privater Umuganda

Am 29.02. war es wieder einmal soweit, der monatliche Umuganda stand an und wir hatten unseren ganzen Tag darauf ausgerichtet. Vor 12 Uhr darf sich am letzten Samstag im Monat kein Einheimischer auf die Straße wagen, da die Gefahr besteht, von der Polizei angehalten und wegen fehlender Teilnahme am „Umuganda“ befragt zu werden. Bußgeld 5000 RWF = 5 EUR.

Am Abend vorher, wir waren gerade mit Freunden im „Casa Keza“, einem spanischen Tapas-Restaurant, erhielt Thomas per SMS eine weitergeleitete Nachricht vom Ministerium. Es war ein förmliches Anschreiben, in dem
mitgeteilt wurde, dass der öffentliche Umuganda am nächsten Tag (vermutlich wegen des
Corona-Virus) offiziell abgesagt wird. Jeder solle in seinem privaten Wohnbereich sauber machen. Das ist kein Witz! Das Anschreiben haben wir uns teilweise übersetzten lassen.
Innerhalb kürzester Zeit schienen alle im Land informiert zu sein. Die Sozialen Medien überschlugen sich, Twitter Nachrichten blinkten, WhatsApp-Gruppen chatteten und wir
Muzungus verstanden die Welt nicht mehr. Was sollte man dazu sagen? Zuerst waren wir ungläubig-erstaunt und dann amüsiert über diese Nachricht. Wann wird man schon mal von einem Ministerium aufgefordert, seine Wohnung gründlich sauber zu machen? Das ist und bleibt einmalig!
Da gerade einen Tag vorher unsere Haushaltshilfe im Einsatz war, konnte ich die Aufforderung ganz ohne schlechtes Gewissen ignorieren. Selbstverständlich hatte ich trotz ihres Einsatzes mit deutscher Gründlichkeit noch einmal „nachgearbeitet“ und war nun sehr zufrieden mit meiner privaten Haushaltshygiene.

Am Samstagmorgen wollte Thomas trotzdem einen kleinen Arbeitseinsatz mit mir starten. Auf unserer Straße vorm Haus ist eine kleine „Brücke“, die durch die starken Regenfälle und durch die Straßenbaufahrzeuge stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Täglich liefen wir und auch unsere Nachbarn also Gefahr, mit den Autos in einem 1 Meter tiefen Graben steckenzubleiben, falls die Brücke komplett zusammenbrechen würde.

Wir hatten gerade unsere Arbeitssachen angezogen und standen vor unserem
Haus als zwei Nachbarn vorbei spazierten. Sie waren  vom Frühsport (10 km Walking) zurück und wollten nun im Anschluss die kleine Brücke reparieren. So starteten wir unseren ersten privaten Umuganda und hatten viel Spaß am gemeinsamen Sägen, Hämmern, Schieben und Graben.
Selbstverständlich mussten Fotos gemacht und an die staatlichen Organisationen sowie die
Umudugudu-Ortsgruppe verschickt werden. Das nennt sich nachhaltige internationale Entwicklungszusammenarbeit auf höchstem Niveau. Danke, dass wir das erfahren durften!

Stadtspaziergang

Ein Spaziergang kann in Kigali sehr unterschiedlich ausfallen. Einerseits gelangen wir von unserem Haus aus in nur wenigen Gehminuten in ländlich anmutende Abgeschiedenheit und andererseits ist man in nur 15 Minuten mit dem Motorradtaxi im modernen Shoppingcenter, dem „Kigali Hights“. Von
allen Hügeln und Bergen rund um Kigali hat man einen fantastischen Blick auf die Stadt und von Weitem sieht man stets den RCT (Rwanda City Tower).
Wenn man mag, kann man selbstverständlich auch kleine Wanderungen von 10 bis 20km auf den Bergen rund um die Stadt z. B. auf den Mount Kigali unternehmen. Nicht umsonst, gilt Rwanda als das Land der 1000 Berge. Kigali liegt bereits auf einem, in 1500 Meter Höhe.

Im „Kigali Hights“ tummelt sich eher die jugendliche ruandische Mittelschicht in Bars und Cafés aber auch Muzungus, die nur kurz in Kigali sind. Für sie reicht vermutlich die Zeit nicht aus, um die wirklich gemütlichen, leckeren und publikumsgemischten Restaurants ausfindig zu machen. Oft sind sie dienstlich nur für einige Tage vor Ort und arbeiten rund um „Kigali Hights“. Hier befinden sich nämlich auch viele Tech-Firmen, Ministerien, das Parlamentsgebäude und etliche hochpreisige Hotels.

