Den Bachelor- Abschluss einiger IT-Student*innen hatten wir mit „Seeing Hands“ bereits gefeiert. Trotzdem bekam ich von Emmanuel persönlich einen Anruf, mit dem er Thomas und mich zu seiner privaten Abschlussfeier nach Hause einlud. Emmanuel nimmt am IT-Training für Fortgeschrittene teil und unterrichtet einmal wöchentlich im Rahmen unseres Projektes den Beginner Kurs. Dadurch verdient er schon ein wenig Geld und kann seine Familie unterstützen.
Eine private Einladung zu weniger bekannten Personen ist eher eine Seltenheit in Ruanda. Das hatte es bisher für uns noch nicht gegeben. Oft bleibt es bei „…wir könnten doch mal gemeinsam….“ aber konkreter wird es dann nicht. Daher freuten wir uns riesig über die Einladung und sagten selbstverständlich zu.
Bereits ein paar Wochen zuvor hatte ich bei einem unserer üblichen Dorf-Besuche mit Beth und Callixte zur Unterstützung besonders armer Familien auch Emmanuel kurz zu Hause besucht. Die Familie wohnt im District „Gasabo“ im Sektor „Gikomero“ und man hat das Gefühl, irgendwo im Nirgendwo zu sein, jedoch nicht weit von Kigali entfernt. Es gibt keine Straße und keine Adresse nur diese beiden Angaben erklären die Location. Wie sollten wir allein den Weg dorthin finden? Google Maps nutzte uns hier gar nix. Da jedoch auch Callixte, Emmanuels Freund aus Schulzeiten zur Feier eingeladen war, boten wir ihm an, ihn mitzunehmen. Ganz in der Hoffnung, gemeinsam würden wir den Weg schon finden.
14 Uhr sollte die Party beginnen. Wir holten Callixte 13 Uhr ab, denn selbst für die sieben Kilometer Entfernung würden wir eine Stunde Fahrtzeit benötigen. Ab dem Stadtrand von Kigali stand uns nämlich eine längere Strecke auf sandiger Buckelpiste bevor.
Bei Callixte hatte ich mich vorab auch noch erkundigt, wie der Ablauf einer solchen Feier gestaltet sein würde (Kirchgang oder ausschließlich privat?) und wie wir uns dementsprechend kleiden sollten. Aus meiner Sicht war es einerseits ein festlicher und einmaliger Anlass aber andererseits würden wir in sehr arme dörfliche Strukturen kommen und ich wollte auf keinen Fall zusätzlich auffallen. Callixte verwies mich darauf, dass ich doch bereits die Familie und deren Lebensumstände kennen würde. Es sei eine private Feier mit ca. 20 Personen. Meine Frage kam mir unangemessen vor und ich schämte mich dafür, schon wieder ansatzweise von europäischen Verhältnissen für ein solches Ereignis ausgegangen zu sein. Trotzdem war ich beruhigt und fühlte mich nun mit meinem selbst gebackenen Zitronenkuchen und in Outdoor-Sachen gut vorbereitet. Auf unserem Weg wollten wir auf Anraten von Callixte noch Chips und Salzgebäck einkaufen. Das gäbe es nicht aber Getränke seien vorhanden, meinte er. Perfekt! Auf geht’s!
Zu unserem Erstaunen konnte uns Callixte trotz seiner Blindheit exakt die Stellen benennen, an denen wir abbiegen mussten oder an denen ein Landmark zu erwarten war z. B. eine Tankstelle oder die „Special Economic Zone Kigali“. Er schien jedes Schlagloch und jeden „Speed-breaker“ auf der Strecke zu kennen. Die grobe Richtung war uns natürlich auch bekannt. Der erste Reiseabschnitt ging zum „Caraes Ndera Neuropsychiatric Hospital“. Wenn das mal kein sicherer Ausgangspunkt war! Bis dorthin konnte uns Google Maps gut leiten. Danach waren wir ausschließlich auf Callixte angewiesen und kamen unerwartet fast genau auf die Minute pünktlich im Dorf an.
Vor der Haustür begrüßte uns in perfektem Englisch ein junger Mann. Er stellte sich als ein ehemaliger Studienkollege von Emmanuel und als „Zeremonienmeister“ des Events vor. Mir war sofort klar, was das bedeutete! Wir würden nicht an einer kleinen privaten Feier teilnehmen, sondern wir waren die Ehrengäste. Die wackelige Wellblechtür zum Innenhof wurde geöffnet…
und das GESAMTE Dorf schien uns zu begrüssen. Der Hof war gefüllt mit gut gekleideten Menschen und festlich geschmückt. Irgendjemand hatte eine Couchgarnitur besorgt, die unter einem provisorischen Sonnenschutzdach aus blauen Plastiktüten aufgestellt war. Emmanuel und seine Familie hatten darauf Platz genommen und wir sollten ebenfalls dort in erster Reihe sitzen. Ich stand etwas verloren mit meinem Zitronenkuchen auf einem Holzbrett und im Outdoor-Outfit im Eingangsbereich und schämte mich in Grund und Boden. Doch die Situation war nun, wie sie war und wir hatten das Beste daraus zu machen. Erneut retteten uns unsere drei Worte zur Begrüßung in Kinyarwanda. Das Eis schien gebrochen, wir wurden weniger ernst beobachtet und nun vielmehr herzlich aufgenommen.
