Jedes Jahr wird am 15. Oktober der Internationale Tag des Weissen Langstockes (umgangssprachlich Blindenstock ) gefeiert. Rundherum um dieses Datum finden in Ruanda unterschiedliche öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen statt, die von den einschlägigen NGO’s nicht nur in der Hauptstadt organisiert und durchgeführt werden. Der Umfang dieser Events ist stets von Spenden abhängig, die im Vorfeld zugesagt werden. Vereinzelt beteiligen sich die übergeordneten staatlichen Organisationen mit finanziellen Beiträgen z. B. für Transportmittel, polizeiliche Absperrungen oder Banner. Oft ist jedoch bis auf wenige Tage vor dem geplanten Ereignis nicht klar wer, was, wann und wieviel. Daher ist eine langfristige Planung eher selten möglich. Die komplexen Vorbereitungen werden zu einer nervenaufreibenden Kraftanstrengung.
Meine Partnerorganisation Ruanda Union of the Blind ist diesbezüglich jedoch so routiniert, dass sie daran nicht verzweifelt. Geduldig werden Ministerien, Presse und Polizei immer auf’s Neue angerufen, um veränderte Termine, Zeiten, Tagesordnungen und Teilnehmerzahlen abzustimmen. Schon bei der ersten Terminverschiebung bin ich am Durchdrehen, die Auswirkungen antizipierend, die sich daraus vermutlich ergeben. Mein vorhandenes Improvisationstalent wird bis auf das Letzte ausgeschöpft doch schlussendlich findet häufig alles seinen Weg, seinen Platz und die gewünschte Aufmerksamkeit in den sozialen Medien.
In diesem Jahr wurden sogar mehrere Tage zum Feiern dieses internationalen Feiertages eingeplant. Zum Auftakt gab es eine Pressekonferenz mit ca. 30 geladenen Vertreter*innen staatlicher und vereinzelt privater Radio- und TV-Sender sowie Printmedien.
In der Pressekonferenz wurden zum Einen die Hintergründe dieses internationalen Feiertages dargestellt und zum Anderen die Bedeutung des weißen Langstockes für die betroffene Zielgruppe betont. Zahlreiche Fragen gingen an die Anwesenden, die ihre Erfahrungen im öffentlichen Straßenverkehr teilten und die Notwendigkeit von Unterstützungsleistungen für blinde und sehbehinderte Menschen in unterschiedlichen Bereichen des Alltages hervorhoben.
Ein anderes wichtiges Ereignis im Rahmen des „White Cane Days“ war eine Demonstration in der Innenstadt von Kigali. Ca. 45 blinde und sehbehinderte Männer und Frauen hatten sich mit Unterstützung ihrer Mitgliedsorganisationen versammelt, um mit den weissen Langstöcken auf ganz praktische Art und Weise auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Es waren auch Rwandische Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur eingeladen worden einer so genannten „Street Challenge“ zu folgen und mit verbundenen Augen eine viel befahrene Hauptstraße zu überqueren. Diese war selbstverständlich von Polizei und Ordnungsgruppen flankiert und abgesichert.
Trotz zahlreicher, auch logistischer Herausforderungen in der Vorbereitung kam es am Tag der Demonstration zu einer spontanen Beteiligung der NGO „Seeing Hands Rwanda“. Ich freute mich riesig, dass Beth (mit der ich bereits seit 3 Jahren zusammenarbeite) einwilligte, Massagen vor Ort anzubieten. Einige ihrer Mitglieder sind natürlich auch Mitglieder von Rwanda Union of the Blind. So war es möglich, nicht nur auf die spezifischen Bedürfnisse aufmerksam zu machen sondern viel mehr die Fähigkeiten blinder und sehbehinderter Frauen und Männer darzustellen.
Am Abend fand zum krönenden Abschluss noch ein „Dinner in the Dark“ statt, zu dem zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Business eingeladen waren. Der Verlust des eigenen Sehsinnes wurde durch das Verbinden der Augen persönlich erlebbar gemacht. Jeder Teilnehmende war aufgefordert, mit einen weissen Langstock seinen Platz an einem Tisch in einem fensterlosen und komplett abgedunkelten Konferenzraum des Marriott Hotels einzunehmen, sich seinen 6 Tischnachbarn vorzustellen, Getränke zu bestellen und sich anschließend noch an einem Buffet zu versorgen. Eine sehr lustige Angelegenheit, bei der jeder die vielen kleinen Besonderheiten in der Kommunikation mit blinden Menschen und in deren Alltagserleben hautnah spüren konnte.
Das Event wurde live im Rwandischen Fernsehen übertragen und mit zahlreichen Fotos durch anwesende Pressefotografen dokumentiert. Daher hatte auch ich die Chance ungewollt und unwissend im Nationalfernsehen aufzutreten, da ich hinter der Ministerin für Informationstechnik und Innovation am Tisch sass.
Trotz verbundener Augen hatte ich mich an dem Abend ganz gut orientieren können und auch gut benommen. Auf meiner wohl überlegt ausgewählten, schwarzen Festkleidung waren keine Flecken von umgestoßenen Weingläsern zu sehen. Auch die von der Gabel heruntergefallenen Essensreste lagen nicht auf dem edel eingedeckten Tisch. Doch ich war nach wie vor hungrig und das vorzügliche Abendessen war aufgrund der äußeren Umstände nur bedingt ein Genuss. Es ist schon erschreckend und erstaunlich, wie abhängig wir von unserem Sehsinn sind. Speisen ausschließlich aufgrund ihres Geschmackes zu erkennen, war mir nur sehr bedingt möglich.
Nach dem Abnehmen der Augenbinde und der Beleuchtung des Raumes wurden die persönlichen Erfahrungen ausgewertet. Für etliche Teilnehmenden war diese Art der Konfrontation mit einer Sinneseinschränkung erstmalig und nachhaltig.
Im Ergebnis des Abends gab es die Bereitschaft, ca. 500 weisse Langstöcke für den Gastgeber – Rwanda Union of the Blind- zu finanzieren und damit Mobilität, Sicherheit und Orientierung für blinde und sehbehinderte Menschen zu unterstützen.
Ein großer Erfolg nach der mühevollen Vorbereitung des Events durch meine Kollegin Rachel.