Freizeit

Die in Kigali vorhandenen Bildungs- und Freizeitangebote sind überschaubar. Allerdings ist man, aus Berlin kommend, auch sehr verwöhnt. Eigentlich gibt es hier sehr vieles zu entdecken: zwei Kinos, einen großen Golfplatz mit angrenzenden Squashcourts und Swimmingpool, kleine lokale Kunstgalerien, etliche sehr nette Cafés und Restaurants, eine Bibliothek, die Genozid-Gedenkstätte, das Naturwissenschaftliche Museum und nicht zu vergessen die Niederlassungen des Goethe-Instituts und der Friedrich Ebert-Stiftung sowie ein riesiges Stadion und das Convention Center. Letzteres ist DAS Wahrzeichen Kigalis.

In all diesen Einrichtungen finden überall verteilt in der Stadt Veranstaltungen und Aktivitäten statt. Nur vielleicht nicht in der Häufigkeit, in der man es von Berlin gewöhnt ist. Von geplanten Veranstaltungen erfährt man jedoch häufig nur, sofern man in einem der „Facebook-Institutionen-Verteiler“ aufgenommen ist oder selbst im Internet recherchiert. Ein Marketing, wie man es aus europäischen Großstädten gewohnt ist, gibt es hier nicht. Keine Plakate, keine Posteinwurfsendungen, keine Aushänge an Bushaltestellen oder anderen öffentlichen Plätzen und auch keine riesige öffentliche Leuchtreklamewerbung an Hotels o.ä. Man muss sich die Kultur noch aktiv selbst erschließen.

Wir begeistern uns regelmäßig für kostenlose Kinoabende im Goethe-Institut. Es werden deutsche Filme mit englischen Untertiteln gezeigt. Somit ist das eine gute Möglichkeit einen Teil der Deutschen Community zu treffen aber auch einheimische Freunde mit dazu einzuladen. Ein schöner Austausch! Auch das Europäische Filmfestival in Kigali mit kostenlosten Aufführungen hat uns magisch angezogen, so zusagen die „Rwandische Berlinale“ oder „Kigalinale“. Vergangenen Sonntag haben wir den deutsch-kenianischen Film „Supa Modo“ (Superhelden) gesehen, der Publikumsliebling auf der diesjährigen Berlinale war. Wir sind also stets mit der Heimat verbunden. Es war ein sehr tief gehender, emotionaler und sehr zu empfehlender Film unter Koproduktion von Tom Tykwer.

Sogar die kleinen lokalen Kunstgalerien, die zentrale Hauptstadt-Bibliothek, das Centrum für Photographie und auch das Convention Center bieten vereinzelt kostenlose Ausstellungseröffnungen, themenbezogene Lesungen und Diskussionen. Man muss sich nur die Mühe machen, herauszufinden, wann. Einheimische kennen diese teilweisen kostenlosen Kulturangeboten gar nicht und sind erstaunt, wenn wir sie dazu „einladen“. So lernen wir also gemeinsam die Kultur kennen.

Es scheint selbst in der englischsprachigen Mittelschicht wenig üblich zu sein, sich in der Freizeit außerhalb zu orientieren. Der Schwerpunkt liegt eindeutig in der Familie. Man trifft sich regelmäßig und verbringt Zeit miteinander. Das ist ganz wunderbar, jedoch bleiben dadurch die vielen kulturellen Anregungen ungenutzt und persönliche Entwicklung bezieht sich überwiegend auf den Arbeitsbereich. Eigentlich hatten wir gehofft, durch die Kontakte zu einigen von Thomas´ Arbeitskollegen, Anregungen und Ideen für Unternehmungen in und um Kigali zu bekommen. Die Vorschläge beziehen sich auf Bars, Restaurants oder auf die „großen Attraktionen“, wie die Nationalparks. Wir scheinen das Umfeld unterdessen schon ganz gut, wenn nicht sogar teilweise besser als einige Kolleg*innen zu kennen. Das freut uns natürlich, da wir so nicht das Gefühl haben, irgendetwas zu verpassen, denn mehr ist einfach nicht zu machen.