„Kigali Hights“ besteht aus zwei großen Gebäuden. Beide sind durch eine Hauptverkehrsstraße voneinander getrennt und von einer gepflegten Grünanlage mit Springbrunnen umgeben. Vor dem Betreten des jeweiligen mehretagigen Gebäudes steht man vor einem Security-Check, wie im Flughafen für´s Handgepäck. Alle Taschen werden durchleuchtet, Hosentaschen müssen entleert und handys extra vorgezeigt werden. Jede Person, die Männer jedoch insbesondere, müssen sich anschließend noch einem Bodycheck unterziehen. Das ist aus Sicherheitsgründen gut gedacht, doch das Prozedere trotzdem meist sehr willkürlich. Gelangweilte Beamte prüfen oder sie prüfen nicht. Man hat sich zu Stoßzeiten trotzdem in die Warteschlange einzureihen. Ist man dann durch diesen Check durch und wechselt zwischen den Etagen des Centers, muss man sich manchmal erneut durchchecken lassen. Das nervt!

Für +/- 1000 RWF (= 1 EUR) kann man sich mit dem Motorrad-Taxi quer durch die Stadt fahren lassen. So bin auch in oft unterwegs. z. B. zum Gothe-Institut zum wöchentlichen kostenlosen Filmabend oder zu meinem Lieblingsbuchladen, dem IKIREZI mit Dachterrassen-Café. Hier sitze ich ab und an und lese, schreibe oder genieße einfach nur den großartigen Blick auf ein grünes Tal und den RCT. Außerdem findet hier auch unser Kinyarwanda Sprachunterricht statt. Diesen haben wir allerdings erst einmal ausgesetzt. Durch unseren Urlaub in Tansania hatten wir 3 Einheiten a 1,5 Stunden verpasst und die konnten wir mit den uns zur Verfügung gestellten Materialien nicht selbständig nachholen. Um keine Zeit und vor allem auch unsere Kraft nicht zu vergeuden, haben wir um Verschiebung gebeten. So werden wir wahrscheinlich im April unseren Kurs fortsetzen. Bis dahin üben wir die wenigen Worte auf unseren Spaziergängen durch Kigali.

Straßenbau

Seit Monaten werden etliche Straßen rund um unser Haus gebaut. Dabei sind oft ohne Vorankündigung private Hauseingänge und Toreinfahrten plötzlich unpassierbar. Die Straße wurde dann in Abwesenheit der Mieter einfach um ein paar Meter tiefer gelegt. Kleine Holzpaletten sollen den autofahrenden Hausbesitzern trotzdem ermöglichen, ihre Fahrzeuge noch auf dem Grundstück zu parken. Doch oft sind diese Hilfskonstruktionen zu steil oder zu schmal.

Begonnen hatte der Baulärm mit einer Umgehungsstraße, die nun unmittelbar- jedoch in 5 Metern Tiefe- vor unserem Haus entlangführt. Riesige moderne Baufahrzeuge fuhren tagelang dröhnend auf und ab. Sandmassen mussten bewegt und anschließend wieder verdichtet werden. Die Fenster klirrten und die Geräuschkulisse war, positiv formuliert, beeindruckend. Zuerst wurden lange Gräben entlang der neuen Straße ausgehoben. Diese mussten allerdings noch gemauert werden, da ansonsten die später darin abfließenden Regenwassermassen alles ausspülen würden. Weitere Gräben folgten, in denen massive Rohre und dicke Kabel verlegt wurden. Anschließend begann der Bau des Gehweges, wobei eigentlich alle Fußgänger ohnehin auf der Straße unterwegs sind. Selbst die unterdessen fertigen Fußwege werden nur selten genutzt.

Mit jedem starken Regenschauer lösen sich die abgeladenen massiven Bausandberge am Straßenrand in Schlammlawinen auf. Der noch nicht verdichtete aber bisher relativ ebene Straßenbelag bekommt armdicke Rinnen, handtiefe Furchen und gigantische Löcher. Was für eine Freude beim Auto- und Motorradfahren! Vergangene Woche zur Mittagszeit nahm das Dröhnen des Baulärmes noch
einmal zu. Unterdessen etwas an die Lautstärke gewöhnt, reagierte ich anfangs gar nicht. Doch plötzlich realisierte ich, dass direkt vor unserer Toreinfahrt nun auch die Straßenbauarbeiten begonnen hatten. Mit einem
Blick auf die Straße war klar, ein Ausparken unseres Autos war so nicht mehr möglich.

