Auch bei „Seeing Hands“ geht es weiter

Seit ich im November 2021 meine Stelle als Entwicklungshelferin für die GIZ angetreten habe, kann ich leider nicht mehr in dem Umfang wie vorher bei „Seeing Hands Rwanda“ mitarbeiten. Trotzdem besteht nach wie vor enger Kontakt mit Beth und Callixte. Wir sehen uns entweder einmal wöchentlich in den Massage- und Büroäumen in Kacyiru oder online zu einem einstündigen Meeting. So können wir nach wie vor die aktuellen Ereignisse und das weitere Vorgehen besprechen.

Für die weitere Arbeit mit „Seeing Hands Rwanda“ mussten wir eine neue Strategie aufsetzen denn weder Beth noch ich sind weiterhin in der Lage, uns so umfangreich in das tägliche Geschehen einzubringen. Daher wollten wir die eigentliche Zielgruppe, blinde junge Männer und Frauen, etwas stärker in die Organisation einbinden. Sie sollten mit unserer Unterstützung lernen, mehr Verantwortung für sich und ihre Belange zu übernehmen. „Seeing Hands Rwanda“ sollte sich von einer NGO für blinde Menschen hin zu einer NGO von blinden Menschen entwickeln. Das Management könnte doch durchaus aus Betroffenen bestehen, die unter Anleitung eigenverantwortlich tätig werden.

Nachdem wir einige Mitglieder und ehemalige IT-Trainingsteilnehmer*innen von „Seeing Hands“ angefragt hatten, ob sie sich vorstellen können, selbst in der Organisation aktiv zu werden, begannen wir mit den wöchentlichen, einstündigen online Besprechungen . Hier berichten nun die Betroffenen über selbständig geplante Aktivitäten, vorbereitete Konzepte und auftretende Schwierigkeiten. Beth und ich greifen jeweils nur noch strukturierend ein. Das funktioniert bisher auch recht gut. Trotzdem ist unser Anspruch natürlich weiterhin, bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten für blinde und sehbehinderte Studienabgänger*innen zu finden. Diesbezüglich liegt der Schwerpunkt in der Planung und Organisation neuer Projekte, für die sich „Seeing Hands Rwanda“ um eine Finanzierung bewirbt. Externe Stellenangebote sind so gut wie nicht vorhanden oder die dementsprechenden Qualifikationen fehlen oftmals.

In einem von mir moderierten Treffen mit Vertretern der Amerikanischen Botschaft, wurde auch nach Beendigung unseres 6-monatigen IT Training eine weiterführende Zusammenarbeit verabredet. Diesbezüglich schickten wir eine Liste mit den Namen, Kontaktdaten und ggf. den Studienabschlüssen der IT Trainingsteilnehmer*innen an die Amerikanische Botschaft. Sie würden bei botschaftsinternen Volontariaten und Praktikumsstellen mit berücksichtigt werden.

Doch vorerst müssten Bewerbungsschreiben erstellt und Lebensläufe aktualisiert werden. Das Wissen darüber war bei fast allen blinden jungen Männern und Frauen so gut wie nicht vorhanden. Bisher bestand schließlich auch keine Notwendigkeit für eine offizielle Bewerbung, es gibt ohnehin keine Jobangebote.

Mit Hilfe einer anderen Supporterin von „Seeing Hands Rwanda“ erstellte ich ein Template, das als Vorlage für den Lebenslauf genutzt werden kann. Die Student*innen brauchen nur noch ihre lebenslaufbezogenen Daten einzutragen. Doch was schreibe ich in einen Lebenslauf, wenn sowohl Ausbildung, Praktika, Weiterbildungen und Berufserfahrungen sehr oft nicht oder nur sehr begrenzt vorhanden sind. Qualitativ überzeugende Aussagen zu erstellen, war und ist diesbezüglich eine riesige Herausforderung. Gleiches wiederholte sich bei den Bewerbungsanschreiben und so war wieder einmal Improvisationstalent gefragt.

Dieses Wort ist mein „Wort des Jahres“, da es für mich hier in Rwanda teilweise inflationär im Einsatz ist. Jeder um mich herum und ich inklusive sind ständig am Improvisieren. Es ist wenig Verlass aus Geplantes, Gesagtes, Verabredete und Übliches. Meine ganz persönliche Tag-tägliche Herausforderung.

Trotz allem hat ein Student, der über einen Abschluss von der Universität Kigali als Geschichtslehrer verfügt die Chance bekommen, Mitarbeitende der Amerikanischen Botschaft im Rahmen eines Weiterbildungszyklus‘ über die Geschichte Rwandas aufzuklären. Sein Thema ist „Die Erinnerungen der Vergangenheit formen die Rwandische Zukunft- ein Vortrag über die Geschichte Rwandas mit anschließender Diskussion“.

Damit hatte jedoch keiner gerechnet. Was kann man mit so einem allgemein formulierten Thema anfangen? Wie bereitet man die Rwandische Geschichte auf und welche didaktischen Mittel sollte man als „Nicht-Englisch-Muttersprachler“ ggf. wählen? Und schon wieder ist Improvisation gefordert, denn der in Rwanda oft gewählte Arbeitsstil mit „copy and paste“ ist in diesem Format aus Referat und Diskussion nicht möglich. Ebensowenig gibt die Internetrecherche zum konkreten Thema etwas her. Spezifisches Wissen muss somit transformiert und die Geschichte des Landes in Bezug zur Gegenwart gesetzt werden. Eine Herausforderung, bei der man sich ganz schnell und unwissentlich auf ein gesellschafts- und systemkritisches Minenfeld begeben kann. Ich bin sehr gespannt, wie der Referent diese Situation meistern wird! Doch die Zeit für eine gemeinsame Vorbereitung der anstehenden „Unterrichtseinheit“ werde ich mir leider nicht nehmen können. Doch anderweitige Unterstützung habe ich bereits organisiert.

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