Money, Money, Money, is not funny…

Meine Begegnungen mit Einheimischen im Alltag sind weiterhin begrenzt, obwohl ich mehrfach in der Woche auf meinem Weg zum Sport, zu einem kleinen Laden oder zum Bus in die Innenstadt durch´s Dorf laufe. Dann sehe ich immer die gleichen Frauen am Straßenrand sitzen und nähen. Männer bieten Fahrradreparaturservice oder -transportdienste an. Familien sitzen vor ihren kleinen Shops, aus denen sie Obst, Gemüse und Kohle verkaufen. Es gibt jedoch kein sichtbares Wiedererkennen, kein freundliches Grüßen oder gar eine persönliche Kontaktaufnahme. Nach wie vor treffen mich neugierige Blicke, oft folgen die „Muzungu!“ Rufe oder leises Tuscheln beim Vorbeigehen. Dabei sollten sich die Dorfbewohner unterdessen an mich gewöhnt haben, da ich im Straßenbild schon ein regelmäßig gesehenes Fremdenexemplar bin.

Das alles liegt selbstverständlich an der beidseits fehlenden Sprachkenntnis. Bewusst nutze ich daher einzelne Wort in Kinyarwanda und kann bei meinem Gang durch´s Dorf unterdessen grüßen, auf einen Gruß antworten, ein schönes Wochenende wünschen und mich verabschieden. Die Sprache ist jedoch verflixt schwer, da ich keine Herleitungsmöglichkeiten von anderen Sprachen nutzen kann. Die vielen Zischlaute sowie eine eher kehlige Aussprache machen es zusätzlich schwer. Wie spricht man denn bitte „mwiriwe“ (Guten Tag!) oder „mwirirwe“ (Tschüss, machs gut!) aus? Das bekomme ich nur durch mehrfaches Hören und immer wieder Sprechen hin. Aber dazu müsste man halt mit den Einheimischen irgendwie auch ins Gespräch kommen.

Es gibt in unserem Wohnumfeld auch eine kleine englischsprechende Mittelschicht. Aber auch zu dieser ist die Kontaktaufnahme bisher nicht zu meiner Zufriedenheit geglückt. Beim Sport schwitzen wir nebeneinander auf dem Stepper, und ich bin mittlerweile auch bei einem schweißtreibenden und kräftezehrenden Aerobic-Kurs gewesen, um Kontakte anzubahnen. In ihren Gesprächen untereinander schnappe ich immer mal wieder „Muzungu“ auf und daher weiß ich, dass ich irgendwie im Gespräch bin aber persönlich gefragt oder angesprochen werde ich auch von dieser Personengruppe nicht. Viele freuen sich, dass ich da bin. Jugendliche aber auch Mütter mit Kindern schauen durch die offenen Fenster in den Trainingsraum und beobachten mich beim Radeln, Laufen oder Springseil springen. Letzteres habe ich extra begonnen, um darüber in Kontakt zu treten. Ich kann das nämlich gar nicht und verheddere mich nach nur wenigen Sprüngen immer wieder. Sehr viele Einheimische dagegen können ausgefallene Schritt- und Bewegungskombinationen mit einem ganz einfachen Springseil machen. Film- und bühnenreif! Dadurch habe ich eine Chance zu fragen, wie sie das machen und ob sie mir mal zeigen würden, wie das überhaupt geht. Meistens funktioniert so auch eine Kontaktaufnahme. Die Gefragten scheinen froh, ihre Fähigkeiten vorführen zu können. Zwei, drei Sätze und dann ist aber auch schon wieder Schluss. Beim nächsten Wiedersehen keine weitere Kontaktaufnahme oder maximal ein freundliches Kopfnicken zum Gruß. Es ist mühsam, doch ich gebe nicht auf!