Mit Hilfe unseres Security-Guards konnte ich dem Fahrer des Baufahrzeuges klar machen, dass es ein Problem gab. Er müsste unsere Einfahrt wieder zu baggern, so dass ich das Auto rausfahren konnte. Die Begeisterung war ihm anzusehen. Genervt begann er, die gerade ausgehobenen Sandmassen zurück zu transportieren. Es dauerte einige Minuten, doch dann konnte ich mit unserem Land Rover und dank seines Allradantriebs über die aufgewühlten Bausandfurchen aus unserem Grundstück rausfahren. Doch wo sollte ich das Auto parken? Unbeaufsichtigt in der
unmittelbaren Nachbarschaft? Nicht ohne Grund gibt es eine nächtliche „Neighborhood-Watch“, die wir gemeinsam mit unseren Nachbarn anteilig
finanzieren. Das war also zu unsicher. Schließlich wussten wir auch nicht, wie lange dieser Bauzustand andauern würde. Somit fuhr ich nach
Rücksprache mit Thomas gleich zu ihm auf Arbeit weiter und parkte das Auto auf dem bewachten Firmenparkplatz von RISA.

Zu allem Überdruss wurde bei den Bauarbeiten auch noch unsere Wasserleitung zerstört. Dadurch ist der Zufluss neuen Wassers in unsere
Wassertanks unterbrochen. Sofern das nicht zeitnah repariert werden würde, müssten wir wohl einen Wassertransporter bestellen, der unsere Tanks manuell auffüllen würde. Aber einen Monat sollten wir nach Thomas Berechnungen noch mit unseren Wassertankreserven auskommen.
Eine Woche ist nun schon vergangen und unser Vermieter informiert. Gott sein Dank ist er sehr hilfsbereit und kümmert sich umgehend um unsere Probleme. Täglich finden nun größere oder kleinere Arbeitseinsätze statt. Das Ergebnis bleibt noch abzuwarten.

Nein, danke!

„No thanks…“, das ist der Titel eines Buches von Keturah Kendrick, einer afrikanisch-stämmigen Lehrerin, Schriftstellerin und Feministin aus den USA. Seit zwei Jahren lebt sie wieder in Ruanda. Im Rahmen des 10. KigaliLit (Kigali-Literaturkreis) hatte das Goethe Institut zu einer Lesung eingeladen. Hintergrund dieser jährlichen Veranstaltung ist zum einen die allgemeine Kulturarbeit in Kigali aber im Speziellen auch die Bildungsarbeit bzw. die Aufklärung junger Afrikanerinnen. Aufgrund des Buchtitels „No thanks: Black, Female, and living in the Martyr-Free Zone“ fand die Lesung mit anschließender Diskussion in Zusammenarbeit mit einer „Schwesternschaft“ (Sistah Circel Collectiv) in der Öffentlichen Bibliothek Kigalis statt.

An der Buchvorstellung wollte ich gern teilnehmen: sowohl das Thema, als auch der Ort machten mich neugierig. Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Gender-Thematik in Ruanda durch zahlreiche Veranstaltungen und auch
durch staatliche finanzielle Unterstützung sehr intensiv bearbeitet wird. Bereits wenige Tage später würde ich an der Veranstaltung „TechWomen- Frauen in Führungspositionen“ auf Einladung einer Bekannten teilnehmen. Über die geplante Buchlesung informierte ich auch Tina und lud sie ein, mich zu begleiten. Tina wurde in Kigali geboren, sie ist 25 Jahre alt, lebt im Haushalt ihres Bruders, da die Eltern (wahrscheinlich) während des Genozids umgekommen sind. Sie hat ein abgeschlossenes Studium im Bereich Finanzwesen, ist jedoch trotz zahlreicher Bemühungen seit Jahren ohne Job und hangelt sich von einem Praktikum zu nächsten. Ich war sehr gespannt, was sie zu dem Thema sagen bzw. ob sie in so einer Runde mit diskutieren und ihre Erfahrungen teilen würde.

