungen, Bremsen, plötzliche Ausweichhaken und Wechsel des Straßenbelages von schlecht zu Feldweg. Ich versuche diesen Text grad im Auto zu schreiben, muss aber dauernd korrigieren, weil ich die Tasten nicht treffe.

31. März 2018

Unser Osterwochenende hat gestern begonnen. Wir haben vier Tage frei und sind mit einem Mietwagen nach Aurangabad (350 km entfernt von Sangola) gefahren. Das hat mit kleiner Pause 7 Stunden gedauert. Das Auto gab es nur mit Chauffeur. Somit sind wir jetzt „aufgestiegen” und haben unser eigenes Personal für ein paar Tage. Der Fahrer bringt uns im klimatisierten Auto überall hin, wartet dort geduldig auf uns und lässt sich von nix aus der Ruhe bringen. Ohne unser Google Maps weiß er zwar nicht wohin aber zur Not kann man ja mal am Straßenrand fragen. Anfangs fand ich das alles lächerlich. Heute am Ende des Tages bin ich sehr dankbar für den erprobten Kraftfahrer. Es gibt keine Verkehrsregeln, kein einziges Verkehrsschild, keine Ampeln und auch keine Wegweiser, Straßenschilder o.ä. Die Straßen, teilweise auch nur Wege sind in erbärmlichem Zustand und ohne Erfahrung in landestypischer Fahrweise hat man keine Chance und man kommt keinen Meter weit. Riesige bunten LKW sind völlig überladen unterwegs, überholten sich aber gegenseitig. Dazwischen quetschen sich Motorradfahrer und wir natürlich nun auch noch.

Dank unseres Chauffeurs sind wir jedoch gut zu unserem Ausflugsziel, den Ajanta Caves, gekommen. Diese alten Buddhistischen Felsenhöhlen liegen 101 km von Aurangabad entfern, wieder einmal irgendwo im Nirgendwo. Wir sind extra 8 Uhr losgefahren (Deutsches Zeitverständnis) und waren dann 10:30 Uhr vor Ort. Trotz unseres zeitigen Aufbruchs waren die Temperaturen dann bereits bei 39°C und sollten noch auf 42°C ansteigen.

Die Ajanta Caves sind 29 in massiven Fels gehauene Wohn- und/oder Gebetshöhlen mit massiven Säulen, tollen Skulpturen und sagenhaften teilweise farbigen Malereien. Alle Höhlen sind Buddha gewidmet. Die ältesten entstanden bereits 200 BC. Weitere wurden im Jahre 400 bis 480 A.D. dazu gebaut.

Die gesamte Anlage befindet sich in einem Tal, welches in der Regenzeit phantastisch grün ist und zwei riesige Wasserfälle tosen dann die Felswände hinunter. Dieses Naturschauspiel war uns leider nicht vergönnt. Trotzdem konnten auch wir einen tollen Ausblick genießen und ab und zu im Schatten der Höhlen etwas ausruhen.

Wieder zurück in Aurangabad haben wir das etwas außerhalb der Stadt gelegene „Mini Taj Mahal“ besichtigt. Es ähnelt schon sehr seinem „großen Vorbild“ in Agra, ist aber natürlich bei weitem nicht so prachtvoll und elegant proportioniert.

Es ist schön zu sehen, wie die Einheimischen den Ort ausgiebig nutzen. Er wird nicht nur besichtigt oder in der Anlage spazieren gegangen wie wir das z. B. im Schlosspark Sanssouci machen. Es wird mit der gesamten Großfamilie gepicknickt, unzählige Fotoshootings (posenden Frauen und Paare) finden statt und Jugendliche sitzen einfach nur im Schatten unter Bäumen und spielen mit ihren Handys. Kleinere Kinder toben sogar in der angrenzenden Gartenanlage mit einem Ball.

Erschöpft von der Hitze essen wir auf dem Heimweg noch in einem kleinen Familien-Restaurant. Wir bestellen Papad Masala, Mixed Raita, Curry, Palak Paneer und Roti (statt Chapati-Fladenbrot). Alles frisch zubereitet, hmmmm! Zum Abnehmen kommen wir so natürlich nicht. Macht nix, ist halt alles viel zu lecker.

Geschichtslektion 31. März 2018

Nachdem Sonni und ich ja nun ein Geschichtswochenende hatten, kann der Blog natürlich nicht ohne ein wenig Hintergrund auskommen. Für mich ist vieles immer wieder neu auch wenn wir nun schon ein paarmal hier waren und ich mich ja schon ein wenig mit der lokalen Geschichte auskenne.
Wichtig zum Verständnis ist sicherlich zu wissen, dass große Teile Indiens vom 12. bis zum 19. Jahrhundert durch islamische Eroberer regiert wurde, ab dem 16. Jahrhundert durch das vielleicht schon bekannte Mogulreich, dass z.B. das Taj Mahal mit hervorbrachte. Es gab im indischen Mittelalter darüber hinaus haufenweise kleinere Fürstentümer und kleinere Königreiche, die kamen und gingen. Meistens haben sie sich untereinander abgeschlachtet, oft jedoch auch gegen den Islam. Das Verständnis in der Bevölkerung, die zu 80% hinduistisch ist, ist auch sehr stark von dieser geschichtlichen Auseinandersetzung geprägt. Shivaji, der Nationalheld aus Maharashtra, nachdem z.B. der Flughafen in Mumbai benannt ist, hat im 17.Jahrhundert große Erfolge im Kampf gegen das schon untergehende islamische Reich erzielt. An seinem Geburtstag gibt es Volksfeste, die meisten fühlen sich tatsächlich immer noch nicht nur von den Briten 1947 sondern auch von den islamischen Fremdherrschern befreit.
Auch in der heutigen Zeit gibt es immer wieder religiös geprägte Pogrome, die letzten mir bekannten größeren in 2002 mit ca. 1000 Toten. Auch die Rivalität mit Pakistan lässt sich ohne diesen Hintergrund nicht verstehen.
Aber auch die Zeit vor den muslimischen Herrschern verlief keinesfalls friedlich. Königreiche wuchsen und gingen und hinterließen überall irgendwelche Hauptstädte, die teilweise wie das heute besichtigte Daulatabad inzwischen zu kleinen Nestern mutiert sind, in dessen Gassen gestern unser eigentlich nicht sonderlich großes Auto beinahe stecken geblieben ist.
Verbindender Teil über einen langen Zeitraum war wie auch in Europa die Religion, hierbei jedoch insbesondere Buddhismus und Hinduismus, wie heute auch in den alten Höhlen gesehen.
Inzwischen ist der Buddhismus fast vollständig verschwunden. Nur noch 1 Prozent bekennen sich dazu, insbesondere hierbei viele Dalit, ehemalig “Unberührbare”, die mit dem Wechsel der Religion aus dem Kastensystem der Hindus in den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ausgebrochen sind.
Um den Beginn unserer neuzeitlichen Zeitrechnung herum war der Buddhismus mindestens gleichberechtigt und schuf mit den Höhlenbauten von Ajanta und Ellora unheimlich beeindruckende Bauten, die wir uns in den letzten Tagen angesehen haben – von denen Sonni aber grad parallel schreibt.

Ostersamstag 31. März 2018

Ich liebe das indische Essen! Es ist herzhaft, scharf und immer gibt es kalte und warme Gerichte. Bereits zum Frühstück kann man leckeres gedünstetes Gemüse, Linsengerichte, Curry, Hirse oder Reis als Beilage und selbstverständlich auch Frittiertes bekommen. Auch frisches Obst ist immer mit dabei. Nach einem solch leckeren Frühstück sind wir heute, zum Ostersamstag, erneut auf Sightseeingtour gegangen. Die Ortschaft Daulatabad, eigentlich fast ein Vorort von Aurangabad, war im 14. Jahrhundert Hauptstadt des Delhi -Sultanats und verfügt daher über eine gigantische Festungsanlage.

Diese haben wir bzw. habe ich im wahrsten Sinne des Wortes heldenhaft erklommen. Um auf die Spitze der Festungsanlage zu gelangen, mussten wir durch einen aufwärtsverlaufenden dunklen Tunnelgang, in dem unzählige Fledermäuse an der Decke hingen. Es stank nach den Exkrementen und verschlug mir fast den Atem. Thomas hat mit dem Handy etwas Licht ins Dunkel gezaubert und dann bin ich schnurstracks am Arm von ihm festgekrallt, Basecap tief im Gesicht losgestiefelt. Durch und vorbei, nur nicht an den Rückweg denken!

Danach ging es weiter zu den Ellora Caves, die sich auch nicht weit von Aurangabad befinden. Schon wieder Höhlen besichtigen, hab ich gedacht. Aber diese sind auf eine ganz andere Art und Weise beeindruckend, als der gestrige Höhlenkomplex. Beide Orte gehören übrigens zum Weltkulturerbe. Durch Kambodschas Tempelanlagen in Siem Reap hatten wir ja erst vor kurzem erstaunliche Monumente, Fresken und farbige Inkrustationen gesehen. Also hatte ich keine so großen Erwartungen. Höhlen halt, hatten wir ja gestern schon. Schauen wir halt ganz fix auch noch mit an. Aber was soll ich sagen, ich war sprachlos. (Väterchen, das wäre definitiv was für dich!) 34 sehr verschiedene Höhlen, aus unterschiedlichen Epochen bzw. aus verschiedenen Glaubensrichtungen heraus entstanden, sind sie auch anderen Göttern gewidmet.

Hier mal ein paar Eindrücke, da man das alles gar nicht beschreiben kann.

Insgesamt waren wir 3 Stunden auf dem Höhlengelände unterwegs und danach schon ziemlich k.o. Also erstmal zurück zum Hotel und 2 Stunden ausruhen.

Abends sind wir nochmal in die Stadt gefahren (worden). Wir wollten gern in eine Seidenmanufaktur und haben zufällig ein fast 100-jährige Familienunternehmen gefunden. Dazu wird dann Thomas morgen berichten.

1. April 2018

Wir haben ein Problem! Kein Geld! Wobei das nicht ganz stimmt. Geld haben wir schon, nur bekommen wir es nicht. An Feiertagen, davon gibt es in Indien sehr viele, arbeiten die Banken nicht. Deshalb heißt es wohl auch „Bankholiday“. Ok, dann gibt es halt kein Bargeld, nutzen wir eben unsere Kreditkarte. PIN eingeben und fertig. Wir wollen unsere Hotelrechnung bezahlen aber nix geht. Na dann zweiter Versuch. Wir haben uns bestimmt vertippt. Aber auch der Versuch scheitert. Zweite VISA-Karte raus, PIN suchen und fertig. Ach! Geht auch nicht? Mist! Ein anderes Kartenlesegerät wird geholt und alles nochmal von vorn. Unterdessen sind 30 Minuten vergangen, keine VISA funktioniert. Ist das peinlich! Da stehen wir nun, die „reichen Europäer“ und schauen mal ganz alt aus. Oh, da gibts doch noch Paypal! Gott sei Dank, schnell die App aktualisieren und den Geldtransfer starten. Doch leider Fehlanzeige. Ein junger Inder hilft uns aus der Klemme, mit ihm sind wenigstens die Verständigungsprobleme beseitigt. Thomas überweist mit Paypal die Hotelrechnung privat an ihn und er dann an das Hotel. Aber auch das geht nicht, Paypal bricht ab, keine Transaktion mit Rupien. Letzter Versuch, Überweisung von EUR. Endlich, das klappt. Über hundert Ecken haben wir nun die Rechnung bezahlt, checken aus und fahren von Aurangabad zurück nach Alegaon.

Auf dem Weg versuchen wir noch an diversen ATM-Automaten Geld abzuheben – nichts funktioniert, alles leer.

Weggeworfene Quittungen, die den Boden bedecken, zeugen von den fehlgeschlagenen Versuchen aller anderen. Noch nichtmal Benzin an den Tankstellen lässt sich mit einer internationalen Kreditkarte bezahlen. No way!

In Sangole sind wir am letzten Wochenende erfolglos bei 8 Bankautomaten gewesen. (laut Visa Sicherung, die die Karte dann gesperrt hatte, haben wir insgesamt 14 Versuche unternommen, um Geld zu bekommen). Wie an vielen anderen Stellen fällt auf, mit welcher Selbstverständlichkeit wir in Deutschland Dinge hinnehmen, die einfach funktionieren. Kein Mensch geht davon aus, dass das Bargeld ausgeht. Diese Sorge ist nun in Indien für uns Dauerzustand.

2. April 2018

Unser Fahrer war unfähig – ernsthaft. Den halben Tag hatten wir drüber gesprochen, das wir am Abend nach den ganzen Höhlenbesichtigungen noch in einen Seidenladen gehen wollen, weil Aurangabad für Seidentücher und Seidenstoffe allgemein in ganz Indien berühmt ist.

Gegen halb sechs fuhren wir los. Erst ging es nach Aurangabad hinein, dann wieder aus der Stadt hinaus – weit hinaus… Ein Hilfeanruf in unserer indischen Heimat mit Sprachsupport brachte dann Gewissheit. Der Fahrer wollte uns zu einem „Seiden -Dorf“ ca. 90 km entfern von Aurangabad fahren. Bei den Straßenverhältnissen wären wir vermutlich gegen 22:00 dort angekommen und irgendwann nachts gegen 3:00 erfolglos-ohne Einkauf- wieder zurück. Die Aktion haben wir dann selbstverständlich sofort abgebrochen und umgehend Google Maps bemüht. Uns hätte der Fahrer in seiner Not sonst einfach am nächsten Klamottenladen rausgeschmissen. Aber nicht mit uns!

Nach mehreren engen Gassen, gut gemeinten Ratschlägen von Passanten, die freundlich in eine entgegengesetzte Richtung zeigten als die, in die wir unterwegs waren, kam uns ein großes Werbeplakat zu Hilfe. Dieses wies in Sichtweite eine Seidenmanufaktur aus. Also nix wie hin, ich wollte schließlich ein dezentes Punjabi suit (keinen Sari) noch kurz vor Ladenschluss für einen guten Preis ersteigern.

Ein älterer Herr kam auf uns zu uns fragte in angenehmem englisch, ob wir Interesse an einer Führung hätten. Selbstverständlich! Wissenszuwachs ist immer gut. Und so bekamen wir eine sehr persönliche Führung in einem fast 100 Jahre alten Familienbetrieb.

Einige Maschinen waren tatsächlich noch aus dem Zeitalter der „Maschinenstürmer“ und in England hergestellt. Die automatischen Webstühle arbeiteten z. B. noch mit „Lochmusterkarten“.

In 2 Stunden ist jedoch ein Stoffstück mit Seidenmuster von 1,50 x 2,40 Metern fertig. Mit dem manuellen Webstuhl dauert das Ganze dagegen 2 Monate.

Wir wurden ausgiebig über traditionelle indische Muster in Maharashtra und über die Zusammensetzung der Stoffe (Wolle, Seide, Baumwolle, Mischgewebe) aufgeklärt.

Anschließend ging es in den Verkaufsraum. Da in den Monaten April und Mai jedoch die meisten indischen Hochzeiten stattfinden, gab es keine so große Auswahl mehr.

Wie man es sich üblicherweise vorstellt, begann ein klassisches Verkaufsgespräch in leidlich gutem englisch. In Windeseile wurden unzählige bunte Stoffmuster vor uns ausgebreitet. Alle waren bereits so vorbereitet, dass man daraus ein langes Oberteil und eine Pluderhose (Punjabi Suit)schneidern lassen konnte. Das Kopftuch ist schon fertig und dem Stoffpaket in passender Farbe und Muster zugeordnet. Das war mir jedoch alles viel zu traditionell, zu bunt und zu goldglitzerig. Ich hatte ja vor, diese Sachen wirklich zu tragen! Der Verkäufer hat natürlich verständnislos geschaut, als meine Anforderung „Bitte die Stoffauswahl weniger farbig und weniger goldig“ klar formuliert war. Ich fand schließlich eine schwarz-goldene Kombination, von der ich zwar nicht ganz 100%-ig überzeugt war aber daraus ließe sich auf alle Fälle was machen. Ich war froh, etwas gefunden zu haben und hoffte nun, den Einkaufsprozess beenden zu können. Weit gefehlt! Nun wurden alle Tücher ausgebreitet, die ich aber auch nicht haben wollte. Es half jedoch keine logische Begründung von wegen „In Deutschland ist der Geschmack etwas anders.“ oder „Unsere Traditionen in der Mode sind eher weniger farbenfroh“. Die Stimmung des Verkäufers verschlechterte sich und wir steckten im Verkaufsgespräch fest.

Als nächste kam der Vorschlag, einen Blick auf die Tischwäsche zu werfen, da würden wir bestimmt was finden. Und schon wurden uns zahlreiche farbenfrohe, glänzende Tischdecken, jedoch für winzige indische Tische vorgelegt. Auch hier half die logische Argumentation „Unser Esstisch ist sehr groß, mindestens 2 x 3 Meter.“ nicht als Begründung für eine Ablehnung des Gezeigten. Uns wurde klar gemacht, dass wir mit den Maßen wohl übertreiben, kein Tisch ist so groß. Wir versuchten es auf lustige Art…“Aber wir sind doch auch groß und breit.“ Half aber leider gar nix. Die Stimmung war frostig. „Dann nehmt ihr eben eine Bettabdeckung“, verkündete der Verkäufer und breitete zwei riesige helle Stoffdecken vor uns aus. Und die sahen richtig gut aus. Zwar nicht als Bettabdeckung denn ich bin froh wenn die Betten überhaupt gemacht sind! Aber als große Tischdecke konnte man das Teil gut nutzen. Gekauft! Besser gesagt ausgetauscht gegen mein schwarz-goldiges Punjabi Suit Stoffmuster. War ja nicht ganz so mein Ding. Der Verkäufer war entsetzt. Die Rechnung habe er schon geschrieben und wir müssten jetzt beides kaufen. Nun platze Thomas der Geduldsfaden. „Entweder wir kaufen jetzt diese Bettdecke oder wir gehen!“ Es ging noch ein wenig Gezeter hin und her und ein kleiner Kampf mit der Bezahlung per Visa-Karte aber letztendlich hatten wir es nach 1 Stunde geschafft. Nix wie raus aus der Manufaktur und schnell was leckeres Essen.

4. April 2018

Bereits im Vorfeld hatten Thomas und ich uns Gedanken gemacht, wie wir wohl in diesem Jahr die Osterfeiertage zelebrieren könnten. Ein traditioneller Kirchgang schien unmöglich. Unterwegs hatten wir nur eine unscheinbare Kirche in einem kleinen Ort gesehen. Dort einfach hineinplatzen, kam gar nicht in Frage. Wir hatten also keine Idee. Wieder einmal kam aber alles so, wie es besser nicht hätte kommen können, und wir hatten einen unvergesslichen und feierlichen Ostersonntag.

Auf unserer Rückreise von Aurangabad am Sonntag waren wir mit der Familie Babar 16:00 Uhr in Pandapur verabredet. Pandapur ist ein Pilgerort ca. 40 km von Alegaon entfernt und sehr berühmt wegen seines Tempels und der zahlreichen Glaubensrituale. Normalerweise gibt es vor dem Tempel meterlange Schlangen wartender Gläubiger aus dem ganzen Land, um an einer Zeremonie teilnehmen zu können.

Unsere Gastfamilie hatte umgerechnet 200 Euro gezahlt, um am Ostersonntag in das Tempelinnere zu einer ganz besonderen Zeremonie zugelassen zu werden. Und wir sollten und durften dabei sein!

Alle kamen extra aus Pune (4 Stunden Fahrtweg) angereist und wir waren von Aurangabad ohne Pause auch schon 5 Stunden unterwegs. Finanziell unterdessen völlig ausgebrannt. Die VISA- Karte ist an den Automaten an einem „Bankholiday“ nicht einsetzbar und mit VISA im Landesinneren bezahlen, abseits der großen Städte…total unmöglich. Von unserem letzten Bargeld gönnten wir uns in einem Strassenrestaurant für ein paar Rupies eine sehr leckere Kleinigkeit und waren somit gestärkt für die nächsten Stunden.

Pünktlich 16:00 Uhr trafen wir uns wie verabredet mit der gesamten Babar-Familie und gingen gemeinsam zum Tempel. 16:30 Uhr sollte die Zeremonie beginnen. Kurz vor dem Tempel „versteckten“ wir an einem Süssigkeitenstand unsere Schuhe unter dem Ladentisch und gingen barfuß weiter. Das war eine ziemliche Herausforderung, da der gepflasterte Weg zum Tempel lag und die Steine glühend heiss durch die Sonne waren. Wir wollten am liebsten rennen, hüpften von einem Fuß auf den anderen und suchten angespannt nach halbwegs schattigen Laufmöglichkeiten. Das hatte in der Tat ansatzweise etwas von einem „aufopferungsvollem Pilgerweg“. Im Tempelinneren, kurz vor dem Betreten des eigentlichen Heiligtums, erfolgte die rituelle Fusswaschung, die jedoch auch keine Abkühlung für unsere Füße brachte, da das Wasser aus der Aussenwandleitung lauwarm war. Vor dem „Allerheiligsten“ mussten wir dann noch einige Minuten warten, um als komplette Familie eintreten zu können, wir waren insgesamt immerhin 17 Personen. Für die Zeremonie hatte die Familie zwei große Blumenketten aus duftenden Jasmin- und orangegelben Studentenblumenblüten mitgebracht. Außerdem hatten sie Tüten mit Lebensmitteln und Gefäße mit Wasser dabei.

Nun durften wir alle nacheinander eintreten, erst die Männer und dann die Frauen. Nur einem Ehepaar war es gestattet, direkt vor der männlichen Gottheit „Pandurag Vitthal“ oder der weiblichen Gottheit „Rugmai“ im Schneidersitz platzzunehmen. Alle anderen Familienangehörigen reihten sich dahinter ein. Der Bereich dafür war nur 3 x 4 Meter groß und durch ein Holzgitter mit Blick auf die Gottesstatue abgegrenzt. Er wurde mit noch anderen Gläubigen „aufgefüllt“, so dass wir ziemlich eng nebeneinander saßen. Im Verlauf der Zeremonie ist es jedoch möglich, rotierend als Ehepaar den vordersten Platz einzunehmen.

Die Zeremonie dauerte eine Stunde und bestand darin, dass beide Gottheiten (schwarze Skulpturenbüsten) mit einer Sandelholzpaste von einem Tempeldiener „angekleidet“ und farbig verziert wurden. Dazu erklingt ein monotoner Gebetsgesang, der mit Schellen „musikalisch“ begleitet wird.

Nachdem die Büste „angekleidet“ ist, werden das mitgebrachte Wasser und die Lebensmittel gesegnet. Alle Anwesenden müssen sich erheben und sich einzeln vor der Gottheit verneigen und dabei deren Füße mit dem Kopf berühren. Dabei wird jeder Gläubige wieder mit einem Punkt auf der Stirn, diesmal aus Sandelholzpaste, gesegnet. Abschließend dürfen zur Erinnerung zwei offizielle Fotos im Allerheiligsten mit der Familie gemacht werden.

Wir verlassen den Tempel, suchen unsere Schuhe und nun werden gemeinsam in einem überdachten Außenbereich das gesegnete Wasser und die Lebensmittel (Obst, Süßigkeiten) geteilt und fröhlich gefeiert.

Wir wünschen uns gegenseitig schöne Ostern und sind dabei total ergriffen von der Zeremonie und der hohen Ehre, als Fremde so nah dabei gewesen zu sein. Vor lauter Rührung und Freude fließen sogar ein paar Tränen. Es ist ergreifend wahrzunehmen, dass Glaube sehr unterschiedlich und doch in einzelnen Ritualen wieder sehr ähnlich gelebt wird. Wir versuchen zu erklären, was Ostern für uns Christen bedeutet, welche Ostertraditionen wir in unserer Heimat, der Lausitz, kennengelernt haben und verweisen auf die Gemeinsamkeiten beider Glaubensrichtungen. Nun sind auch unsere Gastgeber noch einmal mehr stolz darauf, uns unseren höchsten christlichen Feiertag, mit einer ebenso bedeutenden hinduistischen Zeremonie verschönt zu haben.

Es schließt sich noch ein Privatbesuch bei einer sehr bedeutenden, politisch einflussreichen und wirtschaftlich hoch gestellten Familie in Pandapur an. Es handelt sich um die Nachkommen der Deshmuks, den ehemaligen Steuereintreibern und lokalen Gutsherren über 100 Dörfer. Diese ist eng mit der Familie Babar verbunden. Das Familienhaus ist in einem phantastisch renovierten Zustand, alles ist noch einmal traditioneller, Frauen und Männer werden strikt getrennt. Thomas darf nur draußen auf der offiziellen Terrasse sitzen, ich darf nur drin bleiben, sehr befremdlich irgendwie und teilweise auch unangenehm. Man fühlt sich durch die strikten Vorgaben doch schon sehr fremdbestimmt. Natürlich werden wir wieder gesegnet, erhalten zum wiederholten Male Turbane. Da es eigentlich Brauch ist, dass weibliche Besucher einen Sari erhalten, für mich aber grad keiner da ist, bekomme ich das Geld dafür in einem kleinen Umschlag.

Erschöpft aber sehr erfüllt von den Eindrücken, Gesprächen und Erlebnissen fahren wir eine weitere Stunde zum Farmhaus zurück.

5. April 2018

Nach reichlich 4 Wochen schlägt sie nun zu, meine „innere Unruhe“ ist wieder da. Sicherlich bringen viele Tage immer noch aufregende Erlebnisse, unerwartete Begegnungen und oft auch ausreichend Arbeit. Es kehrt aber auch etwas Alltag ein. Nach wie vor bin ich 8:30 bis 14:00/15:00 Uhr mit dem Schulprojekt in Anspruch genommen. Danach ist Freizeit. Nun kommt mein Problem. Was mache ich in meiner freien Zeit? Meine Unabhängigkeit habe ich komplett verloren. Ich gehe hier keinen Schritt ohne Thomas, weder ins Dorfzentrum nach Alegaon noch in die Stadt Sangola. Was sollte ich dort auch allein machen? Die Verständigung mit Einheimischen ist nicht möglich oder nur mit einzelnen Personen, die man zufällig trifft. Ein Fitnessstudio gibt es nicht, Freunde habe ich hier nicht und anderen Aktivitäten anschließen, kann ich mich nicht…welchen denn? Private Yogastunden (habe ich zwar noch nicht recherchiert) werden vermutlich in Hindi oder Marathi abgehalten, so dass ich die Anleitung zu den Übungen nicht verstehen werde. In einer größeren Stadt besteht vielleicht die Chance, diese in englisch zu bekommen. Aber dafür umziehen? Als Frau sitzt man hier auch nicht in einem Café und liest, allein schon gleich gar nicht. Abgesehen davon gibt es hier auf dem Land kein Café. Und Frauen treten in der Öffentlichkeit (fast) nicht in Erscheinung. Von meinem eingeschränkten Bewegungsradius hatte ich ja bereits geschrieben. Ich habe auch dafür immer noch keine wirklich gute Lösung gefunden. Somit bin ich ausschließlich in meiner Freizeit (ausgenommen die Wochenenden) im Farmhaus und sitze im Schatten vor dem Haus. Die innere Unruhe treibt mich raus aber es gibt keinen Ort, wohin ich (allein) gehen könnte. Entweder machen mit die Hitze, die zeitige Dunkelheit, regelmäßige Stromausfälle oder die fehlende Anbindung an irgendetwas einen Strich durch die Rechnung. Wie und womit soll ich mir die freie Zeit gestalten? Es gibt keine Abwechslung und keine externen Anregungen. Meine Lernaufgabe: Ich muss mich mit den veränderten Gegebenheiten irgendwie arrangieren und mich in Ruhe und Geduld üben. Dabei möchte ich mich allerdings auch wohlfühlen, also muss ein Kompromiss her.

Darüber haben Thomas und ich gestern lange diskutiert.

Wir wollen versuchen, nun zweimal pro Woche früh Yoga nach einer App zu machen und erst gegen 10:00 Uhr zur Schule zu gehen. Dazu müssen wir uns nur noch einen passenden Ort überlegen. Vor dem Farmhaus im Schatten ist es wahrscheinlich etwas unpassend, wenn um uns herum die Landwirte ihre harte Arbeit verrichten. Eine andere Überlegung ist, gemeinsam 2 x pro Woche am Nachmittag ins Dorf zu gehen und dort in einem Straßencafé zu lesen oder ggf. noch was für unser Projekt zu machen. Wenn sich dann alle an unser regelmäßiges Erscheinen gewöhnt haben, könnte ich auch mal allein auftauchen. Somit hätte ich ein klein wenig mehr Unabhängigkeit.

Im April ist noch viel Aufregendes in Planung. Es gibt kommende Woche eine Zeremonie im Dorf anlässlich der „Hochzeit der Hauptgottheit“ und dazu finden 5 Tage lang Feierlichkeiten statt. Dann stehen im Rahmen unseres Projektes Hausbesuche in den umliegenden Dörfern an, die wir teilweise begleiten werden und nicht zu vergessen…Thomas hat Geburtstag! Wie ich den gestalte, weiß ich noch nicht. Blumenstrauß und Kuchen wird es nicht geben aber viel Sonnenschein! Vielleicht spendiere ich ihm eine kühle Pepsi!

Andere Herangehensweise 6. April 2018

Gestern waren Thomas und ich an einem Punkt angekommen, an dem wir beide ernsthaft überlegt haben, ob das hier alles Sinn macht und nachhaltig sein wird. Immer mal wieder sind wir schon im Rahmen des Projektes an unsere Grenzen gekommen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die komplett andere Arbeitsweise. Vieles hat für uns den Anschein der Beliebigkeit. Es kommt, was kommt und es ist, was ist und wie es gerade ist. Eine Tätigkeit in einer bestimmten Art und Weise zu tun, damit das Ergebnis besonders gut genutzt werden kann oder damit ein gerade gekaufter Gegenstand besonders lange hält, ist nicht abgespeichert. Für das persönliche Stresslevel ist diese Herangehensweise ganz wunderbar. Stress hat hier niemand! Wirklich niemand!! Steht z. B. Farmarbeit an, kann ich halt nicht als Lehrer arbeiten und komme 3 Tage nicht zum Unterricht. Ist in meinem Dorf eine offizielle Zeremonie, bleibe ich auch zu Hause, kümmere mich um Gäste und um die Familie. Hat ein PC Fachmann gerade einen alten Computer repariert, wartet er geduldig darauf, dass dieser sich 50 Minuten lang updated. Das auch erforderliche WLAN Kabel schonmal zu verlegen, ist jetzt noch nicht dran (das ist übrigens ein aktuelles und kein Beispiel aus meinem bisherigen Arbeitsumfeld!!!). Alles schön nacheinander, parallel arbeiten geht nicht! Sehr weise, nur leider das komplette Gegenteil zu unserem Arbeitsansatz und zu unserem Arbeitsverständnis. Wir wollen und müssen uns anpassen.

Auch dass Verständnis für konkrete (komplexe) Sachverhalte ist anders ausgeprägt. Komplexität hat ein ganz anderes Ausmaß. Ich könnte z. B. nicht für 25 Personen mehrere warme Gerichte kochen und unterschiedliche Fladenbrote zubereiten. Dagegen ist es eine Herausforderung für die Lehrer, selbständig Arbeitsmittel (Papier, Schere, Locher, Kreide, Ordner) zu verwalten. Dafür gibt es Schulhelfer. Diese holen und bringen den ganzen Tag lang diese Dinge von einem Lehrer zum anderen.

Erschwerend für unser Projekt ist natürlich auch die sprachliche Verständigung. Aber das war ja vorauszusehen.

Diesen Tatsachen versuchen wir uns von Anfang an anzupassen. Wichtige Aufgaben, die von den Lehrern zu erfüllen sind, werden mehrfach und sehr kleinteilig erklärt. Es ist jedoch nicht unbedingt üblich, selbständig zu denken und Verständnisfragen zu stellen. So nicken bzw. schütteln alle Beteiligten bei gestellten Arbeitsaufgaben zustimmend den Kopf aber jeder macht dann das, was er denkt. Ein Beispiel…

Ich hatte gemeinsam mit Thomas für jede Klassenstufe eine Inventurliste in Excel für Unterrichtsmaterial angelegt. Die Struktur dafür, also die Überschriften der Spalten, hatten wir kurz mit dem „head of the teachers“ besprochen. Um die Nutzung möglichst einfach zu machen, bekam jeder Lehrer eine ausgedruckte Liste und sollte diese ausfüllen. Die Tabelle hatte ich in einer Projektrunde vorgestellt und erklärt. Sogar mit zwei Beispielen hatte ich versucht, alles deutlich darzustellen. Die Listen kamen zurück, jedoch waren das „Wunschlisten“, also was möchten wir für neues Unterrichtsmaterial haben. Um den Inhalt in der Tabelle wiederzufinden, den wir eigentlich gewollt hätten, hätten wir folgendes kommunizieren müssen:

  1. Liste zur Hand nehmen
  2. Einen Stift bereit legen
  3. Den Schrank im Klassenzimmer öffnen
  4. Erst alle Bücher zählen und in die Tabelle eintragen
  5. Dann überlegen, wo die Bücher aufbewahrt werden sollten (zentral/dezentral) und ein Kreuz in der Tabelle machen bei zentral oder dezentral
  6. Danach alle Anschauungsmaterialien zählen, die in dem Schrank sind und die Anzahl in die Liste eintragen
  7. Werden Unterrichtsmaterialien benötigt, die nicht vorhanden sind, diese auch in die Liste eintragen und vermerken, wieviel Stück davon gebraucht werden…

Gut, nun habe ich 12 Wunschlisten und werde damit auch etwas anstellen. Die Inventur wird jetzt praktischer:

  1. große Plastikkisten kaufen
  2. Datum für „Monsoonputz“ festlegen
  3. Arbeitsgruppen pro Klassenraum einteilen
  4. Alle Schränke ausräumen
  5. Nutzbares in Kisten verstauen
  6. Unbrauchbares auf dem Schulhof stapeln
  7. Liste erstellen, was wo aufbewahrt wird

Fertig!

Manche Skills sind halt weltweit einsetzbar. Internationales Projektmanagement muss jedoch in seiner Herangehensweise angepasst werden.

8. April 2018

Am Vormittag hatten wir den ersten Spatenstich im staubigen Boden hinter dem Schulgebäude gemacht und damit „unseren“ Neubau des Klassenraumes für eine 9. Klasse begonnen. Nach offiziellen Fotos und dem dazugehörenden Tempelbesuch im Dorf konnten wir dann endlich mit dem Motorrad aufbrechen. Wir wollten einen etwas längeren Ausflug machen, was bei den hiesigen Strassenverhältnissen max. 35 km für eine Richtung bedeutet.

Wir hatten auf unseren diversen kleinen Touren oder Einkaufsfahrten nach Sangola immer mal wieder unterschiedliche Motorräder. Je nachdem, wer seines gerade entbehren konnte. Man muss sich das wie bei uns mit dem Car-Sharing vorstellen, nur dass das ganze Dorf involviert ist. Es wird per Handy herumtelefoniert und abgefragt, wer sein Motorrad ab wann nicht mehr bzw. bis wann wieder benötigt. Selbstverständlich haben alle landwirtschaftlichen Aktivitäten Vorrang, d.h. erst wird der Mais zum Füttern der Kühe transportiert, das gebündelte Getreide zum Dreschen, dann müssen nach dem Melken die Milchkannen zum Dorf gefahren werden, auf dem Rückweg transportiert man dann noch kleinere Kannen mit Büffelmilch oder man fährt auf dem Markt vorbei und holt noch Obst und Gemüse.

Da das Motorrad das einzige Fahrzeug und Transportmittel (neben dem Ochsenkarren) ist, kann es eigentlich keiner wirklich entbehren. Daher ist es manchmal eine längere Herumtelefoniererei, bis man einen „Motorradtauschring“ zusammengestellt hat, um uns ein Motorrad für Ausflüge zur Verfügung stellen zu können. Wir beschäftigen also ein ganzes Dorf mit unserem Wunsch, die Umgebung zu erkunden.
Da sich alle untereinander ihre Motorräder leihen, tankt jeder Besitzer auch immer nur für einen kleine Betrag Benzin und jeder Nutzer muss für seine Fahrt dann gleich erst einmal ebenfalls nur für einen kleinen Betrag nachtanken. So ist keiner irgendwem Benzinkosten schuldig.

Das Motorrad wird im Vergleich zu anderen „Besitztümern“ verhältnismäßig gut gepflegt, nicht ganz so fanatisch wie Motorradfreaks in Deutschland ihr Schmuckstück hegen und pflegen aber immer hin schenkt man ihm auch mal Blumen…

Jedenfalls sind wir ab 10:30 Uhr unterwegs und genießen etwas kühlen Fahrtwind bei ansonsten 37°C. Die Landschaft ist sehr unterschiedlich. Mal gibt es nur weite trockene Flächen ohne Vegetation. Mal sehen wir grüne kleine Palmen- Oasen mit nur einem Haus aber auch Täler, die trotz der Hitze erstaunlich grün sind.
Wir fahren noch einmal zu dem Tempel, den wir bereits mit dem Lehrerteam der Schule besichtigt haben. Dort wollen wir etwas laufen. Die Umgebung, viele Steinbrüche, sah bereits beim ersten Besuch spannend aus.