Manchmal werde ich doch tatsächlich unterwegs angesprochen. Schüler probieren ihre Englischkenntnisse aus, Mütter mit Kleinkindern wollen ihrem Nachwuchs ihre eigenen Sprachfähigkeiten im Umgang mit Fremden demonstrieren und junge Männer berichten stolz von ihrem Studium. Doch nach wenigen Minuten, ich freue mich gerade über diese kleinen Unterhaltungen, endet diese jedoch immer mit der direkten oder indirekt verpackten Frage nach Geld: Geld für die Schule bzw. das Studium, Geld für die Versorgung der Kinder oder für kranke Angehörige. Ich versuche dann freundlich, aber bestimmt eine Absage zu kommunizieren und gehe weiter. Schade! Es macht eigentlich keinen Spaß, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen, da es selbst bei der offensichtlich gebildeten englischsprechenden unteren Mittelschicht immer ums Geld geht.

Auch vor unserem Haus am Zaun stehen regelmäßig Kinder oder Mütter mit Babys und betteln. Unsere Security sollte darauf eigentlich angemessen reagieren, tut sie jedoch nur sehr begrenzt. Wie reagiert man darauf passenderweise? Süßigkeiten oder Kleingeld über den Zaun reichen? Absolut unpassend und wenig hilfreich! Ignorieren? Oft kann ich das Verhalten ignorieren, aber ich fühle mich nicht wohl dabei. An manchen Tagen ziehe ich auch die Gardine zur Wegseite einfach wieder zu, wenn das Beobachtetwerden einfach nicht aufhört.

Rwanda scheint nach den Aussagen der Regierung und belegt durch entsprechende Statistiken im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern gut entwickelt zu sein in Bezug auf Bildung, Versorgung mit sauberem (Trink)Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung. Doch oft ergibt sich ein anderes Bild, welches sich uns bei Überlandfahrten zeigt. Ich möchte verstehen, wie es tatsächlich ist, doch es ist schwer, „richtige Informationen“ zu bekommen.

Daher bin ich unsicher, ob das Betteln um Geld für Lebensmittel oder Wasser-(flaschen) einem tatsächlichen Bedarf entspricht oder ob es einfach ein Versuch ist, von den Muzungus ein klein wenig davon zu bekommen, wovon sie für gewöhnlich selbst nichts geben wollen. Geld!

Jeder Fremde, der hier längere Zeit lebt und tätig ist, gibt in irgendeiner Form und auf irgendeine Art und Weise etwas für das Land. Aber ist es das, was die einheimische Bevölkerung tatsächlich braucht? Digitalisierung oder dringliche Grundversorgung? Das ist und bleibt die Frage! Bekommen wir sie in der uns hier verbleibenden Zeit beantwortet?