Der Dorfpfarrer eröffnete mit einer Predigt und einem Gebet die Feier. Anschließend wurde mein Kuchen allen Gästen als Highlight präsentiert und auf einem kleinen Tisch angerichtet. Gemeinsam mit den Hauptpersonen, Emmanuel und seinem Vater musste ich ihn anschneiden und selbstverständlich auch eine Rede halten. Der „Master of Ceremony“ übersetzte für die Dorfgemeinschaft. Alle nickten und klatschten Beifall.
Weitere Reden und Vorstellungen von Anwesenden sowie Familienmitgliedern folgten. Anschließend gab es ein traditionelles Buffet mit Reis, Bohnen, Bananen und Isombe. Das ganz Dorf schien eingeladen zu sein, immer mehr Menschen strömten durch das kleine Wellblechtor in den Hof und es bildete sich eine Warteschlange vor der Essensausgabe. Danach folgte die explizite Aufforderung durch den Zeremonienmeister zur Geschenkübergabe und jeder überreichte einen Briefumschlag mit Geld. Auch darauf waren wir natürlich nicht vorbereitet aber zu unserer Erleichterung wurden Umschläge verteilt und wir mussten den unserigen nur noch bestücken. Aber auch das war nicht so einfach, da wir oft fast ohne Bargeld unterwegs sind und üblicherweise mit Karte oder Handy bezahlen. Also kratzen wir unsere letzten Scheine aus Taschen und Hosentaschen zusammen und konnten wenigstens noch 20 EUR beisteuern. Erleichterung!
Nun war es an der Zeit für die Abschlussrede des Uni-Abgängers. Emmanuel hielt eine sehr bewegende Rede und dankte seiner Familie für die in Ruanda ungewöhnliche Unterstützung ihres behinderten Kindes. Auch seinen Freunden dankte er explizit für deren Kraft und Mut sich trotz aller externen Widerstände jahrelang für ihn zu engagieren. Er erwähnte auch, dass er uns als besondere Unterstützer in seiner aktuellen Lebenssituation sehr schätze aber nie daran geglaubt hatte, wir würden seiner Einladung tatsächlich folgen. Seine Familie fühle sich geehrt, wertgeschätzt und durch unser Kommen in ihrem Handeln bestätigt.
Plötzlich wurde es ein wenig unruhig unter den Anwesenden, Musik erklang erst leise und dann immer lauter und schon sangen und tanzten einige Gäste zwischen den eilig zusammengestellten Stühlen. Es ging nahtlos in den gemütlichen Teil der Veranstaltung über. Ein Sänger war eingeladen worden und präsentierte seine, sowie aktuelle hitparadenverdächtige Songs.
Auch Emmanuels Vater tanzte mit ausladenden Bewegungen und forderte mich, wie konnte es auch anders sein, höflich zum Tanzen auf. Auch das noch! Mir blieb aber heute auch gar nix erspart. Einen Tanz mit dem Gastgeber konnte ich auf keinen Fall ablehnen. Ich war etwas angespannt von der Bemühung, mich in das traditionelle Geschehen einzufinden und außerdem auch ein wenig dehydriert. Thomas und ich hatten das Wasser und auch das Bananenbier, welches uns angeboten wurde, nicht angenommen. Eine Magen-Darm-Infektion wollten wir nicht riskieren. Die Sonne brannte! Und so bewegte ich mich, ein wenig steif im Vergleich zu den Einheimischen aber immer noch schwungvoll genug, zu den traditionellen und bei allen beliebten Songs.
Leider mussten wir gerade jetzt aufbrechen, da es bereits 17 Uhr war und in einer Stunde dunkel werden würde. Den Rückweg wollten wir jedoch aufgrund der Straßenverhältnisse gern noch im Hellen antreten. Wir verabschiedeten uns von Emmanuel und seiner Familie und bedankten uns noch einmal für die persönliche Einladung. Für uns ein unvergessliches Erlebnis! Schnell wurden noch die Mitfahrgelegenheiten abgeklärt und schon waren wir wieder auf dem Heimweg.
Wieder einmal hatten wir eine einmalige Gelegenheiten bekommen, Land und Leute und dadurch die Kultur auf ganz besondere Art und Weise kennenzulernen. Nur an der sprachlichen Verständigung müssen wir wohl noch arbeiten. Doch bis dahin reichen Hände und Füsse.