Die Lesung begann mit der üblichen Verspätung. Die Autorin wurde von einer Moderatorin vorgestellt und auch das beteiligte „Sistah Circle Collectiv“ stellte seine Arbeit kurz vor. Durch Lesungen und Diskussionen thematisiert diese Community Inhalte, die besonders die Frauen in der afrikanischen Gesellschaft betreffen. Das Ziel ist es, Frauen zur Meinungsäußerung zu motivieren und auf kritische gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen. Doch wie erfährt die Zielgruppe eigentlich von den
Veranstaltungen? Ich hatte nur durch die Verlinkung mit dem Goethe-Institut Kigali auf Facebook eine Information dazu erhalten. Wie
gut sind jedoch die „Durchschnittsfrauen“ in der Hauptstadt auf Facebook vernetzt und wie aktiv wird tatsächlich Werbung diesbezüglich betrieben? Aufgrund fehlender oder nur sehr eingeschränkt vorhandener preiswerter öffentlicher Verkehrsmittel, ist es
nicht so ohne Weiteres möglich, den Veranstaltungsort unkompliziert zu erreichen. Man muss ein Motorradtaxi nehmen oder wie ich gemütlich ca. 1,5 Stunden laufen. Bleibt man daher zwangsläufig unter sich, d. h. die Organisatorinnen diskutieren dann nur mit ihren jeweiligen Freundes- und Bekanntenkreisen
untereinander? Diesen Eindruck hatte ich beim ersten Blick auf das anwesende, spärlich erschienene Publikum. Der große Veranstaltungssaal im Dachterrassen-Café der Bibliothek füllte sich jedoch mit fortschreitender
Zeit mehr und mehr. So veränderte sich beim zweiten Blick die Zusammensetzung des Publikums. Es bestand zwar nach wie vor überwiegend aus gut gebildeten Frauen der afrikanischen Mittelschicht, die sich bereits kannten. Viele hatten auch zeitweise im Ausland (England, USA, Kanada) gelebt, das
betonten sie bei ihren Wortbeiträgen im Rahmen der Diskussion. Auch einige interessierte Muzungus hatten sich, genau wie ich, hierher „verirrt“. Für mich unerwartet, waren sogar etliche Männer anwesend. Facebook schien also hier in Kigali das passende Medium zur Verbreitung von Veranstaltungsterminen zu sein. In Deutschland ist Facebook bereits out, zu langsam und zu pflegeintensiv. Es gibt schnellere soziale Medien zur unkomplizierten (Selbst) Darstellung von Inhalten.

Die Autorin berichtete mit Auszügen aus ihrem Buch über ihre negativen Erfahrungen als bekennende gewollt kinderlose und unverheiratete US-Afrikanerin im Alter von Anfang 40. Für junge Frauen sei der Druck auch im 21. Jahrhundert nach wie vor immens, ein traditionelles Leben als verheiratete und mehrfache junge Mutter zu führen, berichtete sie. Das Unverständnis sowohl von der eigenen Familie als auch von Freunden sei immer noch deutlich spürbar. Ihre Aufforderung, Frauen jeden Alters sollten lernen, ihre Wünsche klar zu kommunizieren und „No thanks…!“ zu
sagen, war daher ein Appell an das versammelte Publikum. „Nein, danke…!“ bezieht sich dabei jedoch nicht nur auf das Thema „Kinder und Familie“ sondern auf alle Bereiche des täglichen Lebens.

Doch ist eine Abgrenzung von Traditionen durch ein lautstarkes „Nein,
danke…!“ eine richtungsweisende Entwicklung? Kann es nicht auch ein „Ja bitte, mit welchen Unterstützungsangeboten…“ sein? Muss die Gender-Thematik durch Kampf und Gegensätzlichkeit vorangetrieben werden?
Diese Fragen kamen für Thomas und mich auf, als ich zu Hause etwas genervt von der „Frauen wir sind stark und müssen nur öfter Nein sagen“- Veranstaltung berichtete.
Weshalb wird propagiert, dass Frauen lernen sollten, sich stärker durchzusetzen und abzugrenzen? Warum gibt es keine oder nur wenig Angebote für Männer? Was ist mit „Alltags- und Lebensvorbereitungskursen“ für das
männliche Geschlecht, um ihre zukünftigen Familien und Frauen angemessen zu unterstützen?