Weihnachtsmarkt

In Deutschland habe ich nur noch verständnislos den Kopf geschüttelt, sobald Anfang November die ersten Weihnachtssüßigkeiten, Lebkuchen, Spekulatius und Glühweinflaschen in den Regalen der Supermärkte standen. Daher war ich mehr als erstaunt, als wir im Oktober eine förmliche Einladung vom Direktor der GIZ Rwanda für den German Christmas Market auch bereits für den 16./17.11. erhielten. Der deutsche Botschafter würde 10:00 Uhr offiziell den Weihnachtsmarkt eröffnen. Man wolle der Deutschen Community in bewährter Tradition die Möglichkeit zum vorweihnachtlichen Beisammensein, zum Austausch und Kennenlernen hier vor Ort in Kigali geben. 67 verschiedene Akteure hätten sich angemeldet und seine für die Ausgestaltung des Marktes engagiert.
Wir hatten uns daher am 16.11. mit Freunden verabredet, die ebenfalls Freunde eingeladen hatten und gemeinsam wollten wir uns in vorweihnachtliche Stimmung versetzen. Das würde, unabhängig vom frühzeitigen Datum,  schwer werden, da es an diesem Samstag für die Regenzeit mal wieder ausgesprochen sonnig war und wir bei Temperaturen von 25°C schwitzten.
Etwas verunsichert, ob die Eröffnung nun 10:00 Uhr afrikanischer Zeit oder deutscher Zeit und damit relativ pünktlich beginnen würde, entschieden wir uns für letztere Variante und kamen gerade rechtzeitig zum Beginn der offiziellen Redebeiträge auf dem Veranstaltungsgelände an. Uns blieb fast die Luft weg, denn beim Betreten des Festplatzes spielte eine Laienkapelle „Stille Nacht, heilige Nacht“. Das konnte doch unmöglich wahr sein! Mitte November unter diesen Voraussetzungen DAS Lied der Weihnachtszeit zu hören, war für mich vollkommen absurd. Es war einfach der falsche Zeitpunkt! Es fehlte die Familie, die passende Atmosphäre, die Besinnlich- und Gemütlichkeit und das gedanklich darauf Vorbereitetsein. Das Ambiente, was uns stattdessen begegnete, war grotesk und hatte mit meinen Vorstellungen von deutscher Weihnachtstraditionen gar nichts zu tun. Tief durchatmen, um aufkommenden Ärger zu unterdrücken:

In der Mitte eines kahlen Schulhofes stand ein großes weißes Zelt ohne ansprechende Weihnachtsdekoration. Darunter stand die kleine Laienkapelle und spielte ihr Repertoire. Links des Zeltes war ein Essensbereich organisiert mit ebenfalls undekorierten Ständen, die Glühwein, Kaffee, Kaltgetränke, Gebäck, Bratwurst und traditionelle afrikanische Küche präsentierten. Rechts des weißen Zeltes und auch davor reihten sich zahlreiche Stände mit afrikanischem Kunsthandwerk, was an die anwesende zahlungskräftige Deutsche Community verkauft werden sollte. Ein kostümierter Weihnachtsmann lief über das Gelände und wünschte jetzt schon allen „Merry Christmas!“. Es war zum Heulen und dabei bedeutet mir Weihnachten so viel!

Ich war mehr als enttäuscht! Nichts deutete auf diesem Markt auch nur ansatzweise auf die schöne und vielfältige deutsche Weihnachtstradition hin mit gebrannten Mandeln, Nüssen, gebackenen Äpfeln, sternenförmigen Plätzchen, einer Krippen-Figurengruppe, vielen Kerzen(attrappen) oder einer winterlichen Deko bestehend z. B. aus einem Holzschlitten, einem alten paar Schlittschuhen sowie künstlichen Schneeflocken und Eiszapfen.  Einige Winter- und Volkslieder hätten als leise Hintergrundmusik die Stimmung ebenfalls  enorm unterstützt. Auch über einen kleinen künstlichen Weihnachtsbaum oder aber eine festlich geschmückte natürliche Zypresse hätte ich mich sehr gefreut. Dagegen konnte man auf ein wärmendes Feuer selbstverständlich aufgrund der Außentemperaturen gut verzichten. Man muss nicht alles haben!

Künstliche Glitzer- und Leuchtketten in jeder Form und Farbe aber auch Papierketten und Dekokränze sind hier übrigens sehr beliebt und zahlreich vorhanden, da es auch eine große Asiatische Community gibt.

Zu zeigen, wie gemütlich wir in Deutschland feiern, dass Gemeinschaft, Licht und Wärme sowie Teilen eine besonders wichtige Rolle in dieser Zeit spielen, kam leider für Außenstehende gar nicht zum Ausdruck.