Zur größten Mittagshitze angekommen, laufen wir noch einmal um den Tempel herum und wollen auf der anderen Seite erst einmal ein Straßencafe oder -restaurant aufsuchen. Ein Volleyballfeld ist auch davor und Musik wird gespielt…klingt doch ganz nach einem entspannten Sonntag. Als wir vor dem Gebäude stehen, erkennen wir einen überdachten Schlafsaal. Etliche junge Männer entspannen auf kleinen Holzliegen im Schatten. Nebenan ist ein großer Koch- und Essbereich, den drei Frauen gerade sauber machen. Wäsche hängt auch auf einer langen Leine. Also nix mit Straßencafé oder -restaurant. Wir gehen schnell vorbei, merken aber, dass wir „verfolgt“ werden. Einer der jungen Männer überholt uns und spricht uns in englisch an…woher wir kommen, woher wir diesen Ort kennen, was wir hier wollen… und wir erfahren, dass wir in einem Armee-Trainigscamp gelandet sind. Für 6 Monate trainieren die jungen Männer an diesem Ort, unmittelbar neben einer wunderschönen Tempeloase ihre Skills für den Kampfeinsatz. Was für ein krasser Gegensatz! Nun kommt wieder die übliche Fotoaktion, alle wollen auf’s Bild!
Das Gelände ist für Militärtrainig allerdings gut vorstellbar: Steinbrüche, weites karges Land, ein ausgetrocknetes Flussbett und in der Regenzeit ein reißendes Gewässer. Da kann viel Technik trainiert werden.

Wir verabschieden uns und machen einen kleinen Spaziergang auf der Anhöhe.

Auf dem Rückweg halten wir zum Lunch in einem Dorf. Dort ist gerade Markttag und wir kaufen frisch zubereitetes „Fastfood“. Zum Essen kehren wir in ein Strassenlokal ein und sind ganz schnell wieder Mittelpunkt aller Gespräche. Alle wollen wissen, was wir denn hier wohl machen. Plötzlich taucht der Fahrer eines unser Schulbusse auf. Wir sind in seinem Heimatort gelandet. Er erklärt allen, das wir die Schule unterstützen und die Begeisterung ist groß. Wir brauchen nix zu bezahlen, wir sind schließlich die „Gäste Indiens“ und allerherzlichst willkommen. Sofort bekommen wir Süßigkeiten, eine Flasche Wasser und ein Curry in Windeseile serviert. Ein wenig plaudern wir noch und fahren dann weiter nach Hause.

Stein oder Blech 9. April 2018

Wir hatten vor ein paar Wochen nach einem Blick auf die Investitionsliste und die neu auf der Website eingestellten Spenden für 2018/2019 beschlossen, der Schule eine Schulerweiterung mit zwei Räumen zu finanzieren. Diese werden für die neue 9. Klasse ab 01.06.18 benötigt. Laut dem Headmaster (und gleichzeitigem Finanzchef) sollten die Kosten pro Raum ca. 800 € betragen. Nachdem wir gemeinsam mit Baba mehrere Anbauvarianten diskutiert hatten, blieb eine Variante als besonders geeignet aber auch finanziell etwas intensiver übrig. Gemeinsam legten wir ein Gesamtbudget von 2300 € fest. Von diesem Geld sollten zwei Räume (mit je drei Steinwänden und Blechdach) entstehen. Für Sonntag, den 08.04. war die Grundsteinlegung geplant.

Am Freitag war noch einmal oder überhaupt erst einmal der Architekt vor Ort und erklärte uns, dass für diesen Geldbetrag nur Steinwände ohne Zementputz und stabilisierende Zwischenpfeiler möglich seien. Wir stimmten zu. Weitere Diskussionen unter den Einheimischen und Schulverantwortlichen schlossen sich an, wir waren jedoch nicht mehr involviert.

Im Rahmen unseres Regelmeetings mit den Lehrern am Samstag mit fester Tagesordnung wurden vom Schulmanagement die nächsten Investitionen vorgestellt. So erfuhren wir, dass die zwei neuen Schulräume Blechbaracken sein würden und als Anbau an das bestehende Schulgebäude realisiert werden würden. Uns blieb die Luft weg aber wir konnten vor dem versammelten Lehrerteam noch an uns halten. Wir signalisierten sofort dringenden Gesprächsbedarf nach unserem Meeting mit den vier Hauptverantwortlichen. Was war passiert?

Um das finanzielle Budget zu halten, sollten statt massiver Ziegelsteinwände nur Wellblechwände als „Erweiterungsbau“ angeschraubt werden. Diese Konstruktion hätte nicht nur miserabel ausgeschaut, sie wäre aufgrund der enormen Hitze eine Zumutung für die Schüler. Dieses Problem wäre jedoch erst nach der Regenzeit „bemerkt“ worden. Von Schallschutz ganz zu schweigen . Ein Anbau, der für die Schule langfristig vollkommen unbrauchbar sein würde. Perspektivische Überlegungen haben jedoch nur sehr selten Einfluss auf aktuelle Entscheidungen. Treten Probleme auf, werden sie pragmatisch gelöst, unabhängig langfristiger Auswirkungen. Somit hat man häufig zwar ein Thema eigentlich schon „geklärt“, es kommt jedoch auf Umwegen oft mehrmals zurück und muss erneut bearbeitet werden. Nervig aber praktischer Alltag!

Nun kann man sich darüber echauffieren, wie dreist doch die Inder sind und dass sie Fremde ja nur verarsch…verärgern. Völlig falsche Argumentation! Niemand wollte uns linken, beschummeln oder austricksen. Man hat genau das gemacht, was wir vorgegeben hatten. Schließlich wollten wir ja zwei Räume haben und wenn das Budget nicht reicht, passt man den Bau halt an und das Ergebnis stimmt dann wieder.

In ständigem Austausch zu sein, über kritische Themen zu kommunizieren, Inhalte oder Details nachzufragen, sich abzustimmen, Schwierigkeiten offen anzusprechen, das alles liegt nicht in der Natur indischer Menschen. Man erfährt nie konkret, was eine Person tatsächlich zu einem Thema denkt oder welche Meinung diese Person zu einem Thema hat. Man muss seinen Gesprächspartner genauestens beobachten, um kleine Reaktionen zu erkennen. Dann muss man noch in der Lage sein, diese richtig zu interpretieren.

Nach langen und teilweise auch heftigen Diskussionen, immerhin geht es um Geld, einigten wir uns auf den Bau eines neuen Klassenraumes mit Ziegelsteinwänden. Wir erfragten nun auch noch, ob der Raum denn auch Fenster, eine Tür und Elektrikanschlüsse hätte… nur zur Sicherheit, um den Qualitätsstandard sicherzustellen. Alles wurde mit Kopfschütteln bestätigt. Erleichterung! Der Raum wird ausschauen, wie alle anderen Räume der Schule auch. Gut, wir waren zufrieden.

Wir machten in der Diskussion um den Erweiterungsanbau auch unmissverständlich klar, dass dieser Umgang mit Spenden auf keinen Fall akzeptabel ist. Spender brauchen Vertrauen in eine korrekte Anwendung ihrer Finanzen. Abweichungen sind umgehend zu kommunizieren und Veränderungen klar darzustellen. Doch auch hier, ist keine „böse Absicht“ zu vermuten. Es ist schlichtweg bisher nicht erforderlich gewesen, Kostenvoranschläge für umfangreichere Investitionen einzuholen und den Blick von Spendern zu berücksichtigen. Gegenseitiges Verständnis und umfangreiche Lernprozesse aufgrund internationaler Vernetzung haben wir nun angeschoben. Beide Seiten (Spendengeber und Spendenempfänger) müssen voneinander wissen und die Hintergründe für das jeweilige Anderssein versuchen zu ergründen und zu verstehen.

Wir bleiben dran!!

Als positiven Abschluss aller Diskussion gab es nun doch am Sonntag den ersten Spatenstich mit Segnung der Werkzeuge und der üblichen Kokosnusszeremonie.

Wir wünschen uns sehr, dass wir tatsächlich noch bevor wir die Heimreise wieder antreten “unseren” neuen Klassenraum bewundern können. Baubeginn ist 01.05. und geplante Fertigstellung 31.05. Am 01. Juni beginnt der Unterricht für die 9. Klasse. Wir sind sehr gespannt. Manchmal geschehen doch kleine Wunder!

10. April 2018

Am Sonntag, 08.04. wurde am Nachmittag die Tempelfestwoche anlässlich der „Hochzeit der Tempelgottheit“ eröffnet. Alle feierfreudigen Anwohner, auch aus den umgebenden Dörfern, kommen dann zum Tempelplatz in Alegaon. Der Tempel wurde für diese Festwoche extra mit Lichterketten geschmückt und außen komplett und sehr farbenfroh renoviert.

Eigentlich sollte auch bereits eine Solaranlage auf dem Tempelgebäude installiert sein. Thomas hatte das Kostenangebot dafür inhaltlich geprüft. Doch leider konnte die Fertigstellung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht bis zu dem konkreten Datum sichergestellt werden.

Die Tempelfestwoche ist täglich mit einem Kulturprogramm flankiert, beginnend mit Livemusik, traditionellen Tänzen, sportlichen Zweimannkämpfen, traditionellen Gesängen und einem Feuerwerk zum krönenden Abschluss.

Die Finanzierung stellt der Dorfvorsteher (Serpanch) dadurch sicher, dass er von Tür zu Tür geht und jede Familie um eine kleine Spende bittet. Wird man persönlich von einer Respektsperson aufgesucht und angesprochen, fällt es schwerer, nein zu sagen oder einen Finanzbeitrag zu verweigern. Clever! Auch die individuellen Segnungen im Tempel werden oft durch die Gläubigen mit kleinen finanziellen Beiträgen entlohnt. Somit leisten sich alle genau das, was sie sich als Gemeinschaft für diese Festwoche leisten wollen und leisten können!

Wir treffen uns 17 Uhr in einem großen historischen Anwesen der Familie Babar, welches jedoch nur noch aus wenigen alten ehrwürdigen Grundmauern besteht und sich unweit des Tempels befindet. Dort müssen sich Frauen und Männer strikt getrennt voneinander aufhalten. Ohne große Vorankündigung finde ich mich in einer Gruppe von mindestens 30 Frauen mit ihren Kindern wieder, die mich umringen, mich anfassen, auf mich einreden, mich hierhin und dorthin schieben. Ich „rette“ mich in eine Ecke an eine Mauerwand und sinke in den Schneidersitz! Schlagartig ist Ruhe und alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich sage mit meinem einzigen Satz in Hindi, wie ich heiße und füge in englisch hinzu, dass ich nur englisch spreche. Damit war alles gesagt. Ein Getuschel und Gemurmel beginnt, mein Name wird unzählige Male wiederholt, ältere Damen blicken starr und misstrauisch auf mich herab, junge Frauen schütteln zustimmend (wozu auch immer) ihre Köpfe und die kleinen Kinder kommen neugierig herangekrabbelt. Es ist so eng, dass nur noch eine schmale Gasse vor meinen Füßen frei ist. Es ist heiss und stickig, die Luft wird knapp, es weht kein einziger Luftzug. Bin klatsch nass und bekomme auch meine verschwitzen Hände gar nicht mehr an meinen Sachen trockengerieben, so dass ich mir auch nicht mehr das Gesicht wischen kann. Schweiß läuft mir die Stirn runter. Mir ist übel und ich habe Angst umzukippen. Wobei das geht nicht mehr, ich sitze ja schon. Mir wird ganz schummrig. Trinkwasser habe ich leider keins. Na ja, wird schon! Durchhalten!

Immer mal wieder bringen einzelne Männer riesige Lebensmittelpakete, auf dem Kopf tragend, herangeschleppt und bahnen sich auch noch ihren Weg durch die schmale Gasse vor meinen Füßen. Die sitzenden Frauen springen auf und weisen Ihnen den Weg zur „Food-Ablage“ auf einer großen Fussbodenmatte. Dadurch kommt etwas Bewegung in die Menschenmasse. Eine junge Inderin nimmt dann neben mit Platz, tippt etwas in ihr Handy und frag dann…“married?“ Dank „Google translator“ beginnen nun Ein- und Zweiwortfragesätze und mit meinen gestikulierten Antworten steigt die Zufriedenheit der anwesenden Frauen. Nun wissen sie alles, was für sie wichtig ist!

Nach einer anstrengenden Stunde des Wartens im Schneidersitz (nach 10 Minuten tun mir alle Knochen weh aber die Beine auszustrecken, ist einfach nicht möglich) wird das Zeichen zum Aufbruch zum Tempel gegeben. Allerdings dürfen nur die Männer zum Tempel laufen. Die Frauen des Dorfes bleiben zurück.

Aus 4 unterschiedlichen Richtungen im Dorf kommend, treffen die männlichen Nachkommen der Babar- Familie aufeinander und strömen gemeinsam in einem Zug zum Ortszentrum. Alle bringen Massen an Lebensmitteln auf großen Metalltablets mit. Als eine riesige Schlange von Gläubigen walzen sie auf den Tempel zu. Und ich als einzige Frau mittendrin. Ich habe von Baba eine „Sondergenehmigung“ erhalten. Auf die hätte ich jedoch liebend gern verzichtet. Ich habe mich nie unwohler gefühlt! Als kleine Unterstützung hatte ich die junge Inderin an meine Seite gestellt bekommen, die sich jedoch nicht weniger unwohl fühlte. Sie versuchte immer mal wieder per Handy und Google translator eine Frage an mich zu stellen. In dem übermächtigen männlichen Stimmengewirr, verbunden mit monotonen Gebetsausrufen, gingen diese jedoch unter. Wir wurden schrittweise vorwärts geschoben.

Am Tempelplatz angekommen, standen dort zu meinem großen Erstaunen bereits an den Seiteneingängen alle Frauen des Dorfes wunderschön but gekleidet. Sie warten darauf, nach den Männern in den Tempel eintreten zu dürfen. Ich war total verärgert! Warum musste ich mit all den Männern mitgehen und durfte nicht auch bis zur letzten Konsequenz den Frauen folgen? Es sollte wohl eine besondere Ehrerweisung sein, die ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht annehmen konnte. Einfach unlogisch alles!

Thomas war schon mit zahlreichen anderen Männern und Baba im Tempelinneren verschwunden und ich stand nun unter 100 Frauen und noch viel mehr Kindern mitten auf dem Tempelplatz und wartete, was weiter geschehen würde. Eine Schülerin unserer Schule hatte mich gesehen und bahnte sich den Weg zu mir. Nun hatte ich wenigstens mal wieder die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Es begann eine „Hochzeitsansprache“ im Tempelinneren, die durch Lautsprecher nach draußen übertragen wurde. 5 Mal ertönten gesungene Gebetsausrufe, zu denen durch die draussen stehenden Gläubigen pinkfarbener Reis auf alle Anwesenden geworfen wurde. Pink ist die Farbe der Gottheit und es ist ihre Hochzeit, die gefeiert wird, daher auch der pinkfarbene Reis.

Es wurde langsam dunkel. Thomas kam auch sichtlich erschöpft aus dem Tempelinneren. Dort, erzählte er kurz, war es unerträglich voll, stickig und auch er hatte kurzzeitig das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen und umzufallen. Er teilte mir nur noch kurz mit „wir treffen uns nachher alle im Haus von Anna“, und schon war er wieder verschwunden bzw. weitergezogen mit allen Männern zu einem kleineren Tempel ca. 10 Gehminuten vom Dorfzentrum entfernt.

Eine unserer Schulhelferinnen, Shitel, nahm sich meiner an. Sie ist aus der Kaste der Brahmanen und darf Aufgaben einer Priesterin übernehmen. Sie schleuste mich, vorbei an der langen Warteschlange der Frauen, schnell ins Tempelinnere, schob und drängte mich vor den heiligen Schrein. Gemeinsam knieten wir vor der Gottheit nieder und ich bekam von ihr die „pinkfarbene Segnung“. Ebenso schnell bugsierte sie mich auch wieder ins Freie. Luft! Durchatmen! Shitel begleitete mich noch zum Haus von Anna und übergab mich dort an die Familie. Völlig erschöpft sass ich auch dort wieder im Schneidersitz und wartete auf Thomas. Er kam mit Baba nach ca. 20 Minuten und gemeinsam schlenderten wir endlich zurück zu unserem Farmhaus.

Was für ein Tag!

Impressionen 10. April 2018

Kornernte beim Nachbarn!

Tatja drischt Korn und Shria säubert es dann.

Danach wird Mais auf dem Ochsenkarren in 100kg Säcken zum Lager gebracht. Die Kids dürfen auf dem Rückweg mitfahren.

Der Tierarzt kommt. 6 Kühe sind krank. Aber es gibt auch Nachwuchs.

Hausaufgaben mit den Kids.

Der Elektriker kommt. Endlich! Er hat uns mehrfach versetzt.

Das WLAN-Kabel wird verlegt.

Die Technik muss gekühlt werden. Ab 35°C Außentemperatur läuft sie heiss und schaltet ab.

Mittagspause!

Ein pünktlich startender Schulbuss.

Mangal und Shria machen Nudeln.

Wir kaufen einen Schreibtischstuhl. Der alte war für unsere Gewichtsklasse nicht ausgelegt und brach zusammen. Transport des gesamten Stuhles mit dem Motorrad, 35 Minuten Fahrzeit.

Homevisits 12. April 2018

Gestern und heute haben nun endlich die ersten Homevisits stattgefunden. Wir hätten natürlich gern etwas mehr deutsche Vorbereitung in das Ganze hineingebracht, doch zum Schluss lief es einfach mit solidem indischen Chaos. Allerdings hatten wir damit weniger Arbeit und mehr Spaß – vermutlich natürlich auch weniger Ergebnis – aber wie soll man das nun bewerten?
Die Homevisits im April dienen eigentlich dazu, potentielle neue Studenten zu finden, indem man über die Dörfer fährt und schaut, was sich da so im letzten Jahr ereignet hat. Also starten wir am Morgen nach unserer Sprachnachhilfestunde, die wir regelmäßig jeden Tag für die Lehrer eingeführt haben, zu einem wilden Ausflug aufs Land.
Sonja und ich hätten vermutlich die Lehrer in Zweiergruppen eingeteilt, vermutlich jeweils ein Mann und eine Frau, damit man auch alle Familienmitglieder ansprechen kann, so wälzt sich hier aber ein Pulk von mindestens 6 Lehrern in jeden Haushalt. Wir bleiben mitten in der Pampa bei einzelnen Farmhäusern stehen und versuchen herauszubekommen, ob es Kinder im Schulalter gibt, deren Eltern bereit sind, sie auf eine englischsprachige Schule zu schicken.
Dabei wird regelmäßig auch nach einem gewissen materiellen Wohlstand geschaut. Ganz armselige Hütten werden ausgelassen, da sich die Eltern noch nichtmal die tägliche Busfahrt zur Schule leisten könnten selbst wenn irgend jemand (Spender, der Staat, die Schule) für das Schulgeld aufkommt (6000 Rupien für das Schulgeld und 500 im Monat für den Bus, Umrechnungskurs 80). Es ist schon bitter, zu erkennen, das unser kleines armseliges Hüttchen hier für die Umgebung schon einen gewissen materiellen Wohlstand darstellt. Es geht immer noch viel weiter nach unten.
Durch die Homevisits kommen wir mit Unterstützung unserer lokalen Begleiter in Dörfer hinein, in die wir uns ansonsten nicht hineintrauen würden. Insgesamt fühlt man sich aber schon so, wie eine Drückerkolonne, die auf dem Land Abos für die „TAZ“ im Doppelpack verscherbeln möchte. Wir treffen sozusagen nicht auf ungeteilte Begeisterung.

In einigen Haushalten werden wir jedoch freundlich aufgenommen, am Ende des Tages habe ich dreimal Tee und vier Zitronenwasser und vermutlich nun doch meinen ersten Magenkollaps durch haufenweise ungefiltertes Wasser vom Land erhalten.
Es ist daher verwunderlich, dass wir am Ende trotzdem mit 20 potentiellen Studenten wieder zu Hause ankommen. Wir drücken die Daumen, das davon tatsächlich auch einige zu uns kommen.

Tempelfest und kurze Röcke 13. April 2018

Langsam steuert das Fest auf seinen unausweichlichen Höhepunkt zu. Wie so oft in den letzten Wochen lassen wir uns treiben und sehen mal was passiert. Baba hat Tatja abgestellt, um am Abend noch einmal mit uns zu den Feierlichkeiten zu gehen. Über dunkle Felder geht es den dumpfen Trommeln entgegen, die wir schon die ganze Zeit gehört haben.
Der Tempel in Rummelbeleuchtung, blinkend und bunt, davor die lokale Trommelgruppe, die sich in den Trance trommelt.

Der selbe Rhythmus über ewige Zeit, die Trommelgruppe immer ein paar Schritte vor und wieder zurück, am Ende der Gruppe ein langer Läufer an dessen Ende ein Priester unbeweglich mit einer Öllampe in der Hand steht. Die Gläubigen werfen sich vor ihm auf den Boden. Der ganze Tross mit Gläubigen, Öllichthaltern und Trommeln bewegt sich in einer kaum wahrnehmbaren Geschwindigkeit weiter. Irgendwann im Verlauf der nächsten Vier Stunden wird er den Tempel einmal umrundet haben.

Währenddessen geht 100 m weiter auf einem Platz das Kulturprogramm los. Vollkommen unerwartet sehr professionell Bollywood – Tanz mit teilweise sehr spärlicher Bekleidung. Das Publikum ca. 1000 Männer und Sonni. Da es dunkel ist, kann bei Sonni diesmal nicht so eine Panik aufkommen. Außerdem steht die halbe Babar Familie bereit, bei eventuellen Problemen einzugreifen. Was sehr auffällt ist, dass trotz sichtbarer Begeisterung insbesondere bei sehr spärlicher Bekleidung verbunden mit viel Hüfteinsatz keinerlei Beifallsbekundungen wie Klatschen oder Rufen zu hören sind. Zwischen den Stücken ist es totenstill. Sehr gewöhnungsbedürftig.

Die Songs aber sehr schön – letztendlich jedoch so, wie man es von den Bollywoodfilmen erwartet. Im Hintergrund eine stimmgewaltige Matrone, die phantastisch singt, im Vordergrund die junge halbbekleidete hüftwackelnde Tänzerin, die die Lippen mitbewegt und so tut als ob sie singt.

Mit Rücksicht auf unseren Betreuer Tatja gehen wir aber um zwölf nach Hause, da wir ja wissen, dass er immer schon um Fünf aufsteht, um die Kühe zu versorgen.

15. April 2018

Zum Tempelfest haben wir Rupali, eine ehemalige Lehrerin der Schule getroffen. Baba war gar nicht froh, sie zu sehen. Sie hätte nur Stress gemacht und sich mit den Lehrern gestritten.

Rupali erzählt uns, dass sie gern an „unsere“ Schule zurückkommen wollen würde, da sie das Arbeiten vermisst. Ich berichte ihr dann auch gleich, dass wir eigentlich dringend Lehrer suchen. Eine Lehrerin ist schwanger und wurde von uns während der homevisits „verabschiedet“. Sie beginnt das neue Schuljahr im Juni nicht mehr. Auch Sarita wird zeitnah als Lehrerin aufhören. Sie wird heiraten.  Wir waren ja bei einer der Brautschauen bei ihr mit dabei – noch gibt es zwar keinen Bräutigam – aber in zwei Monaten soll Hochzeit sein. Das ist wohl das einzige Thema, wo in Indien ein Zeitplan eingehalten wird.

Als wir Sagar gegenüber die „Neueinstellung“ von Rupali ansprachen, hat er uns einige Hintergrundinformationen gegeben, die für sich genommen schon wieder vollkommen irrwitzig sind.

Lehrer an staatlichen Schulen bekommen sehr viel mehr Geld als die Lehrer an privaten Schulen .

(normales Gehalt an privaten Schulen – 5.000 Rupien/Monat
Gehalt an staatlichen Schulen – ca. 30.000 Rupien/Monat)

Deshalb stellt der indische Staat inzwischen laut den Aussagen, die wir hier erhalten auch im keine Lehrer mehr ein. Außer man hilft halt mit Bestechung nach.

Rupali hat nun nach der Hochzeit ihren Mann überzeugt, sein gesamtes Land zu verkaufen, um das Bestechungsgeld für den staatlichen Job in Höhe von 1.500.000 Rupien zusammenzubekommen. Das hat auch geklappt. Leider ist sie mit ihrer sehr direkten Art auch an dieser Schule nicht sehr gut angekommen und wurde kurz darauf wieder entlassen. Geld weg und Land weg! Seither leben die beiden getrennt. Mann auch weg!

Was für irrwitzige Schicksale dieses Dorf bereithält.

Finale 15. April 2018

Am Freitag, 13.04. fand nun die finale Veranstaltung der Tempelfestwoche statt. Wir hatten also ein langes schulfreies Wochenende. In allen Familien des Dorfes waren Gäste angereist und somit fanden überall große Familientreffen statt. Auch in unserer Gastfamilie reisten diverse Cousinen, Tanten und Onkel sowie Neffen mit unterschiedlicher Anzahl an Kindern an. Die Familie war jedoch auf zwei Standorte aufgeteilt, zum einen unser Farmhaus und zum anderen Annas Haus im Dorfzentrum. Insgesamt waren wir über das gesamte Wochenende verteilt 25 bis 30 Personen, die immer zwischen diesen beiden Standorten hin und her wechselten. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie bei uns in Deutschland die privaten Vorbereitungen für solch ein Familientreffen aussehen würden, angefangen mit der exakten Planung der Ankunftszeit der Gäste, die Prüfung der Übernachtungsmöglichkeiten, gefolgt von einer Essens- und Menüabfolge sowie einer Getränkeeinkaufsliste und nicht zu vergessen diverser Dekorationen, um auch ja nichts zu vergessen. Tage im Voraus wären wir mit der Eventplanung beschäftigt und ungeniessbar für unser soziales Umfeld.

Hier lief dagegen alles sehr unspektakulär und völlig stressfrei ab. Ein Teil der Gäste reiste ohnehin kurzfristig nicht an, ein anderer Teil kam erst zur Hauptzeremonie 22 Uhr, ein weiterer Teil der Gäste reiste erst einen Tag später und auch nicht wie erwartet 14 Uhr sondern erst 17 Uhr. Egal! Es ist, wie es ist und wer da ist, ist da. Kein Klagen und Jammern!

Große Vorräte anzuschaffen, ist ohnehin nicht möglich, da es ja keinen Kühlschrank gibt, bzw. der vorhandene wegen regelmäßiger Stromausfälle nicht kühlt. Das Standardgetränk- Wasser- wird einmal am Tag in ein großes gemauertes Auffangbecken gepumpt und von dort direkt weiter verwendet. Nur wir bekommen 20 Liter gefiltertes Wasser aller zwei Tage geliefert. Andere Getränke wie z. B. Wein oder Bier gibt es nicht. Nur heimlich brauchen einige Familien im Dorf Alkohol, der „unter der Hand“ verkauft wird. Softdrinks sind jedoch im „Dorfladen“ erhältlich.

Kurz vor der Ankunft der Gäste muss noch schnell die Terrasse von 1 Tonne getrocknetem Mais freigeschaufelt werden. Selbstverständlich helfen wir.

Danach ist duschen und ankleiden angesagt. Shria wickelt mich in den Sari, zupft, faltet und steckt zwei drei Sicherheitsnadeln irgendwo fest. Ich hoffe nur inständig, dass diese Wickelei nicht aufgeht. Wobei das eher unwahrscheinlich ist, da der Unterrock so fest gezogen wird damit man die 10 Meter Stoffbahnen darin festklemmen kann, dass mir schon fast wieder schlecht wird und das Band im europäischen Schmerbauch einschneidet. Die extra für diesen Anlass gekauften „Goldohrringe“ darf ich nicht tragen, da sie nicht aus echtem Gold sind. Ich bekomme Shrias echten Schmuck, der mich als verheiratete Frau charakterisiert. Es wir hier noch eine Brosche festgesteckt und dort noch ein „Faltenhalter“ festgeklemmt, nun ist meine Ankleidedame zufrieden. Ich fühle mich allerdings wie ein kitschiger Weihnachtsbaum. Thomas findet mich aber toll. Also gehe ich mal davon aus, dass es nicht wirklich so schlimm ist.

Alle sind angezogen und wir machen ein „Familienfoto“.

Wie kommt man nun in dieser Robe zum Fest ins Dorf? Na logisch, mit dem Motorrad. Zum ersten Mal muss ich mich seitlich sitzend, fahren lassen. Das geht jedoch nur im Schritttempo, da das Gleichgewicht nicht mitspielt. Der Schwerpunkt ist ein anderer und so hat Thomas Mühe mit dem Fahren und ich mit dem Festhalten aufgrund der holprigen Feldwege. Was wir uns aber auch immer so anstellen müssen, es geht doch auch anders…

Aufgrund meiner letzten Erfahrungen mit den religiöse Feierlichkeiten im Dorf haben Thomas und ich verabredet, dass wir uns auf keinen Fall separieren lassen. Wir gehen also gemeinsam mit einem Teil der Familie auf den Tempelplatz. Dort feiern Menschenmassen ekstatisch nach Trommelrhythmen, die Lautstärke ist gigantisch. Die Gottesfigur ist von etlichen Fakelträgern umgeben, wird mit pinken Farbpulverbeuteln beworfen und dadurch geehrt. Der Tempelplatz siehe noch Tage danach verheerend aus.

Die Massen drängen zu der Gottesfigur und wir mittendrin. Alle wollen vor ihr beten und ebenfalls gesegnet werden. Ich bekomme Platzangst in diesen drückenden, schiebenden Menschenmassen. Thomas bringt mich raus und zurück zu Annas Haus. Dann lieber stundenlang auf die Dinge warten, die geschehen sollen. Auch eine Herausforderung aber machbar.

16. April 2018

Wir haben einen regelmäßigen Rhythmus für Sport gefunden. Aufgrund der Temperaturen ist große Anstrengung ja nicht möglich. Also joggen fällt definitiv aus, obwohl ich Laufschuhe dabei habe.

Mindestens zweimal die Woche machen wir uns am Nachmittag auf zu „unserem Fitnessstudio“.

Der Mitgliedsbeitrag hierfür ist sehr erschwinglich, Equipment muss teilweise mitgebracht werden, das Kursangebot ist begrenzt aber nette Mitsportler sind garantiert.

Ab und an treffen wir auch einige junge Männer, die eine Ausbildung bei der Polizei machen und auf dem Gelände der Schule ebenfalls sportlich aktiv sind. Die Sportgeräte (z. B. Kugelstoßen) werden in einem extra Schuppen verstaut.

Gott sei Dank hatten wir vor unserer Reise eine gute sportliche Vorbereitung und Anleitung durch Manfred. Entsprechend unseres aktuellen Trainingszustandes hat er uns für die Reise unterschiedliche Terrabänder geschenkt, die nun regelmäßig zum Einsatz kommen. Eine Trainingsmatte haben wir unterdessen auch angeschafft, Trinkflaschen sind ein tägliches Muss und daher ausreichend vorhanden, das Garmin-Multifunktionsmessgerät klemmt ohnehin am Handgelenk und schon ist die Ausrüstung perfekt. Es kann los gehen!

Wir beginnen, wie durch Manfred gelernt, mit leichten Aufwärmübungen. Das klingt angesichts der Temperaturen irgendwie komisch. Da wir jedoch viel sitzen, oft Motorrad fahren und nur wenig zu Fuß unterwegs sind, ist das warming up allerdings notwendig. Dann üben wir 15 Minuten mit den Bändern und es folgen 15 Minuten Dehnung oder ansatzweise Yoga.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass hier jeder fit ist in Yoga und dass es Unterrichtsstunden dafür gibt. Lediglich die morgendliche Zeremonie zum Schulbeginn beinhaltet eine Yogaübung (Mantra und Gebet zur Fokussierung auf den Tag). Also krame ich meine etwas eingestaubten Yogakenntnisse wieder hervor und probiere die eine oder andere Übung aus.

Obwohl die Schule etwas abseits liegt, wird unser regelmäßiges Erscheinen nach den Unterrichtszeiten von den Farmern wahrgenommen und mit neugierigen Blicken registrieren sie unsere sportlichen Aktivitäten.

Nicht nur wir Europäer haben Sport dringend nötig. Indien ist weltweit an erster Stelle in Bezug auf Diabeteserkrankungen. Die gesunde, abwechslungsreiche einheimische Küche wird auch hier zunehmend von Fastfood, Chips und Softdrinks abgelöst. Die Menschen nehmen zu, da nur noch wenige traditionelle Familien täglich hart in der Landwirtschaft arbeiten. Das Bewusstsein für Bewegung und Sport muss daher hier erst geschaffen und Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Ernährung und Bewegung erklärt werden. Fitnessstudios existieren nur in großen Städten. Auf dem Land trainieren junge Männer in privaten Garagen oder Schuppen mit ausrangierten Metallstangen und gefüllten Wasserkanistern. Klimmzüge erfolgen an der herabhängenden Dachstahlkonstruktion. Verletzungsgefahr hoch!

Gehen wir auf unseren Wochenendausflügen im Landesinneren spazieren oder wollen wir zu Fuß auch nur kurze Entfernungen zurücklegen, werden wir verständnislos angeschaut. Für „unsere Kaste“ ist es nicht üblich so „einfach“ unterwegs zu sein und auf Komfort zu verzichten. Wir müssen unser Vorhaben immer „rechtfertigen“ und verweisen auf unsere wenige Bewegung und das gute Essen hier vor Ort. Unterdessen ist aber angekommen, dass sich die Fremden immer irgendwie bewegen müssen. Vielleicht ermuntere ich ein paar Mädchen, sich mir am Nachmittag anzuschließen. Aber dann wäre es schon wieder ein „Projekt zur gesunden Lebensführung“ und keine Freizeit für mich, also erstmal Abstand davon nehmen und weiter für mich entspannt üben und tief ein und aus atmen.

18. April 2018

Für das kommende Schuljahr werden die Schülerzahlen an der Englisch Medium School in Alegaon ansteigen. Zum einen wird die Schule um eine 9. Klasse erweitert und zum anderen kommen neue Vorschulkinder dazu. Das ist der große Wettbewerbsvorteil „unserer Schule“. Sie bietet Vorschulunterricht an. Daher brauchen wir dringend Lehrer und Erzieher, die man natürlich nur sehr schwer für den ländlichen Raum findet. Die Problematik des Fachkräftemangels bzw. weniger beliebter ländlicher Standorte gibt es also nicht nur in Deutschland.

Daher waren wir gestern in Sangola, wo zwei Colleges Lehrer und Erzieher ausbilden. Dort haben wir mit den jeweiligen Schulleitern gesprochen, um Werbung für unsere Schule zu machen. Wir wurden sehr offen und herzlich empfangen. Für heute war dann auch gleich ein Präsentationstermin in einem Frauencollege vor 20 Studienabgängerinnen geplant.

Einige von ihnen können wir hoffentlich dafür gewinnen, Aufbauarbeit in der Bildung auf dem Land zu leisten. Allerdings ist die Bezahlung der Fachkräfte nur sehr gering, da unsere Schule eine NGO ist und keinerlei Finanzierung vom Staat bekommt. Das Schulgeld pro Schüler ist so gering kalkuliert damit sich die Landbevölkerung die Bildung ihrer Kinder überhaupt erst einmal leisten kann. Und trotzdem gibt es jede Menge ausstehende Schulgelder.

Wir gehen davon aus, dass die Bereitschaft der Studienabgängerinnen auf dem Land zu unterrichten eher minimal ist. Trotzdem wollten wir noch vor den in wenigen Tagen beginnenden Schulferien die NGO vorstellen und Interesse für unsere Arbeit wecken.

12 von 20 angekündigten interessierte Studentinnen lauschten heute Mittag unseren Ausführungen zur Schule. Es gab nur einen Haken an der Veranstaltung. Es waren nicht die Studienabgängerinnen (Master of Education) anwesend sondern Studentinnen, die erst in einem Jahr ihren Abschluss als Lehrerin machen. Also keine potentiellen Lehrerkandidaten für das neue Schuljahr 2018/2019, was am 1. Juni mit zwei Wochen Vorbereitung beginnt. Diese Tatsache erfahren wir jedoch erst nach der offiziellen Begrüßung und Segnung.

Wir waren enttäuscht! Auch verärgert! Genervt! Hatten wir uns doch sehr spontan auf den Termin eingelassen, um wenigstens eine kleine Chance auf Erfolg zu haben.

Erneut fragen wir uns, weshalb kommt hier in Indien immer alles anders, als verabredet wurde? Sind es wirklich die Sprachbarrieren? Wir hatten eigentlich im gestrigen Vorgespräch einen Übersetzer dabei, einen Lehrer der Schule. Nichts scheint wirklich wichtig oder dringend zu sein. Unser Verständnis von Dringlichkeit ist ohnehin völlig unvorstellbar für Einheimische. Wieso machen die Deutschen nur so einen Druck wegen neuer Lehrer? Ist doch noch Zeit bis zum 1.6.! Einarbeitung? Hä, wie bitte?

Kritisch müssen wir sagen, dass wir viel zu schnell denken und sofort Lösungen anbieten. Auch im Handeln sind wir viel zu schnell und dadurch manchmal unpassend in der aktuellen Situation.