Rwanda hat eine sehr hohe Frauenquote in führenden staatlichen, als auch in privatwirtschaftlichen Positionen. Auf einer anderen Veranstaltung habe
ich die ca. 35-jährige Grace kennengelernt. Sie ist CEO (Chef Executiv Officer) der RITA (Rwanda Information Technology Agency) und leitet alle
technischen Entwicklungen für den Staatsdienst. Diese Frau kann bestimmt “ nein, danke…!“ sagen. Trotzdem braucht sie Unterstützung, um ihren Job und auch die Anforderungen durch ihre Familie (zwei Kinder) zu bewältigen.
Dabei helfen zum einen fachliche Netzwerke und Initiativen wie „TechWomen“ oder „Career Women´s Network Kigali“. Aber wo und wie findet die Einbeziehung der Männer statt?

In dem Umfeld, in dem Thomas und ich uns derzeit bewegen, stehen wir mit der gebildeten Mittelschicht afrikanischer Frauen im Kontakt. Wir beobachten und wir wissen, dass sie (nach Diskussionen in der Familie) nur ein oder zwei Kinder haben. Die Frauen sind, wie ihre Ehemänner, beruflich
Vollzeit in verantwortungsvollen Jobs tätig. Sie alle, selbst eine alleinerziehende Kollegin, haben eine Kinderfrau, die im Haushalt lebt und
sich ausschließlich um die Kinder kümmert. Außerdem wird oft die Reinigung der Wohnung, das Kochen sowie der Einkauf von zusätzlichem Personal verrichtet. Das würden sich viele berufstätige Frauen in Deutschland vermutlich auch (mal) wünschen. Doch unser deutsches Familienkonzept ist ein
anderes: gemeinsames Erleben in der Freizeit und Arbeitsteilung im Alltag. Die damit verbundenen „Geschlechterkämpfe“ sind nicht einfach und bedürfen beidseitiger Kompromisse und persönlicher Weiterentwicklung.
Das afrikanische Familienmodell der Mittelschicht scheint hingegen einen anderen Ansatz zu verfolgen. Es bietet anderen Frauen und Männern feste Jobs in den privaten Haushalten, um wiederum deren eigene Familien finanziell zu unterstützen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird dadurch enorm erleichtert, die Gender-Thematik jedoch aus meiner Sicht nicht vorangebracht.
Die nationale und internationale Bildungsarbeit in Rwanda durch Vereine, private Initiativen und staatliche Institutionen sollte nicht Gender trennende, sondern Gender verbindende Lösungen suchen und gesellschaftlich vielschichtig kommunizieren.

Aufgrund des verspäteten Beginns der Buchlesung hatte sich Tina bereits nach wenigen Minuten wieder von mir verabschiedet. Sie wollte zu einer Verabredung in ihre Kirchengemeinde. Schade, so konnte die Idee der Emanzipation diesmal nicht in vollem Umfang weitergetragen und mit ihr diskutiert werden. Das hätte ich jedoch sehr gern getan. Vielleicht ergibt sich dazu noch eine Möglichkeit. Das Buch bekommt Tina mit einer Widmung der Autorin zu ihrem Geburtstag im März.

6. Tag: Lake Natron

Heute ist leider unser letzter Trekkingtag. Wir müssen 2 Stunden in die Ebene absteigen, 2 weitere Stunden zum Lake Natron laufen und anschließend 4 Stunden mit einem Auto zu unserem Ausgangspunkt, dem Ort Mosquito zurücklegen, um von dort am nächsten Morgen zum Kilimanjaro Flughafen aufzubrechen. Wie dieser vorletzte Transport ablaufen wird, ist jedoch noch nicht geklärt. Hoffentlich gibt es eine preiswerte Gelegenheit, denn
Geld haben wir hier leider erst einmal keins mehr. Thomas hat sein Portemonnaie in der Wildnis verloren. Durch die ständige Um- und Auspackerei ist es vermutlich irgendwo rausgefallen. Nun fehlen Führerschein, Kreditkarten, Bargeld…aber kein Grund zur Panik! Meine Zugangsmöglichkeiten zur Zivilgesellschaft sind alle noch vorhanden.
Ein sehr ambitionierter Zeitplan steht uns heute erst einmal bevor, aber alles scheint machbar.