Da der Weihnachtsmarkt unter der Schirmherrschaft der GIZ stattfand, wären einige diese kleinen Gestaltungsoptionen mit etwas mehr Liebe zum Detail in der Vorbereitung durchaus machbar, finanzierbar und nachhaltig für Folgejahre nutzbar gewesen. Es war stattdessen ein Handwerkermarkt, der zum Ziel hatte, den in wenigen Wochen in die Heimat reisenden Deutschen noch einige Weihnachtsgeschenke mit auf den Weg zu geben. Auch unsere einheimischen Bekannten waren ernüchtert, so wenig deutsche Tradition gezeigt zu bekommen.

Trotzdem hatten wir Spaß, aßen eine Art Stolle, die Männer tranken einen selbst zubereiteten Glühwein, der sehr gut war und der uns ein wenig mit der Situation versöhnte. Nach zwei Stunden verabschiedeten wir uns voneinander. Selbstverständlich mit ein paar Weihnachtsgeschenken im Gepäck. Der Ansatz des German Christmas Market war also auch bei uns aufgegangen. Na dann, „Merry Christmas!“

Schmuckstück

Den letzten Tag für Unternehmungen wollten wir nicht nur gemeinsam mit Shriya sondern auch mit Manju, der Schwester Ravis verbringen. Sie war seit ein paar Tagen schon ganz traurig und „beschwerte“ sich bei Shriya, weshalb sie nicht auch mit uns etwas unternehmen könne. Somit boten wir an, die beiden Mütter mit ihren Babys nach Sangola auf einen Mango-Mastani einzuladen und anschließend alle Aktivitäten zu unterstützen, die sie gern noch in der Stadt machen wollten.
Gegen Mittag könnten wir wohl aufbrechen, meinte Shriya, da dann das Kochen für das schwiegerelterliche Mittagessen abgeschlossen sei. Bis dahin wollten Thomas und ich noch einmal die Lehrer in der Schule besuchen. 12 Uhr sollte uns dann unser Mietwagenfahrer mit den beiden Frauen und den Babys von dort abholen. Wir hatten jedoch vergessen, dass die beiden als angeheiratete Frauen das Dorf und damit die Schule nicht betreten dürfen. So wurden wir separat von unserem Fahrer abgeholt und erst einmal zur Farm zurück gebracht. Von dort ging es dann erneut mit allen im Auto zurück ins Dorf und weiter nach Sangola.

Der Arbeits-Sari war gegen den Ausgeh-Sari eingetauscht, die Haare glänzten in der Sonne und waren geflochten sowie mit Spangen zusammengesteckt. Shriya und Manju waren geschminkt, goldgeschmückt und hielten ihre ebenso ausgehfertig gekleideten Babys im Arm. Beide waren fast nicht wiederzuerkennen! Dagegen sahen nun Thomas und ich etwas unpassend gekleidet aus. Wir hatten unsere goldbestickte Ausgehgarderobe zu Hause gelassen. Allerdings hatte ich ein im letzten Jahr gekauftes indisches Kleid an und passe somit doch ganz gut zu der kleinen Frauenrunde.

Bevor es jedoch zum Eisessen in die Stadt gehen würde, stand ein kleines Ritual für das Neugeborene auf dem Plan: der Kauf von goldenen Ohrringen sowie das Stechen der Ohrlöcher für die 4-wochen-alte Sahi. Wir erfuhren, dass jeder Säugling- unabhängig davon ob Junge oder Mädchen- traditionell nach der Geburt goldene Ohrringe bekommt. Diesen sind meist religiöse Motive hinterlegt und selbst kleinste Ringe für Babies schauen aus wie winzige Imitate historischer Schmuckstücke. Dazu kommen dann noch die Fußschellen oder -ringe, ebenfalls mit traditionellen Motiven bestückt. Das leichte Klingeln und Klirren des Fußschmuckes soll die Aufmerksamkeit der Gottheiten wecken und böse Geister verscheuchen.