Ein Beispiel: Thomas hat den Schulleiter gebeten, seine regelmäßigen Arbeitsaufgaben in Abgrenzung zu seinen beiden Kollegen mal aufzuschreiben. Da der Kollege schon 8 Jahre in der NGO arbeitet, ist Thomas davon ausgegangen, dass die unmittelbare Aufforderung auch sofort umgesetzt wird. Es kam jedoch keine Reaktion und eine Handlung schon gar nicht. Schweigen! Thomas wiederholte die gerade gestellte Aufgabe. Weiterhin Schweigen und umherschauen. Aufforderndes Anschauen brachte dann die Aussage „Ich denke nach!“ Sofort sind wir angesprungen und haben die aus unserer Sicht notwendigen Arbeitsaufgaben benannt und von dem Schulleiter aufschreiben lassen. Es kommt dann auch kein „… Moment mal, ich mache auch noch…“ oder „…nein, diese Aufgabe übernimmt bisher…“ Und wir wundern uns später, warum Arbeitsaufgaben fehlen oder die Zuordnung nicht stimmt.

Erkenntnis: Wir müssen beide noch viel ruhiger werden und uns und anderen Zeit lassen.

Ein ganz normaler Tag 19. April 2018

Heute waren 41 °C und wir haben die Hitze gut überstanden. Da unsere zweite Projektphase begonnen hat, steht der Aufbau eines Ablage- und Aufbewahrungssystems für Unterrichtsmaterialien, Bücher etc. an. Dafür waren wir heute zwei Stunden in Sangola shoppen. Mit Prashant, einem unserer Vorschullehrer, sind wir im Schulbus in die Stadt gefahren. Für große rote Plastikboxen haben wir uns bzw. haben sich die Lehrer entschieden, da zum einen kein Geld für die üblichen Metallschränke bereitgestellt werden kann. Zum anderen muss das System flexibel und einfach zu nutzen sein. Die Boxen können zwischen den Klassenräumen hin und her getragen werden, so dass die wenigen Unterrichtsmittel und Lehrmaterialien von möglichst vielen genutzt werden können. Auch der enorme Staub kann relativ einfach abgewischt werden und die Boxen sind prima stapelbar.

Mal sehen, ob die Praxis tatsächlich eine gute Nutzung ergibt. Am Samstag, den ersten Ferientag für die Schüler, starten wir dann mit allen Lehrern das große Aufräumen und Sortieren. Da bin ich ja in meinem Element.

Auf unserer Shoppingtour haben wir auch gleich noch Desinfektionsmittel und Schrubber für die Toiletten eingekauft. Dringend nötig! Nun muss ich morgen nur noch dem Reinigungspersonal klar machen, was das nun wieder soll und wie das alles zum Einsatz kommen soll. Die Begeisterung sehe ich bereits vor mir.

Unterdessen bewegen wir uns in der Stadt auch sehr viel sicherer, trauen uns in Geschäfte, fragen auf dem Markt nach Obst und Gemüse und haben sogar schon einen „Händler unseres Vertrauens“. Gehen Passanten an uns vorbei hören wir oft nur zwei Worte aus dem Wortschwall heraus „Germany“ und „Alegaon“. Es hat sich also herumgesprochen, wer wir sind und was wir machen.

Beim Einkauf von Getränken in einem kleinen Laden an der Haupteinkaufsstraße, sprach uns der Besitzer an. Er freue sich, dass wir bei ihm einkaufen. Sein Sohn habe ihm gestern bereits berichtet, dass wir vor zwei Tagen an seiner Schule gewesen sind und mit der Direktorin gesprochen haben. Dabei strahlte er über das ganze Gesicht. Es folgte ein Selfi gleich über die Ladentheke hinweg, Händeschütteln, „welcome to India!“ ….und die ruckelnde aber entspannte Rückfahrt mit dem Schulbus.

Auf der Suche nach dem verlorenen Schatz 21. April 2018

Nachdem wir uns in den letzten Wochen intensiv um das Zeitmanagement gekümmert haben (direkte Kopplung der Anwesenheiten der Lehrer an ihr Gehalt) ging es in den letzte Tage an’s Eingemachte – die Finanzen. Der große Wunsch unseres Auftraggebers, Sagar, war mehr Transparenz. Nach einem kurzen Blick in das bestehende System ist dieser Wunsch auch dringend zu erfüllen.
Wie bei vielen anderen sozialen, gemeinnützigen Organisationen findet man ein gewachsenes System vor, das irgendwann nicht mehr mit den aktuellen Anforderungen Schritt gehalten hat.
Vieles wird in der Schule auf Zuruf organisiert. Dazu gehören eben leider auch die Finanzen, die überwiegend cash abgewickelt werden. Gegenüber den indischen Behörden muss ein Cash Book geführt werden, das in Marathi und daher für uns leider inhaltlich nicht nutzbar ist. Laut Aussage von Baba und dem Schulleiter Balasaheb, die bisher gemeinsam die Finanzen verantworten, passte in den letzten 8 Jahren natürlich alles bis auf den letzten Rupie. Das Ganze hat nur leider eine strukturelle Schwäche. Weder ausstehende Einnahmen (wie Schul- oder Busgeld) noch ausstehende Ausgaben (wie z.B. die Lehrergehälter der letzten beiden Monate) werden irgendwo geführt. Balasaheb hat alle Finanzdetails in seinem Kopf aber der ist leider sehr fehleranfällig. Daher kollabiert dieses System sehr schnell, nachdem wir unsere Anforderungen daran klar kommuniziert haben.
Wir starten daher für die Zukunft mit einem simplen Excel-Sheet für Einnahmen und Ausgaben. Bisher wurde im Wesentlichen alles auf irgendwelchen Zetteln bzw. auch auf der Handinnenseite vermerkt, bis es dann irgendwann einmal in das große große Cash- Buch übertragen wurde. Dabei konnte man natürlich leicht auch Dinge beim Übertragen auslassen, so dass alles am Ende gepasst hat. Das geht natürlich beim sofortigen Eintragen in’s Excel mit zusätzlicher Kontrolle durch uns nicht mehr.
Die letzte Woche haben wir nun damit zugebracht, gemeinsam mit Balasaheb alle Ausgaben zu prüfen, da er uns schon nach einer Woche Differenzen beichten musste, die er nicht einfach “auflösen” konnte. Um es klar zu sagen – es geht hier unserer Meinung nach nicht um Bereicherung einzelner – aber um fehlende Übersicht. Wie soll man die auch gewinnen in einem Land, wo tatsächlich noch die meisten Dinge Cash und oftmals ohne Rechnung abgewickelt werden – wir hatten ja persönlich beim Thema Bargeld auch schon unsere Erfahrungen machen müssen.
Also haben wir Balasaheb geholfen, die Lücke in den Finanzen durch gemeinsames Suchen der Ausgaben schrittweise zu schließen. Trotzdem ist nun am Ende ein Betrag in Höhe eines halben Monatsgehaltes von ihm übrig geblieben, der ihm nun von seinem Gehalt abgezogen wird. In der Konsequenz haben wir jedoch eine sofortige Akzeptanz für unser System erhalten, da wir relativ schnell die Nützlichkeit klar machen konnten. Seit April haben wir die Finanzen nun gemeinsam in Kontrolle – abzüglich des verschwundenen Schatzes von Balasahebs halbem Monatsgehalt natürlich.
Das bringt nun natürlich nicht das fehlende Geld – aber es bringt Transparenz und Sicherheit, dass alles eingezahlte und auch gespendete Geld dort ankommt, wo es hingehört – in die Bildung der Schüler nämlich.

22. April 2018

Am Samstag haben wir uns nach der Arbeit spontan nach Solapur auf den Weg gemacht. Endlich mal wieder Großstadtluft (1 Mio Einwohner) schnuppern. Solapur ist 80 km von unserem Dorf entfernt und daher hatten wir uns für eine Busfahrt entschieden. Die Fahrt dauerte drei Stunden und wir mussten in Sangola umsteigen. Es ist sehr abenteuerlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein, da es keine wirklichen Fahrpläne gibt. Der Bus fährt halbstündlich, ob das jedoch 14:30 und 15:00 Uhr ist oder 14:45 und 15:15 Uhr ist nicht in Erfahrung zu bringen. Eine Antwort auf die Frage wann denn der Bus fährt, ist z. B. auch „nach dem roten Bus dort an der Ecke“. Hmm, und wann fährt der nun wieder? Egal! Unser Bus fährt erst nach diesem, also haben wir noch Zeit. Wie viel Zeit wir haben, wissen wir jedoch nicht. So machen wir mal wieder das, was uns am schwersten fällt…warten!

Als wir 17 Uhr im Bus sitzen, stellen wir fest, dass wir unsere Reisepässe nicht dabei haben. Somit könnte das Einchecken im Hotel schwierig werden. Kann man jetzt nicht ändern, der Bus fährt.

In Solapur 20 Uhr angekommen, sind die ersten beiden Hotels die wir anfragen, ausgebucht. Es findet wieder mal ein Festival stattfindet, das Ambedkar-Festival, 9 Tage lang und am Wochenende ist jetzt der Höhepunkt. Ambedkar ist der hochverehrte Anwalt, der die Indische Verfassung erstellt und Rechte für die niedrigste Kaste, die „Unberührbaren“ erstritten hat.

Damit wir nicht länger im Dunkeln umherirren, bucht Thomas online ein Hotel und wir laufen mit Hilfe von Google Maps gemütlich dorthin. Für 30€ ein Doppelzimmer im 5. Stock mit Blick über die City, kleiner Dachterrasse, AC, kostenlosem Internetzugang und sogar Frühstück… na das ist doch mal was! Wir duschen ausgiebig, sind allerdings gleich wieder durchgeschwitzt und gehen dann noch mal in die City etwas essen. Lecker! Und alles vegetarisch!

An sich hat Solapur nicht so viele Attraktionen für Touristen zu bieten. Daher sind wir auch die Einzigen unserer Art in der Stadt und werden ständig von Einheimischen belagert und nach Selfies gefragt. Das nervt!
Der Unterschied zwischen Stadt und Land fällt einem sofort in’s Auge. Man hat das Gefühl, dass die Jugendlichen sich viel freier bewegen, nicht so eingeengt und in Regeln eingezwängt. Das ist allein schon daran erkennbar, dass die Selfies auch von Frauen ganz selbstbewusst angefragt werden, die weniger im Sari sondern durchaus westlich gekleidet sind. Sie promenieren durch die Straßen- die Konsumgesellschaft ist in Indien angekommen.

Wir spazieren an einer alten Festung entlang, besuchen einen Tempel am See, schlendern über den lokalen Foodmarket und bummeln etwas durch die Stadt. Um die große Mittagshitze zu überstehen shoppen wir in klimatisierten Stores Hemden und Schuhe für das Ex-Geburtstagskind.

In der Innenstadt hält man es nicht lange aus, da sich alle auf den Festumzug am Abend vorbereiten und Menschenmassen unterwegs sind. Es fahren riesige Trucks im Schritttempo mit gigantischen Ambedkar- Figuren, Fotos, Tempelnachbildungen etc. Davor oder dahinter schieben kleine Traktoren mächtige Batterien, die die noch mächtigeren Musikboxen und -anlagen mit Strom versorgen. Die Beats wummern und die Boxen dröhnen …indische Love Parade. Wir fühlen uns wie in Berlin! Nur sind wir unter vielen die Fremden, die genau beobachtet werden.

Kleine Erfolge 23. April 2018

Man ist ja immer wieder erstaunt, dass es dann doch Fortschritte gibt – und ein paar will ich einfach mal trotz aller Klagereien von uns hier loswerden:

  • Sagar hat am Wochenende angerufen, weil er im Kalender Einträge gemacht hat und wissen wollte, ob das so korrekt ist (Arbeit alleine ohne Auftrag am Wochenende.)
  • Popat hat uns zum wiederholten Male auf Englisch angesprochen (vor zwei Monaten kein einziges Wort – inzwischen traut er sich zu sprechen)
  • Prashant hat heute von allein das Timesheet der Lehrer upgedatet und den Lehrern erklärt, wieviel sie im April noch arbeiten müssen, um volles Gehalt zu bekommen.
  • Dhiraj kam heute allein mit einem Vorschlag für einen neuen Beitrag, den wir allen Lehrern noch diese Woche am Rechner zeigen wollen.
  • Balasaheb hat sich am Samstag unbedingt erklären lassen wollen, wie bestimmte Sachverhalte im Accounting einzutragen sind.
  • Shital hat heute 3 Räume aufgeräumt, so dass wir langsam einen Überblick bekommen, was alles an Material beschafft werden muss.
  • Wir haben bei den Homevisits insgesamt 50 Interessenten für Admissions erhalten (selbst wenn daraus bei weitem nicht alles Schüler werden, ist das erheblich mehr als wir erwartet hatten – zumal bei dem Chaos in dem sie stattfanden.)

Es gibt noch mehr dieser kleinen Beispiele, die uns immer wieder ermutigen, dass wir das Richtige machen – auch wenn es bei all unserer Ungeduld manchmal viel zu langsam vorwärts geht und uns die beständige Auseinandersetzung mit den kulturellen Unterschieden enorm viel abverlangt.

Integration 24. April 2018

Wie schnell geht Integration? Ab wann ist man woanders integriert? Diese Frage habe ich mir in den letzten Tagen oft gestellt.

Wir sind nun zwei Monate hier auf dem Land. Ein gewisser Alltag ist für uns unterdessen eingetroffen. Wir gehen selbstverständlich Kleinigkeiten in der Stadt einkaufen. Wir haben dort „unsere“ Geschäfte wo wir versuchen, mit den Besitzern etwas zu kommunizieren. Im Dorf suchen wir auch unterdessen fast täglich ein „Restaurant“ auf, in dem wir was essen und kalte Getränke bestellen. Immer die gleichen Abläufe, das gibt Sicherheit für beide Seiten und ermöglicht das Kennenlernen. Trotz der Spachschwierigkeiten ergibt sich dann immer irgendwie ein Austausch. Wir versuchen offen und interessiert zu sein, fragen nach, bringen einzelne Worte in Hindi mit unter, zeigen private Fotos und bieten im Alltag unsere Hilfe an. Eigentlich alles gute Voraussetzungen für Integration. Trotzdem sind wir in vielen Situationen außen vor. Es ist halt doch keine Unterhaltung, kein richtiges Gespräch mit den Einheimischen möglich. Die kulturellen Unterschiede muss ich gar nicht erst erwähnen.

Und trotzdem sind wir der Meinung, dass nicht alles immer nur mit der Sprache und mit den Kulturunterschieden „entschuldigt“ werden kann. Es ist die einzelne individuelle Persönlichkeit, die Integration möglich oder unmöglich macht. Nicht die Leistung, die eine Gesellschaft Fremden anbietet, damit sie sich integrieren können. Grundwerte wie z. B. Achtung voreinander, Aufmerksamkeit für den anderen, Wertschätzung der Bemühungen oder der Arbeit des anderen tragen zur Integration bei.

Bei aller Freude über unser Dasein und bei aller Neugierde, uns Fremde kennenzulernen, spüren wir doch auch die Oberflächlichkeit, die all den Fragen teilweise zugrunde liegt. Nur vereinzelt geht das Interesse (an uns) tiefer. Nur selten haben wir das Gefühl, dass unser Anderssein anregt, sich persönlich zu verändern. Bei uns hingegen kommen täglich kleine neue Erfahrungen hinzu, die wir gern in unseren Alltag versuchen wollen, zu integrieren.

Wir machen bereits jetzt schon Pläne, wie wir bestimmte Verhaltensweisen in Deutschland „übernehmen“ oder angepasst einsetzen können. Die Pläne sind noch nicht ganz ausgereift aber wir reifen hier jeden Tag ein klein wenig mehr.

Emotionen 25. April 2018

Emotionen zu zeigen, ist nicht einfach, das wissen wir alle! Wann und wie zeige ich, dass ich traurig, enttäuscht, wütend, stolz, erfreut, ängstlich oder verliebt bin. Die Vielfalt unserer Emotionen können wir ohnehin gar nicht ausdrücken, wir sind es einfach nicht gewohnt.

Indien ist noch einmal krasser in Bezug auf Emotionen. Hier läuft alles (fast) emotionslos ab. Jemanden drücken oder allgemein freundschaftlich berühren? Völlig ausgeschlossen! Von intimeren Handlungen wie z. B. Händchen halten, Kuss auf die Wange, über den Kopf streichen etc. ganz zu schweigen. Lediglich Männerpaare jedweden Alters, die sich an den Händen halten, sieht man in der Öffentlichkeit. Was jedoch nicht bedeutet, dass sie homosexuell sind.

Auf dem Land hatte ich erwartet, dass man sich freundlich (be)grüßt, da ohnehin jeder jeden kennt und sogar weitläufig innerhalb der eigenen Familie geheiratet wird. Jedoch auf dem Weg ins Dorf werden die Nachbarn, die auf dem Feld arbeiten oder die einem unmittelbar entgegenkommen nicht grüßen. Das macht man nicht, ist nicht üblich! Ein spontanes Foto schießen oder sogar auf einem Foto vor Freude herzlich lachen? Das entspricht nicht dem Schönheitsideal und daher schauen alle immer relativ ernst und posieren, wobei die Arme „an der Hosennaht“ sind.

Gestik und Mimik habe ich bisher auch nur wenig bemerkt, lediglich das zustimmende Kopfschütteln oder das nickende Verneinen. Bei bestehendem Interesse für etwas wird das- oder derjenige durchdringend angestarrt. Für unser Verständnis ist dieses Verhalten absolut unangemessen und grenzüberschreitend.

Es gibt viele Gesten der Ehrerbietung in der Öffentlichkeit wie z. B. den Kopf und damit den Blick senken, mit den Händen die Füße des Gegenübers berühren oder gar vor jemandem auf die Knie sinken sowie die Hände vor der Brust falten. Freudenausbrüche dagegen oder selbst zaghafte Bekundungen von Freude durch ein Lächeln begegnen einem in der Öffentlichkeit nicht.

Allerdings muss ich sagen, dass unterdessen im ganzen Dorf gewunken wird wenn wir kommen oder gehen. Aus Unwissenheit und Unsicherheit haben wir anfangs unser deutsches Verhalten einfach beibehalten und immer eine Hand zum Gruß gehoben und nun ist Winken angesagt.

Verärgerung zwischen zwei Parteien bekommt man am ehesten und unmittelbar mit: es wird dann richtig laut und richtig schnell gesprochen. Die Tonlage der Stimmen bekommt etwas hysterisches und sie scheinen sich zu überschlagen. Genau so schnell wie der Ausbruch kommt, ist jedoch auch wieder totale Ruhe zwischen den Gesprächsparteien. Alle schweigen sich an und gehen gemeinsam wie gewohnt ihren Aktivitäten nach, als wäre nichts gewesen. Schmollen oder sich aus dem Weg gehen, geht nicht. Es wohnen ja alle miteinander oder zumindest eng beieinander.

Es ist sehr schwer im Alltag unter eigener Anspannung wahrzunehmen, ob der jeweilige Gesprächspartner über das Gesagte erfreut oder verärgert ist. Manchmal habe ich schon gedacht, die könnten sich doch jetzt mal freuen, das Problem hat sich geklärt oder unser Projekt ist doch sehr erfolgreich. Jedoch kommt keine entsprechende Reaktion. Das verunsichert mich immer wieder.

Ich kommuniziere mit Gestik und Mimik, um mich bei allen nicht englisch sprechenden Personen trotzdem verständlich zu machen. Dabei wirke ich wahrscheinlich wie eine Schauspielerin und zaubere unterdessen sogar bei Tatja ein erkennbares Lächeln ins Gesicht.

27. April 2018

Darauf hatten wir schon seit längerem hingearbeitet. Ein keiner Ausflug mit Shria. Sie darf als Frau ihre Farm nur verlassen, wenn sie am Wochenende zum Gebet in den Tempel geht. Alle anderen Besuche im Dorf sind ihr untersagt. Allerdings kann sie in Begleitung ihres Mannes Ravie in andere Orte fahren, um dort für sich einzukaufen. Da Ravie jedoch als Farmer „immer“ arbeitet bzw. irgendwo unterwegs ist, sind Ausflüge für sie eine Seltenheit.

Shria ist eine sehr aufgeschlossene, intelligente und wissbegierige junge Frau (28 Jahre alt). Sie spricht nur einzelne Worte englisch, versteht aber sehr viel unserer englischen Kommunikation. Interessiert fragt sie uns über Traditionen, Familie, unsere Reisen und das Leben im Allgemein in Deutschland aus.

Da gerade Ferien sind, sind ihre beiden Kinder bei ihrem Bruder und den Großeltern und es bleibt etwas Zeit für sie selbst. Diese Chance haben wir ergriffen. Unter dem Vorwand, ich brauche Hilfe beim Einkaufen von T-Shirts baten wir sie, uns nach Sangola zum Shoppen zu begleiten. Gemeinsam wollten wir dann auch gleich noch Lebensmittel auf dem Markt einkaufen. Unser Plan ging auf und so sind gestern Shria, Ravie und die 5-jährige Tochter von Ravies Schwester auf dem einen Motorrad und Thomas und ich auf dem anderen Motorrad zum „Großeinkauf“ nach Sangola gefahren.

Im ersten, eher traditionellen indischen Bekleidungsshop ging eine schmale steile Metalltreppe in den oberen Verkaufsraum. Wir mussten unsere Schuhe beim Betreten des Ladens ausziehen und quetschten uns die Stufen nach oben. Dort saßen bereits eine Mutter mit ihrer Tochter und suchte nach Oberteilen. Der Verkäufer, ein kleiner Mann von ca. 1,50 m passte ganz wunderbar in den niedrigen Raum mit den breiten vollgestopften Regalen. Er zog wahllos Plastiktüten mit bunten Oberteilen hervor und warf sie auf den Boden. Zum Anprobieren musste ich mich hinsetzen, da andererseits die Raumhöhe nicht ausgereicht hätte. Wir gaben jedoch nach kurzer Zeit auf. Zu klein, zu glitzernd, zu indisch.

Eigentlich sollte jedoch unser kleiner Ausflug ja auch eine Auszeit für Shria sein, also stoppten wir noch in einem Straßencafé, in dem Milchshakes und Lassies gemixt wurden. Alle waren happy, inklusive des Ladenbesitzers aufgrund unserer Anwesenheit.

Nach dem obligatorischen Markt mit nun durch Shria unterstützten Preisverhandlungen, die uns immerhin 10 Rupien extra einbrachten, stoppten wir an einem Schmuckladen, der sich jedoch im hinteren Gebäudeteil als Friseur- und Kosmetikstudio entpuppte. Jetzt legte Shria los. Eigentlich sollte es nur eine Minute dauern aber Ravi wusste wohl schon dass es dauern würde und macht es sich bequem. Thomas versuchte sich derweil irgendwie zu beschäftigen, da er sowieso nicht in den gesamten Laden durfte: „Nur für Frauen“. Das Aussuchen von ein klein wenig Nagellack und ein paar Bindies (Klebepunkte, die als modisches Acessoire auf die Stirn kommen) dauerte dann über eine Stunde.

Egal – Shria war glücklich. Diesmal war sie die Hauptperson, die von allen im Laden befragt wurde und ziemlich stolz berichtete, dass wir 5 Monate Gäste bei ihr wären. Alle wollten alles ganz genau wissen. Dann folgten die üblichen Selfies.

Die Männer saßen unterdessen draußen und beobachteten das Geschehen auf der Straße. Eine Prozession mit Trommeln und Rasseln sowie zahlreichen tanzenden Frauen und Männern zogen vorbei Richtung Tempel am Ende der Straße. Ein kleiner Junge wurde, ausstaffiert wie für eine Hochzeit, für eine religiöse Initiationsfeier hinter dem tobenden tanzenden trommelnden Tross in einem Auto durch die Gegend gekarrt. Er sah irgendwie ziemlich desinteressiert aus im Vergleich zum restlichen Pulk. Auf dem Rückweg der Truppe vom Tempel wurde Thomas mehr oder weniger gegen seinen Willen mit in die Menge gezerrt. 3 Männer konnte ich ausmachen, die an seinem Arm zerrte, bis er endlich mit dabei war und ein paar bekümmerte Versuche machte, lustig zu sein. Damit er nicht so alleine in der tanzenden Masse verschwand, gab ich mir noch einen Ruck und hüpfte ein wenig mit. Daraufhin waren alle glücklich. Es folgten Hände schütteln und Fotos und der Tross verschwand.

Shria hatte sich in der Zwischenzeit verschönern lassen und hatte nichts davon mitbekommen. Ravi hatte sich heimlich verzogen und uns allein gelassen, was für ein Feigling. Anyway, Shria war glücklich.

Auf dem Rückweg duften wir dann endlich mal einkaufen – Zucker, Sago und Öl in Großhandelspackungen auf einer mittelalterlichen Waage abgewogen. Die Motorräder bis zum Abwinken überladen ging es dann irgendwann heim.

Wir wahren am Ende total durch – aber Shria war glücklich und strahlte. Ein Ausflug mehr in diesem Jahr für sie. Was für ein Erfolg!

Selfies 29. April 2018

Also die Selfies der Inder mit uns sind schon eine echte Plage. Es gibt eigentlich keinen Tag, an dem wir ohne einen Selfie auskommen, nur in unserer näheren Umgebung, wo sich inzwischen alle an uns gewöhnt haben, geht es ohne die dauernde Fotografiererei.

Heute hatten wir z.B. insgesamt ca. 10 erfolgreiche und noch weitere 5 abgewehrte Versuche. Einerseits ist das Ganze zu verstehen. Neulich haben uns z.B. zwei Mädchen in einem ziemlich guten Englisch angesprochen, dass wir die ersten “Foreigner” sind, die sie in ihrem Leben zu Gesicht bekommen.

Andererseits ist das Ganze für uns natürlich mega nervig. Aus Spaß habe ich inzwischen angefangen, Geld für die Fotos zu fordern – wir könnten schon reich sein, wenn es klappen würde.

Die Frage nach den Fotos reicht von heimlich (wir werden gefilmt und fotografiert während wir in einem kleinen Straßenlokal essen, wobei sich der Freund des Fotografen möglichst mit auf das Bild mogelt) über übergriffig (man versucht uns buchstäblich an den Armen in Richtung eines Hauseinganges zu zerren, wo dann die ganze Familie schon bereit steht, um sich mit uns auf ein Foto bannen zu lassen) bis hin zu den eher netten Versuchen, die sich wenigstens Mühe geben und nett und höflich fragen bzw. erst am Ende eines kurzen Besuches mit Tee und Lemon Soda.

Leider habe ich das beste Erlebnis in diesem Zusammenhang nicht auf ein Foto gebannt – zum Tempelfest gab es tatsächlich eine Schlange von 10 Frauen und Mädchen, die geduldig darauf warteten, ein Selfie mit Sonja und mir machen zu dürfen.

Letzter Arbeitstag vor den Ferien 30. April 2018

Unser letzter Arbeitstag war sehr entspannt, da wir unterdessen mit unserem Projekt schon sehr gut vorangekommen und gut im Zeitplan sind.

Deshalb konnten wir den Tag auch sportlich beginnen und haben uns gemeinsam im Nationalsport, Cricket versucht.

Danach haben wir unsere Tagesordnung für unser regelmäßiges Samstagsmeeting abgearbeitet und den Projektstand ausgewertet. Wir wollten uns bei den Lehrern auch noch einmal für die intensive Arbeit mit uns bedanken und haben sie in Sangola zum Essen eingeladen. Also ging es mit allen Lehrern im Schulbus in die Stadt. Die Lehrerinnen hatten aus diesem Anlass mal wieder phantastische Saris angezogen.

Für uns ging es dann weiter nach Pune im Bus, Baba hatte Sitzplätze für uns gebucht.

Nun haben wir vier Tage in Pune, besuchen erneut Pallavi und ihre Familie, wollen shoppen, eine Motorradtour ins Deccan-Plateau machen aber auch noch einige Abstimmungen mit Sagar und seinem Bruder Milind (in den USA) zu unserem Projekt vornehmen.

Danach geht es am Donnerstag mit dem Nachtzug nach Goa.

Wir freuen uns auf etwas mehr Unabhängigkeit und viele neue Eindrücke mit etwas mehr Komfort.

Die Privatstadt 1. Mai 2018

„Lavasa“ ist ein Ausflugsziel für Einheimische ca. 65 km von Pune entfern. Dorthin wollen wir gemeinsam mit Pallavi fahren. Im Internet haben wir dazu gelesen, dass es eine „private Stadt“ ist. Es wurde dort wahnsinnig viel und ausschließlich privat investiert aber leider auch spekuliert. Alle Bauvorhaben sind daher aufgrund eines Korruptionsverdachtes vor einigen Jahren sofort gestoppt worden. Wir sind gespannt, was uns erwartet.

Über Serpentinen schlängelt man sich in die Berge, um dann einen tollen Blick ins Tal zu haben, in dem die besagte Stadt liegt. Für Motorradfahrer sind Serpentinen und Berge Musik in den Ohren. Doch wir entscheiden uns gegen die Zweiradvariante und für ein kleines klimatisiertes Auto. Pallavi möchte und kann nicht allein so weit auf ihrem Moped fahren und ein männlicher Begleiter lässt sich nicht finden.

In stickiger Wärme quälen wir uns zwei Autostunden in die Berge, nördlich von Pune. Leider schafft es die Klimaanlage nicht, die hohen Aussentemperaturen herunter zu kühlen. Ein Fenster zu öffnen, ist alles andere als empfehlenswert, da der Fahrtwind einem dann heiss ins Gesicht bläst und die Augen austrocknen. Wir werden jedoch mit ganz tollen Ausblicken für unser Durchhalten belohnt!

„Lavasa“ liegt im Tal, umgeben von Bergen. Diese sind in der Regenzeit dschungelartig bewachsen, jedoch jetzt im Sommer eher trocken und sandig-felsig. Die Privatstadt zeigt sich einerseits als eine Art Nachbildung einer italienischen Stadt am Meer und andererseits ist sie eine verlassene „Geisterstadt“ mit abrissreifen Bauruinen, rostenden Stahlkonstruktionen, leerstehenden Hotelpassagen, grauen Ferienhäusern und ausgetrockneten Fontainen und Wasserbecken. Einen total bizarres Bild!

Wir schlendern etwas umher, trinken unseren ersten leckeren Milchkaffee nach zwei Monaten Abstinenz und halten einige Motive zur Erinnerung fest.

Auf dem Rückweg kommen wir leider in den üblichen und von Einheimischen erwarteten Hauptverkehr. Der hat jedoch mit unseren Vorstellungen von Rushhour gar nichts zu tun! Schritttempo im absoluten Verkehrschaos. Jeder fährt, wohin er will, wie er will und wann er will. Millimeterarbeit beim Abbiegen! Ich sitze hinten im Auto und habe die Hände vor den Augen, da ich sonst von einem Aufschrei in den nächsten falle. Es ist unvorstellbar und unbeschreiblich! Pallavi sitzt derweilen entspannt neben ihrem „Lieblingsonkel“ und trällert indische Songs aus „Radio Pune“. Ich bin hochgradig angespannt, mir ist übel von den Abgasen, immer noch flau im Magen von den Serpentinen und heiss ist es ohnehin.

Gegen 21 Uhr haben wir es endlich bis vor die Tür von Pallavis Haus, in einem der größten Slums in Pune geschafft. Auch sie ist müde und erschöpft von der Tour aber sehr sehr glücklich. In wenigen Tagen hat sie Geburtstag. Dann sind wir leider schon wieder unterwegs, daher haben wir ihr schon jetzt ein Geschenk überreicht, ein neues Handy, da ihr altes gestohlen wurde. Wir verabschieden uns und verabreden uns erneut in zwei Tagen zum Abendessen mit ihrer Mutter.

Nun sind wir nur noch 15 Autofahrtminuten von Sagars Wohnung entfernt. Alle warten schon auf uns mit dem Abendessen. Nach wir vor sind die Straßen brechend voll und einige Prozessionen sowie Hochzeiten mit zusätzlichen Ansammlungen von Menschenmassen erschweren das Autofahren und Vorankommen. Plötzlich zwei Ruckler, ein Stotterer und unser Auto seht. Ein Hupkonzert bricht los, da wir uns gerade in einer relativ engen Seitenstraße befinden. Zurückhupen geht leider nicht, da ausgerechnet das wichtigste Autozubehör, die Hupe, in unserem Fahrzeug nicht funktioniert. Wir haben kein Benzin mehr! Die Tankleuchte funktionierte schon den ganzen Tag nicht und leuchtete ununterbrochen, der Zeiger rückte selbst nach umfangreichem zweimaligen Tanken keinen Millimeter weiter. Somit hatten wir keine Kontrolle über den aktuellen Benzinstand.

Wir steigen aus und sind sofort von gefühlt hundert Menschen umgeben, die alle auf uns einreden. Mit einigen schieben wir das Auto in eine noch kleinere Seitenstraße, um den Fahrtweg für die anderen nicht komplett zu versperren. Thomas nimmt zwei unserer leeren 2 Liter Wasserflaschen und wird von einem hilfsbereiten jungen Mann mit Motorrad zur nächsten Tankstelle in 1,5 km Entfernung gefahren.

Ich bleibe vor Ort, hole mein Handy heraus und tue so, als ob ich total entspannt damit beschäftigt bin. Nur nicht aufschauen, gefragt werden, weggezerrt werden… nur ruhig auf einem Stein am Straßenrand sitzen und warten. Ich bekomme von einer Frau einen Tee im Pappbecher gereicht, eine andere bietet mir an, mit zu ihrer Familie zu kommen und dort auf meinen Mann zu warten. Ich lehne jedoch höflich ab und gerade in dem Augenblick ruft Gott sei Dank Thomas an. Er teilt mir nur kurz mit, dass an der Tankstelle kein Benzin in unsere Flaschen abgefüllt werden darf. Sein Begleiter füllt daher nun aus seinem Motorrad das Benzin ab, was wir dann in unser Auto umfüllen können und er tankt statt dessen Benzin nach.

20 Minuten später ist der ganze Spuk vorbei und wir fahren erschöpft die letzten Kilometer zu Sagars Wohnung.

Erneut hat uns die übermäßige Hilfsbereitschaft Fremder erstaunt und erfreut. Hätten wir auch so reagiert? Sehe ich in Berlin Touristen fragend vor den Fahrkartenautomaten stehen, spreche ich sie nicht von mir aus an und biete Hilfe an. Fremde spontan zu mir nach Hause einzuladen, ist mir ehrlich gesagt bisher auch noch nicht in den Sinn gekommen. Auch Mitfahrgelegenheiten bieten wir von uns aus eher selten an. Ich werde mich bemühen, zukünftig aufmerksamer zu sein und meine Zweifel und unbegründeten Befürchtungen gegenüber Fremden öfter zu überwinden.

Zwei Schulen, zwei Welten 2. Mai 2018

Unsere Gastfamilie in Pune, Sagar und Sarika Babar, ist im Schulbusiness tätig. Sie haben innerhalb von 30 Tagen eine eigene private Schule eröffnet, da es mit dem Eigentümer der bisher schon bestehenden Schule, in der Sarika tätig war, starke Auseinandersetzungen und ein Gerichtsverfahren gab. Diesen Prozess haben wir während unseres kurzen Aufenthaltes hier nun auch mitbekommen.

Die Eröffnungsveranstaltung der „CLARA global“ Schule am 02.05. war sehr professionell und stand mit allem im krassen Gegensatz zu „unserer Schule“ in Alegaon. Zahlreiche interessierte aber auch kritisch nachfragende Eltern waren gekommen, um sich über das neue Schulangebot und die zusätzlichen Aktivitäten für ihre Kinder informieren zu lassen. Es gibt ein Musikkabinett mit 7 Keyboards, ein Computer-Lab und perspektivisch sogar noch eine Schwimmhalle und Reitunterricht. Die Ausstattung ist genial, die Lehrer sehr engagiert und kreativ. Alle sprechen hervorragend englisch. Als Überraschung gab es auf der Einweihungsfeier sogar einen kleinen Roboter, der das Unterrichtsfach „robotics“ unterstützen und die Kinder beim aktiven und modernen Lernen begleiten soll. Sponsored bei IBM! Dort hat Sagar gearbeitet, bevor er mit zwei Freunden eine eigene Marketingfirma eröffnet hat.

Indien, das Land der Gegensätze…so auch hier in Bezug auf die Schulen. Alles auf der einen und (fast) nichts auf der anderen Seite. Das Schulgeld für „CLARA global“ beträgt für 1 Schuljahr 1 Lac = 100.000 IRU = 1250 EUR. In Alegaon beträgt das Schulgeld 3000 IRU = 37 EUR für ein Schuljahr.

Wir sind emotional sehr hin und her gerissen. Natürlich ist es eine große Leistung, innerhalb so kurzer Zeit einen Schulneubau für 250 mögliche Schüler, einen Toilettentrakt und sogar einen kleinen Spielplatz zu realisieren und alles für ein neues Schuljahr arbeitsfähig einzurichten. Das Geld von Sarikas Eltern regiert hier jedoch schon mächtig, in jedweder Beziehung wie z. B. Genehmigungen, zuverlässige Handwerker, Hilfsarbeiter und halt die Ausstattung mit Lehrmaterialien und mit moderner Technik sowie Security für das Gelände.

Sarikas Mutter ist aktiv und sehr bekannt in der Politik und der Vater besitzt viel Land in Pune, was er verkauft hat bzw. auf dem jetzt die neue Schule steht.

Zwischen beiden Schulen gibt es schon seit einigen Jahren einen fachlichen Austausch. Die tollen Schulbücher der Privatschule in Pune werden z. B. kopiert und für die 200 Schüler in Alegaon zur Verfügung gestellt. Auch die bunten Zeugnismappen für die jüngeren Schüler werden in großer Stückzahl in Pune hergestellt und bei einem privaten Besuch der Familie nach Alegaon mitgenommen. Alle Lehrer kommen einmal im Jahr für 2 Tage an die Schule nach Pune zum Hospitieren, um Anregungen für ihren Unterricht zu bekommen. Auch einige Materialien wie z. B. Laminierfolie oder auch Kopien von Unterrichtsmaterialien (Übersichtstafeln, Bilder, Zahlen etc.) werden aus Pune bereitgestellt. Es gibt die Möglichkeit des Kopierens und Laminierens in ländlichen Gegenden ansonsten nicht oder nur auf sehr umständlichem Weg.