Bereits von der Hochebene hatten wir einen sehr guten Blick auf den Lake Natron. Nun wollten wir den Salzsee als weitere bekannte Brutstätte zahlreicher Flamingos auch noch aus der Nähe bestaunen. Unser Abstieg ins Tal war für 6:00 Uhr geplant und der Zeltabbau vorher in absoluter Dunkelheit eine
Herausforderung. Man konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Es gab keine einzige künstliche Lichtquelle und durch die Wolken auch kein Mondlicht. Alle Sinne kamen zum Einsatz, doch waren sie zu dieser Tageszeit noch nicht so gut ausgeprägt. Trotzdem hielten wir den Zeitplan
ein und starteten pünktlich. Ein Teil des Weges war uns vom Aufstieg bekannt. Doch nun konnten wir in entgegengesetzter Richtung den Blick schweifen lassen und noch einmal bei Tagesanbruch stolz genießen, was wir bereits vor ein paar Tagen schon bewältigt hatten.

Im Tal und im einzigen Dorf angekommen, frühstückten wir erst einmal, erwarben auch noch je ein paar Maasai-Sandalen und brachen dann zum Lake Natron auf. Unterdessen war es fast Mittag und die Sonne brannte erneut erbarmungslos. Der See war nicht nur ein See mit einer befestigten Uferzone. Er war eingebettet in eine skurrile, derzeit ausgetrocknete
Sumpflandschaft. Der salzhaltige Boden war an einigen Stellen extrem trocken und rissig, an anderen Stellen jedoch wieder feucht und rutschig.
Herumliegende Skelettknochen waren die traurigen Überreste der letzten Überflutung des Gebietes, in der viele Tiere ertranken.
Kleine Inseln, die man je nach Wetter- bzw. Wasserlage mal zu Fuß und mal per Boot erreichen kann, bieten den Flamingos Zuflucht in ihrer Brutzeit.
Ähnlich dem See im Empakai-Krater sahen wir auch hier unendlich viele Flamingos im seichten Gewässer stehen. Die Farbe ihres Gefieders (weiß
oder rosa) hängt von der Ernährung der Tiere ab. Gerade wegen der bizarren See-Landschaft beeindruckten uns auch diese Bilder sehr.

Am Ende unserer Trekkingtour angekommen, wollten wir noch einmal duschen. Das war jedoch nur in einer Lodge in der Nähe des Sees oder in Mosquito möglich. Doch unsere Mitfahrgelegenheit nach Mosquito schien noch nicht eindeutig geklärt zu sein. Daher mussten wir ungeplant erst einmal in glutheißer Mittagssonne zur nächstgelegenen Lodge laufen, ca. 3km vom See entfernt. Unsere Wasservorräte waren aufgebraucht und so stellte sich bald ein beklemmendes Gefühl der Erschöpfung und der totalen Kraftlosigkeit ein. Als wir gerade mit hochrot erhitzten Gesichtern protestieren und das Weitergehen verweigern wollten, kam Wenga mit einem Jeep angefahren, lud uns ein und brachte uns in 5 Minuten zu einer Lodge. Dort wartete bereits ein Pickup, der als lokaler Bus Mensch, Maus und Material nach Arusha transportieren würde, und den sollten wir unbedingt nehmen. Unsere einzige Chance auf eine öffentliche Transportmöglichkeit. Uns wurden die Luxusplätze auf dem Beifahrersitz angeboten, während sich die Einheimischen erstaunlich zahlreich auf der Ladefläche wie Gepäckstücke neben- und aufeinander stapelten. Jedes Schlagloch auf der 3,5 Stunden dauernden Fahrt spürten wir selbst auf unseren Firstclass-Sitzen, doch wie musste es für die anderen Mitfahrenden wohl gewesen sein? Unvorstellbar für uns!

Gegen 16:00 Uhr kamen wir in Mosquito an und checkten in einem selbst für anspruchslose Reisende fast ungeeigneten Hostel ein. Einige Formalitäten wie z. B. Bargeldabhebung und Abstimmung für den Transport zum Flughafen am nächsten Tag wollten wir gleich noch erledigen. Danach gingen wir mit Wenga in einem Straßenlokal essen. Diese Zeit nutzen wir auch noch einmal, um ihm von ganzem Herzen für diese einmalige und gut organisierte Tour zu danken. Wir versprachen, Fotos an ihn für die Gestaltung seiner Business-Website und selbstverständlich zu persönlichen Erinnerungszwecken zu schicken.

Uneingeschränkt können wir diese (und bestimmt auch ähnliche) Trekkingtouren empfehlen. Unter „Engaresero Cultural Tourism“ kann man sich beraten und individuell eine Tour zusammenstellen lassen. Die Angebote werden im Gegensatz zu „üblichen Reiseanbietern“ preislich transparent erstellt. Wir waren jedenfalls sehr zufrieden und werden uns noch lange und gern an diese Tour erinnern.