Während ich den schlafenden Ohm auf den Armen hielt, suchten Shriya und Manju die Ohrringe aus. Wir brauchten nur zwei Läden, bis die passende Größe und Form gefunden und die Ohrlöcher gestochen waren. Erstaunlicherweise kam kein einziger Laut von der kleinen Sahi. Dabei hatte ich mich schon auf ein ohrenbe-täubendes Geschrei eingestellt. Aus eigener Erfahrung war mir das Ohrlochstechen nicht in so guter Erinnerung aber „…wer schön sein will, muss leiden!“ . Manju war aufgeregter und erschrockener als ihre kleine Tochter und so managte Shriya den Ablauf.

Anschließend war dann zur Belohnung für alle „Mango-Mastani-Zeit“. Gestärkt ging es weiter zum Shoppen. Shriya wollte für sich einen neuen Festtags-Sari, den sie gleich zur Hochzeit von Shripad (Sohn des Bruders ihres Schwiegervaters) im Dezember tragen würde. Die Suche dauerte etwas länger und so kam ich mit den Shop-Besitzern ein wenig ins Gespräch. Wieso ich überhaupt hier wäre, weshalb ich ein indisches Kind auf dem Arm hätte, wo meine Familie sei und noch viele tausend andere Fragen wurden mir gestellt. Um mich herum scharte sich eine kleine Gruppe und hörte gespannt auf meine Antworten. Zum Abschied wurde ein gemeinsames Fotos gemacht.

Da zeigte sich ein großer Unterschied zwischen den Kulturen. In Indien wird man als Fremde sofort freundlich angesprochen, angelächelt, neugierig ausgefragt und bekommt sehr oft sogar noch einen Tee angeboten. Das ist uns allerdings manchmal auch ein wenig zu viel des Guten, so vereinnahmt zu werden. In Rwanda begegnet einem dagegen überwiegend strenge manchmal auch freundliche Skepsis und vornehme Zurückgezogenheit. So sehen sich die Einheimischen übrigens auch selbst und bezeichnen sich sogar als „untypische Afrikaner“. Von einer überschwänglichen Offenheit ist keine Spur.

Ich möchte nicht generalisieren denn immerhin hatten wir schon einzelne sehr, sehr nette Begegnungen. Z. B. erinnere ich mich gern an die unerwarteten Familienfeier bei Solange anlässlich ihrer Überraschungsgeburtstagsfeier oder auch an den Besuch im „514“ mit Musik und Tanz sowie dem Live-Auftritt von Lotti. Beides unvergesslich! Es gibt also Ausnahmen! Man muss sie nur (auf)suchen und teilweise selbst mit initiieren.

vom Lehrer zum Farmer

Vom Stammpersonal der Dnyanankur English Medium School sind 4 Lehrer nicht
mehr dabei. Drei dieser vier Lehrer haben wir kurz auf ihren Farmen besucht. Zwei haben sich komplett aus dem Schulalltag zurückgezogen und widmen sich ausschließlich ihren Granatapfelplantagen. Diese laufen bei allen richtig gut und das Einkommen ist um ein Vielfaches höher als im Lehrerdienst. Jedoch besteht auch ein hohes Ernteausfallrisiko aufgrund der in manchen Jahren ausbleibenden Regenzeit oder durch die Verschiebung der Regenzeit, die dann aber nicht mehr zum landwirtschaftlichen Ablauf mit Pflanz- und Erntezeit passt. Auf jeden Fall ist es sehr schade für die Schüler, denn als Lehrer waren die Männer wirklich passioniert und ganz wundervoll im Umgang mit den Kindern.

