Meine Begegnungen mit Einheimischen im Alltag sind weiterhin begrenzt, obwohl ich mehrfach in der Woche auf meinem Weg zum Sport, zu einem kleinen Laden oder zum Bus in die Innenstadt durch´s Dorf laufe. Dann sehe ich immer die gleichen Frauen am Straßenrand sitzen und nähen. Männer bieten Fahrradreparaturservice oder -transportdienste an. Familien sitzen vor ihren kleinen Shops, aus denen sie Obst, Gemüse und Kohle verkaufen. Es gibt jedoch kein sichtbares Wiedererkennen, kein freundliches Grüßen oder gar eine persönliche Kontaktaufnahme. Nach wie vor treffen mich neugierige Blicke, oft folgen die „Muzungu!“ Rufe oder leises Tuscheln beim Vorbeigehen. Dabei sollten sich die Dorfbewohner unterdessen an mich gewöhnt haben, da ich im Straßenbild schon ein regelmäßig gesehenes Fremdenexemplar bin.
Das alles liegt selbstverständlich an der beidseits fehlenden Sprachkenntnis. Bewusst nutze ich daher einzelne Wort in Kinyarwanda und kann bei meinem Gang durch´s Dorf unterdessen grüßen, auf einen Gruß antworten, ein schönes Wochenende wünschen und mich verabschieden. Die Sprache ist jedoch verflixt schwer, da ich keine Herleitungsmöglichkeiten von anderen Sprachen nutzen kann. Die vielen Zischlaute sowie eine eher kehlige Aussprache machen es zusätzlich schwer. Wie spricht man denn bitte „mwiriwe“ (Guten Tag!) oder „mwirirwe“ (Tschüss, machs gut!) aus? Das bekomme ich nur durch mehrfaches Hören und immer wieder Sprechen hin. Aber dazu müsste man halt mit den Einheimischen irgendwie auch ins Gespräch kommen.
Es gibt in unserem Wohnumfeld auch eine kleine englischsprechende Mittelschicht. Aber auch zu dieser ist die Kontaktaufnahme bisher nicht zu meiner Zufriedenheit geglückt. Beim Sport schwitzen wir nebeneinander auf dem Stepper, und ich bin mittlerweile auch bei einem schweißtreibenden und kräftezehrenden Aerobic-Kurs gewesen, um Kontakte anzubahnen. In ihren Gesprächen untereinander schnappe ich immer mal wieder „Muzungu“ auf und daher weiß ich, dass ich irgendwie im Gespräch bin aber persönlich gefragt oder angesprochen werde ich auch von dieser Personengruppe nicht. Viele freuen sich, dass ich da bin. Jugendliche aber auch Mütter mit Kindern schauen durch die offenen Fenster in den Trainingsraum und beobachten mich beim Radeln, Laufen oder Springseil springen. Letzteres habe ich extra begonnen, um darüber in Kontakt zu treten. Ich kann das nämlich gar nicht und verheddere mich nach nur wenigen Sprüngen immer wieder. Sehr viele Einheimische dagegen können ausgefallene Schritt- und Bewegungskombinationen mit einem ganz einfachen Springseil machen. Film- und bühnenreif! Dadurch habe ich eine Chance zu fragen, wie sie das machen und ob sie mir mal zeigen würden, wie das überhaupt geht. Meistens funktioniert so auch eine Kontaktaufnahme. Die Gefragten scheinen froh, ihre Fähigkeiten vorführen zu können. Zwei, drei Sätze und dann ist aber auch schon wieder Schluss. Beim nächsten Wiedersehen keine weitere Kontaktaufnahme oder maximal ein freundliches Kopfnicken zum Gruß. Es ist mühsam, doch ich gebe nicht auf!
Manchmal werde ich doch tatsächlich unterwegs angesprochen. Schüler probieren ihre Englischkenntnisse aus, Mütter mit Kleinkindern wollen ihrem Nachwuchs ihre eigenen Sprachfähigkeiten im Umgang mit Fremden demonstrieren und junge Männer berichten stolz von ihrem Studium. Doch nach wenigen Minuten, ich freue mich gerade über diese kleinen Unterhaltungen, endet diese jedoch immer mit der direkten oder indirekt verpackten Frage nach Geld: Geld für die Schule bzw. das Studium, Geld für die Versorgung der Kinder oder für kranke Angehörige. Ich versuche dann freundlich, aber bestimmt eine Absage zu kommunizieren und gehe weiter. Schade! Es macht eigentlich keinen Spaß, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen, da es selbst bei der offensichtlich gebildeten englischsprechenden unteren Mittelschicht immer ums Geld geht.
Auch vor unserem Haus am Zaun stehen regelmäßig Kinder oder Mütter mit Babys und betteln. Unsere Security sollte darauf eigentlich angemessen reagieren, tut sie jedoch nur sehr begrenzt. Wie reagiert man darauf passenderweise? Süßigkeiten oder Kleingeld über den Zaun reichen? Absolut unpassend und wenig hilfreich! Ignorieren? Oft kann ich das Verhalten ignorieren, aber ich fühle mich nicht wohl dabei. An manchen Tagen ziehe ich auch die Gardine zur Wegseite einfach wieder zu, wenn das Beobachtetwerden einfach nicht aufhört.
Rwanda scheint nach den Aussagen der Regierung und belegt durch entsprechende Statistiken im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern gut entwickelt zu sein in Bezug auf Bildung, Versorgung mit sauberem (Trink)Wasser, Elektrizität und medizinischer Versorgung. Doch oft ergibt sich ein anderes Bild, welches sich uns bei Überlandfahrten zeigt. Ich möchte verstehen, wie es tatsächlich ist, doch es ist schwer, „richtige Informationen“ zu bekommen.
Daher bin ich unsicher, ob das Betteln um Geld für Lebensmittel oder Wasser-(flaschen) einem tatsächlichen Bedarf entspricht oder ob es einfach ein Versuch ist, von den Muzungus ein klein wenig davon zu bekommen, wovon sie für gewöhnlich selbst nichts geben wollen. Geld!
Jeder Fremde, der hier längere Zeit lebt und tätig ist, gibt in irgendeiner Form und auf irgendeine Art und Weise etwas für das Land. Aber ist es das, was die einheimische Bevölkerung tatsächlich braucht? Digitalisierung oder dringliche Grundversorgung? Das ist und bleibt die Frage! Bekommen wir sie in der uns hier verbleibenden Zeit beantwortet?