Trotz dieser Unterstützung ist jedoch die Ausstattung der Schule in Alegaon noch sehr gering. Weitere Hilfen sind wünschenswert. Wir versuchen nun für das kommende Schuljahr die Zusammenarbeit zwischen der Schule in Pune und den Colleges in Sangola zu intensivieren. Dadurch hoffen wir, die Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort stärker zu aktivieren und auch einheimische Kooperationspartner noch stärker einzubinden.

Hochzeitspuja 5. Mai 2018

Michl und Diana kennen wir schon sehr lange – Sonja kennt sie sogar schon seit der Studienzeit – sie gehören mit zu den engsten Freunden, die wir haben. Deshalb fiel es uns auch schwer, die Reise nach Indien anzutreten, obwohl wir wussten dass die beiden nun am 5. Mai heiraten werden.

Beide sind schon seit einer halben Ewigkeit zusammen, haben drei reizende Kinder und haben sich nun endlich dazu durchgerungen, ihr Zusammensein mit einer angemessenen Party zu feiern – also zu heiraten.

Da wir nun am anderen Ende der Welt sind, ist es für uns leider nicht möglich, mal schnell nach Deutschland zu kommen. Daher haben wir  für die beiden mit Hilfe von Baba einen besonderen Gruß aufgenommen .

Die Vorbereitungen zu dieser Puja waren, wie eigentlich alles hier, sehr viel komplizierter als erwartet. Für den Fotoprint von den beiden mussten wir erst wieder zurück nach Pune kommen – direkt auf dem Lande in der Nähe unserer kleinen Farm gibt es das gar nicht.

Dann müssen natürlich noch Blumengirlanden, Räucherstäbchen, Reis und Farbe besorgt werden – alles nicht so leicht. Aber am Ende hat alles geklappt.

Dies hier ist für Diana und Michl, die wir an diesem besonderen Tag ganz besonders grüßen – und mit dem Ritual  verbunden sind die Wünsche, die sich aus den Hilfsmitteln von Baba ergeben, die er während der Zeremonie verwendet.

Möge euer Leben scheinen wie das Gold des Ringes.

Möget ihr immer stark und kraftvoll sein wie das Holz der Betelnuss.

Dem schließen wir uns an – und sind in Gedanken ganz doll bei euch.

Hochzeitspuja (schlechtere Qualität 10 MB)

 

 

Hochzeitspuja (hohe Qualität 181 MB)

Projektfreie Zeit 7. Mai 2018

Da nun Schulferien sind, haben auch wir frei und reisen umher. Erste Station war ja, wie schon berichtet, Pune. Doch nach vier Tagen waren wir dann auch froh, die Großstadt wieder verlassen und freier von den dortigen familiären Verpflichtungen sein zu können.

Nun sind wir seit zwei Tagen in Goa, dem kleinsten von 29 Bundesstaaten in Indien. Anreise per Nachtzug im Schlafwagen…sehr abenteuerlich aber auch unschlagbar preiswert.

Auf dem Bahnhof in Pune haben wir anfangs gar nicht durchgesehen…wann fährt unser Zug nun genau und von welchem Gleis? Bis dann Thomas hinter das Anzeigesystem gekommen ist und wir feststellten, dass wir mindestens 1 Std. Verspätung haben werden. Da schimpfe doch nochmal jemand auf die BVG!

Über booking.com hatte Thomas eine schöne kleine Appartementanlage mit mehreren kleinen Bungalows gefunden und gleich eine Nacht gebucht. Jedoch vor Ort angekommen, waren nur eine russische Familie am Pool und zwei Gärtner, die die Anlage pflegten. Sie gaben uns die Handynummer des Besitzers und Thomas rief an, um zu fragen, wie wir zu den Appartementschlüsseln kämen. Der Besitzer informierte uns dann, dass auf keinen Fall an Ausländer vermietet werden dürfe! Hä? Was war das? Wir waren erstmals „DIE Ausländer“ und nicht willkommen! Nach etlichen Telefonaten mit der Objektverwaltung, einem anderen Privatbesitzer und Stornierungsversuch per eMails an booking.com, verließen wir etwas deprimiert das schöne Gelände.

Für 30€ pro Nacht haben wir aber nur wenige Schritte weiter ein ganz nettes (und sauberes) Hotel gefunden, trotz Nachsaison- viele Pensionen und Hotels haben bereits geschlossen oder schließen absehbar. Dafür sind aber auch nur ganz vereinzelt Touristen unterwegs. Nun entspannen wir hier, trinken mal wieder ein Glas Wein, spazieren am Strand (Thomas war sogar schon baden) und lassen es uns gut gehen.

9 1/2 Wochen 8. Mai 2018

Ganz solange ist es zwar noch nicht – aber es ist trotzdem Zeit für einen Zwischenstand. Am Ende der ersten Hälfte unseres Projektes haben wir uns nun auf den Weg in unseren Urlaub gemacht. In den letzten Wochen haben wir uns mehrfach die Frage gestellt, wie wir die Nachhaltigkeit unserer Aktivitäten sicher stellen können. Wie so häufig setzt das Probleme an der Führung der NGO an. Zusätzlich gibt es unendlich viele Schwierigkeiten durch äußere Faktoren. Wesentlich ist jedoch dann, insbesondere unter diesen Gegebenheiten, eine klare Managementstruktur einzuführen und durchzusetzen. Diese ist bisher nicht gegeben. Nicht nur, dass mit Balasaheb jemand die Schule führen soll, der dazu weder intellektuell noch eigenmotiviert in der Lage ist.

Komplexer wird es noch durch die darüber liegende Managementstruktur. Wir haben Baba als Gründer der Schule, der sich jedoch mehr und mehr aus den operativen Themen herauszieht. Jedoch vereinzelt und gerade bei fehlendem Management, greift er dann doch bei Bedarf immer mal wieder direkt in die operativen Entscheidungen ein. Das eigentliche operative Management verantwortet Sagar, sein jüngster Sohn. Er ist jedoch mit seinen eigenen privaten und beruflichen Themen total ausgelastet und kann nicht die notwendige umfangreiche Zeit für die Schule bzw. das Management investieren. Als dritte Person kommt Milind, der ältere Sohn von Baba ins Spiel, der jedoch mit seiner Familie inzwischen 3 Jahre in Florida lebt. Aufgrund dieser Entfernung ist er nur noch begrenzt aktiv involviert, jedoch bei Entscheidungen und Diskussionen stets angefragt.

Alle drei Männer haben neben einer langen gemeinsamen Familien- und Businessgeschichte bei diesem Projekt natürlich auch unterschiedliche Ansichten, die sie nicht immer in Übereinstimmung bekommen.

Alle Schwierigkeiten, die wir bei der Umsetzung von Veränderungen in der Schule und im Management haben, resultieren letztendlich genau aus dieser „3-Personen-Konstellation“. Es werden oft keine klaren Entscheidung zu konkreten Themen getroffen, die wir vor Ort stellvertretend für die drei Herren bearbeiten sollen. Keinem der Männer kann man persönliches Desinteresse oder fehlendes Engagement vorwerfen aber effektives Management leider nunmal auch nicht.

Wenn wir auf unseren anfänglichen Projektplan schauen, haben wir trotzdem unheimlich viel erreicht, worauf wir gerade unter diesen Bedingungen sehr stolz sind:

  • Die Lehrer bilden sich täglich nach ihrem Unterricht in Englisch weiter.
  • Die Website ist bereit, live zu gehen.
  • Wir haben regelmäßige Trainings für Methodiken und zur Nutzung neuer Technologie (Beamer, Outlook, Smartphone, kurze online Dokumentationen) aufgesetzt.
  • Reparaturen im Schulgebäude sind zum großen Teil durchgeführt.
  • Kleinere Reparaturen werden jetzt selbst vom Schulhandwerker durchgeführt – es gibt eigenes Werkzeug und einen Werkzeugkasten (Ordnung muss sein!)
  • Auch ein Überblick über die notwendigen Investitionen besteht dank Exceltabelle.
  • Das Zeitmanagement (Fingerprint) der Lehrer wurde an deren Gehalt gekoppelt und nun kommen alle pünktlich.
  • Wir haben eine Inventur über vorhandene Unterrichtsmaterialien durchgeführt. Anschließend wurde ein einfaches Aufbewahrungssystem eingeführt (stapelbare rote Kisten)
  • Das ganze Schulhaus wurde komplett sauber gemacht und aufgeräumt- wir haben Tonnen an unbrauchbaren Dingen weggeschmissen.
  • Aus den vorhandenen alten Computern haben wir so eine Art Mini-Computerlab mit nun drei funktionstüchtigen PC’s gebaut.
  • Es gibt ein Power-Backup und seither keine Ausreden mehr von wegen „der Strom ist ständig weg“.
  • Wir haben Google Drive als zentrale und einheitliche Ablage für alle Computer etabliert.

Zusätzlich haben wir noch das Accounting (Ein- und Ausgaben per Excel verwalten) eingeführt. Dank Excel gibt es jetzt auch eine Übersicht über alle Schulgebühren, so das ausstehende Zahlungen leichter eingefordert werden können.

Zur Nachhaltigkeit fehlt nun jedoch noch, dass wir mit dem Management alle oben genannten Themen regelmäßig in den nächsten zwei Monaten wiederholen, bis es tatsächlich verstanden und in gewisser Weise automatisiert ist. Darüber hinaus benötigt es einen Ansatz für die Steuerung des lokalen Managements. Dies funktioniert jedoch nur mit dem vollen Support von Sagar und Milind und einer gewissen Regelmäßigkeit in der Abstimmung mit ihnen. Bisher hat es hier jedoch im Wesentlichen nur Lippenbekenntnisse gegeben. Dies ist eigentlich die Hauptquelle unseres Ärgers und unserer Enttäuschung, die uns manchmal ereilen.

Wenn wir uns nicht mehr sicher sind, dass wir die Nachhaltigkeit hinbekommen, werden wir unsere Arbeit nach unserem Urlaub in Alegaon abbrechen. Wir möchten nicht unsere Kraft und Zeit in eine NGO setzen, deren eindeutig kommunizierten Veränderungswunsch aufgrund fehlenden Managements zum Scheitern verurteilt ist. Dann machen wir lieber noch etwas. Es wäre sehr schade drum – denn die Lehrer und die Schule sind uns sehr an’s Herz gewachsen. Wir drücken uns selbst ganz doll die Daumen, dass in den nächsten Tagen ein paar konkrete und längst überfällige Entscheidungen getroffen werden, die uns dann die weitere Projektarbeit in der Schule ermöglichen.

…nicht nur Tempel 8. Mai 2018

Nun sind wir seit einigen Tagen in Goa, haben uns einen Skooter ausgeliehen und fahren umher. Unseren Beobachtungen nach ist Goa im Vergleich zu Maharashtra zwar ein kleiner aber durch den Tourismus ein „reicher“ Bundesstaat. Das zeigt sich an den vielen bunten und recht großen sowie massiv gebauten Häusern. Es sprechen auch viel mehr Menschen englisch und Dienstleistungen wie Wäscheservice, Fahrrad- und Motorradverleih, Wassersportaktivitäten jeder Art, Yoga- und Kochkurse…alles ist zu haben. Jedoch das nur in der Hauptsaison, und die geht bis April, längstens Mitte Mai. Wir kommen also nur in den reduzierten Genuss all dieser Dinge. Das reicht aber aus, um sich rundherum wohl zu fühlen. In Goa gibt es zu unserem Erstaunen auch zahlreiche Wein- und Schnapsläden, in denen nicht nur Touristen einkaufen. Fährt man über Land, ist die Zahl der „Bars“ (Schnapsläden) noch stärker auffallend.

Auch der alltägliche Dresscode ist wesentlich „europäischer“ mit T- Shirt und Jeans. Den traditionellen Sari sieht man eher selten und dann auch überwiegend bei älteren Frauen. Sogar kurze Hosen und Miniröcke werden von indischen Frauen, die hier mit ihren Familien Urlaub machen, getragen. In einem Strandlokal habe ich sogar zwei Zigarette rauchende Inderinnen gesehen. Hier ist also alles möglich und wir fühlen uns freier und unbeobachtet!

Auf einem unserer Ausflüge waren wir in der Hauptstadt Goas, Panaji und in Alt Goa. Dort gibt es ein UNESCO Weltkulturerbe zu bewundern. Auf einem relativ freien Gelände stehen mind. 10 unterschiedliche Kirchen(Ruinen) aus dem 15.-18. Jhrd. beieinander. Einige davon sind noch in Nutzung durch eine relativ große katholische Glaubensgemeinschaft. Die Portugiesen haben als frühere Besatzungsmacht diese Religion eingeführt und sie ist bis heute erhalten geblieben. Wir haben nur einige Kirchen besichtigt und waren beeindruckt.

Geburtstag in der Ferne 10. Mai 2018

Wie feiert man nun Geburtstag in der Ferne – für Sonni war das keine leichte Vorbereitung – die soziale Kontrolle im Ort ist ja fast vollständig – wie bereitet man da auch nur die kleinste Überraschung vor? Mein Geburtstag war am 20. April und Sonni war vorher schon am Verzweifeln. Letztendlich lief es dann aber ganz normal “indisch” ab.
Es gibt zum Beispiel keine besonderen Kerzen – und Windlichter gleich gar nicht – und wenn es Kerzen gibt, muss man aufpassen, dass die in der Hitze nicht gleich wegfließen. Wir haben dann Plastikflaschen zerschnitten und die kleinen Kerzen unten in Erde gestellt – Sonni hat dann noch Blüten drumgewickelt.
Mein Blumenstrauß war eine Wiederverwertung – am Tag vorher hatten wir Rosen in dem einen College erhalten, wo wir Lehrer anwerben wollten – Sonni hat jedem einzelnen Beschenkten anschließend die Rose abgenommen, um wenigstens einen kleinen Strauß für mich zu haben.
Am Morgen hatten wir dann wenigstens 5 Minuten für unsere kleine Rosenzeremonie – anschließend natürlich überall die Glückwünsche.
In der Schule dann ein ohrenbetäubend geschriehenes “Happy Birthday”-Geburtstagsständchen aus 200 Kindermündern.
Was natürlich an einem Geburtstag keinesfalls fehlen darf sind “Birthday Bumps” und Cremekuchen, den man sich in einem wunderschönen Ritual gegenseitig in den Mund steckt. Um die “Birthday Bumps” bin ich glücklicherweise herumgekommen – das sind nämlich nichts weiter als wüste Tritte und Rempeleien, die von den engsten Freunden durchgeführt werden und zwar lieb gemeint sind – trotzdem ziemlich weh tun und heftige blaue Flecken hinterlassen. Anschließend habe ich dann noch Bonbons an alle Kinder verteilt, so wie das bei jedem anderen Geburtstag in der Schule gemacht wird.

Für das Essen abends hat Ravi dann 2kg Ziegenfleisch aus dem Nachbardorf besorgt – für uns wäre das nicht unbedingt notwendig gewesen, da das vegetarische Essen von Shria sehr sehr gut ist – doch es war allen wichtig, ein ganz besonderes Essen zu machen. Dazu gab es dann noch eine Torte, damit auch die Kinder zu Hause etwas davon abbekommen. Für Musik konnten wir ein altes ausrangiertes Autoradio nutzen, dass mit einer riesigen Box verbunden war – leicht verzerrt – aber das ganze Feld wurde beschallt. Leider reichte die Geduld dann nicht so richtig aus, mehrere europäische Songs anzuhören – die Kids wollten unbedingt zurück zu den indischen und teilweise traditionellen Stücken. Dafür haben sie aber auch noch ein wenig für mich getanzt, was ich ziemlich rührend fand.
Zum Abschluss gab es noch eine Zeremonie, die wir später dann für Michl und Diana nutzen konnten. Ich als Geehrter wurde durch die Frauen des Hauses (also insbesondere Sonni und Shria) mit Reis beworfen oder betupft und mit einem Öllämpchen erleuchtet.

Insgesamt sehr stimmungsvoll und schön – auch wenn ich natürlich meine Freunde und Familie von zu Hause und die heimischen Geburtstagsrituale vermisst habe – letztendlich lebt man doch so wie man sozialisiert wurde – es wäre naiv zu denken, dass davon nichts bleibt.

Indien Railway 11. Mai 2018

Sonni und ich lieben Bahnfahren – und auch hier in Indien ist Bahnfahren oft die bessere Alternative zu Bus und Auto. Die Straßen sind teilweise gottserbärmlich, ein funktionierendes Schnellstraßensystem existiert nicht – und auch auf den vorhandenen mehrspurigen Straßen können einen die unvermittelt auftauchenden Speedbumps (manchmal die gefürchteten dreifach hintereinander gebauten) zu einer Vollbremsung zwingen, was insgesamt das Fahren auf der Straße mit Bus oder Auto mit Fahrer zu einer sehr ungemütlichen Angelegenheit werden lässt.
Wir sind daher inzwischen mehrfach Bahn gefahren. Es ist allerdings nicht so leicht, sich mit dem indischen Kartenverkaufssystem vertraut zu machen.
Es gibt 5 verschiedene Klassen, was auch Sinn macht, da die Züge oft einen ganzen Tag unterwegs sind. Die normalen Seater sehen so aus, wie man sich immer noch die indischen Züge vorstellt. Sie sind überfüllt, alles drängt sich zwischen Sitzen und Gängen mit durchgängig vergitterten aber offenen Fenstern – dafür sehr billig. Es schließen sich die einfachen Sleeper und die Aircondition Sleeper Abteile an, letztere dann entweder zwei- oder dreistöckig. Das sind aber keine echten Abteile. Alles ist offen, nur mit vollkommen verranzten Vorhängen kann man die einzelnen Abteile vom Gang trennen. Man bekommt aber frische Laken und Decken, die in Ordnung sind.
Die Fahrt ist aber ein Abenteuer, die Türen sind meistens auf, man blickt auf die wahnsinnig tolle Landschaft, die an einem vorüberzieht, insbesondere wenn sich der Zug mit vier Lokomotiven die Westghats hochquält. Teilweise kann fast man mitlaufen, so langsam geht es vorwärts. Schneller als 80 km/h wird es nie.

Eklig ist die Toilettensituation – nicht innen, da sind die Toiletten einigermaßen ok und sauber – aber es geht alles noch direkt nach draußen. Teilweise stinkt es deshalb bestialisch. Als ich auf dem Weg nach Goa eine Weile an der Tür stand und ein paar Spritzer Wasser abbekam von den vorausfahrenden Wagen, war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher ob das alles nur Wasser war. Ich bin sonst recht hart im Nehmen was Sauberkeit und Ekelgrenze angeht (oft zum Leidwesen von Sonja) – aber hier war definitiv meine Grenze erreicht. Erst im Hotel in Goa nach mehrfachen Duschen hab ich mich wieder besser gefühlt.

Aber allein die Buchung ist schon ein Abenteuer für sich. Die indische Eisenbahn hat für alle Klassen oberhalb der einfachen Seater Klasse ein Online System entwickelt, das zwar technisch sehr gut funktioniert aber schon ein wenig an eine Lotterie erinnert. Die Züge sind normalerweise spätestens eine Woche vor Abfahrt ausgebucht. Wer danach bucht, wird auf eine Warteliste gesetzt und erfährt bis direkt vor Zugabfahrt (zu sehen mit unseren Namen auf den Fotos unten mit den großen Bildschirmen) ob er berücksichtigt wurde oder nicht. Es gibt sogar Webseiten, die einem an Hand der eigenen Wartelistennummer mitteilen, mit welcher Wahrscheinlichkeit man einen Platz erhält. Wenn man Pech hatte und nicht berücksichtigt wurde, dann wird der Preis für das Ticket abzüglich einer Bearbeitungsgebühr zurückerstattet. Allein das ist für uns schon eine Frechheit, denn wenn man unbedingt innerhalb einer gewissen Zeitspanne reisen muss, bieten sich nun die folgenden Möglichkeiten:

  • Man nimmt die normalen Seater, was z.B. Bei Übernachtzügen für uns nicht in Frage kommt, da total überfüllt.
  • Man lässt sich auf die Warteliste setzen und bangt bis zur Zugabfahrt, was man macht. Falls man es nicht schafft, nimmt man sich doch einen Seater, sollte jedoch dann sicherheitshalber seine Wartelistentickets (gegen Gebühr natürlich) stornieren, damit nicht eine Minute nachdem man die Seater Tickets gekauft hat, die eigenen Wartelistentickets plötzlich bestätigt werden.

Wir hatten Glück und haben rechtzeitig erfahren, dass wir von Wartelistenposition 46 mit 37% Wahrscheinlichkeit (laut Vorhersagewebsite) 12 Stunden vor Zugabfahrt per SMS informiert wurden, dass wir fahren dürfen. Erleichterung! Für Die Reise von Hampi nach Mysore (14h über Nacht) haben wir mit einer Buchung ein bestätigtes Ticket und ein Wartelistenticket auf Platz 1. Obwohl die Wahrscheinlichkeit hoch sein sollte, bangen wir natürlich etwas und sind gespannt, ob wir hier gut wegkommen.

Das ändert aber nichts daran, dass wir die Bahn lieben und immer noch allen anderen Verkehrsmitteln vorziehen.

Hampi und Steine 13. Mai 2018

Nach einer sieben Stunden dauernden Zugfahrt hätten wir fast verpasst auszusteigen, nur im letzten Augenblick hat Thomas auf Google Maps per Ortung registriert, dass wir schon da waren. Von Hosapete, der nächst größeren Stadt in der Nähe des historisch bedeutenden Hampi, sind wir dann noch einmal 10 km mit dem lokalen Bus bis zu unserem tatsächlichen Ziel gefahren.
Durch grüne Bananenhaine ging es in eine pittoreske Umgebung mit riesengroßen Granitfelsen, die wie von Riesen nach einem Murmelspiel zurückgelassen wirkten. Dazwischen tauchten mehr und mehr Tempelruinen auf. Die Abendsonne machte das Ganze noch einmal durch eine tolle Beleuchtung grandioser.
Der Kontrast dazu war dann unser Ziel „Hampi Bazar“, der so gar nichts von einem richtigen Basar hatte, sondern eher von eine Bretterbudenstadt auf einem großen Parkplatz.

Unsere Enttäuschung über den eigentlichen Ort war daher erst einmal recht groß. Hampi hat den Status UNESCO Weltkulturerbe aber der gesamte Ort ist einfach nur heruntergekommen und dreckig. Selbst unsere Unterkunftsempfehlung aus dem Lonely Planet, den wir uns vor einigen Tagen extra heruntergeladen hatten, entsprach in keiner Art und Weise den dortigen Beschreibungen. Seit Jahren hatte wohl keiner der Lonely Planet Autoren einen Fuß in das „Sunny Guesthouse“ gesetzt. Dafür war der Preis mit 600 IRU = 7,50 EUR pro Nacht auch unschlagbar… gutes Zeltplatzniveau! Immerhin – Dusche (wenn auch kalt) und zwei (!) Betten – mehr als auf unserer kleinen Farm.

Jedoch der Tipp, die lokale Touristeninformation in einer der Tempelanlagen aufzusuchen und dort einen Reiseführer zu buchen, war genau richtig. Auf unserer ersten Erkundungstour durch die Ruinen- und Gebirgslandschaft waren wir uns sicher, dieser Guide ist genau richtig. Fach- und sachkundig hat er uns über die indische Götterwelt am Beispiel der vielen Tempelruinen von Hampi aufgeklärt. Nun wissen wir, dass jeder Gottheit eine Frau und darüber hinaus noch ein Tier als Transportmittel zugeordnet wird sowie Symbole, an denen man diese dann auch alle erkennt. Damit wir unser Wissen nicht gleich wieder vergessen, bekamen wir es sogar mit einer kleinen Notiz aufgeschrieben. Nun üben wir täglich die Namen. Es wird jedoch noch ein wenig dauern, bis wir das alles verinnerlicht haben. Aber wir haben ja Zeit und sicherlich müssen wir irgendwann mal wieder WARTEN.

Die gesamte Anlage von ca. 40 Quadratkilometern kann man frei besichtigen, keine Zäune, kein Eintritt…nix. Bis 2011 waren auf und in den Ruinen noch Wohnhäuser sowie kleine Läden, die sich mit den Jahren zu einer Ortschaft „Hampi Bazar“ ausgebreitet hatten. Diese wurde jedoch dann auf staatliche Anordnung hin abgerissen und die Menschen umgesiedelt. Die Diskussionen darüber sind vielfältig und zwiespältig. Pro und Kontra gibt es auf beiden Seiten.
Unsere guided Tour sollte eigentlich zu Fuß in drei Stunden durch einen Teil der Ruinenkomplexe und in den Haupttempel führen. In der einmaligen Landschaft brachten jedoch die Ruinen, Felsen und Tempel hinter jeder Ecke ein neues tolles Fotomotiv hervor. Die Mischung von Tempelruinen und Granitmurmellanschaft ist einmalig und unbeschreiblich. Obwohl wir natürlich wissen, dass man Tempel vor Landschaft zu Hause keinem zeigen kann, weil nichts den Gesamteindruck so wiedergibt, wie das gesamte Erlebnis (sei es z.B. die Tempelglocke im Hintergrund oder der Geruch der Räucherstäbchen, dazu die sengende Hitze, das kühlende Wasser der Pumpe am Tempel) haben wir über 50 Fotos gemacht und dann verzweifelt aufgegeben und nur noch die Umgebung genossen.

Letztendlich haben wir viel länger als die veranschlagten 3h gebraucht und müssen trotzdem nochmal weitermachen. Schließlich haben wir ja noch zwei Tage hier vor Ort.

15. Mai 2018

“Happy Hampi!” Das ist der Leitspruch der Touristengegend in und um Hampi. Man hat hier sehr viele verschiedene Möglichkeiten für Aktivitäten und to be happy: bouldern, klettern, schwimmen, Rad fahren, in einer Bar abhängen und im Internet surfen (sofern man WLAN hat), Skooter fahren, Tempel besichtigen, ayurvedische Massagen, Yoga Stunden, Trecking oder mit einem traditionellen runden Bambusboot auf einem der Flussarme paddeln (in Begleitung eines Ortskundigen, versteht sich).
Wir haben uns für eine Radtour mit unserem bereits bekannten lokalen Guide entschieden.
Hampi liegt an einem Fluss und somit gibt es den historische Ortsteil auf der einen und den gechillten Ortsteil mit einigen Restaurants, Bars und Guesthouses auf der anderen Flussseite. Dort haben auch wir übernachtet. Unsere Radtour wollten wir aufgrund der zu erwartenden Temperaturen zeitig beginnen und so warteten wir bereits 7:00 Uhr auf die Chance, mit der Fähre von einer Flussseite zur anderen gebracht zu werden. Fährzeiten gibt es nicht, hängt alles vom Bedarf der Touristen und Einheimischen sowie von der Laune des Betreibers ab. Wir hatten Glück und 7:30 Uhr war es dann so weit, wir überquerten den Fluss und trafen uns nach einem leckeren Frühstück im „Mango Tree“ (ohne das dort versprochene kostenlosen W- LAN) mit Kitty (Krishna), unserem Guide.
Aufgrund der landesweiten politischen Wahlen wurden in Hampi alle Onlinekapazitäten für die Votings durch die Bevölkerung per Fingerprint abgezogen. Kein Netzwerk für Touristen für zwei Tage! Wir waren also von der Welt abgeschnitten! Dabei warteten wir dringlichst auf eine Nachricht der Indian Railway, die hoffentlich unser Ticket für den Nachtzug bestätigen würde. Egal, erstmal starteten wir zu unserer 4-6 stündigen Radtour zu den wichtigsten Tempeln und Palästen. Hier ein paar Eindrücke:

Trotz der Temperaturen war es eine ganz phantastische Tour, vorbei an riesigen Granitfelsformationen, kleinen Ortschaften mit Rast in einem abseits gelegenen Gartenrestaurant zum Lunch und vorbei an den zahlreichen kleinen verstreuten Ruinenkomplexen. An den großen Tempelanlagen hielten wir an und bekamen wieder erstklassige Erklärungen zu Symbolen, Schriftzügen, Bauweisen verbunden mit unterhaltsamen Geschichten über Gottheiten und deren Besonderheiten. Warum hat Ganesh einen Elephantenkopf? Wir wissen es jetzt! Es ist schon ein gigantisches Gefühl wenigstens für einen halben Tag scheinbar alles zu wissen, was es zu diesen historischen Gebäuden zu wissen gibt, Zusammenhänge zu begreifen und die andere Kultur ansatzweise zu verstehen sowie Parallelen zum Christentum zu erkennen. Leider schaut es am folgenden Tag schon wieder ganz anders aus!
Für den Rückweg wurde uns eine entspannte Abkürzung von 3 km empfohlen, die wir jedoch leider nicht gefunden haben. Wir steckten plötzlich inmitten der Granitfelsen mit den Rädern fest und wuchteten diese im Schweiße unseres Angesichts eine gefühlte Ewigkeit über das steinerne Felsmassiv. Doch auch dort oben gab es immer noch kleine Skulpturen, Schriftzüge und rituelle Opfersteine zu entdecken… kleine Entschädigung für die Strapaze!

Zurück im „Mango Tree“ und gerade eine kalte Cola hinterkippend, kam die SMS mit der Bestätigung unseres Nachtzugtickets, nur 5 Stunden vor der geplanten Abreise. Wir waren fix und fertig aber auch sehr glücklich und bestellten entspannt gleich noch eine Cola.

Die Ghats 16. Mai 2018

Die West-Ghats sind ein Gebirgszug, der das Deccan-Plateau von der schmalen Westküste Indiens abgrenzt. So und noch ausführlicher steht es bei Wikipedia.
Die Ghats sind in Indien ihrer eigentlichen Bedeutung nach steil abfallende Böschungen, meist mit Stufen, die als Wasch- und Badestellen auch heute noch genutzt werden. Teilweise hat sich der Begriff auch verselbstständigt – so gibt es mit den Dhobi Ghats in Mumbai einen riesig großen Waschplatz, der ohne Böschung auskommt.

Während unseres Aufenthaltes in Hampi aber auch während unserer Überlandfahrten und besonders in ländlichen Regionen, haben wir zahlreiche dieser traditionellen Bade- und Waschplätze gesehen.

Unseren Beobachtungen nach baden Frauen an den Ghats immer in ihrer kompletten Kleidung und streng getrennt von den Männern. Sie dürfen jedoch ihre Haare offen tragen und im Fluss waschen.
Die Männer können ebenfalls bekleidet jedoch auch in Unter-oder Badehose baden. Dabei kann man sehen, dass Jungen einen schwarzen Strick um die Hüften tragen. Verheiratete oder ältere Männer dagegen haben einen roten Strick oder einen weissen, letzteren dann jedoch über die Schulter geknotet.

Auf unserer Tempeltour wurde uns erklärt, dass alle Tempelbauten, Skulpturen oder andere Kunstwerke absichtlich mit einer „kleinen Irritation“ versehen werden, die das Auge und den Geist von der eigentlichen Perfektion ablenken soll. Gleiches wird auch mit den Babys bzw. Kleinkindern gemacht. Sie werden um die Augen ganz fürchterlich mit Kajal geschminkt und/oder bekommen einen schwarzen Punkt zwischen die Augen. Dadurch soll der neidische, böse Blick eines Betrachters oder Dämons von der tatsächlichen Schönheit des Kindes abgelenkt werden. Eine ähnliche Funktion hat der bereits erwähnte schwarze Strick bei Jungen.
Sogar ein neu erworbenes Auto wird entweder auf der Motorhaube oder im Inneren mit „ablenkenden Utensilien“ wie z. B. Chilischoten verziert.
Wir nutzen diese Besonderheit nun auch sehr gern dafür, um Flecken auf unseren Sachen als „kleine Ablenkung von der tatsächlichen Schönheit“ zu interpretieren. Ist doch sehr clever!

Indischer Tee 18. Mai 2018

In Indien gibt es vier Teeanbaugebiete: Assam, Darjeeling, Dooars und Nilgiri. Letzteres liegt in den Western-Ghats, in Südindien. Dorthin haben wir uns spontan auf den Weg gemacht. Unendliche Serpentinen ging es von Mysuru, „Stadt der Paläste“, wieder einmal mit Bus hinauf bis in stolze Höhen von 2100 Metern. Der Ausgangspunkt unserer Teeplantagenwanderung ist der Ort Ooty, ein fürchterlich dreckiger, übel riechender Ort im Tal der Nilgiri-Berge mit ca 50.000 Einwohnern. In jedem Hotel in diesem Ort sollte man absolut unkompliziert einen erfahrenen Guide bekommen, der mit einem Wanderungen in den Bergen und über die Teeplantagen machen würde. Dem war jedoch nicht so. Weder die Touristeninformation (ein leeres kleines quadratisches Hüttchen) noch die angefragten Hotels vermittelten lokale Wanderführer. Somit waren wir wieder auf uns selbst gestellt.

Allerdings haben wir ein traumhaftes kleines Hotel 16 km von Ooty entfern gefunden, was direkt in einer Teeplantage liegt. Unser Zimmer hat ein 2 x 3 Meter großes Fenster mit Blick in die Berge über die Plantage. Unbeschreiblich!!

Wir mussten den üblichen Mittagsregen in den Bergen abgewartet, da wir weder für die Temperaturen in dieser Höhe (15 bis 23 °C) noch gegen Regengüsse ausgerüstet sind. All unser tolles Equipment haben wir im Farmhaus in Alegaon gelassen. So hatten wir uns bei unserer Ankunft in Ooty noch schnell langärmelige Shirts kaufen müssen, um nicht zu frieren.
Ohne passende Bekleidung (einen Regenschirm hatten wir zur Sicherheit auch gekauft und jetzt eingepackt) und ohne Wanderführer, ja noch nicht einmal mit einer Wanderkarte (ausgeschilderte Wege gibt es leider auch nicht), sind wir also aufgebrochen. Alles kein Problem, die Zivilisation ist greifbar nah und jederzeit erreichbar.
Tolle Ausblicke über die Plantagen, nette Einheimische auf dem Weg, die interessiert nachfragen und sogar eine Privatführung in einer alten abgelegenen privaten Teefabrik waren wieder die Belohnung für unser Suchen, Warten und dann einfach Machen.

Mysore (Märkte und Paläste) 20. Mai 2018

Mysore wurde uns von allen als ein Muss nahegebracht – unbedingt ansehen – die Paläste, der Markt, die koloniale Architektur usw.
Letztendlich war ich ein wenig enttäuscht – aber vielleicht sind wir auch schon etwas “satt”. Ein Markt reizt uns als solcher nicht mehr so umfassend wie vielleicht zu Beginn. Trotzdem gibt es natürlich Farben und Bilder, die haften bleiben. Sei es das überwältigende Angebot an Mangos oder die riesigen Stapel an Bananen.

Der Palast war auch ok. Er hat allerdings nichts mit dieser phantastischen muslimischen Architektur zu tun, die man beispielsweise in Rajasthan findet oder mit den beeindruckenden Bauten, die wir in Hampi gesehen haben. Selbstverständlich ist er opulent und auch beeindruckend – aber halt opulent, wie sich ein europäischer Architekt den Orient so um 1900 herum vorstellt hat, denn aus dieser Zeit stammt er erst, da der vorherige Palast abgebrannt war. Die Inder haben den Palast übrigens in großer Zahl und mit einer riesigen Begeisterung besichtigt. Es wurden wieder unheimlich viele Selifies vor dem Palast in allen erdenklichen Posen fotografiert – einige findige Inder hatten sich einen Drucker neben ein paar große Batterien gestellt und druckten fleißig kitschige A4 Bilder für das bedürftige Publikum. Die restliche koloniale Architektur wartet, aus dem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Einige Bauten sehen wirklich filmreif aus.

Das Fürstentum Mysore existierte im Übrigen bis 1947 dank der großzügigen Protektion des britischen Empire, die die Stadt um 1800 von den mit den Franzosen verbündeten Sultanaten durch Lord Wellington (ja, genau der mit dem Ausspruch “Ich wollt es wär Nacht oder die Preußen kämen” von Waterloo) erobert wurde – soweit zur Geschichte…
Nach 1947 wurden dann die Familienpaläste durch den indischen Staat übernommen, zumindest teilweise. Ein Palast blieb noch in Familienbesitz und beherbergt nun die erste Kunstgallerie, die ich in Indien gesehen habe. Zu unserer Überraschung war sie relativ gut durch Inder besucht – ansonsten aber extrem abgeranzt. Die Exponate waren weder ausgeleuchtet noch vernünftig beschriftet, teilweise fielen sie auseinander (wie z.B. Teile der Musikinstrumentensammlung. Leider durfte man drinnnen (aus gutem Grund – wer will schon dass diese Bilder dann durch die Welt gehen) nicht fotografieren. Trotzdem hat der Besuch Spaß gemacht – einer der Museumswärter lief dann mit uns durch die Räume um uns die besten Exponate zu zeigen. Er war unheimlich bemüht und stolz uns etwas zeigen zu können. Allein dafür hat es sich für uns schon gelohnt.