Pravin wird allerdings als Lehrer bald in den Staatsdienst nach Mumbay wechseln. Er hat vor 10 Jahren sein Lehrer-Studium abgeschlossen und die ganze Zeit daraufhin gearbeitet, endlich eine Festanstellung ohne Risiko und mit gutem Verdienst antreten zu können. Nun ist es soweit und im kommenden Schuljahr beginnt er seine Tätigkeit. Er muss sich dann in Mumbay eine Wohnung bzw. ein Zimmer nehmen und die Fahrt nach Sangola dauert vermutlich 10 Stunden mit dem Zug, wobei er in Pune umsteigen muss. Oh je!
Dieses Schuljahr hatte Pravin Unterricht für die 11. Klassen in Physik gegeben. Ich habe nur mal kurz einen Blick in das Schulbuch geworfen und nur kryptische Formeln gesehen. Da braucht man definitiv auch einige Gehirnwindungen mehr! Somit kann ich gut verstehen, dass Pravin nicht „nur“ seine Familienfarm bewirt-schaften will. Allerding ist seine junge Frau gerade schwanger und die Farm wächst und gedeiht. Das wird also eine enorme Herausforderung für Pravins Eltern. Ausnahmsweise ist diese Familie keine Großfamilie und wird sich daher in der nächsten Zeit mit Leiharbeitern behelfen müssen.

Auch Popat widmet sich im Nachbardorf Medhisingi seiner Granatapfelplantage mit ca. 1200 Bäumen. Einige davon hatte er im vergangenen Jahr noch mit einem Kleinstkredit von uns über 200 EUR kaufen und pflanzen können. In diesem Jahr stehen die jungen Bäume prächtig, er ist mächtig stolz, hat aber auch hart dafür geschuftet. Einmal im Monat fährt er für 10 bis 15 Tage nach Pune in die Stadt, um dort als Rikscha-Fahrer zu arbeiten. Dann verdient er noch einmal 20.000 bis 25.000 Rupien (= 250 EUR) dazu. Sein Sohn wird im nächsten Jahr in der Schule in Alegaon eingeschult und seine Frau arbeitet dann auch wieder stundenweise dort als Lehrerin/Erzieherin. Wir freuen uns sehr über den Erfolg der Familie.

Prashant ist am erfolgreichsten. Seine Farm befindet sich etwas außerhalb von Alegaon in Best Lage und hat Zugang zu einem Stausee, so dass die Wasserversorgung auch bei ausbleibender Regenzeit gesichert ist. Er ist der einzige Sohn seiner Ursprungsfamilie. Daher hatte sein Vater ihn unmissverständ-lich angewiesen, den Schuldienst aufzugeben und sich stärker dem Familienbusi-ness zu widmen. Prashant wäre gern Lehrer geblieben. Er ist ein stets lustiger, freundlicher und besonders mit den kleinen Kindern sehr liebevoller Pädagoge. Im vergangenen Jahr hatte er noch seine elterliche Farm und den tätlichen Unterricht gemanagt. Teilweise war er in Krisenzeiten auch Schulbusfahrer sowie der „Mann für alle Fälle“, wenn es irgendwelche Probleme in der Schule, mit den Bussen oder mit der Wasseraufbereitungsanlag sowie dem Internet gab. Einfach ein toller Typ und sehr zuverlässig!

Alle drei Familie haben sich über unseren kurzen Besuch sehr gefreut und auch wir waren sehr ergriffen und beeindruckt von den hart arbeitenden Männern und Frauen und fragten uns immer wieder, was in „unserer kleinen Farm“ wohl schieflief. Wieso kommt sie auf keinen grünen Zweig. Na ja, ein wenig Glück gehört schon auch dazu. Maßgeblich sehen wir jedoch auch die Entscheidung für nur ein statt drei Kinder unter diesen harten Lebensumständen. Selbstverständlich sind in der Landwirtschaft auch ein eiserner Arbeitswille und Arbeitskraft gefragt. Beides ist bei Ravi nicht so stark ausgeprägt und auch die Bereitschaft, Zusatzeinkommen zu generieren, ist nicht so willkommen.
Trotzdem hoffen wir, auch für „unsere Farm“ eine gute und langfristig Lösung mit Perspektive für die ganze Familie erarbeiten zu können. Wir wollen nichts unversucht lassen!