Im Dschungel 24. Mai 2018

Auf den Teeplantagen um Ooty in 2100 Meter Höhe war es richtig kalt, abends nur 12-15 Grad und leichter Regen, so dass wir uns noch fix jeder eine hässliche dicke und schon gebrauchte Jacke für insgesamt 10€ kaufen mussten. Über deren Kauf sind wir sogar noch in einen Ehestreit geraten. Denn keiner von uns wollte diese verranzten Teile haben und trotzdem hatten wir sie in Ooty in der zweitbesten Strassenbude gekauft. Kommunikationsstau in den Bergen! Der hatte sich jedoch mit dem nächtlichen schlechten Wetter am nächsten Morgen aber wieder aufgelöst! Wenigstens hielten die nach Chemie stinkenden Jacken warm. Sie kamen in zwei Tagen Gott sei Dank nur einmal zum Einsatz. In der grössten Kälte ist die Mode sch… egal!

Von den Bergen und Plantagen sind wir nach tollen Tagestouren mit einem lokalen „Landstreicherbus“ und einem Expresszug nach Kochi an die Westküste des Bundesstaates Kerala gefahren. Ein ganzer Tag verging mit den landesüblichen Verkehrsmitteln. Im Zug war dann auch nur noch Platz für uns in der Gepäckablage und das für 4 Stunden! Aber wir sind mit einigen Muskelverspannungen und kribbelnden Füssen vom Schneidersitz gut angekommen, auch ohne Verspätung.

Kochi ist bekannt für Multikulti, nette Restaurants, tolle Bars, viele exquisite Einkaufsmöglichkeiten und AYURWEDA. Letzeres wollen wir uns jedoch bis kurz vor unserer Rückreise aufs Land aufheben, um ein klein wenig „Luxus“ dorthin mitzunehmen.

Nach einem entspannten Bummeltag durch die Weltstadt Kochi (wobei wir eher die abgelegenen Gegenden besichtigt haben) hatten wir auch schon wieder genug vom Grossstadttrubel und erkundigten uns nach Ausflugsmöglichkeiten ausserhalb.

Ganz ohne Dschungelerfahrung wollten wir unseren Urlaub in Indien doch auch nicht beenden. Thomas hatte in den vergangenen Wochen intensiv recherchiert wo es Wildlife-Reservate gibt und welche Aktivitäten dort angeboten werden bzw. welche Übernachtungsmöglichkeiten es gibt. Leider gab es verschiedene Hindernisse zu überwinden: entweder erreichten wir das Reservat nicht mit den uns zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln oder der Reisezeitpunkt passte nicht (Nachsaison und Beginn der Regenzeit). Anfragen von Thomas per e- Mail wurden nicht beantwortet oder persönliche telefonische Buchungen einfach nicht schriftlich bestätigt. Selbstverständlich spielte auch der Preis eine Rolle, weshalb wir nicht über einen örtlichen Tourenanbieter buchen, sondern weiterhin selbstorganisiert unser Glück versuchen wollten. Achtung Touristenabzocke!
Eigentlich hatten wir uns nach allen Recherchen schon gegen das Wandern in einem Nationalpark entschieden, doch es kam wie so oft ganz anders.
Nach einem persönlichen Telefonat mit dem offiziellen Büro des Tiger Reservats in Periyar und der Aussage „all activities are available“, mieteten wir spontan ein Auto (wieder mit Chauffeur) und fuhren 198 km (die Kurven hart an der Grenze zur Tütennutzung) weiter in den Süden. Vor Ort angekommen, fiel uns die Entscheidung für ein Angebot schwer denn es gab natürlich nicht ALLE Touren und wir wollten auf keinen Fall ein „Touristenpaket“ mit den „special Effects“ und „Sonderangeboten“ sondern einfach nur im Dschungel laufen und das nicht nur für eine Stunde. Es schien jedoch einfach nix Passendes zu geben und der Favorit von Thomas (geführte Tagestour auf einem Tigertrail mit nur 6 Personen) fand nur an einem Samstag statt. Wir waren jedoch Dienstag bis Donnerstag in Periyar. Aus lauter Verzweiflung, um die lange Fahrt von 5 Stunden nicht umsonst gemacht zu haben, ließen wir uns von einer Mitarbeiterin des Ticketoffice zu einer „Bamboo Rafting Tagestour“ überreden. Diese sollte eine Kombination mit 4 Stunden wandern und 2 Stunden Bambusboot fahren sein. Rafting geht für mich ja gar nicht, das hatte ich sofort abgewählt. Wir waren also gespannt, was uns da wieder erwarten würde.

Volltreffer! Tolle Tour abseits jeglicher Touristen. Wir waren nur 7 Teilnehmende und wurden von 3 Männern (Fährtenleser und ehemalige Wilderer) und einem bewaffneten Ranger begleitet. Es gibt im Periyar- Reservat angeblich 45 Tiger aber auch gefühlte 45.000 einheimische Besucher, die sich für die bequemen Schiffsrundfahrten auf dem gleichnamigen See anstellen. Daher war uns klar, einen Tiger werden wir wohl nicht sehen.
So war es dann auch. Die Tierwelt hat uns zwar mit Bisons, einem 5-sekündigem Blick auf einen Elefantenrücken, Wildschweinen, Rehen, Riesenschmetterlingen, zahlreichen kleinen bunten Vögeln aber auch Reihern und Greifvögel nicht so wahnsinnig beeindruckt. Dafür jedoch wiedermal die atemberaubende Landschaft und das enorme Stimmengewirr bzw. die Urwaldgeräuschkulisse. Wir haben dann bei der Ankunft allen erzählt, dass wir einen auf einem Elefanten reitenden weißen Tiger gesehen hätten – das gab „neidische Blicke“.

Rätselhafte Götter (…und wie Ganesh an seinen Elefantenkopf kam) 25. Mai 2018

Wer durch Indien fährt, kommt natürlich mit dem Thema Religion sehr stark in Berührung – insbesondere mit hinduistischer Religien, da 80% der Bevölkerung Hindus sind.
Religion ist teilweise auf sehr profane Art und Weise Bestandteil des Alltags – sei es der kleine Hausaltar, der mit Sicherheit in irgend einem Schlafzimmer der Neubauwohnung steht, sei es nur eine angedeutete Bewegung der Demut wenn man an einem Altar an der Strassenseite im Bus sitzend vorbei fährt.

Diese zahlreichen kleinen Gesten und Handlungen sind für uns schön zu beobachten, sind sie doch natürlich gelebter Glaube und keine aufgesetzte Religion an zwei Hauptfeiertagen im Jahr. Manchmal nerven sie aber auch, da nix ohne sie geht. Eine Reise beginnen, ohne Gebet, nicht daran zu denken. Bei einem Besuch eine „Gast-Puja“ abzuhalten, sehr wichtig. Neuanschaffungen für ihren Gebrauch zu segnen, ist ein Muss.
Zu Beginn verwirren einen die zahlreichen Gottheiten, deren Reinkarnationen, Ehefrauen usw. und man kann sich die Namen auch alle gar nicht merken, da es in einigen Bundesstaaten für die Hauptgötter auch noch andere Namen gibt. Warum sollte Religion auch einfach sein, denkt man bei dieser Vielzahl. Doch sie ist! Den Zugang zur Götterwelt Indiens habe ich für mich dadurch erhalten, als ich begriffen habe, dass es sich eigentlich nicht um viele verschiedene Götter sondern letztendlich um Avatare oder Reinkarnationen einer einzigen Gottheit handelt. Stark (und bestimmt unzulässig) vereinfacht, läuft es also wie im Katholizismus mit der Heiligenverehrung. Es gibt immer irgendwo einen Schutzheiligen mit bestimmten Eigenschaften, der einem in einer bestimmten Situation weiterhelfen kann.

Einige Götter tauchen jedoch zumindest in unserem Umfeld immer wieder auf, daher möchte ich sie einmal kurz vorstellen:

Die Dreieinigkeit der Hindus

Ganz oben in der Hierarchie stehen drei Götter: Brahma (der Erschaffer), Vishnu (der Bewahrer) und Shiva (der Zerstörer aber auch der Erneuerer). Jeder dieser Götter hat eine Ehefrau, ein „tierisches Transportmittel“ und Symbole, die ihn einzigartig bei allen Tempelabbildungen machen. Brahma spielt in der Verehrung und Anbetung jedoch keine Rolle und es gibt auch keinen, ihm geweihten Tempel und das soll folgenden Grund haben:

Eines Tages kam ein Mann zu Brahma, um ihm seine Ehrerbietung zu beweisen, doch Brahma war grad („just in romance“) mit seiner Frau Saraswati beschäftigt und hörte ihm nicht zu. Nachdem der Mann dreimal versucht hatte, sich bei Brahma Gehör zu verschaffen, wurde er wütend und verfluchte Brahma. Die Menschen würden ihn nicht wie andere Götter verehren, da er ihm als einem Vertreter der Menschen keinen Respekt erwiesen habe.

Vishnu-Tempel und – Darstellungen findet man dagegen schon häufiger. Seine Ehefrau ist Lakshmi (Göttin des Reichtums). In der Lakshmi road, die es in jeder größeren Stadt gibt, findet man meistens die Juweliere, Banken oder andere kostspielige Dinge. In Hampi haben wir den Vishnu Tempel (dort mit anderem Namen: Vittala) als Höhepunkt besucht.

Am meisten verehrt wird jedoch Shiva (Nina Hagens Tochter heisst übrigens so). In seinen Tempeln wird er durch den Lingam (eine kleine abgerundete Säule, die einen Penis darstellen soll) und meistens auch zusammen mit seinem Transporttier “Nandi” – einem Stier, dargestellt. Da es von Shiva kein Abbild gibt, wurden seine Tempel meist vor der Zerstörung durch die muslimischen Eroberer verschont. Diese haben sich erstmal an den reich vergoldeten Lakshmi-Tempeln und an allen mit Götterbildern versehenen Tempelanlagen abgearbeitet. In Hampi ist der Shiva Tempel sogar heute noch aktiv in Nutzung.

Ganeshs Kopf

Der bekannteste Gott ist natürlich Ganesha mit dem Elefantenkopf. Er wird wirklich überall verehrt und er steht eigentlich für alles Mögliche: Weisheit, Lebensfreude, Glück und Erfolg. Er soll auch ein phantastischer Liebhaber gewesen sein. Das wird jedoch von den Inder mit ihrer eher asexuellen Lebensweise nur hinter vorgehaltener Hand kommuniziert.
Die Geschichte, wie Ganesh seinen Kopf bekam, habe ich das erstemal in einem der hier bekannten Purana Comics gelesen – in denen wird auf unterhaltsame und verständliche Art und Weise, das komplette Panorama der zig Millionen Götter für die heranwachsende Kinderschar oder wissbegierige Europäer ausgebreitet. Und hier kommt nun endlich die Geschichte:

Pavarti liebte ihren Ehemann Shiva sehr, fühlte sich aber oft von ihm bedrängt. Insbesondere wenn sie sich Zeit für ein Bad nehmen wollte, stürmte Shiva des Öfteren herein. Deshalb formte sie aus ihren eigenen Zellen einen jungen Mann, Ganesh. Er sollte am Eingang zum Bad aufzupassen, dass niemand sie stört. So verweigerte Ganesh auch Shiva den Zugang zum Badehaus seiner Mutter. Darüber erzürnte Shiva so sehr, dass er in seiner Raserei ihm den Kopf abschlug. Nachdem Pavarti ihm erklärte, dass er soeben ihr eigenes Fleisch und Blut getötet hatte, erschrak er sehr und versprach ihr, den Sohn wiederzubeleben. Da der Kopf von Ganesh nicht mehr auffindbar war, schickte Shiva seine Helfer in den Wald mit der Aufforderung, ihm den Kopf des ersten Tieres zu bringen, das ihnen begegnen würde – und voila, es war ein Babyelephant. Shiva setzte den Elephantenkopf auf den Körper von Ganesh und hauchte ihm Leben ein. Was mit dem armseligen Rest des Babyelephanten passierte, wurde in dem Comic nicht berichtet, vermutlich haben ihn die Ameisen zerlegt. Jedenfalls so bekam Ganesh seinen Kopf und er merkte sich, niemals seinem Vater im Weg herumzustehen. Ausserdem ist er durch sein spezielles Äusseres weltweit bekannt und sogar bekannter als Shiva: das richtige Aussehen war also zu allen Zeiten wichtig!

Andere Götter

Es gibt unheimlich viele kleine Tempel mit anderen Göttern. Im Norden Indiens verehrt man Durga, die berühmte vielarmige weibliche Göttin. Auch Kali ist sehr bekannt, die Zerstörerin mit der Kette aus Schädeln um den Hals. Aber wenn ich anfange, das alles aufzuschreiben, würde dieser Blog hier in Konkurrenz zu Wikipedia stehen, was ich aus Respekt für Wiki auf keinen Fall riskieren möchte.

In jedem Fall ist Götterverehrung in Indien Alltag. Der tägliche Gang zum Tempel und die daraus entstehende Gesichtsmarkierung (in Punkten oder Streifen) kündet vom religiösen Eifer eines Jeden. Vor jedem Haus, zumindest in den ländlichen Gegenden, steht ein kleiner Rada-Krishna- Schrein. Dieses Götterpaar soll die Familie und das Haus beschützen. Auch wir haben zur Hochzeit von unseren indischen Freunden das Paar geschenkt bekommen.
Wallfahrten zu Tempeln sind beliebte Familienausflüge. Man verbringt dann meistens erheblich mehr Zeit unterwegs, als am eigentlichen Tempelort. In Hampi haben wir eine Hochzeitsgesellschaft getroffen, die extra auf einem LKW zum einzig intakten Tempel der Umgebung eine Tagesreise unternommen hat, um dort Hochzeit zu feiern.

In Mysore haben wir im Palast ein Deckengemälde gefunden, auf dem die drei wichtigsten Götter mal incl. Frauen und ihrer „tierischen Transportmittel“ dargestellt sind. Auch wenn die folgenden Bilder jetzt nicht die Superqualität haben, bieten sie nochmal einen schönen Überblick.

Brahma mit seinen drei Gesichtern auf dem Schwan

Durga auf einem Löwen reitend

Pavarti und Shiva mit ihren beiden Söhnen (rechts steht Ganesha), der Stier ist Shivas „Transportmittel“

Vishnu auf der siebenköpfigen Kobra (Naga) sitzend

Ayurveda 30. Mai 2018

Ein klein wenig Luxus wollten wir uns ja in den letzten Tagen unseres Urlaubs gönnen und hatten daher Ayurvedabehandlungen ins Auge gefasst. Kochi ist in ganz Indien bekannt für seine zahlreichen und professionellen Ayurvedatreatments. Manche Touristen reisen nur und ausschliesslich für eine Woche Ayurveda, manchmal in Kombination mit Yoga, an. Das wollten wir dann auch mal ausprobieren. Damit es auch „wirklich echt ayurvedisch“ wird, hatten wir Kontakt zu einer indischen Ärztin in ihrer Praxis aufgenommen und keine „Hotelayurvedabehandlung“ gebucht.

Wir sind also extra mit einer Riksha 30 Minuten zu „Dr. Elizás Ayur-Care- Klinik“ gefahren, hatten dort ein kurzes Anamnesegespräch. Die junge Ärztin war uns sehr sympathisch, sie wirkte kompetent, sprach englisch und unterstützte ehrenamtlich ein Waisenheim. Das war bestimmt „ein Zeichen“ und so verabredeten wir für Thomas eine „Knie-Antischmerzbehandlung“ an drei Tagen. Ich sollte etwas für die Entspannung bekommen. Mein Gott, war ich denn immer noch so angespannt, dass man es mir ansah? Nein, natürlich nicht, ich hatte nur keine Symptome zu beschreiben und daher auch keine zu behandeln. Die ärztliche manuelle Pulsmessung und -auszählung ergab…ich bin mega gesund, fit entsprechend meines Alters und kann daher in aller Ruhe entspannende Präventivmaßnahmen nutzen. Also habe ich diese auch gleich an drei Tagen gebucht!

Da ich zu meiner ersten Behandlung mit einer beginnenden Erkältung ankam, wurde das Konzept umgestellt. Ich sollte nunmehr eine medizinische Ganzkörpermassage bekommen (70 Minuten) mit anschliessendem Kräuterdampfbad (20 Minuten).

Als ich den Behandlungsraum betrat, erinnerte mich dieser eher an eine mittelalterliche Folterkammer oder ein SM -Studio. Der Raum war dunkel. An der einen Wand befand sich eine offene Gaskocherstelle, auf der offensichtlich das Öl erhitzt wurde. In der Raummitte stand eine hohe dunkelbraune Hartplastikliege, die man mit drei kleinen Treppenstufen hinaufstieg. Sie war an sich sauber, glänzte jedoch nach Öl und roch stark nach altem Fett. Die Liegefläche hatte zahlreiche Ausbuchtungen, Löcher, Schrägen etc. Diese passten jedoch nicht, um entspannt den Kopf, die Arme oder Füsse zu platzieren. Bereits beim ersten Hinlegen begann es überall zu drücken und unter der Massage gab es erst recht keine Chance auf komfortable Entspannung. Die Massage mit speziell von Frau Dr. gemischtem medizinischen Öl wirkte jedoch Wunder. Ich wurde von zwei Assistentinnen im wahrsten Sinne des Worten in Öl eingelegt. Bereits nach 30 Minuten intensiver Massage kam ich mir vor wie ein Hummer im Garprozess. Ich schwitzte alle Keime und den ganzen Infekt einfach aus. Das anschliessende Dampfbad verstärkte diesen Prozess noch.

Das Dampfbad erinnerte mich an eine hölzerne klappbare Zaubertrickkiste, bei der nur noch der Kopf des Probanden oben heraus schaut. In solch eine Kiste, die für die Größe von indischen Ayurvedakunden passend war, wurde ich hineingezwängt. Wie eine Heimsauna wurde das ganze erwärmt und aus der Bodenplatte stieg nach einigen Minuten Dampf auf, den ich einatmete.

Ich bekam noch ein ayurvedisches Kräuterpulver mit, welches ich den ganzen Tag verteilt immer mal wieder einnehmen sollte. Es war eine Mischung aus Pfeffer, Zimt, Chili und anderen Kräutern. Scharf! Und befreite Atmung und Nase ganz wunderbar.

Nach der Gesamtbehandlung von 1,5 Stunden war ich gar und auch fix und foxi.

Am nächsten Tag ging nix mehr, ich blieb im Bett den ganzen Tag. Am Folgetag waren jedoch alle Anzeichen meiner Erkältung verschwunden. So konnten wir den Rückflug aus dem Süden nach Pune ohne Probleme antreten.

Wer heilt, hat Recht! Ich bin vom Erfolg begeistert. Trotzdem würde ich unter diesen Bedingungen keine Ayurvedabehandlung mehr machen. Da ist mit etwas mehr Komfort in einem Hotel und dafür weniger Ayurveda bzw. weniger Indienstyle lieber.

Thomas der alte Skeptiker berichtet übrigens auch von Knieverbesserungen – also doch Wunderheilung?

2. Juni 2018

Ein einzigartiges Erlebnis ist der in Kochi aufgeführte Katakali, ein alter religiöser Ausdruckstanz. Er wird von Männern ausgeführt, die ganz auffällig geschminkt sind und in bunten traditionellen Kostümen auftreten. Dazu wird Livemusik gespielt und ein Text gesungen, der wie ein Mantra klingt aber laut Erklärungen irgendwann vor 300 Jahren komponiert sein soll. Zusätzlich ist der Publikumssaal mit Rangoli, Blumen und Räucherstäben geschmückt.

Sonni war aufgrund ihrer Erkältung eigentlich vollkommen außer Gefecht und wollte eigentlich nur im Bett liegen bleiben. Abends hat sie sich aber noch einmal rausgequält, damit sie auch noch einmal etwas anderes sieht als die Zimmerdecke. Vor Begin der ganzen Veranstaltung kann man den Schauspielern beim Schminken zuschauen – selbst das ist schon sehenswert. Aus verhältnismäßig dicken unansehnlichen Protagonisten entstehen innerhalb einer Stunde ansehnliche Kunstgeschöpfe, die aussehen, wie aus einer Fabelwelt entsprungen.

Zu Beginn erhält man eine Einführung in die einzelnen Bewegungen der Akteure und man bekommt die Bedeutung dieser Darstellungen, meist Emotionen, erklärt. Jede Handbewegung hat eine spezielle Bedeutung. Daher ist eine Erklärung vorab notwendig, da man sonst von dem nachfolgenden Stück gar nichts verstehen würde.

Der Inhalt dieser Tanzaufführung stellt einen klitzekleinen Teil aus dem Mahabharata (Mahabharata für Hindus = Bibel für Christen) in einer Art Pantomime dar. Die Pantomime ist jedoch noch einmal stark reduziert auf Augen-, Hand- und Fingerbewegungen. Es kommt weniger der gesamte Körper mit ausladenden Bewegungen zum Einsatz sondern vielmehr kleine Bewegungsnuancen im Gesicht, die mit dem Mund, den Augen und den Augenbrauen gemacht werden. Eine Person verkörpert dabei u. U. auch zwei Figuren (auch Frauenrollen). Dann ist diese Person auch mit mehreren Farben (grün und schwarz) geschminkt. Man verliert als ungeübter Zuschauer ziemlich leicht den Überblick darüber, welche Szene nun gerade dargestellt wird. Zumal man ja auch nichts vom erklärenden Gesang versteht, der die ganze Zeit im Hintergrund vorgetragen wird.

Eigentlich geht eine Katakali-Aufführung über 7-8 Stunden. Wir waren aber schon nach einer Stunde minimalistischen Augenrollens am Ende unserer Konzentrationsfähigkeiten. Die Livemusik und der monotone Gesang sind mit der Zeit auch echt anstrengend. Die vielen Farben und die winzigen Bewegungen zu beobachten ist jedoch sehr spannend. Daher sind wir tapfer bis zum Schluss geblieben, was andere Theaterbesucher nicht geschafft haben.

Bergfest 2. Juni 2018

Ja, wir feiern Bergfest! Nicht, dass es uns hier nicht gefällt aber wir vermissen schon sehr Freunde, Familie, Kollegen und alle, die man halt so noch vom Sehen kennt und mit denen man sich in seinem gewohnten Umfeld wohlfühlt.

Auch unsere Unabhängigkeit vermissen wir weiterhin sehr. Unterdessen sind wir aber ein klein wenig „selbständiger und unabhängiger“ geworden, trauen uns mehr zu, haben Ansprechpartner und fühlen uns nicht mehr so beobachtet. Na ja, jedenfalls können wir besser damit umgehen, denn geändert hat sich eigentlich nix. Wir sind hier auch nach 3 Monaten noch die Exoten.

Aus unserem Urlaub zurück in Alegaon stellen wir fest, wie bei jedem Gast gilt auch für uns: „Besuch wird nach 3 Tagen lästig“. Der anfängliche Support und die selbstverständliche Hilfe von allen Seiten hat stark abgenommen. Zumal auch Baba, unser grosser Unterstützer und Beschützer, seit Ende Mai in den USA bei seinem Sohn ist. Nun müssen wir uns selbst um unseren 20 Liter Trinkwasserbottich kümmern, kleine Zwischenmahlzeiten wie z. B. Obst, Lassi, Tee etc. werden uns weniger regelmässig angeboten und auch das bisher unkomplizierte Zurverfügungstellen eines Motorrades wird zunehmend komplizierter.
Egal! Wir sind ja schon gross und können uns allein um unsere Angelegenheiten und Bedürfnisse kümmern. Es war nur sehr komfortabel unter den etwas schwierigen und ungewohnten Bedingungen etwas „verwöhnt“ zu werden. So verbringen wir nun etwas mehr Zeit damit, unseren Alltag zu organisieren.

Da jetzt täglich die Zeichen für die beginnende Regenzeit zunehmen, sind wir schon sehr gespannt, welche Auswirkungen diese haben wird. Etwas beunruhigt bin ich schon. Wir rechnen mit Starkregen, Sturm, Stromausfällen verbunden mit Dunkelheit, Schlamm(flächen) überall, nicht mehr trocknender Wäsche, weniger Bewegungsmöglichkeiten (Fahrten mit dem Motorrad) und kürzeren Aufenthalten im Freien. Erste Vorbereitungen haben wir schon getroffen. Gestern haben wir eine aufladbare Lampe gekauft, Kerzen gehen ja bei solchen Regenstürmen sofort aus. Es bleibt also weiter spannend für uns.

Chaos 3. Juni 2018

Wir hatten ja schon geahnt, dass wir einen sehr durchwachsenen Start nach unserem Urlaub im Juni haben werden – aber dass es gleich so hart wird, hätten wir nicht gedacht. Am Ende unserer ersten Arbeitswoche ist unser Plan, das Management auf ein solides Fundament zu stellen, in sich kollabiert. Darüber hinaus haben wir nicht genug Lehrer und somit eigentlich ab Mitte Juni nicht mehr ausreichend zu tun (da wir die Managementthemen nicht weiter verfolgen können).
Weiterhin haben wir einige sehr herbe persönliche Enttäuschungen erlebt, die definitiv nicht dazu beitragen, unseren Glauben an eine wie auch immer geartete Loyalität der Inder zu erhärten. Es ist sich jeder selbst der Nächste. Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein sind in Größenordnungen nicht gegeben. Wir überlegen momentan intensiv, wie wir unsere Aufgabe zu einem geordneten Ende bringen können, obwohl wir extrem demotiviert und gefrustet sind. Aber die an uns gestellte Projektaufgabe, das Schulmanagement auf ein solides Fundament zu stellen, können wir nicht mehr realisieren.

Ich habe versucht, unsere letzte Woche mal in einem kurzen Abriss darzustellen – das ist in der Gesamtheit sicher etwas lang und Sonni ermahnt mich gerade, dass das vermutlich keinen interessieren wird – aber irgendwie bekomme ich es nicht vernünftig gekürzt. Es sind vielleicht etwas viele indische Namen am Stück – daher noch einmal eine kurze Einführung:

  • Baba: Der Gründer der Schule, der seine ganzen Ersparnisse und seine aktuelle Pension in die Schule steckt. Momentan besucht er gemeinsam mit der Familie seines jüngeren Sohnes die Familie seines anderen Sohnes in den USA.
  • Sagar Babar: Der jüngere Sohn von Baba, der unser Hauptansprechpartner ist und momentan die Schule leitet, momentan ebenso in den USA bis Ende Juli.
  • Pravin: Der inhaltliche Leiter, eine Rolle, die er bisher aber nie ausgefüllt hat. Er ist zwar ein sehr guter Lehrer, schafft es jedoch nicht, gegenüber den anderen Lehrern in Führung zu gehen.
  • Prashant: Ein Mitglied der Babar Familie, Lehrer für den Kindergarten und ein Macher. Er organisiert den Schulbau, die Finanzen für den Schulbus und wann immer irgend etwas zu machen ist.
  • Balasaheb: Der aktuelle Headmaster, unser Lieblingsgegner, unsteuerbar, lügt, faul…
  • Sagar Pawar, Sarita, Tai: Lehrer an der Schule.

Nach langen Telefonaten mit Sagar hatte er Mitte Mai entschieden, endlich den bisherigen Headmaster Balasaheb abzusetzen und sukzessive Prashant aufzubauen, der uns bisher am Verlässlichsten erschien. In einem Gespräch mit Sagar hatte dieser auch zugesagt, auf jeden Fall noch ein Jahr an der Schule zu bleiben. Mit dieser Entscheidung waren wir sehr zufrieden und bereiteten uns darauf vor, ab Juni die Finanzen gemeinsam mit Prashant aufzubereiten und aus ihm und Pravin ein Führungsteam zu formen, dass Balasaheb ablöst. Für ihn waren nur noch einige administrative Tätigkeiten vorgesehen. Er sollte zusätzlich auch wieder unterrichten. Für Montag hatten wir uns 8:30 Uhr in der Schule verabredet. Im Vorfeld hatten wir den Fakt auch mehrfach nachgefragt, ob das alle schaffen würden, da wir dafür unseren Urlaub abbrechen würden. Natürlich hatten wir für uns mit massiven Verspätungen gerechnet aber die Realität war noch frustrierender.

Montag

Wir warten von 8:30 bis 11:00 ohne dass jemand auftaucht oder sich meldet bzw. auf unsere Telefonate antwortet. Gegen 11:00 erreichen wir Prashant und kurz danach Pravin, die uns mitteilen, dass sie leider entweder Farmarbeit haben oder grad mit ihrer Mutter im Krankenhaus, bzw. beim Mittagessen sind. Für den nächsten Tag verabreden wir uns nachmittags für 14:30. Balasaheb teilt uns per SMS mit, dass er erst Donnerstag zu erscheinen gedenkt. Es geht noch etwas hin und her mit Balasaheb. Sagar Babar teilt ihm mit, dass er nur zum Managementteam gehört, wenn er spätestens am Mittwoch erscheint.

Dienstag

Wir treffen uns um 16:00 (das war im Übrigen sogar eine Punktlandung bezogen auf unsere Zeiterwartung). Pravin und Prashant teilen uns mit, dass sie beide leider nur noch für 2 Monate als Lehrer zur Verfügung stehen und außerdem zusätzlich zu Tai, die in den Schwangerschaftsurlaub verschwunden ist noch Sarita und Sagar Pawar die Schule verlassen haben. Sagar hätte die Schule verlassen, weil er gern mehr leitende Aufgaben übernehmen würde. Unsere gesamte Planung für das kommende Schulhalbjahr kollabiert innerhalb von Minuten. Mit Balasaheb können und wollen wir keine Managementthemen wie Finanzen oder Lehrerweiterbildung bearbeiten, da er uns einfach schon zu oft angelogen hat, des Weiteren stinkend faul und beratungsresistent ist. Darüber hinaus, wie am Montag gesehen, folgt er keinerlei Anweisungen, weder von uns noch von Sagar Babar. (In Deutschland wäre das längst ein Kündigungsgrund – hier jedoch auf dem Land findet Sagar einfach keinen Ersatz und Balasaheb nutzt das aus) Wir kontaktieren Sagar Babar in den USA und verabreden, uns am nächsten Morgen zum weiteren Verfahren abzustimmen. Ich bitte Pravin, sowohl Sagar Pawar zu kontaktieren (u.U. lässt sich ja da noch etwas bewegen) und Rupali (die hier schon einmal gearbeitet hat, sehr geradlinig aber auch streitbar ist und es sich deshalb schon mit Baba verscherzt hat).

Mittwoch

Das Gespräch am Morgen mit Sagar in den USA findet nicht statt und wird auf den Abend geschoben – wir sagen das eigentlich geplante Treffen mit Prashant und Pravin ab und machen uns gefrustet auf den Weg nach Sangola in der (korrekten) Annahme, dass Balasaheb sowieso nicht erscheinen wird. Im Tagesverlauf melden sich Rupali und Sagar Pawar. Mit beiden vereinbaren wir Gesprächstermine an der Schule- mit ihr noch gleich für den Mittwoch Nachmittag. Wir wälzen verschiedene Optionen, die wir Sagar vorstellen könnten, hin und her. Ohne Veränderung des Managements vor Ort ist unsere Arbeit nicht mehr umsetzbar. Die meisten Themen sind dort angesiedelt. Wenn wir bei diesen Themen nicht ansetzen können, bleiben uns ab 15. Juni, wenn die Schüler kommen, nur täglich ca. 1h Arbeit mit den Lehrern übrig. Das steht gemessen an den Umständen in keinem vernünftigen und erstrebenswerten Verhältnis mehr.
Am Abend sprechen wir mit Rupali und haben einen sehr guten Eindruck von ihr. Sie spricht gutes Englisch, weiß wovon sie redet, hat klare Vorstellungen zur Methodik im Unterricht und Steuerung der NGO. Mit ihrer sehr direkten Art stößt sie jedoch in der indischen Männergesellschaft sehr schnell an. Wie sich später herausstellt, ist auch ein Problem, dass ihr Mann und sie sich getrennt haben. Sie ist mit den Kindern allein im Dorf im Haushalt ihres Bruders geblieben und versucht nun, irgendwie durchzukommen.
Am Abend erreichen wir telefonisch nun endlich Sagar in den USA und verabreden uns für den Folgeabend zur Entscheidung. Er nimmt das Thema “Rupali” noch einmal als Diskussionsvorschlag für Baba mit. Die Idee, dass wir mit Sagar Pawar sprechen wollen, um mit ihm Alternativen zu besprechen, findet er prima.

Donnerstag

Wir sprechen am Morgen eine Stunde mit Sagar Pawar. Er zeigt sich begeistert von der Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Teil eines Managementteams zu sein. Allerdings möchte er seine Frau mitbringen, die gerade ihren pädagogischen Abschluss gemacht hat und nun ihren Einstieg als Lehrerin sucht. Wir fallen vor Freude fast um und glauben, zwei Probleme auf einmal gelöst zu haben. Bisher ist uns Sagar durchaus positiv als ein Kandidat für zusätzliche Verantwortung aufgefallen. Wir hätten sie ihm unter Umständen jedoch ein wenig später gegeben, aber so kommt nun alles etwas schneller. Abends holen wir uns aus den USA die Freigabe für unseren Ansatz. Rupali ist leider bei Baba “verbrannt”. Er sträubt sich mit Händen und Füßen gegen ihre erneute Einstellung. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Baba ist eigentlich ein sehr umgänglicher und verträglicher Mensch. Wenn er jemanden so abschiebt, dann hat es da mal mächtig gerappelt.

Freitag

Sagar erscheint mit seiner Frau, die keinen einzigen Brocken Englisch versteht oder spricht. Uns wird schon etwas mulmig aber das erscheint uns als Preis dafür, das Managementthema geklärt zu haben, noch vertretbar. Ein Großteil der Lehrer trudelt am ersten Arbeitstag irgendwann im Verlauf des Vormittags ein. Wir stellen das neue Managementteam (und Sagars Frau als neue Lehrerin) vor und beginnen mit der Vorbereitung für das neue Schulhalbjahr.

Samstag

Sagar und seine Frau erscheinen nicht. Er geht weder ans Telefon noch hat er eine Nachricht geschrieben. Wir werden im Verlauf des Tages aufgeklärt, dass er schon am Freitag allen gesagt hat, dass er am Folgetag nicht mehr erscheint und sich alle anderen Lehrer selbst genau überlegen sollten, ob sie für das Gehalt die festgelegte Arbeitszeit akzeptieren wollen.
Wir sind entsetzt und frustriert und brauchen erst einmal eine kurze Auszeit mit einer Runde um die Schule, um uns zu fangen und inhaltlich auszutauschen. Es fehlen uns vier Lehrer (nur noch acht sind da, von denen zwei aber auch demnächst gehen). Das Management besteht nur noch aus Balasaheb, dem wir nicht einen Meter über den Weg trauen und der vor allem mit stumpf lächelndem Gesicht die meisten Dinge einfach nicht tut.
Positiv ist, dass wir es schaffen, den Lehrern trotzdem noch die Arbeit zu erleichtern, indem wir das erste Mal nun gemeinsam das Minicomputerlab benutzen und den Lehrern die ersten Schritte in Excel beibringen.

Wir werden für die restliche Zeit hier vor Ort von solchen kleinen Erfolgen zehren müssen. Der große Wurf wird uns nicht mehr gelingen.

Sonntagsausflug nach Pandharpur 3. Juni 2018

Bevor nun die gefürchtete Regenzeit einsetzt, nutzen wir jede Möglichkeit für einen Ausflug. Seit Tagen hatten wir versucht, uns für das Wochenende ein Motorrad zu organisieren. Auf den Zustand dieser fahrbaren Schrotthaufen darf man nicht schauen, sie fahren mehr schlecht als recht aber wir sind halt immer wieder froh, damit ein wenig Bewegungsfreiheit zu bekommen.
Heute, am Sonntag sind wir nach Pandharpur gefahren. Diesen bekannten Wallfahrtsort hatten wir bereits Ostern gemeinsam mit unserer Gastfamilie besucht. Doch nun wollten wir noch einmal entspannt durch die Stadt bummeln und die Eindrücke auf uns wirken lassen.

Da eine Fahrtstrecke 42 km beträgt, mussten wir auf dem Rückweg eine kleine Pause einlegen, um Trinkwasser zu kaufen und uns etwas die Füsse zu vertreten. Durch die katastrophalen Strassenzustände werden die Knochen schon mächtig durchgeschüttelt und die Wirbelsäule ordentlich gestaucht.
So landeten wir wieder einmal fast am Ende der Welt oder in der Mitte von Nirgendwo oder war es doch noch am Rand der Zivilisation? Jedenfalls hielten wir in einem kleinen Dorf, dessen Namen wir schon wieder vergessen haben und wurden sehr herzlich empfangen. Etliche Männer kamen in einem kleinen Büro in der Dorfmitte sogleich zusammen und redeten in Marathi auf uns ein. Nur ein Mann sprach leidlich englisch und so konnten die üblichen Fragen wieder schnell zur Zufriedenheit aller geklärt werden.
Es klingelte auf der Dorfstrasse, ein Karren hielt an und plötzlich hatten wir sowie die uns umringenden 8 Männer ein selbst hergestelltes Büffelmilcheis am Stiel (mit Kardamomgeschmack) in der Hand. Einladung vom Parteivorsteher. Ablehnen unmöglich! Lächeln, Loben und Lutschen!
Zum Abschluss durften wir auch noch die lokale Mühle besuchen, in der sogar am Sonntag noch Maismehl fürs Vieh gemahlen wurde. Mahlzeit!
Ohne den am Nachmittag erwarteten Regenschauer kamen wir wieder auf unserer Farm an und hatten für die Kids unserer Gastfamilie selbstverständlich auch ein Eis mitgebracht, allerdings abgepackt von „unserem Händler des Vertrauens“.

Schulbeginn 8. Juni 2018

Am 15.06. beginnt offiziell die Schule wieder. Somit haben wir ca. zwei Wochen für die Vorbereitungen mit den Lehrern und es gibt sooo viel zu tun:

  1. Die Klassenräume müssen sauber gemacht werden von zentimeterdickem Staub von anderthalb Monaten Leerstand in den Ferien.
  2. Die Schulbücher und andere offizielle Materialien sollten bestellt werden, ebenso die Schuluniformen, Schuhe, Socken etc.
  3. Unterrichtsmaterialien (Schautafeln, Bildmaterial, Namensschilder) müssen teilweise von den Lehrern selbst hergestellt werden, aus Mangel an Profimaterial
  4. Alle Klassenräume, besonders jedoch die der Kindergarten- und Vorschulkinder, sollen schön und entsprechend der Altersgruppe dekoriert werden. Dazu hatten wir grosse Soft-Pinnwände angeschafft und selbst mit Stoff bespannt.
  5. Die Anzahl der Neuzugänge bzw. der in der Schule verbleibenden Schüler aller Altersklassen (Kindergarten, Vorschule und 1.-9. Klasse) müssen in erneuten Hausbesuchen auf den umliegenden Dörfern erfragt werden.
  6. Die neuen Schulgelder für das kommende Schuljahr (Erhöhung um 500 Rupien) müssen in einem Informationsschreiben erstellt und an die Eltern zur Kenntnis weitergeleitet werden. Wir schreiben den Brief vor und ein Lehrer übersetzt ihn in Marathi.
  7. Der riesige Wasseraufbereiter und -filter muss aufgrund der fast zweimonatigen Nichtnutzung gesäubert und neu mit Wasser gefüllt werden, sonst ist kein Trinkwasser vorhanden.
  8. Der Neubau des Klassenzimmers für die zukünftige 9. Klasse muss eigentlich fertiggestellt und der Raum dann noch eingerichtet werden. Das wird jedoch in nächster Zeit nicht mehr möglich sein, da das Fundament noch offen ist und die Regenzeit schon begonnen hat.

Es ist also wieder richtig viel zu tun aber ausser uns haben hier alle die Ruhe weg. Jeder kommt und geht weiterhin wann er gerade möchte. Farmarbeit, Familie, Besuch oder die gerade beginnende Regenzeit…alles hat „Vorrang“ vor der Lehrtätigkeit. Es ist gefühlt ein heilloses Durcheinander. Allerdings haben die Lehrerinnen viel Freude am Gestalten der Soft- Pinnwände und leben ihre Kreativität aus. Schritt für Schritt entstehen kleine Kunstwerke.

Der Schule fehlen zum Schuljahresbeginn auch immer noch 4 Lehrer. Alle Bewerbungsgespräche waren bisher leider erfolglos, und es gab doch einige. Aber „mit Gottes Hilfe“ wird sich das alles schon klären, sagen die Einheimischen. Wir sind gespannt, ob diese Hilfe ausreicht oder ob man doch auch selbst das Eine oder Andere unternehmen sollte. Gern lassen wir uns eines Besseren belehren!

Wir versuchen zu strukturieren, anzuleiten, Ideen zu geben und dann teilweise bei deren Umsetzung mitzuhelfen. Dabei haben wir mit Erschrecken festgestellt, dass wir die Lehrer selbst mit den einfachsten Dingen komplett überfordern. Das ist in den ersten zwei Monaten nicht so aufgefallen, da wir in dieser Zeit „nur“ viel mit ihnen gesprochen, gemeinsam analysiert, abgestimmt und mit dem Management in Pune bzw. in den USA Pläne für Veränderungen besprochen haben. Nun geht es stärker um die praktische Umsetzung und wir bekommen grosse Augen, was geht und was halt auch nicht geht.

Thomas hatte einen Lehrer gebeten, Bewerbungsunterlagen von Schülern in einen Aktenordner einzusortieren. Alle Materialien (Trennblätter, Stift, Papiere, Aktenordner) übergab er ihm und wartete auf die Ausführung. Als nach einer längeren Zeit immer noch nix passiert war, setzte ich mich neben den offensichtlich ratlosen Lehrer und stellte fest, er hatte gar keine Vorstellung davon, wie ein Aktenordner funktioniert. Dass man z. B. die Metallspange öffnen, schliessen und fixieren kann und von einem Ordnungssystem mit beschrifteten Trennblättern hatte er auch noch nie etwas gehört. Das ist kein Witz! Ich musste also erklären, wie man einen Aktenordner benutzt. Diesen Anleitungsaufwand können Thomas und ich bei 8 bis 10 Lehrern natürlich nicht leisten. Daher fallen viele noch offene Projektaufgaben schlicht und ergreifend aus.
Wir versuchen erneut täglich zu improvisieren und werden durch die nun beginnenden starken Regenfälle und die dadurch entstehenden grossen Schlammflächen und tiefen Regenpfützen auf ein Neues herausgefordert.

Und wieder ist es Sonntag 10. Juni 2018

Schrittweise bereiten wir sowohl gedanklich als auch praktisch unsere Abreise aus Alegaon vor und damit die Verabschiedung von unserer Gastfamilie.
Heute, zum Sonntag, wollten wir unseren einzigen und wahrscheinlich letzten Familienausflug mit allen machen (wir haben nur noch 5 Wochen bis zu unserer Abreise nach Pune). Ravi hatte dazu offensichtlich jedoch keine Lust. Er hängt lieber mit seinen Kumpels ab und fährt mit seiner „Bullet“ (Royal Entfield) in der Gegend umher. Eine liebevolle Beziehung zu seinen Kindern hat er ohnehin nicht. Ehrlich gesagt, kann er mit ihnen gar nix anfangen. Es gibt fast keinen persönlichen Kontakt zwischen ihnen. Er hält sogar am Nachmittag in der Schule ein kurzes Erholungsschläfchen, da zu Hause seine beiden Kinder oft lauthals schreien, viel weinen wenn sie ihren Willen nicht bekommen und sich ständig in den Haaren liegen.

Das können wir nur zu gut verstehen, da auch wir täglich gegen 6:00 Uhr in der Frühe von den beiden geweckt werden. Manchmal sind es allerdings auch die Kühe, die während des Melkens muhen oder die ersten frühen Vögel, die einen Wurm abbekommen wollen…auf dem Land ist halt immer was los.

Da es heute Vormittag nicht wie an anderen Tagen geregnet hat, haben Thomas und ich noch einmal einen Spaziergang durch das noch immer ausgetrocknete Flussbett gemacht. Dort halten sich zahlreiche Pfauen auf, die in der Regenzeit besonders intensiv singen und dann dazu ihr prächtiges Rad schlagen. Das wollten wir unbedingt sehen. Es raschelte am Wegesrand und in froher Erwartung der farbenprächtigen Vögel blieben wir stehen. Ein kurzer Aufschrei! Entsetzen! Ein riesiges Schlangenpaar im Liebestanz kroch geräuschvoll durch das vertrocknete Gras.

Auch Schlangen kommen bevorzugt in der Regenzeit aus ihren Verstecken und paaren sich. Das haben wir von den Einheimischen nun auch erfahren inklusive der eindringlichen Bitte, nicht mehr im Dunkeln dort zu laufen. Ab sofort machen wir also um das Flussbett selbstverständlich einen großen Bogen, zumindest ab der Dämmerung.

Thomas hat dann am späten Vormittag noch schnell ein Cricketturnier mit 26 Mannschaften in einem Nachbardorf als Ehrengast eröffnet. Es gab wieder die übliche Eröffnungszeremonie mit Kokusnuss zerschlagen und Segenszeichen auf der Stirn. Danach wollten wir endlich, wie geplant alle gemeinsam einen Familienausflug nach Sangola machen. Da wir mit 5 Personen (Shria, die Kinder und wir) nicht auf ein Motorrad passen und Shria selbst kein Motorrad fahren kann, schien der Ausflug ohne Ravis Beteiligung auszufallen. Doch Shria schlug vor, einen kleinen Schulbus zu nehmen. Sie wollte wahrscheinlich unbedingt mal raus und unter Leute. Am Sonntag ist auch noch Markttag in Sangola und daher unendlich viele Menschen unterwegs.
Der Schulbus ist eine Zumutung! Total abgewrackt! Es klappert überall, die Sitze sind aufgeschlitzt und das Polsterzeug hängt in Fetzen herum, die Gänge gehen nicht richtig rein, Seitenspiegel gibt es nicht, Licht und Blinker fehlen ebenfalls. Als Fahrzeug kann man diesen Schrotthaufen echt nicht mehr bezeichnen. Ich weigere mich, damit unterwegs zu sein. Shria zuliebe habe ich jedoch alle meine Vorsätze und Bedenken über Bord geworfen und mich mürrisch ihrem Ausflugswunsch ergeben.

Gemeinsam waren wir wieder in dem Eisladen, der ganz leckere Shakes und Eissorten zubereitet. Der Besitzer kennt uns mittlerweile und weiß, was wir bestellen. Daher war ein Foto mit ihm diesmal ein Muss.

Danach ging es weiter zum Shoppen: Grosseinkauf an Kosmetika und Schmuck für die Damen (exklusive meiner Person). Danach leckere Seltenheiten wie z. B. Datteln, getrocknete Kokosnüsse, Mandeln, Kashewkerne, Rosinen, Kekse aber auch ein neues Küchenmesser und eine neue Spülschüssel.
Thomas kaufte auch noch eine Bohrmaschine. Man soll es kaum glauben aber auf der Farm ist kein einziges Werkzeug vorhanden. Für alles wird ein Klempner, Elektriker oder Installateur gerufen. Die Handwerker kommen dann aber auch wann sie wollen und nie dann, wann es verabredet war. Somit ist für alle Reparaturen auch wieder WARTEN angesagt. Das war Thomas zu blöd und so reparierte er die Aussenlampe vor unserem Haus und brachte auch gleich noch eine Wäscheleine unter der einzigen Regenüberdachung an.

Was für ein ereignisreicher Sonntag!

Etwas Bleibendes 12. Juni 2018

Als Dankeschön für die offene und freundliche Aufnahme in ihre Familie, für das tägliche liebevolle Kochen und die englischen Kommunikationsversuche zur Unterstützung unserer Arbeit in der Schule wollen wir Shria eine bleibende Erinnerung an uns spendieren. Wir hatten dabei an einen Kühlschrank, ein Power-Backup oder auch an einen kleinen Scooter gedacht. Shrias großer Wunsch ist jedoch ein Solar-Heater, um Wasser zu erwärmen. Bei der elenden Hitze der letzten zwei Monaten erschien uns das eigentlich vollkommen unnütz und absurd. Aber ihre Überlegungen als Frau eines Farmers und Mutter zweier Kinder sind andere. Für Shria bringt ein Solar- Heater in der Tat eine tägliche Arbeitserleichterung.
Bisher wird morgens 6 Uhr direkt hinter unserem Haus und unter unserem Fenster ein offenes kleines Feuer entfacht und darauf ein Kessel mit Wasser gekocht. Das wird dann als „Duschwasser“ für die Kinder genutzt und die Schwiegermutter wäscht sich damit die Haare.
Auch die Kleidung aller, die durch die Farmarbeit der Männer und das Herumtoben der Kinder im Freien sehr schmutzig ist, könnte dann mit warmem Wasser leichter gewaschen werden. Selbstverständlich ist auch der Abwasch des ganzen Kochgeschirrs (dreimal täglich warme Mahlzeiten) mit warmem Wasser viel effektiver. Ganz zu schweigen von den fettigen Milchkannen, die zweimal täglich von Shria ausgewaschen werden.
Ein Solar -Heater ist somit doch eine ganz wunderbare Idee und Sonne dafür gibt es hier satt. Vor einigen Tagen kamen nun der Tank für die Solarzellen schon auf’s Dach.

Nun muss nur noch der Wassertank 1,5 m nach oben gesetzt werden. Das bedeutet jedoch WARTEN auf den Schweißer und den Klempner, was aus traurigen Erfahrungen sehr lange dauern kann. Wir sind gespannt, ob wir die Fertigstellung der Solaranlage noch vor unserer Abreise erleben. Bei dem neuen Klassenzimmer für die 9. Klasse ist das wohl leider nicht mehr der Fall, obwohl mit den ersten Arbeiten bereits Ende April begonnen wurde. Wir hoffen es jedoch ganz doll und wir drücken uns dafür selbst die Daumen.

Vom Wert der Arbeit 14. Juni 2018

Viele unserer Gespräche, die Sonni und ich miteinander führen drehen sich um die wahrgenommenen unterschiedlichen Antriebe für Arbeit, die wir vorfinden. Was ist intrensisch? Was ist extrensisch? Wann kommt als Motivator Geld ins Spiel – ab wann hört Geld auf als Motivator eine Rolle zu spielen. Wann setzen andere Motivationsinstrumente ein?

Für vieles, was wir in unserem Alltag vorfinden muss man sich immer wieder verdeutlichen, wie wenig die Leute hier selbst im Vergleich zu anderen für ihre Arbeit an Gehalt im Monat bekommen. Ein paar Werte mal als Vergleich – immer mal den Umrechnungskurs von 80 Rupien = 1 Euro im Blick behalten:

  • Gehalt eines erfahrenen Lehrers bei uns: 4500 Rupien
  • Gehalt eines Anfängers bei uns: 4000 Rupien
  • Gehalt für eine Putzfrau bei uns: 1500 Rupien
  • Monatsticket für den Bus: 500 Rupien
  • Gehalt nach 3 Jahren an einer staatlichen Schule: 20000-25000 Rupien
  • Bestechungsgeld um eine solche Stelle zu erhalten: 1 Mio – 2,5 Mio Rupien
  • Gehalt des Fahrers des Schulbusses (morgens und nachmittags jeweils 2h Arbeit): 6000 Rupien
  • Gehalt eines staatlichen Busfahrers: 9000 Rupien
  • Bestechungsgeld um eine solche Stelle zu erhalten: 500 Tausend Rupien
  • Flatrate für 3 Monate Internet auf dem Handy: 500 Rupien
  • 1 kg Äpfel: 200 Rupien
  • 1 kg Ziegenfleisch: 400 Rupien
  • 1 kg Hühnerfleisch: 250 Rupien
  • 1 kg Mango: 50 Rupien
  • 1l Öl: 100 Rupien
  • einfaches T-Shirt: 150 Rupien
  • einfaches Busticket nach Sangola: 20 Rupien
  • Benzin für Alegaon-Sangola-Alegaon: 50 Rupien

Für einen Lehrer, der aus Sangola anreisen muss, bleiben demzufolge nach Abzug der Fahrtkosten 3500-4000 Rupien übrig. Das ist auch für Indien nicht sehr viel Geld. Die Schwelle zu gar keinem Verdienst ist dabei nicht mehr besonders hoch. Da wir nun auch noch eingeführt haben, dass das Gehalt an die Anwesenheitszeit vor Ort gekoppelt wird, ergeben sich beim Zuspätkommen Einzelner durch Farmarbeit etc. teilweise sehr reduzierte Gehälter. Warum kommen die Lehrer also überhaupt noch zur Arbeit?

Weshalb unsere Putzfrau vollkommen faul in der Ecke lümmelt, erschließt sich für mich vollkommen beim Blick auf den Gehaltszettel (20 EUR). Sie empfindet das Ganze vermutlich eher als gute Möglichkeit mal aus dem Haus zu kommen und ein andere soziales Umfeld zu haben. Für wertgeschätzte Arbeit, echte Arbeit, ist das Geld viel zu wenig.

Natürlich ist das Geld ein Riesenthema, zumal seit März keine Gehälter an die Lehrer gezahlt wurden. Für die Bus- Monatskarten mussten sich einige Lehrer Vorschüsse erbitten, damit sie überhaupt zur Schule kommen.

Wir haben in den letzten Tagen jedoch die Erfahrung gemacht, dass ganz klassisch produktive und erfolgreiche Arbeit die Leute motiviert, positives Feedback und gemeinsame Ziele – alles ganz normale Motivationsmittel aus dem Management.

Dass der Druck jedoch manchmal übergroß wird und die Motivationsschwelle bei all den externen Hindernissen zu hoch, ist jedoch auch nachzuvollziehen. Das bedeutet dann zwar für uns wieder Tiefenfrustration ist jedoch rational erklärbar. Manches fühlt sich an wie in einem Freiluftlabor der Motivationstheoretiker – das macht dann Spaß – manches ist einfach nur Chaos.

Tag der Entscheidung 17. Juni 2018

Wir haben 10 erfolgreiche Arbeitstage mit den Lehrern hinter uns. Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie die Lehrer angefangen haben, ihre Klassenräume selber zu gestalten und die Softboards mit ihren Ideen verschönert haben, so dass jetzt von Kindergarten bis zur 5. Klasse die Wände schön gestaltet sind.
Sonni hatte auch die famose Idee, an den Wänden Strippe zu spannen. Die bisher an die Wände geklebten und vollkommen räudig aussehenden Namensschilder für die Jüngsten werden wir nun durch laminierte Schilder ersetzen, die wir dann mit Schlüsselringen an den Strippen befestigen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten hat sich ein Lehrer nun sogar breitschlagen lassen, mit der von uns angeschafften Bohrmaschine Löcher für die Haken der Strippe zu bohren. Da es im Ort bisher nur zwei Bohrmaschinen gibt, ist das beileibe nicht selbstverständlich, denn die vorherrschende Meinung st eigentlich, dass man zur Gerätemiete den Arbeiter fast umsonst dazu bekommt – die Arbeitskosten sind ja auch so gering. Das Problem dabei ist, dass man die Leute eben nur alle paar Wochen bekommt und ewig hinterherrennen muss. Das heißt, für das simple Anbringen von Strippe wartet man unter Umständen zwei Wochen und führt 10 Telefonate.
Doch nun ist die Vorbereitungszeit zu Ende und wir bereiten den ersten Schultag mit den Lehrern vor. Dabei stellt sich nun jedoch heraus, dass mal wieder eine unserer Annahmen vollkommen fehlgelaufen ist. Wir haben mit den Lehrern im April das Zeitmanagement abgestimmt – 7h Arbeit in der Wintersaison (die jetzt beginnt) – das ist etwas mehr als eine Stunde nach Beendigung des Unterrichts. So hätten wir selbst mit den Lehrern und die Lehrer später noch ohne uns wenigstens etwas Zeit um an der Vorbereitung des Unterrichtes zu arbeiten, englisch zu lernen oder Unterrichtsmittel vorzubereiten.
An unserem letzten Tag der Vorbereitung gehen jedoch einige der Lehrer auf die Barrikaden – sie kommen aus Sangola mit dem Bus, der um 15:00 und das nächste Mal um 17:00 fährt. Unsere Schulzeiten enden jedoch um 15:30. Als sie der Regelung im April zugestimmt haben, hatten sie definitiv noch nicht so weit gedacht – wie auch, wenn die Gewohnheit ist, alles nur wirklich kurzfristig und ohne längere Planung zu entscheiden. Sie haben ein Monatsticket gekauft, jede Fahrt in der Rikscha außerhalb der Buszeiten kostet 20 Rupien – also im Monat 500 Rupien – das ist bei den schmalen Gehältern eine riesige Herausforderung.
Als wir darauf hinweisen, dass das ja die Zeiten sind, die gemeinsam festgelegt wurden (wie gesagt, Fehlannahme von uns, dass ansatzweise eine mittelfristige Planung möglich sei) bitten die Lehrer uns um 15 Minuten Diskussionszeit auf Marathi. Als wir nach 15 Minuten lebhafter Diskussion zurückkommen eröffnen uns die Lehrer, dass sie gern nach Unterrichtsende noch 15 Minuten da bleiben würden aber dann leider den Bus nehmen müssten. Daraufhin nehmen wir beide uns lebhafte 15 Minuten Auszeit und eröffnen den Lehrern anschließend, dass dies für uns das Ende unseres Einsatzes bedeutet und wir nur noch einen weiteren Tag vor Ort sein würden. Für uns hatte sich eine solche Möglichkeit immer schon angedeutet, zu oft waren wir schon daran verzweifelt, wie wenig Ergebnisse unseres Einsatzes angesichts der äußeren Umstände im Management letztendlich bleiben werden. Wenn nun auch noch die eine Stunde an regelmäßiger Arbeit außerhalb des Unterrichtes entfiele, würde zu wenig bleiben, um unsere Anwesenheit noch weiter zu rechtfertigen.
Die spontane Reaktion der Lehrer überrascht uns jedoch – sofort kommt die Bitte an uns zu bleiben – sie würden sich nochmal etwas überlegen. Wir sollen nur bitte bleiben. Dies überrascht insbesondere, da wir unsere Antwort ja nicht etwa drohend sondern eher ganz sachlich als Information geäußert hatten. Für uns war das damit eigentlich durch.
Am folgenden Tag haben wir dann das Thema fürs Erste abschließen können. Die Lehrer bleiben bis 15:30. Wir reduzieren die Anwesenheitspflicht um eine Viertelstunde. Es ist ein Kompromiss, der den Lehrern eine Menge abverlangt. Dass er im Wesentlichen von ihnen so geschlossen wurde damit wir bleiben ist für mich ein riesiger Vertrauensbeweis.
Das ewige Hinundher ist für Sonni natürlich schwerer zu ertragen als für mich. Meine Emotionen haben normalerweise heftigere Ausschläge als Sonnis. Daher komme ich auch mit solchen Amplituden besser klar. Wir haben uns nach langen Diskussionen aber schlussendlich entschieden zu bleiben – nicht für das Management in Pune oder Alegaon sondern für die Lehrer und Schüler.

Ausgegrenzt 19. Juni 2018

Im April hatten wir zum Tempelfest in Alegaon Rupali kennengelernt, eine junge Frau mit zwei Kindern im Alter von 9 und 14 Jahren. Sie hat bis vor zwei Jahren auch an unserer Schule unterrichtet. Insgesamt war sie 7 Jahre als Lehrerin dabei. Sie ist mit einem „Babar- Sohn“ verheiratet. Daher gehört sie im weitesten Sinne zu der Grossfamilie, die im Dorf Alegaon einen enormen Einfluss hat, alle wichtigen Entscheidungen für die Gemeinschaft trifft und somit die Dorfgemeinschaft lenkt und leitet.

Rupali war als Lehrerin sowohl bei den Schülern, ihren Kollegen und wohl auch bei den Angehörigen beliebt. Das sagen die Einen. Die Anderen beschreiben sie als arrogant, streitlustig und grenzüberschreitend, nur nicht genau mit diesen Worten. Beide Meinungen haben wir aus diversen Gesprächen mit ihren ehemaligen Kollegen und auch mit Baba erfahren.
Als ein Lehrer und bis dahin gleichwertiger Kollege zum Schulleiter ernannt wurde, nahm das Drama seinen Lauf. Rupali konnte von ihm keine Anweisungen annehmen, kritisierte offen (vielleicht manchmal auch in unangemessener Art und Weise) seine wenig vorbildhafte Haltung und Arbeitsweise. Damit wurde sie zunehmend zum „Problemfall“. Vor zwei Jahren eskalierte der Streit und Rupali wurde hauptsächlich wegen dieses persönlichen Konfliktes entlassen.
Dieser Lehrer ist auch heute noch Schulleiter und nunmehr „unser Problem“, was wir gerade versuchen im Rahmen unserer Unterstützung hier vor Ort zu lösen. Unterdessen wurden ihm einige Managementaufgaben entzogen und er muss ab dem neuen, nun bereits begonnenen Schuljahr verstärkt unterrichten. Diese Massnahmen sind alle mit dem oberen Management in Pune/USA abgestimmt und entspringen nicht nur unseren Einschätzungen der Lage hier vor Ort.

Zusätzlich zu der beruflichen Katastrophe einer Entlassung als Lehrerin nach 7 Jahren, hat sich aus unterschiedlichen Gründen auch noch der Ehemann von Rupali getrennt und die Familie verlassen. Er lebt und arbeitet nun in Pune, und es gibt keine finanzielle Unterstützung von ihm für seine Frau und die beiden Kinder. Was für ein Desaster!
Rupali lebt seit mehr als einem Jahr allein mit ihrem Sohn und der Tochter auf einer von der Familie verlassenen Farm etwas ausserhalb von Alegaon. Sie ist komplett aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Selbst die Familie Babar unterstützt sie nicht mehr. Lediglich von der Familie ihres Bruders bekommt sie minimale Hilfe.

Rupali bewirtschaftet die kleine Farm (Granatapfel, Mango, Kräuter) ohne Hilfe, versorgt eine Kuh, einen Büffel und mehrere Ziegen. Die Selbstversorgung ist also mit harter Arbeit gesichert. Ausserdem hat sie nun seit kurzem noch einen Job als Lehrerin in einer Schule in Sangola. Dorthin fährt sie selbständig mit einem Scooter, ohne männliche Begleitung. Das ist eigentlich inakzeptabel und sorgt bereits für neuen Gesprächsstoff im Dorf!

Vergangene Woche hatte Rupali uns zu sich nach Hause eingeladen. Dieser Einladung sind wir selbstverständlich gefolgt, um bewusst ein Zeichen gegen ihre Ausgrenzung zu setzen. Unsere Gastfamilie hat darauf sehr verhalten und verständnislos reagiert. Wir mussten unseren Besuch bei ihr erklären und fast ein wenig rechtfertigen.

Der Besuch bei Rupali war für mich eine einschneidende Erfahrung und hat auch im Nachhinein noch für Diskussionen bei uns gesorgt. Selbst Shria, die sich selbst ab und an sehr verhalten über die eingeschränkten Rechte der Frauen im Dorf äußert, kann das Verhalten von Rupali gar nicht nachvollziehen und gibt ihr für die verfahrene private Situation allein die Schuld. Diese Abhängigkeit und Ächtung einer jungen Frau vom gesamten sozialen Lebensumfeld zu erleben, ist bedrückend. Sicherlich trägt Rupali mit ihrer ausgeprägten streitbaren Persönlichkeit auch dazu bei. Sie ist damit jedoch in gewisser Weise Vorreiterin der freien und vor allen eindeutigen Meinungsäusserung speziell durch Frauen. Das gibt es bisher gar nicht. Es wird allerdings noch sehr lange dauern, bis sich Traditionen in Bezug auf die Rolle der Frau lockern und sie mehr Freiraum und Mitsprache im Alltag erhalten.

Voll Stolz hat Rupali auf Facebook unseren Besuch gepostet, um ihrerseits ein Zeichen zu setzen. Hoffen wir mal, dass es ihr ansatzweise hilft.

How to teach? 20. Juni 2018

Die Schule hat begonnen und wir widmen uns nun intensiver der Methodikanwendung durch die Lehrer. Bisher wird ausschliesslich frontal unterrichtet, d. h. der Lehrer liest den Unterrichtsinhalt aus einem Lehrbuch vor und die Schüler müssen ihn dann im Chor aufsagen. Somit ist der Fachlehrer stets genau eine Lehrbuchseite im Wissensvorsprung gegenüber den Schülern. Vorbereitungszeit für die einzelnen Unterrichtsstunden gab es bisher nicht. Das haben wir mit dem neuen Schuljahr gerade erst eingeführt. Jetzt müssen wir die dafür eingeplante Zeit gemeinsam mit den Lehrern füllen. Um den Unterricht in einer anderen Form wie z. B. Gruppen- oder Projektarbeit zu gestalten, bedarf es der Ideengebung, der gemeinsamen Planung und Umsetzung mit einzelnen Lehrern und selbstverständlich werten wir dann das Ergebnis des Unterrichtes auch aus.
So haben Thomas und ich spontan einen kompletten Tag mit der 8. und 9. Klasse abgehalten und am nächsten Tag noch einmal mit der 5. bis 7. Klasse. Da am Schuljahresanfang nur zögernd die Schüler in ihre Klassen zurückkehren, werden anfangs die Klassen teilweise zusammengelegt.

Mit je einem Fachlehrer haben wir den Tagesablauf folgendermassen geplant:

  1. den Schülern das Thema vorstellen (Gestaltung des Klassenraumes mit unterrichtsrelevanten Inhalten in Form eines Plakates)
  2. Ideensammlung mit den Schülern (welches Unterrichtsfach und welche Inhalte?)
  3. bereits erstellte Exemplare aus anderen Klassen in anderen Räumen zur Anregung gemeinsam anschauen
  4. gemischte Schülergruppen (Zweier- oder Dreierteams) zusammenstellen
  5. Wahle des zu gestaltenden Unterrichtsfaches und Inhaltes durch die Schülergruppen
  6. Anfertigung einer Skizze für das zu erstellende Plakat und Präsentation vor den Mitschülern
  7. Gestaltung eines Plakates in Gruppenarbeit

Wichtig für die jeweilige Unterrichtseinheit waren uns dabei folgende Schwerpunkte:

  1. Gruppenarbeit
  2. Kommunikation zwischen Jungen und Mädchen
  3. Lernen durch kreative Gestaltung

Mit Erstaunen haben wir die Fähigkeiten der unterschiedlichen Schüler und Jahrgänge beobachtet. Dabei ist auch hier auffällig, dass deren Feinmotorik, der Ideenreichtum, das Durchhaltevermögen und die Konzentrationsfähigkeit unserer Meinung nach unter dem zu erwartenden Altersniveau sind.
Beiden Schulklassen hat der Unterrichtstag sichtlich Spass gemacht, trotz der empfundenen inhaltlichen Herausforderung. Auch die beiden Fachlehrer waren begeistert, wie abwechslungsreich so ein Unterrichtsfach bzw. -tag gestaltet werden kann. Thomas und ich waren am Ende unserer Kapazität was inhaltliche Anleitung, strukturgebende Organisation, Sprache und Kreativität zur Gestaltung angeht. Die Atmosphäre war jedoch einmalig und hoffentlich bleibt diese Erinnerung zur Nachahmung sowohl bei den Lehrern, als auch bei den Schülern bestehen.

Und hier einpaar Eindrücke:

21. Juni 2018

Vom Kindergarten bis zur 9. Klasse werden derzeit in der „English Medium School“ die Schüler unterrichtet. Seit Jahren besteht das grosse Problem darin, dass bis zur 4. Klasse die Schülerzahlen sehr hoch und hoch sind und ab der 5. Klasse sinken sie schrittweise immer weiter ab. In diesem Schuljahr haben wir teilweise in den höheren Klassen nur noch zwischen 3 bis 5 Schüler. Eine Ausnahme ist lediglich die neue 9. Klasse. Das sind die allerersten Schüler überhaupt, die hier in Alegaon in der Schule englisch beschult wurden.

In den ersten zwei Wochen des neuen Schuljahres kommen und gehen die Schüler, so dass man nie genau weiss, wer eigentlich nun tatsächlich aufgenommen wurde und auch dementsprechend das Schulgeld gezahlt hat. Eltern setzen ihre Kinder einfach in die Schulbusse, die wie immer ihre Touren über die umliegenden Dörfer fahren. Keiner weiss, wer die Kids sind und in welchen Jahrgang sie gehören. Es ist ein einziges Chaos. Von ca. 30 krakelenden Kleinkindern heulen zeitgleich immer 5, sie scheinen einander „anzustecken“. Die Kinder werden, nach alter pädagogischer Tradition, in den Räumen eingeschlossen damit sie nicht heulend nach draussen laufen und andere Unterrichtseinheiten stören können. Zwei Lehrerinnen setzen sich dem ohrenbetäubenden Lärm aus, sind aber völlig am Ende. Das sei jedes Jahr so, berichten sie uns aber eine Methode zum Umgang damit (bei uns ist das die Kita-Eingewöhnungsphase) gibt es hier nicht. Wir sind jedoch „Weltmeister im Improvisieren“. Ich male mit den Kids, baue Holzklotztürme und singe aus lauter Verzweiflung mein ganzes Repertoire an deutschen Kinderliedern immer und immer wieder. Hätte ich doch nur öfter mit meinen Patenkindern Lene und Jara gesungen oder Musik gemacht, dann wäre ich jetzt besser aufgestellt und würde mehr Kinderreime und -lieder kennen.
Auch Thomas hält den Krach nicht mehr länger aus und schliesst schnell noch einen alten PC mit seinem Handy zusammen, recherchiert im Internet und dann erklingen endlich Kinderlieder in Marathi und es gibt sogar einen Cartoon zu sehen. Es ist ansatzweise Ruhe! Entspanntere und dankbare Gesichter bei den beiden erschöpften Lehrerinnen.

Finanziell ist das bisherige Konzept so nicht mehr wirtschaftlich fortzusetzen. Es wurde schon bisher kein Gewinn mit der Schule zum Reinvestieren erwirtschaftet. Unterdessen stehen selbst die jährlichen privaten Investitionen unserer Gastfamilie in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand, der allgemein zum Erhalt betrieben werden muss. Ausserdem sind für die höheren Klassen weitere Investitionen nötig wie z. B. ein Computerkabinett und ein Labor. Das Geld dafür kann jedoch nicht über die Schulgelder refinanziert werden.
Daher hatten wir bereits im April, nach ersten groben Budgetplanungen und Finanzhochrechnungen, eine Konzeptveränderung vorgeschlagen. Diese wurde jedoch bisher nicht wirklich geprüft, sondern aus Loyalitätsgünden gegenüber Baba verworfen.

Da sich nun die Schwierigkeiten in der Schule häufen (keine neuen Lehrer, sinkende Schülerzahlen, kein Management vor Ort, zu geringe Einnahmen, wenig Spenden) haben wir nun doch noch den Auftrag bekommen, unseren Konzeptionsvorschlag (nur noch Kita und bis 4. Klasse) zu kalkulieren. Daher stehen für Thomas wieder umfangreiche Excel-Stunden auf der Tagesordnung.

Der Bau des neuen Klassenzimmers für die 9. Klasse ist nun selbstverständlich auch gestoppt. Das Basement ist unterdessen allerdings fertig. Daher müssen wir auch noch überlegen, was perspektivisch damit geschehen kann. Vermutlich werden wir nur noch die Fussbodenabdeckung beauftragen und den Platz überdachen lassen. Dann ist das halt ein Picknickplatz für die Kinder zur Mittagspause. Derzeit essen sie in den Klassenräumen. Es besteht allerdings Sturzgefahr auf der neuen „Terrasse“ aber ich denke, das interessiert hier erstmal niemanden…

Wir sind gespannt, was unsere Berechnungen und Überlegungen in den nächsten Tagen für Ergebnisse und Entscheidungen bringen.

Vertrauen 23. Juni 2018

Trotz der unangenehmen Dinge, die wir in der Schule eingeführt haben wie z. B. das gehaltsrelevante Zeitmanagement für die Lehrer, die Vor- und Nachbereitungszeit von 1 Stunde pro Unterrichtstag im Anschluss an den Unterricht und nun auch noch die Schliessung der 6. bis 8. Klasse, bringen uns doch viele Lehrer Vertrauen entgegen. Sie sehen uns nicht als „Feinde“, die ihre Schule zerstören. Natürlich sind sie erstaunt über das Ausmass an Veränderungen und die Brisanz der finanziellen Situation, in der die NGO steckt. Jedoch haben sie Achtung und Vertrauen in unsere Entscheidungen, da sie Kompetenz und Transparenz erleben. So viele Informationen, so viel Mitbestimmung und so viel Struktur kennen sie bisher nicht. Auch in Diskussionen besteht trotz der ernsten Inhalte eine verhältnismässig offene Gesprächskultur. Sogar die Frauen sagen zunehmend stärker ihre Meinung, planen mit uns, bringen Lösungsvorschläge und sind aktiver als vor drei Monaten. Das ist eine für alle ganz positive Entwicklung.
Wir werden trotz allem zum Tee oder sogar zum Essen von einigen Lehrern eingeladen. Darüber freuen wir uns natürlich sehr.
Heute waren wir in Waki, einem Dorf 3 km von unserem entfernt, eingeladen. Dort lebt einer der Lehrer, Popat. Er ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat einen 10 Monate alten Sohn. Gemeinsam wohnt er mit ihnen und seinem Vater in einem winzigen Haus, bestehend aus einem Wohn- und Schlafraum (1 Bett für alle) und einer Küche. Insgesamt sind diese beiden Zimmer vielleicht 16 qm gross. Allein bewirtschaftet er die Farm von 4 bis 7 Uhr früh und danach ist der Marathi- und Hindi- Lehrer. Als Alleinverdiener hängt die gesamte Versorgung an ihm und er erzählte, dass er so manche Nacht nicht schlafen kann, weil er grübelt, wie er das alles schaffen soll.
Das Feld hat er für die nun anstehend Regenzeit gut vorbereitet. Er hat einen Wasserspeicher mit Pumpe gebaut und auf der gesamten Fläche für 600 Granatäpfelbäum Bewässerungsschläuchen verlegt. Das war eine richtige Investition. Nun fehlen im 10.000 Rupien, um die jungen Bäume zu kaufen und in die Erde zu bringen. Da die Schule 2,5 Monatsgehälter nicht zahlen konnte, fehlt ihm nun dieses Einkommen und alle Arbeit war umsonst!? Das ist die Frage, die er sich täglich stellt.
Wir haben bisher gedacht, unser Aufenthalt auf der Farm ist einfaches Landleben. Bei unserem Besuch heute haben wir jedoch festgestellt, dass es noch einfacher und ärmer zugehen kann.
Auf dem Hinweg nach Waki sind wir in einen mächtigen Monsunregen gekommen und mussten uns für ca 1 Stunde in einer fremden Bauernhütte am Strassenrand unterstellen. Dort hatte Popat auf uns gewartet, um gemeinsam weiterzufahren. Die Erde weicht so schnell auf, das in Sekundenschnelle alles schlammig ist, riesige Pfützen und sogar kleine Bäche entstehen und man nicht mehr laufen oder Motorrad fahren kann.
Die sprachliche Verständigung mit Popat ist nur sehr eingeschränkt möglich, daher waren wir sehr erstaunt, als er einen kleinen Fotobildband aus seiner Tasche zog und uns die abgebildeten Orte erklärte. Es war herzerweichend zu sehen und zu hören, wie gern er selbst reisen würde. So verging die Wartezeit recht schnell und kurzweilig.

Als der Regen aufgehört hatte, sind wir gemeinsam noch ca 1 km zu Fuss bis zu Popats Farm gelaufen. Dorthin gelangt man in der Regenzeit wirklich nur zu Fuss. Popat lief selbstverständlich barfuss, was in den Schlammmassen am einfachsten ist. Wir versuchten es auch, kamen aber nicht sehr weit, da überall Dornen, Müll und Steine den Boden bedecken. Also Schuhe wieder an. Unsere Schuhsohlen hatten nach wenigen Minuten jedoch einen enormen Stroh- Schlamm-Batzen als Absatz, dass das Laufen fast nicht mehr möglich schien. Achtung Rutschgefahr! Bei Ankunft vor dem Farmhaus erst einmal Füsse waschen und dann …einfachstes Landleben erfahren. Zu unserem Erstaunen war es jedoch das erste Farmhaus, in dem wir einige Bücher und Zeitschriften auf einem kleinen Wandregal entdeckten.
Wir bekamen erst Tee angeboten, sind dann die Farm abgelaufen und danach gab es noch eine kleine Schüssel gekochte Reisflocken mit Kräutern und Erdnüssen.
Zum Abschluss noch ein Gemeinschaftsfoto! Popat war so stolz, uns seine Familie vorzustellen und seine Farm zu zeigen. Mit nur ganz wenigen Englischkenntnissen, hat er uns sein ganzes Leben erzählt und gesagt, dass er sich so sehr freut, mit uns nun auch mal englisch zu sprechen. Er will es üben, um sich zu verbessern.

25. Juni 2018

Das Management in Pune/USA hat unseren Veränderungsvorschlag für die Schulkonzeption angenommen. Damit sollte sich nun endlich schrittweise die lang gewünschte finanzielle Stabilität für die Schule erreichen lassen.

In den letzten zwei Tagen sollten 10 Angehörige von Schülern aus der 6-8. Klasse darüber informiert werden, dass in der English Medium School die Klassen ihrer Kinder leider nicht mehr fortgesetzt werden können. Mit nur 1 bis 4 Schülern lässt sich die Qualität des Unterrichts nicht sicherstellen und das Zusammenlegen dieser drei Klassen ist inhaltlich natürlich auch nicht möglich.

Leider hat der von uns beauftragte Lehrer nur teilweise die abgestimmten Informationen an die Angehörigen weitergegeben. Somit sind Gerüchte aufgekommen und Baba wurde von Dorfbewohnern und auch vom Serpanch in den USA angerufen und gefragt, ob denn die Schule schliessen würde. Daraufhin wurde die gesamte, gerade erst vom Management beschlossene und verkündete Veränderung erneut auf ihre Sinnfälligkeit hinterfragt. Plötzlich kamen wieder alte Vorschläge und Kompromisse auf den Tisch, die bereits ausgiebig mit allen Verantwortlichen diskutiert und aus den unterschiedlichsten Gründen nicht berücksichtigt werden konnten.
Auf unserer Farm tauchten abends 21:00 Uhr plötzlich „Vertreter der Schule“ auf, die im Namen der Lehrer und des Schulmanagementteams „neue Überlegungen“ präsentierten. Ich war pappe satt und habe das auch unmissverständlich den Herren gegenüber kommuniziert! Ich fand es total dreist, bei uns zu dieser Zeit aufzuschlagen und so zu tun, als ob nun plötzlich neue Ideen auf dem Tisch liegen, die unbedingt zu prüfen sind. Wir hatten stundenlang über mehrere Tage kalkuliert, Inhalte des Finanzbudgets geprüft, Thomas hatte sogar mehrere Varianten berechnet und in Exceltabellen dargestellt und selbstverständlich fehlte auch die Abstimmung mit den Verantwortlichen in den USA nicht. Das ist in Summe richtig viel Arbeit, alles zusammenzustellen und regelmässig zu pflegen. Dadurch sind wir jedoch nun auf den Rupie genau aussagefähig gegenüber dem Management. Thomas stellt diese Zahlenwunderwerke alle zusammen, ich bin mit in deren inhaltlicher Überprüfung involviert. Nunmehr gibt es wieder einen tagesaktuellen Überblick über die Schülerzahlen, die bereits gezahlten Schulgebühren für das neue Schuljahr, die offenen Gebühren aus dem letzten Schuljahr sowie über die Finanzlage der 4 Schulbusse, die alle defizitär betrieben werden. Selbst die Zahlung der Gehälter aller 10 Lehrer liegt in unseren Händen. Teilweise wurden deren Gehälter mit den zu zahlenden Schulgebühren für die Kinder verrechnet. Da nie etwas dazu aufgeschrieben wurde, erinnert sich auch nur zögernd der eine oder andere an diese Tatsachen.

Aufgrund der zahlreichen Schwierigkeiten heisst es für das Management in den USA nun „Sekt oder Selters“, es muss dringend eine Entscheidung getroffen werden bzw. an der getroffenen muss festgehalten und intensiv weiter gearbeitet werden. In den nächsten Tagen werden wir das neue Konzept den Lehrern vorstellen, Fragen beantworten und mit neuen Massnahmen versuchen, sie auf die Veränderung positiv vorzubereiten.

Ich hoffe sehr, dass uns damit doch noch etwas Nachhaltigkeit möglich wird und eine stabilere Finanzbasis geschaffen werden kann. Von einer Qualitätsverbesserung für die Schüler aufgrund des neuen Konzeptes bin ich ohnehin überzeugt.

Tag des Bullen 27. Juni 2018

Ich weiss nicht, wie viele Feiertage es in Indien genau gibt, es sind jedoch unzählige und für jeden erdenklichen Anlass. Heute war „Tag des Bullen“! Keine Ahnung, was genau dieser Tag bedeutet aber es gab sehr lustige Erlebnisse. Bereits am frühen Morgen waschen die Farmer ihre Kühe und Bullen. Das ist echt lustig anzusehen, da sie teilweise richtig eingeseift werden. Danach werden die Hörner bunt angemalt, meist rot aber andere Farben haben wir auch gesehen. Einige sind auch mit richtig bunten Halsbändern geschmückt oder haben sogar „Ganzkörpertattoos“ erhalten.

Da wir heute somit schulfrei hatten, waren wir wieder unterwegs. 1,5 Stunden sind wir mit unserem klapprigen Motorrad in die Berge gefahren, in die kleinen Ausläufer der Westghats. Dort wollten wir etwas wandern. Dafür hatten wir uns sogar unsere dicken Wanderschuhen angezogen- als Schlangenschutz in unwegsamem Gelände. Unterwegs haben wir wieder viele nette Leute getroffen, mit denen wir uns zwar nicht verständigen aber trotzdem unterhalten konnten. Mit Händen und Füssen, Mimik und Gestik geht doch immer irgend etwas. Auch das Wetter hat ganz grossartig mitgespielt, nur klitzekleine Regenschauer aber ansonsten wunderschöne Ausblicke.

Fussball WM 2018 27. Juni 2018

Selbstverständlich sind wir auch im Fussballfieber! Die späten Spiele laufen bei uns dann 23:30 Uhr im Livestream. Trotzdem haben wir das Spiel gegen Schweden gesehen und in der letzten Sekunde laut gejubelt.
Um möglichst wenig Unterbrechungen zu riskieren, sitzen wir mit zahlreichen Verlängerungskabeln, Akkus und unlimited Internet von „airtel“. Doch manchmal bleibt das Bild einfach so stehen, weil das Internet dann wackelt.
Mal schauen wir drinnen, um vor den Kids Ruhe zu haben, die uns ständig über die Schulter schauen, sobald ein Laptop oder ein Handy im Einsatz ist. Mal fiebern wir open air mit, mit Blick auf die Kühe.

Eine erste Entscheidung wird es ja heute schon geben. Daumen drücken!

PS von Thomas: Durch etwas technische Verzögerungen geht der Post hier erst nach unserem Ausscheiden raus – unser einziger Trost ist, dass sich hier kein Mensch für Fußball interessiert sondern nur Cricket (außer wenn das Ganze auf der Titelseite von „Times of India“ stehen sollte, was ich nicht hoffe). Die mitleidigen Gesichter hätte ich hier echt nicht ertragen. Wenn es wenigstens Alkohol gäbe…

PPS: Es steht auf der Titelseite – was wird das für ein beschissener Tag morgen:

Idli mit Chutney 28. Juni 2018

Idli mit Kokoschutney ist eines unserer Lieblingsgerichte für das Frühstück. Idli sind eigentlich kleine Reisfladen, die gedämpft werden. Der Reisteig muss über Nacht fermentieren. Doch es geht auch einfacher – das hier ist die Schnellvariante aus Griesteig.

Zutaten für die Idli

Gries
Joghurt
eine Prise Backpulver/Soda
Salz

Zutaten für das Kokoschutney

Frische Kokosnuss
viel Knoblauch
grüner Chili
Garam Masala
Curry-Blätter
Salz
etwas Öl

Zubereitung

Gries Idli

Gries mit Joghurt verrühren und 2 h ruhen lassen. Anschließend Salz und Soda dazu, noch einmal durchrühren und in kleine Schalen zum Dämpfen geben. In Indien gibt es dafür extra Töpfe – wenn wir wieder in Deutschland zurück sind, werde ich mal experimentieren, was man stattdessen verwenden kann.

Ein großer Sack mit Gries:

Hier der Gries angerührt mit Joghurt mit Salz und Soda:

Das sind Idli-Formen, die Standard in jedem indischen Haushalt sind:

Und so sehen sie dann nach ca. 15 Minuten Dämpfen aus:

Chutney

Erst einmal eine Menge Knoblauch pellen:

Danach frische Kokosnuss und grünen Chili in rauen Mengen stückeln. Kokosnuss mit einem Messer aus der Schale herauslösen. Das Braune am Rand muss nicht abgemacht werden.

Das Ganze dann in den Mixer:

Etwas Öl erhitzen, ein wenig Cumin und in Wasser eingeweichte getrocknete oder frische Curry-Blätter kurz anschwitzen:

Die Hitze ausschalten und die im Mixer pürierte Paste einrühren:

Jetzt noch etwas Garam Masala und Joghurt einrühren:

Und zusammen mit den Idlis servieren:

Schnelles Varan Dhal 28. Juni 2018

Dhal ist natürlich das Standardgericht und fehlt bei keiner Mahlzeit. Es gibt unzählige Arten – in jedem Haushalt wird es etwas anders zubereitet. Aber letztendlich baut alles auf dem selben Grundrezept auf.

Zutaten

Cumin
Curry Blätter
Gelbwurz
Knoblauch-Kokos Paste (1/3 Knoblauch, 2/3 Kokos)
Linsen eingeweicht
Wasser und Salz
Garam Masala

Zubereitung

Öl mit Cumin und Gelbwurz erhitzen.

Getrocknete Curryblätter in Wasser einweichen.

Zusammen mit der Kokospaste weiter andünsten

Jetzt die eingeweichten Linsen dazu – hier auf dem Bild ist schon fast alles weg – da habe ich zu spät fotografiert.

Schön durchrühren – fertig:

30. Juni 2018

Jetzt ist sie wieder da, meine Kreativität ist zurück und ich habe Freude an der Gestaltung der Schulräume. Gerade Raumgestaltung habe ich früher sehr gern gemacht und oft unsere Wohnung dekoriert.
In der Schule muss man natürlich wie immer improvisieren, da fast kein Material oder Geld für eine kindgerechte Ausstattung vorhanden ist. Ohne Anleitung fällt es auch den meisten Lehrern schwer, Ideen zu generieren und umzusetzen. Trotzdem bekommen wir schrittweise etwas mehr Atmosphäre in die ansonsten kargen Klassenräume. Mit farbiger Schnur und Schlüsselringen befestigen wir die Namen der Schüler. Mit der gleichen Methode können Unterrichtsmaterialien im jeweiligen Klassenzimmer aufgehangen und einfach ausgetauscht werden.

Gerade für die kleinen Kinder ist ein buntes und kreatives Lernumfeld besonders wichtig. Sie haben ja in dieser Hinsicht keinerlei andere Erfahrungshintergründe z. B. von zu Hause. So freuen sie sich wahnsinnig über Türschilder für ihren Klassenraum, die ein klitzekleines Motiv zur Wiedererkennung haben.

Auch den Lehrern macht die Gestaltung Freude und sie werden sogar aus eigenem Antrieb aktiv. Bohren (mit einer richtigen Schlagbohrmaschine), schrauben, laminieren und tackern sind die beliebtesten Tätigkeiten. Alle Werkzeuge sind in einem tollen neuen Werkzeugkasten verstaut, so findet sie jeder wieder und erstaunlicherweise räumt jeder die genutzten Werkzeuge auch dorthin zurück. Ein Wunder! Die Männer laufen stolz mit diesem Kasten herum und fühlen sich wichtig, wie die zwei Dorfhandwerker, auf die man ewig warten muss. Nunmehr packen die Lehrer selbst an und sehen schnell gute Ergebnisse.

Nach ersten Verstimmungen aufgrund der Reduzierung der Schulklassen haben wir unterdessen das Gefühl, dass sich alle Lehrer gut mit der neuen Situation und dem veränderten Konzept arrangieren können. Besonders die Lehrer der Klassen 6-8 finden zunehmend Freude am Unterrichten der Kleinen. Wahrscheinlich fühlen sie sich nicht mehr so unter Druck, den sie manchmal durch die älteren Schülern mit kritischen Fragen und „kleinen Widersprüchen“ erfahren haben.

Unsere Saat (auf trockenem, harten Boden) scheint gerade aufzugehen. Schade, dass wir das Erblühen nicht mehr richtig mitbekommen werden.

Besuch bei Shrias Familie 3. Juli 2018

Der letzte Tag des Monats Juni, 35 °C und ein weiteres Dorf in Aufregung und Vorfreude auf unseren Besuch. Kasegaon, der Geburtsort von Shria, liegt in der Nähe des Pilgerortes Pandhapur. Wir brechen gegen 10 Uhr gemeinsam mit Shria, Ravi und den Kindern auf dem Motorrad auf. Nach 20 Minuten sind wir am Ortseingang von Sangola und dort wird klar, Ravi wird uns nicht begleiten. Er muss am Sonntag „arbeiten“. Allerdings ist er an keinem Wochentag wirklich von geschäftigem Tätigsein betroffen und erst recht nicht am Sonntag. Ausrede! Shrias Bruder kommt statt dessen mit seinem Motorrad und übernimmt den Familientransport. Ravi fährt mit seiner Royal Enfield nach Sangola… Wir sind empört, verärgert, erstaunt aber es hilft nix…andere Länder, andere Sitten! Die Kids und Shria tun uns leid. Sie sind für den Herren des Hauses offensichtlich von so geringem Interesse, dass lieber der jüngere Bruder von Shria aus Pune anreist, um unser Sonntagsvorhaben nicht platzen zu lassen. Ohne familiäre männliche Begleitung ist für eine Frau keine Reise möglich.
Kurz vor Pandhapur stösst der ältere Bruder von Shria auch noch mit Motorrad zu unserer Reisegruppe dazu und wir fahren gemeinsam erst einmal zum „Familientempel“, um zu beten und gesegnet zu werden. Danach besuchen wir eine Art „Disneyland zur Geschichte Indiens“. Die Kids sind happy und auch für uns ist es kurzweilig.

Anschliessend geht es nun endlich zur Familienfarm nach Kasegaon. Diese ist idyllisch gelegen und gut gepflegt. Wir werden mit einem persönlichen Rangoli empfangen. Die gesamte Nachbarschaft ist schon da und erwartet uns.

Wir besichtigen die grosse Farm, auf der Shrias Vater und ihr ältester Bruder mit einigen Leiharbeitern die Arbeit verrichten. 600 Granatapfelbäume, 400 Rebstöcke und noch etwas Obst sowie Gemüse (Bohnen, Ladyfingers, Mangos, Chili) für den Eigenbedarf.

Abschliessend bekommen wir noch ein mega leckeres Abendessen. Nun ist uns noch einmal mehr klar, weshalb Shria so gut kochen kann. Ihre Mutter ist ebenfalls eine phantastische Köchin. Wir würden am liebsten die kleinen Schalen auslecken, so aromatisch ist alles und die Zutaten ganz frisch vom Feld.

17:30 Uhr machen wir uns auf den Rückweg. Jedoch nicht ohne vorher eine Fotografierorgie hinter uns gebracht zu haben. Jeder will mit jedem aufs Bild und Gruppenfotos müssen in unterschiedlichen Konstellationen selbstverständlich auch noch sein.

Wir bekommen noch 2 kg Granatäpfel und 1 kg Mangos sowie Kokosnüsse mit auf den Weg. Der Rucksack ist schwer und unsere Klapperkiste von Motorrad scheint völlig überlastet. Kurz vor eintreten der Dunkelheit bemerkt Thomas am Fahrverhalten, dass wir eine Reifenpanne haben. Shria ist mit ihrem Bruder und den Kids vorausgefahren und bereits ausser Sichtweite. Sie hören unser Hupen nicht mehr. Wir steigen ab und stehen ratlos auf einer staubigen, im Bau befindlichen Landstrasse. Es dauert aber keine zwei Minuten, bis wir von hilfsbereiten Einheimischen umringt sind. Alle stehen um unser Motorrad herum, es ist am Strassenrand fast nicht mehr zu sehen und sie alle reden lautstark durcheinander und miteinander. Plötzlich ist das Hinterrad ausgebaut und zwei Männer schwingen sich damit auf ihr Motorrad und starten. Im Vorbeifahren hören wir nur noch „…wait here for 30 minutes“ und weg sind sie. Ähm! Ok! Dann bleibt uns wohl nix anderes übrig. Thomas hat unterdessen Ravi angerufen und der wiederum seinen Schwager und plötzlich sind wir alle wieder komplett. Shria ist total aufgeregt, sie hat sich Sorgen gemacht und befürchtet, wir könnten in einen Unfall verwickelt sein. Erleichterung! Wir warten alle gemeinsam. Die Kinder turnen am Geländer einer rostigen, halb verfallenen Bushaltestelle herum.

Nach exakt 30 Minuten ist unser Motorradhinterreifen geflickt wieder zurück gebracht, wird eingebaut und alle freuen sich mit uns. Kurz geht noch einmal ein Preisfeilschen los für die erbrachte Hilfe, Thomas bezahlt und wir fahren winkend davon.
Unterdessen ist es richtig dunkel geworden. Es gibt keine Strassenbeleuchtung, daher ist das Fahren wirklich gefährlich, da die entgegenkommenden Fahrzeuge ihr Licht nicht abblenden. Das ist in Indien nicht üblich. Angespannt aber sicher kommen wir auf „unserer kleinen Farm“ an, wo auch alle schon ganz aufgeregt auf uns warten.
So haben wir als Gäste wieder einmal für Erlebnisse gesorgt, die noch monatelang Gesprächsthema sein werden. Passiert ja auch sonst nix.

Es war für uns ein toller Tag und schön zu sehen, wie stolz Shria ist, uns alles zeigen zu können.

4. Juli 2018

Wir betätigen uns nicht nur pädagogisch, indem wir eine Powerpointpräsentation zu Deutschland für den Geographieunterricht in der 9. Klasse vorbereiten. Auch die Schulung der Lehrer in der Nutzung eines Computers zur Recherche bei google und youtube oder in der Nutzung eines Beamers zur Präsentation von Unterrichtsinhalten haben wir vereinzelt übernommen. Die Anleitung des Managements ist leider aussichtslos und gescheitert, also quälen wir uns damit auch nicht mehr, sondern finden wir uns mit dem Unausweichlichen ab…es bleibt so chaotisch, wie bisher auch.

Aufgrund der Situation hier vor Ort sind wir als Allrounder im Einsatz. Frei nach Thomas Motto: „Suchst du eine helfende Hand, schau auf deinen linken und rechten Arm.“ Gestern noch Wegbegleiter zur Schule, am nächsten Tag Matratzenbezieher und heute Schulhausmeister.

Nach der Schulzeit haben wir Türscharniere an- und abgeschraubt, Löcher in Betonpfeiler gebohrt und somit den Türanschlag unserer Abstellkammer versetzt. Anschliessend wurden die neuen Metallregale platziert, die Dank einiger Spender aus der Heimat angefertigt werden konnten. Die bereits angeschafften roten Boxen passen wunderbar hinein und alles zusammen sieht sogar noch gut aus. Nun ist der „storage room“ auch ohne den Dorf-Zimmermann fertiggestellt, auf den wir mehr als eine Woche gewartet haben und der uns Tag um Tag vertröstet hat.

Die Lehrer sind sehr zufrieden und freuen sich, dass nicht nur Versprechen gemacht werden sondern dass tatsächlich auch etwas passiert.

Schulbücher per Bus 5. Juli 2018

Nach fast drei Wochen Unterrichtszeit, hat bis heute noch kein Schüler ein aktuelles Lehrbuch und die Lehrer natürlich auch nicht. Somit wurde bisher auch kein Lehrstoff vermittelt, sondern die Zeit überbrückt mit Wiederholungen, Sport und Spiel…bis sich die Schüler aus der 9. Klasse beschwert haben. Daraufhin gab es gestern ein einstündiges Gespräch mit allen Eltern dieser Klasse über die Qualität in der Schule. Zu Recht!
Die Bestellung, Bezahlung und Lieferung der Schulbücher ist eine Odyssee! Was eigentlich ganz einfach mit einem Online-Bestellformular abgewickelt werden könnte, hat für uns wieder ein unvorstellbares Ausmass an Organisation bedeutet.

  1. Anzahl der Schüler in den jeweiligen Klassen feststellen (nicht so einfach, da zum Teil noch nicht einmal nach drei Wochen alle neuen Schüler bekannt sind. Teilweise werden Kinder von ihren Eltern einfach ohne weitere Info morgens in den Schulbus gesetzt und wir müssen dann nach und nach erst alle Informationen besorgen)
  2. Auswahl der benötigten Bücher treffen
  3. Bestellung bei einem Verlagshaus in Pune aufgeben (lange Zeit hieß es, das kann nur der Schulleiter direkt vor Ort machen. Bis wir verstanden hatten, dass es lediglich um das Ausfüllen eines Bestellformular geht, waren schon wieder ein paar Tage um)
  4. Bezahlung der Bücher organisieren
  5. Bücher beim Verlag abholen und verpacken lassen (unser Kontakt in Pune hatte natürlich für so etwas keine Zeit und er musste über mehrere Tage nachdrücklich telefonisch aufgefordert werden)
  6. Bücher mit einem Überlandbus von Pune nach Alegaon mitschicken
  7. Bücherlieferung mit einem Schulbus in Alegaon abholen (Abholung zu Hause beim Busfahrer, nachdem er von seiner Nachtfahrt ausgeschlafen hat)

Das Thema der Schulbuchbestellung wurde von uns bereits im Mai, weit vor Beginn des Schuljahres aufgeworfen. Dann hiess es aber erstmal „tomorrow, tomorrow!“ Zuständig und verantwortlich fühlt sich dann auch weiterhin niemand. Jeder Einzelne handelt nur nach konkreter Auftragserteilung durch uns. Da die Herren des bisherigen Schulmanagements oft kommen und gehen wie es ihnen, der Farm und der Familie gerade passt, wurde die Bestellung zeitlich verschleppt. Die Unzufriedenheit auf allen Seiten wuchs täglich.

Na dann wollen wir jetzt mal! Nun aber los! Wir bestellen gleich morgen. Wo ist nur das Bestellformular? Ok, muss erst noch heruntergeladen werden…morgen! Am nächsten Tag ist aber leider Stromausfall. Gut, dann halt morgen! ……

Nach tagelangen Gesprächen dieser Art haben wir aus lauter Verzweiflung die ganzen 7 o.g. Punkte selbst organisiert, und da war so manche Hürde dabei. Wie bekommt man eine grosse Menge Bargeld von Alegaon nach Pune? Visa-Karten gibt es hier nicht und Onlineüberweisungen sind auf dem Land auch nicht möglich. Noch nicht einmal alle Lehrer haben ein Girokonto. Vieles läuft in der Tat nur mit Bargeld oder durch Ausstellung eines Checks. Also war der Geldtransfer ein richtiges Problem. Thomas ist schliesslich zur Bank nach Sangola gefahren und hat am Schalter Bargeld auf ein Konto eingezahlt. Ein Vertreter des Managements hat dann für uns die Bestellung vor Ort in Pune übernommen und auch den Versand organisiert.

Der ganze Prozess hat uns wochenlang beschäftigt und wäre in Deutschland bestimmt in wenigen Tagen über die Bühne gegangen. Struktur ist doch was feines! Unterdessen ist uns aber klar, dass es keine Böswilligkeit ist. Das Nichtwissen um Effektivität und Effizienz ist für uns immer wieder erstaunlich.

Und nun war heute der grosse Paket-Tag. Alle Bücher sind angekommen und wurden heute von den Lehrern nach Klassenstufen sortiert. Ab morgen beginnt dann der richtige Unterricht. Endlich!

7. Juli 2018

Ein lang geplantes Ereignis hat heute stattgefunden: staatlich verordnete „Baumpflanzung“. Wir würden sagen, es wurde ein „Umwelttag“ in der Schule organisiert. Die Regierung gibt einmal im Jahr an alle Schulen kleine Baumstecklinge aus, die dann mit den Schülern gepflanzt werden sollen. Man kann sich entscheiden, ob man an einen zentralen Platz in der näheren Umgebung fährt, wo die Bäume gepflanzt werden oder ob man selbst einen geeigneten Ort für die Stecklinge hat.
Unsere Schule hatte ca. 50 Baumstecklinge zugeteilt bekommen, die rings um das Schulgelände am Zaun entlang gepflanzt wurden. Die Schüler der 9. Klasse haben die Pflanzlöcher mit Spitzhacke in den harten trockenen Boden gegraben und somit alle Pflanzungen vorbereitet. Unkraut zupfen war leider auch angesagt, unter strenger Kontrolle der Lehrer.
Die jüngeren Schüler durften pflanzen und wässern. Jeweils eine Schülergruppe übernimmt dabei eine „Baumpatenschaft“ und muss sich nunmehr in der nachfolgenden Zeit um die Bewässerung des Baumes kümmern. Es ist sehr schön zu sehen, wie einige Kids während der Pausenzeiten kleine Wassereimer zu ihren Bäumen tragen und sie wässern.

Leider fehlten aus unserer Sicht noch ein paar theoretische Informationen zur Photosynthese, zu Umweltproblemen wie z. B. Luftverschmutzung oder auch zur Bedeutung von Bäumen in Bezug auf das Grundwasser. Diesen Part konnten und wollten wir jedoch nicht auch noch übernehmen. Es hätte dann für uns wieder mehr Vorbereitungszeit bedeutet denn auch unser Wissen dazu ist tief verschüttet, um Details an wissenshungrige Schüler weiterzugeben.

Hier noch ein paar Eindrücke vom heutigen „Umweltsamstag“.

Letzte Aufnahmen zur Erinnerung 9. Juli 2018

Es gibt so viele erinnerungswürdige Momente aus unserem Farmalltag. Einige möchten wir gern teilen:

Generationen leben auf engstem Raum zusammen.

Nicht nur Fuchs und Hase sagen sich hier „gute Nacht!“

Wir feiern eine Party! Mangal kocht für 50 Personen eine Ziege. Wird das reichen?

Irgendwann muss man ja mal Feuerholz machen!

Schulbus: Los, einer geht noch rein!

Die frisch gemolkene Milch muss zur Sammelstelle transportiert werden.

Einweihung des Solarheaters mit einer kleinen „Kokusnuss-Zeremonie“. Endlich warmes Wasser am Morgen!

Da haben sich zwei „Knuddelmonster“ gefunden! Hier gibt es keine Verständigungsprobleme.

Trotz der vielen Arbeit ist Shria immer gut gelaunt. Wir mögen sie sehr und sind traurig, da wir mit ihr nicht in Verbindung bleiben können. Sie hat kein Handy und keinen Computer.

Es ist Regenzeit und unser Dach im Farmhaus hält leider nicht immer dicht.

Es ist gerade Mango- und Granatapfelzeit. Vitamine satt! Hmmm, einfach lecker und gleich hinterm Haus!

Indien und die Armee 11. Juli 2018

Das Verhältnis der Inder zu ihrer Armee beschreibt man am besten mit „enthusiastisch“. In einer unserer Englischstunden ging es um den Begriff „proud“ – worauf man also stolz ist. Das erste was dann kam, war „unsere heroische Armee“. Als es darum ging, den Begriff „morose“ (griesgrämig) zu erläutern war die allererste Reaktion, dass die Soldaten der indischen Armee „morose“ auf die ständigen Attacken aus Pakistan reagieren würden. In beiden Fällen wäre mir sicherlich etwas anderes eingefallen.

„Army“ ist ein super respektierter Beruf, den hier auf dem Land eine Menge anstreben. Es wird voller Hochachtung von berenteten Offizieren gesprochen, die es „geschafft“ haben. Wenn es darum geht, irgend etwas negatives zu projizieren, kommt dagegen jedoch fast immer Pakistan in’s Gespräch.

Überall findet man Kasernen, die schön martialisch mit frisch angemalten Haubitzen und ausgemusterten Panzern am Eingang bestückt sind. Auch ein Panzermuseum gibt es gleich um die Ecke – aber irgendwie konnten wir uns nicht so dafür erwärmen – zu sehr durch pazifistische Erziehung verdorben.

Mein Lieblingsbild in dem Zusammenhang habe ich jedoch schon vor einiger Zeit aufgenommen als wir in Aurangabad waren. Es war eine Werbetafel, die gegenüber eines Militärgeländes angebracht war.

Die deutsche Entsprechung würde lauten:

„Die freie Tankstelle Südwallheim grüßt die Bundeswehr. Wir füllen die Mutigen ab.“ (stimmt natürlich nicht ganz – aber übersetzt selber von dem Bild)

Unter Strom 11. Juli 2018

Die letzten Tage in unserer Schule stehen wir im wahrsten Sinne des Wortes unter Strom. Es sollen noch 10 Deckenventilatoren angebracht werden. Seit Wochen versuchen wir dafür einen Elektriker zu finden und werden, wie immer, von Tag zu Tag und von Woche zu Woche vertröstet.
Immerhin hatten wir schon auf die gleiche abenteuerliche Art und Weise wie die Schulbücher die Ventilatoren geliefert bekommen. Mit dem Überlandbus von Pune wurden sie nach Sangola gefahren. Ein Lehrer sollte die Pakete am Busbahnhof abholen, hat aber selbst den Bus dorthin nicht rechtzeitig bekommen. Somit ist der Überlandbus mit unseren sehnlich erwarteten Ventilatoren weiter ins Landesinnere gefahren.

Wir sind Meister der Improvisation, doch die Inder sind Grossmeister im Improvisieren. Wir hätten auf die Rückfahrt des Busses gewartet und versucht am Ausgangsbusbahnhof die Pakete zu bekommen. Doch zwei unserer Lehrer hatten eine andere Idee und sind mit einem der klapperigen alten Schulbusse dem Überlandbus aus Pune über Sangola nach Pandhapur hinterhergezuckelt und….ja, sie haben ihn ein- und überholen können. Somit sind wir dann also doch noch zu unseren Ventilatorpaketen gekommen.

Nun fehlte also weiterhin noch der Elektriker. Aus Alegaon war keiner der beiden Elektriker willens, uns zu helfen. Daher haben wir einen Elektriker aus der Stadt kommen lassen müssen. Unsere selbst eingekauften Materialien (wir wollten Geld sparen) wie z. B. Haken, Klemmen, Kabel, Schalter, Regulatoren usw. haben ihm nur teilweise zugesagt und so hat er auch nur die Kabel von einem Raum in den nächsten verlegt und die Schalter sowie die Regulatoren angebracht. Den Rest, also das tatsächliche Anbringen der Ventilatoren, wollte er nicht mehr übernehmen.

Da Thomas gern bastelt, handwerkelt und noch weniger als ich Arbeit unvollendet stehen lassen kann, haben wir zwei heute die Ventilatoren tatsächlich selbst an die Stahldachkonstruktionen angebracht. Abenteuerlich! Es gibt nämlich keine Leitern und die Deckenhöhe beträgt mindestens 4 Meter. Also wieder improvisieren. Wir leihen uns ein ca. 1,50 Meter hohes Stahlgestell vom Schweisser aus dem Dorf und erhöhen dieses mit zwei Schulbänken.

Meine Aufgabe ist es, die einzelnen Ventilatoren zusammenzubauen und die Verlängerung der Deckenhalterung mit den Schellen, Schrauben usw. vorzubereiten. Thomas ist der Elektrofachmann und zieht die Kabel durch. Dann muss er in lichter wackeliger Höhe alles an der Decke und an den Strom anbringen. Da wir unterdessen ein gut eingespieltes Team sind, haben wir heute schon 7 der 10 Ventilatoren installiert. Morgen geht es weiter.

Lazy payers 13. Juli 2018

Wir haben in der letzten Woche noch einmal angefangen, Geld von allen säumigen Schulgeld-Zahlern einzutreiben. Die Zahlungsmoral hier ist in der Tat katastrophal – aber durch einige Managemententscheidungen aus der Vergangenheit ist das Thema weiter verschärft worden. So gibt es keine ersichtlichen Konsequenzen für Nichtzahler – während auf der anderen Seite die Lehrer auf ihr Gehalt warten.

Sonja und ich sehen das im Wesentlichen als Managementversagen und setzen mit unseren Verbesserungen eher dort an. Als wir im April angefangen haben, das Geld einzutreiben, waren noch 160000 Rupien offen, ein Betrag, mit dem man die Lehrergehälter von zwei Monaten bezahlen könnte.

Als erstes haben wir die Säumigen klassifiziert nach „economic“ und „lazy“ – also nach denjenigen, die aus wirtschaftlichen Motiven nicht zahlen können und diejenigen, die trotz wirtschaftlicher Möglichkeit nicht zahlen. Von letzteren hatten wir dann diejenigen herausgesucht, die über die Hälfte des Jahresbeitrages noch nicht gezahlt hatten. Bis wir dahin kamen, war natürlich eine Menge an Recherche und Diskussionen mit den Lehrern notwendig, da es ja noch keine saubere Administration gab. Überall gab es noch Informationen, die im Nachgang kamen, seien es die Kinder des Schulfotografen, deren Fee eigentlich gegen das Gehalt des Fotografen gegengerechnet werden sollten, sei es, dass einige Eltern behaupteten, das die Gebühr bezahlt wurde und nur nicht korrekt verbucht wurde.

Unser Ansatz war, die Kinder der säumigen „lazy“ Zahler nach Hause zu schicken. Hierbei sind wir jedoch teilweise auf erbitterten Widerstand von Balasaheb gestoßen – trotzdem konnten wir das an einigen Stellen durchsetzen und haben innerhalb kurzer Zeit mehr als 80.000 Rupien einnehmen können und wenigstens einen Monat Gehalt an die Lehrer auszahlen können.

Das Ganze wiederholt sich natürlich nun im Juli – und auch nun gibt es wieder teils erbitterten Widerstand von Balasaheb, der ja dafür verantwortlich ist, die Schulgelder einzutreiben. Wir haben eigentlich vereinbart, dass die Schulbusfahrer angewiesen werden, die Kleinen gar nicht erst morgens mitzubringen. Das wurde aber an mehreren Tagen hintereinander durch die Fahrer nicht umgesetzt. So hatten wir nun die Kleinen hier in den Klassen – teilweise hatten sie noch ihre jüngeren Geschwisterkinder ohne jede Anmeldung (und Bezahlung) dabei.

Wir haben uns nun durchgesetzt und die Kinder nach Hause bringen lassen. Das ist natürlich für die Kinder extrem bitter und uns selbst blutet dabei das Herz, wenn man sie aus der Klasse rausholt und nach Hause bringen lässt – denn die Kleinen können nunmal am allerwenigsten dafür.

Da die Schule jedoch nicht vollständig durch Spenden finanziert wird – und auch nach aktueller Sicht niemals wird (der Finanzbedarf dafür wäre jährlich ca. 14.000 Euro) ist man auf die Zahlungen der Eltern nunmal angewiesen.

Unsere Hoffnung ist natürlich, dass wir noch ein wenig der Außenstände des letzten Jahres eintreiben können und dass mit einer stärkeren Konsequenz die Zahlungsmoral der Eltern und damit die Finanzsituation der Schule verbessert werden kann.

Umwidmung des neuen Klassenraumes 13. Juli 2018

Eigentlich sollte es der neue Klassenraum für die 9. Klasse werden. Da wir jedoch das Konzept der Schule auf 1. bis 4. Klasse und Vorschule umgestellt haben, wird dieser Raum nicht mehr im ursprünglichen Sinne benötigt.
Um keine „Bauruine“ zu hinterlassen, haben wir uns spontan entschieden, den Bau wenigstens noch überdachen zu lassen. Davon sind nun alle total begeistert, auch unsere täglichen Kritiker. Die überdachte Fläche kann gerade in der Regenzeit sehr vielfältig genutzt werden z. B. für die morgendliche Zeremonie mit Gebet, für Yoga im Sportunterricht oder auch für Spieleinheiten mit den Vorschulkindern. Ausserdem besteht nun die Möglichkeit, die kleinen Schüler von den derzeit noch bestehenden zwei grösseren Klassen (5. und 9.) zu separieren und getrennte Angebote abzuhalten.

Für uns war es sehr beeindruckend zu sehen, wie ohne Baumaschinerie hier noch von Hand gebaut wird. Dazu wurden aus dem Dorf vier Hilfskräfte engagiert. Es mussten Säcke an Baumaterial herangeschleppt, Zement händisch gemischt und dann flächig-mit Hilfe eines Brettes für die Randbefestigung- verputzt werden. Die Verdichtung des mit Steinen aufgefüllten Plateaus erfolgte ebenfalls händisch mit einem relativ schweren Holzklotz an einer Holzstange. Wie fest der Untergrund damit wirklich wird oder ob der Boden unter grösserer Belastung doch irgendwann einbricht, bleibt abzuwarten.

Selbstverständlich ging es auch beim Bau nicht ohne unerwartete Schwierigkeiten. Der Wassertank auf dem Gelände der Schule, der für´s Händewaschen nach den Toilettengängen ca. 300 Liter zur Verfügung stellt, reichte leider nicht aus und plötzlich, mitten im Anrühren des Zementes, war Feierabend. Nun musste erst ein neuer Wassertank organisiert werden.

Vergangene Woche hätten wir nicht gedacht, dass der veränderte Bau nun doch noch während unserer Anwesenheit fertiggestellt wird. Da nun aber alle, auch die Handwerker im Dorf wissen, dass wir in zwei Tagen abreisen, drehen sich die Räder vermutlich etwas schneller. Wir sind auf alle Fälle zufrieden damit!

Abschied nehmen von der Familie 17. Juli 2018

Abschied nehmen von der Familie

So hatten wir uns das nicht vorgestellt – unseren Abschied hatten wir länger geplant – aber es lief anders als erwartet – irgendwie sehr anders.

Für den letzten Samstag vor unserer Abreise hatten wir eine kleines Essen mit Familie und den Lehrern geplant, am Sonntag wollten wir dann nochmal Eis essen mit der Familie und am Montag dann entspannt los. Wir hatten damit gerechnet, dass eigentlich alle auch irgendwie ein bisschen froh sein würden, die Belastung durch uns, sei es privat als Übernachtungsgäste oder beruflich in der Schule, irgendwann wieder loszuwerden.

Die emotionale Überforderung begann für uns mit Shria, die in der letzten Woche, als sie realisierte, dass wir wirklich packten, plötzlich total zusammenbrach.

Als wir sie trösten wollten, kam als Begründung „Seit meiner Kindheit, seit meiner Hochzeit hat sich nie jemand um mich geschert, nicht die Verwandten auch nicht mein Mann. Ihr ward in den fünf Monaten, die ihr hier ward, die ersten, denen ich wichtig war.“ Da war es mit uns auch geschehen – und die Tränen rollten auch bei uns – das wurde noch schlimmer als selbst Tatja und Mangal Tränen in die Augen bekamen. Es ist so bitter – für uns wird irgendwann das Leben weitergehen – für Shria wird das auf lange Zeit das Erlebnis sein an dem sie sich festhalten wird. Wir haben mit unserer Unbefangenheit letztendlich eine große Verantwortung übernommen, der wir hoffentlich gerecht werden können. Damit wir wenigstens den Abschied irgendwie überbrücken können, haben wir mit Hilfe eines Zuschusses von Sonnis Eltern für Shria noch ein einfaches Smartphone besorgt und Whatsapp eingerichtet und noch alles ausprobiert. Ich hoffe, dass wir es schaffen, auf die Entfernung weiterhin ein kleiner Lichtblick für sie zu sein.

Am Sonntag sind wir mit allen noch einmal nach Sangola gefahren, Shria hat sich in ihren tollsten Sari geschmissen, für alle gab es noch einmal Eis. In einem kleinen Laden wollte Shria dann, dass wir uns unbedingt ein Geschenk aussuchen sollen zum mitnehmen. Wir haben dann unter den vielen kitschigen Sachen einen kleinen Ganesh ausgesucht, den wir mit nach Deutschland nehmen werden.

Abends haben wir dann endlich unser Versprechen eingelöst und europäisch gekocht – Nudeln mit Tomatensauce. Die Gewürze hatten wir uns liefern lassen, da natürlich in Sangola kein Gewürzladen zu finden ist. Nudeln, Olivenöl und Oliven blieben jedoch zweimal im indischen Postnirvana liegen. Also haben wir die Nudeln selbst gemacht – dauerte zwar eine Weile, war aber lecker – alle Kinder aus der Nachbarschaft kamen nochmal vorbei und probierten – was soll ich sage: es schmeckte allen.

Shria fing dann auch nochmal das Kochen an, um uns Reiseproviant mitzugeben, haltbare Dal-Kekse, gerösteter Puffreis mit Chili, kleine frittierte Kekse – alles, damit wir nicht „verhungern“ unterwegs. Danach bekamen wir dann den Ganesh von ihr und sie von uns einen kleinen „Segen“-Stein, den Sonni aus Deutschland als Segen mitbekommen hatte – wir waren uns beide sicher, dass er ganau dorthin gehört und sie beschützen wird – noch einmal viele Tränen.

Das wurde am nächsten Morgen dann nicht besser – als dann sogar Ravi, der Mann von Shria, bei dem es in den letzten Wochen zu keiner ersichtlichen Gefühlsregung kam, die Tränen in den Augen standen, war dann das Maß voll. Es ging irgendwie nichts mehr – passend dazu setzte auch noch ein starker Monsoon-Regen ein, Prashant kam mit dem klapprigen Schulbus nicht bis zu Farm und wir liefen mit Gepäck bis zur Straße, Hand in Hand mit den Kids, die wir noch in der Schule ablieferten. Shria konnte ja nicht von der Farm weg und hat uns von dort lange hinterhergewunken. Tatja kam dann noch hinterhergerannt und brachte uns auch noch ein Stück, während Anna im Dorf auf uns wartete um uns zu verabschieden.

Wir sind jetzt erst einmal für zwei Tage nach Kolhapur gefahren, um wieder runterzukommen.

19. Juli 2018

Seit einigen Tagen kommen wir nun auch noch in den „Genuss“ der Regenzeit. Bei unserer Ankunft in Kolhapur, wo wir den berühmten Mahalakshmi Tempel und den New Palace besichtigen wollten, ging am ersten Tag aufgrund starken Regens erst einmal gar nichts mehr. Auch am zweiten Tag hatten wir mit mächtigen Regenfällen zu kämpfen. Das marode Kanalsystem kann die Wassermassen nicht bewältigen und Strassen aber auch landwirtschaftliche Nutzflächen ausserhalb stehen schnell komplett unter Wasser.

Trotzdem haben wir tropfnass unser „Kulturprogramm“ durchgezogen und konnten in einigen kurzen regenfreien Momente sehr schöne Eindrücke gewinnen.

Für unsere Weiterfahrt nach Pune am nächsten Tag hatten wir uns erneut für eine Zugfahrt entschieden. 8 Stunden für nur 250km! Somit wieder genügend Zeit, um Land und Leute genau beobachten zu können. Aller 5 Minuten kommt ein „fliegender Händler“, ein Teeverkäufer oder bettelnde Nomaden durch den Wagon. Sogar ein blinder Mann ging mehrfach in unserem Abteil auf und ab, bewegte sich verhältnismässig sicher durch die überall herumstehenden Menschenmassen und verkaufte Kartoffelchips.
Im Zug bekommt man teilweise merkwürdige Dinge zu kaufen. Schuheinlegesohlen, Schutzhüllen für Kreditkarten, aufblasbare Sitzkissen aber auch diverse abgepackte Knabbereien, frisches Obst, Wasser, Tee und Kaffee sowie Frittiertes. Die Einheimischen telefonieren lautstark, hören Musik ohne Kopfhörer, Kinder quengeln, alte Herren hüsteln vor sich hin und spucken aus dem Fenster. Der Abfall fliegt natürlich auch gleich zum Fenster raus. Schmutzige Hände oder die tropfende Nase wischen die Frauen an ihren Saris oder Kopftüchern ab. Eine Mutter hat sogar ihr kleines Kind mitten in den Gang pullern lassen. Dafür gabs dann aber nicht nur von uns strafende Blicke sondern auch die Einheimischen fanden das doch etwas zu viel. Thomas hat ganz demonstrativ Tempotaschentücher an die Mutter übergeben und sie unter zustimmendem Kopfschütteln der Anwesenden dazu genötigt, die Urinpfütze aufzuwischen.
Das ist alles nix für schwache Nerven! Entschädigt hat uns wieder einmal der Blick auf die durch die Regenzeit wunderbar ergrünte und sehr üppige Landschaft. Die Fahrt verlief ansonsten ohne Zwischenfälle und ohne Verspätung sind wir wieder in Pune angekommen.

Auf den Spuren von Mahatma Gandhi 20. Juli 2018

Wieder in der Grossstadt Pune angekommen, hatten wir uns für unsere letzten Tage hier vier wesentliche Dinge vorgenommen:

  1. Ein Paket mit Sachen zum Zurückschicken nach Deutschland vorbereiten
  2. Noch einmal einige Freunde und Bekannte besuchen
  3. Erinnerungseinkäufe und
  4. Sightseeing.

Die Reihenfolge war von uns noch nicht exakt festgelegt, daher haben wir gleich erst einmal mit Sightseeing angefangen. Obwohl Thomas ein reichliches Jahr hier in Pune gelebt und gearbeitet hat, kannte auch er noch nicht den durch TripAdvisor ausfindig gemachten Mogulpalast (Aga Khan Palace). Ihm fehlte einfach die richtige Frau an seiner Seite.

Mahatma Gandhi und seine Frau sind in Indien verehrte Persönlichkeiten. Allerdings ist ihr Engagement für Gleichberechtigung zwischen den indischen Kasten und in Bezug auf Bildung für alle unserer Einschätzung nach im Ausland weitaus bekannter und anerkannter.

Gandhi wurde mit seiner Frau und seinem persönlichen Sekretär, den er wie einen Sohn ansah, zwei Jahre im Aga Khan Palace „gefangen“gehalten. Beide verstarben auch dort und Gandhi fiel später einem Attentat zum Opfer. Der Palast zeigt eine sehr gelungene Ausstellung zur Lebensgeschichte der Gandhis. Teilweise werden Originalmöbel, Alltagsgegenstände und Bekleidung gezeigt. Der Palast verfügt über zahlreiche grosse und gut ausgestattete Räume und befindet sich in einer erstaunlich gepflegten Gartenanlage. Daher mussten wir unsere persönlichen Vorstellungen von „Gefangenschaft“ etwas korrigieren.

Anschliessend besuchten wir noch eine kleine Art Gallery, die moderne Malerei und Skulpturen zeitgenössischer indischer Künstler ausstellte. So richtig überzeugt hat uns jedoch nur ein Bild, alles andere war so ein Mittelding zwischen naiver Malerei und Abiturabschlussprojekt der Kunstklasse.
Die folgenden Fotos sind Aussenaufnahmen vom Gelände, nicht die Ausstellungsstücke!

18 ein halb Wochen 22. Juli 2018

Am Ende unserer Projektzeit stellt sich natürlich die Frage, was an Veränderungen, Neuanschaffungen, Ideen etc. bleiben wird. Sonni meint manchmal im Spaß „Wahrscheinlich bleiben als Einziges die grünen Strippen an den Wänden, an denen die verschiedenen Unterrichtsmaterialien aufgehangen werden können.“ Aber so einfach ist es natürlich nicht. Obwohl wir schon oft das Gefühlt hatten, einfache Dinge kommen gut an und die Umsetzung von Ideen geht nur im Schneckentempo voran. Letzteres war oft genug eine riesige Herausforderung für uns und hat uns gedanklich mehrfach dazu gebracht, unseren Projekteinsatz in der Schule abbrechen zu wollen.

Was haben wir definitiv nicht geschafft:

Es ist kein Management installiert, das nachhaltig in der Lage wäre, die Schule im Sinne einer guten Entwicklung und Bildung für die Kinder zu leiten.

Was haben wir erreicht (in unpriorisierter Reihenfolge):

  • Täglich 30 Minuten Englischunterricht für die Lehrer (5 neue Worte und lesen eines Textes). Die Diskussion zu den neuen Worte gab es noch, nachdem wir bereits abgefahren waren.
  • Nutzung neuer Medien im Unterricht – einige Lehrer haben inzwischen selbständig den Beamer verwendet, um kleinere Unterrichtsfilme für die Schüler zu zeigen.
  • Wir haben drei vorhandene arbeitsfähige Rechner an einem Platz zusammengebracht, damit sie in einer Art „Computerraum“ genutzt werden können.
  • regelmäßige Schulungen in Unterrichtsmethodik durch Präsentation von Videodokumentationen mit pädagogischen Inhalten
  • wir haben große Softboards mit den Lehrern und Schülern gestaltet. Dabei sind einige Unterrichtsmittel entstanden, die dauerhaft als Anschauungsmaterial in den entsprechenden Klassenzimmern hängen.
  • Wir haben gemeinsam mit den Lehrern ein Ordnungssystem geschaffen (rote stapelbare Boxen), was sie aus ihrem Alltag auf der Farm bereits kennen und somit einfach nutzen können
  • Mit „Google Drive“ haben wir ein Datenablagesystem für die Lehrer geschaffen, das zwischen den verschiedenen Rechnern synchronisert.
  • Die Website der Schule ist modernisiert und mit Facebook verbunden. Die Lehrer haben erste kleine Artikel selbst geschrieben und gepostet.
  • Wir haben mit den Lehrern gemeinsam erarbeitet, wie man die begrenzten finanziellen Mittel vor Ort in kreative Lösungen überführt z.B. Seile mit Schlüsselringen spannen, an denen Unterrichtsmaterialien oder Namensschilder hängen können.
  • Gehaltserhöhungen wurden nach individueller Leistungö für jeden Einzelnen umgesetzt und den Lehrern in einem „Performancegespräch“ persönlich durch uns vermittelt.
  • Wir haben den Lehrern gezeigt, selbst kleinere handwerkliche Arbeiten zu übernehmen, indem sie neue Werkzeuge nutzen. Zwei Lehrer können und wollen sogar die Bohrmaschine selbst bedienen.
  • Das Zeitmanagement ist mit dem Gehalt gekoppelt. Die Lehrer kommen nun pünktlich, haben weniger Fehltage und bleiben im Regelfall eine Stunde länger in der Schule zur Vorbereitung bzw. für persönliche Schulungen und inhaltlichen Austausch
  • Wir haben finanzielle Transparenz durch Einführung einfacher Exceltabellen ( Einnahmen, Ausgaben) geschaffen.
  • Wir haben mit der Abwicklung der 6.-8. Klasse den Einstieg in die Neuausrichtung der Schule geschaffen, die sich in Zukunft auf die unteren Klassen fokussieren wird. Damit verbunden ist auch die Hoffnung nach finanzieller Stabilität, da die Schülerzahlen in den unteren Klassen beachtlich sind.
  • Wir haben bei den Lehrern nach eigenen Aussagen ein Bewusstsein für Disziplin, eigenständiges Arbeiten und kreative Ungeduld (statt Abwarten) geschaffen.

Wieviel davon letztendlich dauerhaft in der täglichen Praxis genutzt wird, bleibt abzuwarten.

Dank einiger Spenden konnten wir die eine oder andere Investition hier vor Ort vornehmen, die dann wiederum Voraussetzungen für inhaltliche, konzeptionelle und pädagogische Veränderungen in der Schule waren.

Unser ganz besonderer Dank gilt Manfred von ihrprivattrainer.com, Jens und Meike und Sonnis Eltern:

  • Power-Backup für die drei Computer und den Drucker
  • ein ausreichend großer Bluetooth Lautsprecher
  • Neuanschaffung eines Druckers
  • den Bau eines überdachten Unterstandes für die Regenzeit (ursprünglich das Klassenzimmer der neunten Klasse geplant)
  • stabile maßgerechte Regale und große Kisten für die Ablage von Materialen
  • Installation von 10 Deckenventilatoren in den Klassenräumen.

Wir haben uns natürlich die ganze Zeit die Frage gestellt, wieviel davon bleiben wird. Durch das unfähige Management ist diese Frage nicht leicht zu beantworten. Wir haben in der zweiten Hälfte sehr viel Wert darauf gelegt, die Lehrer und deren Selbstbewusstsein zu stärken. Hier haben wir auch schon Änderungen in der Auseinandersetzung wahrgenommen (z.B. Popat im oberen Bild, der selbständig Englisch lernt oder Savita, die eigenständig den Computer nutzt für die Kinder). Für uns ist klar, dass einige Dinge vor Ort keinen Bestand haben werden, wie z.B. die täglichen fünf Worte oder die Wahl des „Schüler des Monats“. Aber sehr sicher sind wir z.B., dass sich die Nutzung der neuen Medien erhalten bleiben wird, da wir den Lehrern erfolgreich zeigen konnten, wie damit umzugehen ist. Einiges hat in den letzten Wochen gänzlich ohne unsere Steuerung funktioniert. Auch die Finanzsteuerung wird vermutlich bleiben.

Wir werden die Schule weiter begleiten und daher im weiteren Verlauf sehen, was bleibt und was nicht. Mit unseren Auftraggebern hier in Pune werden wir an weiteren strukturellen Änderungen arbeiten – z.B. eine mögliche Einführung eines Schichtsystems, um die Schulbusse besser auszulasten und den bisherigen finanziellen Verlust dafür zu begrenzen. Es gibt also noch eine Menge zu tun und wir haben sowieso versprochen, wiederzukommen.

Abschied von den Lehrern 22. Juli 2018

Nicht ganz so emotional wie der Abschied von der Familie doch auch tränenreich verlief der Abschied von den Lehrern. Für den 14.07. hatten wir nach dem offiziellen Samstagsunterricht zu einer Abschiedsparty eingeladen. Wir wollten ein nettes Zusammensein mit allen, leckeres Essen und ein wenig Musik. Auch die Ehepartner/innen hatten wir mit eingeladen, da wir durch persönliche Besuche einige schon kannten. Selbstverständlich bekam auch der Serpanch, als Vertreter des Dorfes, eine persönliche Einladung übermittelt.
Für die Versorgung engagierten wir mit Hilfe einer Lehrerin einen lokalen „Foodmaker“ (kleines Familienunternehmen, eine Art Catering). Im Vorfeld wurde abgestimmt, was am 14.7. live für ca. 40 Gäste gekocht werden sollte. Wie man sich denken kann, gab es dann trotzdem etwas anderes, aber alles sehr lecker.
Bevor die Party anfing, wurden noch offizielle Fotos von einem Fotografen in allen Klassen gemacht. Diese sollen zur Erinnerung an die Eltern der Schüler verkauft werden. Etliche von ihnen kennen uns ja sogar persönlich von den Hausbesuchen im April, andere haben uns schon mehrfach im Dorf getroffen oder in der Schule beim Abholen ihrer Kinder gesehen.

Nach dem üblichen Unterricht hatten wir noch 1 Stunde Zeit, bis zur eigentlichen Abschiedsfeier. Wir waren sehr entspannt, da aus unserer Sicht alles organisiert war und die Foodmaker bereits eingetroffen waren.

Allerdings stellten wir fest, dass die Lehrer in diverse Vorbereitungen verwickelt waren. 15 Kanister Trinkwasser wurden bestellt und alle notwendigen Dinge für eine Zeremonie eingekauft. Diesen Aufwand wollten wir auf gar keinen Fall, doch wir würden wohl nicht drumherum kommen.
Um die Wartezeit etwas zu überbrücken, gesellten wir uns noch ein wenig zu den Schülern der 9. Klasse. Im Gespräch mit ihnen kam dann noch das Thema Musik auf. So spielten wir einige unserer Favoriten und es folgten die Lieblingssongs der Schüler, zu denen sie sogar ganz ausgelassen tanzten.

Gegen 14 Uhr kamen die ersten Gäste aus dem Dorf, der Serpanch und andere hochstehende Persönlichkeiten, die wir gar nicht alle kannten. Unsere Verabschiedung begann dann tatsächlich sehr förmlich mit einer traditionellen Zeremonie, mit Ansprachen, Fotos und Übergabe von Geschenken. Thomas hat einen lilafarbenen sehr eleganten Shirvani und ich einen Seidensari bekommen. Beide mussten wir uns umziehen und in traditioneller Kleidung zum Essen erscheinen. Selbstverständlich essen erst alle Männer gemeinsam und dann folgten die Frauen. Sogar Shria und Mangal waren dabei in festlichen Saris, zum ersten Mal waren sie in der Schule aber trotzdem noch nicht im Dorf.

Nach dem Essen haben wir Shrias Familie ein Fotoalbum mit 60 Erinnerungsfotos von uns und von ihnen übergeben. Alle waren sehr gerührt und die Tränen stiegen uns wieder abwechselnd in die Augen.
Auch die Lehrer erhielten ein kleines Andenken von uns, ein „Zertifikat über die erfolgreiche Teilnahme an einem deutsch-indischen Schulprojekt“ sowie ein Foto von uns in traditioneller Bekleidung.

Langsam ging es ans tatsächliche Verabschieden und es wurde allen klar, wir werden nach dem Wochenende am Montag nicht mehr in die Schule kommen. Zu unserer Überraschung und völligen Überforderung brach ein Lehrer, Popat, in Tränen aus, was in der Öffentlichkeit total verpönt ist. Auch die Frauen unterdrückten nur mühsam die Tränen und tupften mit ihren Saritüchern ununterbrochen die Augen.
Soviel Emotionalität hatten wir auf keinen Fall erwartet. Wir waren sehr ergriffen, wussten gar nicht richtig, wie wir darauf reagieren sollten und lagen uns mit allen in den Armen, versprachen im nächsten Jahr wiederzukommen und winkten lange den abfahrenden Mopeds hinterher.

Besuche auf die letzte Minute 25. Juli 2018

Am Abend vor unserer Abschiedsparty wurden wir noch spontan von drei Lehrern gleichzeitig zu sich nach Hause eingeladen. Warum sie bis auf den letzten Tag gewartet haben, ist uns ein Rätsel. Schliesslich waren wir schon von drei anderen Lehrern eingeladen worden und hatten davon auch in der Schule berichtet.
Sandeep, Siddeshwar und Dheeraj wohnen in Sangola. Sie bilden in den Sommermonaten oft eine Fahrgemeinschaft mit dem Motorrad zur Schule. In der Regenzeit müssen sie jedoch mit dem öffentlichen Bus fahren. Dafür vergeht dann viel Zeit, da die Busse nicht im Zehnminutentakt fahren.
Wir fuhren also am Tag der Einladung gleich nach dem Unterricht gegen 16:30 Uhr mit dem Moped nach Sangola. Unseren Besuch hatten die drei zeitlich untereinander abgestimmt und „unsere Übergabe“ von einer Familie zur nächsten miteinander organisiert.
Erstaunlich für uns war, wie unterschiedlich die Lebensräume und -verhältnisse der drei Lehrer sind, obwohl sie alle mit ihren Familien in der Stadt und nicht weit voneinander entfernt leben.
Sandeep lebt gemeinsam mit seinen Eltern in einem kleinen freistehenden Häuschen, bestehend aus zwei Räumen. Die Toilette bzw. das Bad ist ausserhalb in einer kleinen Hütte. Beides ist Eigentum der Familie. Seine ganz persönlichen Dinge kann er in einem Schubfach unterbringen, mehr besitzt er nicht. Aber seinen Besitz, ein paar Bücher, hat er uns stolz gezeigt. Die Eltern schlafen in der Küche und er im Wohnzimmer. Insgesamt hat die Familie 20 qm Wohnfläche im Haus.

Siddeshwar wohnt nur zwei Querstrassen weiter in einem neu gebauten Mehrfamilienhaus. Über ein Treppenhaus ging es in die zweite Etage. Gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Frau und seiner Schwester bewohnt er eine kleine Wohnung bestehend aus zwei Räumen, einer Küche und einem Bad sowie einem Balkon mit tollem Blick über die angrenzenden Felder am Stadtrand. Die Wohnung ist gemietet und sie war wesentlich moderner eingerichtet. Sitzmöbel, besonders Sofa und Sessel waren mit Decken überhangen und einzelne Tisch- oder Stuhlbeine sind oft noch mit Teilen der Plastikfolien von der Anlieferung versehen. Das haben wir mehrfach auch bei anderen Besuchen beobachtet. Dagegen haben wir richtige Gemütlichkeit in keiner der Wohnungen wahrgenommen. Für Bilder, Kissen, Kerzen, Blumenvasen sowie Pflanzen allgemein oder auch unsere allseits beliebten „ Steh-rum-chens“ ist einfach kein Platz. Das sind Luxusgegenstände, die man nicht gebrauchen und täglich verwenden kann.

Unterdessen hatten wir in jeder Familie eine Tasse Kaffee und eine herzhafte Kleinigkeit zu Essen sowie Kuchen oder süssen Nachtisch bekommen. Davon kann man natürlich nichts ausschlagen, da alle Augen auf einen gerichtet sind und jeder genau beobachtet, was für ein Gesicht man macht, wenn man das Angebotene probiert. Somit waren wir mehr als satt, hatten jedoch noch einen Familienbesuch offen. Es war bereits dunkel und wir mussten ja auch noch nach Alegaon zurück.
Am Busbahnhof im Stadtzentrum von Sangola wurden wir an Dheeraj übergeben, der dort bereits 30 Minuten auf unsere Ankunft gewartet hatte. Gemeinsam fuhren wir zu seiner Familie. Erstmalig erlebten wir nun das Konzept einer „joined family“ mit ca. 15-20 Familienmitgliedern. Sie alle leben unter einem Dach, d.h. in einem grossen mehretagigen Haus, wo alles offen ist und alles von jedem genutzt werden kann. Das Haus wurde bereits vom Urgrossvater gebaut und schrittweise erweitert. An den Wänden hingen zwei riesige Fotoplakate vom 1. Geburtstag eines Kindes und wirkten wie Kinowerbung im Eingangsbereich eines UCI. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen den Etagen. Die Kinder werden von allen erzogen und gekocht wird selbstverständlich auch übergreifend. Die älteren Herrschaften haben Gesellschaft, sofern sie es mögen oder sie ziehen sich zurück. Es ist ja Platz! So übernimmt jeder mal die Verantwortung für die Kinder oder die Versorgung der Senioren. Eigentlich eine wunderbare Idee, doch für uns praktisch nicht vorstellbar. Privatsphäre gibt es nicht, eigene Wünsche und Bedürfnisse stehen immer hinter denen der Gemeinschaft zurück und man gibt seine Individualität praktisch an der Haustür ab. Daher scheint das Modell zu funktionieren. Für den Moment wirkte auf uns alles sehr harmonisch und gegenseitig bereichernd, trotzdem habe ich so meine „europäischen Zweifel“ an dem Modell.
Von Dheeraj´s Familie bekamen wir nicht nur Tee, Salzgebäck und Süssigkeiten angeboten. Zum Abschied wurde uns sogar eine goldene Ghanesh-Figur geschenkt. Somit begleiten uns nun Glück, Zufriedenheit und Optimismus auf unserer Reise. Davon kann man auch nie genug bekommen!

Danke für die offenen Einblicke in die Familien und die vielen Anregungen und Diskussionen zu Kultur und Lebensweisen.

Demokratie jetzt! 30. Juli 2018

Eine wunderbare Einführung in direkter Demokratie haben wir in Alegaon noch erleben dürfen bevor wir uns wieder auf den Weg gemacht haben. Auf vielfache Bitte unserer Lehrer haben wir noch eine Seite „Student des Monats“ auf der Webseite freigeschaltet. Nun ging es darum, wie der Schüler für diese Seite ermittelt wird.
Die erste Idee war eine freie, direkte und geheime Wahl des Schülers durch abgegebene Zettel, auf die jeder einen Namen schreiben kann.

Als Ergebnis hatten wir fast alle Schülernamen, da im Wesentlichen jeder seinen eigenen Namen auf seinen Zettel geschrieben hatte. Außerdem bekamen wir die mehrfache Anzahl an Zetteln zurück, da keiner kontrolliert hatte, dass nicht doppelt gewählt werden konnte. Anschließend änderten wir das Konzept und ließen die Schüler aus einer Gruppe von Namen wählen. Die Stimmzettel haben wir in die Klassen gegeben und dort der Einfachheit halber öffentlich auf einer Klassenliste über die eingeschränkte Gruppe der Namen abstimmen lassen.
Kurz bevor wir gefahren sind, wurde noch einmal ein Schüler für zwei Monate gewählt – diesmal durch einfache Festlegung durch das Lehrerkollegium.
Wir haben somit innerhalb von nur drei Zyklen die Entwicklung von einer direkten Demokratie zu einer repräsentativen erleben dürfen – der nächste Schritt in diesem Kontext ist vermutlich die Diktatur, in dem selbst die Lehrer nicht mehr beteiligt werden. Wir werden sehen, wie es läuft.

Den aktuellen Studenten des Monats findet ihr übrigens unter: http://dnyanankur.com/?page_id=426.

Kulturschock Delhi 31. Juli 2018

…nein, das ist nicht am Potsdamer Platz. Wir sind 1 Woche zu Besuch bei Freunden in Delhi. Jaya und Abhishek wohnen mit ihrem 6-Monate alten Sohn in Gurgaon, einer “kleinen” Satellitenstadt mit ca 1,5 Mio Einwohnern am Rande von Delhi (so wie wir in Friedrichshagen/Berlin wohnen). Dort haben sie eine Eigentumswohnung mit zwei kleinen Balkonen und einer Terrasse in der 14. Etage. Sie leben ohne die typische Anbindung an die Herkunftsfamilie des Mannes.
Der gesamte Wohnkomplex besteht aus 3 riesigen Hochhäusern mit je 18 Etagen (die 13. Etage fehlt allerdings auch hier). Auf jeder Etage gibt es 4 Wohnungen. Somit leben dort 216 Familien auf relativ engem Raum. Um die Vereinbarkeit von Job und Familie zu erleichtern, gibt es in dem Komplex einen Kindergarten, ein Fitnessstudio und einen kleinen Swimmingpool. Ausserdem befindet sich nur 5 Minuten fußläufig ein ähnlich grosser Bürogebäudekomplex, in dem die wichtigsten Firmen wie z.B. Eriksson, TATA Motors, Samsung, IBM etc. ansässig sind. Ist ein Elternteil bei einer dieser Firmen angestellt, können die Büroräume auf Nachfrage dort genutzt werden. Lange Fahrtwege mit dem Auto oder mit der U-Bahn zu den eigentlichen Büros in der City entfallen dann möglicherweise. Das persönliche Lebensumfeld der Familien ist aus unserer Wahrnehmung dadurch extrem eingeschränkt. Die Familien können jedoch Karriere und Kinder leichter unter einen Hut bringen wenn beide Eltern Vollzeit tätig sein möchten, es ist ja alles in unmittelbarer Nähe vorhanden. Allerdings muss man einen der begehrten Kita-Plätze oder eine der bevorzugten Büronutzungsoptionen mit etwas Glück erst einmal bekommen.
Das Ganze ist für uns eher bedrückend. Im Umkreis von mehreren Kilometern um die so genannten “Gated/Living Societies” ist erst einmal nix. Gar nix! Nur Betonwüste. Zum nächsten U-Bahnhof fährt man 12 km. Einkaufsmöglichkeiten findet man in 30-minütiger Autofahrtentfernung. Wenn man Glück hat, steht man nicht im Stau mit den vielen anderen „Society-Bewohnern”, die sich auch auf den Weg machen müssen.
Von solchen “Gated/Living Societies” gibt es in Delhi viele Komplexe nebeneinander, die ähnlich ausgestattet sind und die ebenso von zahlreichen Sicherheitsleuten bewacht werden. z.B. werden am Eingang alle Fahrzeuge überprüft, jeder Kofferraum wird beim Rein- oder Rausfahren geöffnen. Dann gibt es einen Pförtner mit Registrierungsbuch für Gäste und Besucher. Auch Parkplatzwächter in der Tiefgarage und Fahrstuhlboy sind angestellt. In der Lobby werden tagsüber Paketsendungen vom Sicherheitspersonal entgegengenommen und abends an die Bewohner übergeben. Komplettservice für die Familie! Trotzdem fühlen wir uns nicht richtig wohl, es ist zu ungewohnt. In gewisser Weise sind wir ausgeschlossen vom “wirklichen Leben”. Obwohl der Ausblick von der 14. Etage sehr beeindruckend ist. Man sieht erstaunlicherweise doch viel Natur: grüne Felder und kleine Waldstücke, die jedoch durch eine Betonmauer von der Society abgegrenzt sind. Daher befindet man sich in einer sehr eingeschränkten kleinen eigenen Welt, die einem viel bietet und trotzdem nix hat. Ein erneuter Widerspruch in Indien!

In Alegaon war unsere Lebenswelt auf einfachem Niveau eingeschränkt aber hier in Delhi ist die Begrenzung unseres Lebensraumes ebenso gegeben nur mit einem,höheren Standard. Wir sind es eher gewohnt und lieben es, uns frei und in einem vielfältigen Umfeld mit allem, was man im Alltag so gern hat an Kunst, Kultur, Einkaufsmöglichkeiten, Bildungseinrichtungen, Institutionen für Gesundheit und Sport, Parks und gastronomischen Einrichtungen zu bewegen. Das ist für uns Lebensqualität, die wir hier in Gurgaon während unseres einwöchigen Besuches vermisst haben. Eigentlich hatten wir gar nicht erwartet, das alles zu vermissen, bei dem guten Standard, den die Wohnungen haben. Gibt es auf dem Land die Beschränkungen durch die ausgeprägte Armut, nehmen wir bei der Mittelklasse (am Beispiel unserer Freunde und Bekannten) einen unheimlich verengten Fokus auf das Materielle war. Fast alle Gespräche drehen sich um Eigentumswohnung, Auto, Technik jeder Art und sehr ausgeprägt um die Arbeit. Letztere finanziert selbstverständlich den aktuellen oder angestrebten Lebensstandard. Von Kultur, Freunden oder Freizeitaktivitâten ist (fast) nicht die Rede. Persönliche Gespräche werden für uns daher schnell einseitig und auch ein wenig langweilig mit diesen Themen und haben mit den restlichen 99% von Indien, die in Armut leben, so gar nichts zu tun.

Wir sind viel unterwegs, um uns einige Sehenswürdigkeiten ( Qutab Minar, Rotes Fort, Präsidentenpalast) anzuschauen und auch noch eine andere langjährige Freundin zu besuchen. Auf dem Weg zu ihr entdecken wir “Connaught place” und “Chowk Baoli” mit vielen Läden, Cafes, Marktständen und lassen uns von Gerüchen (ver)treiben und von tollen Lederwaren anziehen. It’s shopping time!

Eine weitere langjährige Freundin lebt direkt in der Innenstadt von Delhi, in einer kleinen Mietwohnung. Eine Etage über ihr wohnt ihre Mutter mit einer ihrer Schwestern in einer Eigentumswohnung. Surbhi hat vor ein paar Monaten zum zweiten Mal geheiratet. Eine Scheidung ist in Indien selbst für die gebildete Mittelschicht in der Hauptstadt noch ein kleines Drama und setzt die Familie sozial unter Druck. Eine Frau muss bis zu einem bestimmten Alter verheiratet sein. Mit dem Support der Herkunftsfamilie kann eine junge, geschiedene Frau jedoch immerhin 2-3 Jahre ihre Situation verarbeiten und ihr Leben neu ausrichten. Auf dem Land (siehe unseren Artikel zu Rupali) führt eine Trennung noch zu sozialer Ächtung.
Junge indische Frauen aus der Mittelschicht ergreifen unterdessen selbst die Heiratsinitiative, indem sie sich auf Onlineportalen anmelden und die einzelnen Kandidaten an öffentlichen Plätzen daten. Die Männer werden bei diesen Treffen in Gesprächen nach einer “Checkliste” überprüfen (Höhe ihrer Schulden, Höhe des Einkommens, evtl. Gründe einer vorherigen Trennung usw.) Maximal 6 Monate können/sollten sie sich jedoch mit einem Mann zum besseren Kennenlernen treffen, um nicht ins Gerede zu kommen. Danach ist der Druck, eine Entscheidung zu treffen, enorm hoch. Im positiven Fall erfolgt eine gegenseitige Vorstellung bei den jeweiligen Eltern, um die formale Zustimmung zu erhalten. Danach geht wieder alles mehr oder weniger den traditionellen Gang.
Das alles ist wohlgemerkt ein Privileg der städtischen Mittel- und Oberschicht und auf keinen Fall auf dem Land zu finden.

Gott was sind wir froh, in gesellschaftlicher Freiheit zu leben, persönliche Entscheidungen treffen zu können, wann immer wir uns dazu in der Lage fühlen. Ein wohlwollendes, liebevolles soziales Umfeld bestehend aus Familie, Freunden und Bekannten ist das Wichtigste im Leben und trägt so unwahrscheinlich zur Lebensqualität und zur persönlichen Gesundheit bei.

Tausend Dank von ganzem Herzen an all unsere Lieben und an euch alle, die diesen Blog lesen. Ihr unterstützt uns jeden Tag aufs Neue, macht euch Sorgen um uns, beratet uns und kritisiert uns (falls nötig)! Wir vermissen euch so sehr!