1. Tag: Ngorongoro und Empakaai Krater

Wir erreichten die Ngorongoro Conservation Area, ein großes Schutzgebiet (8200 km²) und der ursprüngliche Lebensraum vieler Maasai. Sie haben von der Tansanischen Regierung die Erlaubnis, in diesem Gebiet traditionell zu leben, d. h. Viehzucht zu betreiben. Die landwirtschaftliche Nutzung der Flächen durch Anbau von Obst, Gemüse und Getreide ist ihnen jedoch nicht gestattet. Dieses Verbot wird auch durch Polizei- Patrouillen kontrolliert. Daher werden in kleinen „Handelszentren“ in den Bergen und auch auf den Hochebenen die Basis-Lebensmittel wie z. B. Reis und Mehl in großen Säcken ver- und gekauft. Diese Zentren sind oft nur wenige Hütten aber sie sind der Treffpunkt für Schulkinder und Händler auf ihren Wegen ins Tal zur Schule oder nach Hause in die Bomas (traditionelle Dörfer der Maasai). Die Kinder haben teilweise einen morgendlichen Ab- und abendlichen Aufstieg von bis zu 400 Metern zu bewältigen. Ein einfacher Schulweg dauert hin oder zurück oft bis zu je 1,5 Stunden und ist in der Regenzeit mit besonderen Herausforderungen und ggf. Umwegen verbunden.

Die Maasai ernähren sich überwiegend vom Fleisch und von der Milch der Tiere ihrer privaten Viehherden (Rinder, Schafe, Ziegen). Auch das Blut der Kühe wird getrunken. Die Tiere werden jedoch nicht getötet, sondern nur mit einem Speer verletzt. Danach wird die Wunde mit Sand abgedeckt und verschossen. Der Verzehr von Geflügel und Eiern ist ihnen nicht erlaubt. Obwohl sie als sehr kriegerisches Volk bekannt sind, jagen die Maasai nicht, sondern leben mit der Natur und allen Kreaturen im Einklang.

Die Maasai sind ein stolzes Volk, bestehend aus unverschiedlichen Clans aber alle sind für fremde Kulturen sehr offen. Interssiert haben unsere Begleiter auch nach unseren Traditionen, Ansichten und Einstellungen gefragt. Mit kulturellen, medizinischen und religiösen Traditionen sind sie intensiv verbunden. Auch Beschneidungen finden nach wie vor noch statt. Alle Männer werden im Jungenalter beschnitten. Bei Frauen dagegen wird das für uns grausame Ritual „nur noch“ in 25 % und in sehr abgelegenen Dörfern durchgeführt.

Maasai-Männer dürfen auch mehrere Frauen heiraten. Es gibt dann erstaunlicherweise jedoch keine Konkurrenz untereinander oder eine Hierarchie. Der Alltag mit allen Pflichten und Rechten wird gemeinsam bewältigt und auch die Versorgung aller Kinder findet gemeinschaftlich statt. Das ist auch notwendig, da ein Maasai Mann durchschnittlich vier Frauen und mit jeder einzelnen bis zu 9 Kindern haben kann. Land und Vieh wird jedoch nur an die Söhne vererbt. Für die Mädchen müssen zur Hochzeit mindestens 5 Kühe an die Brauteltern übergeben werden.

Im Alltag kleiden sich die Maasai sehr traditionell und schmuckreich. Jede Farbe steht einer Altersgruppe und einem Geschlecht zu. Junge Männer tragen überwiegend blau, Frauen und reifere Männer dagegen rot. Die Stoffbahnen der Gewänder werden allerdings sehr unterschiedlich geknotet, so dass sie situationsbedingt als Tragetücher genutzt werden können. Sowohl die Frauen als auch die Männer legen persönlich sehr viel Wert auf Schmuck. Dieser wird von den Frauen selbst hergestellt und dabei traditionelle Muster und Farben der einzelnen Clans verwendet. Alle sichtbaren Körperteile sind durch Ringe, Bänder, Gürtel, Ketten, Scherpen, Hüte etc. geschmückt. Jeder Mann trägt einen traditionellen Säbel oder ein Messer in einer ebenfalls verzierten Scheide aus Tierhaut an seinem perlenbestickten Gürtel um die Taille. Alle sehen sehr schön und farbenfroh aus, es ist ein toller Anblick!

Diese Informationen haben wir nicht gelesen, sondern sie wurden uns von den uns begleitenden Maasai Kriegern und ihren Familien während unserer Tour persönlich erzählt. Die Zusammentreffen mit den Maasai waren oft nur sehr kurz. Im Vorbeigehen  wurden wir freundlich begrüßt, manchmal  wurden auch Hände geschüttelt oder  Fragen über uns an unsere Begleiter gestellt. Diese Situationen wollten wir nicht ausnutzen, um Fotos zu machen. Diskretion und Vertrauen sind wichtig. Daher gibt es verhältnismäßig wenig Fotos mit den traditionellen schmuckreichen Outfits. Einige davon werde ich in den weiteren Berichten einfügen.

Nun aber zurück zu unserer Tour.

Der Land Cruiser meistert Dank unseres überaus versierten Fahrers das schwierige Gelände ganz wunderbar. Wir fahren entlang des
Ngorongoro-Vulkan-Kraters in ca. 2300 Meter Höhe und haben traumhafte Ausblicke. Der Kraterboden, auf den man mit einer Sondergenehmigung auch hinabsteigen kann, liegt etwa 1700 Meter hoch und die Kraterkanten sind 400 bis 600 Meter hoch. Der Durchmesser des Kraters beträgt 17 bis 21 Kilometer. Das spezielle Sonnenlicht aber auch die für mich bisher unbekannte Weite der Landschaft in Verbindung mit den Bergen ist ein einmaliges Erlebnis und mir kommen beim Anblick von so viel Schönheit, Ruhe und Frieden die Tränen. Es ist einfach unfassbar!

Wir setzen unsere Fahrt bis zum Empakaai Krater fort. Auf dessen Kraterboden befindet sich ein See. Diesmal steigen wir in Begleitung von Wenga ca. 300 Meter tief in den Krater hinein und werden für diese kleine Anstrengung mit einer überaus reichen Tierwelt belohnt. Hunderte pinkfarbene und weiße Flamingos stehen einbeinig im See, und am Ufer sitzt eine Horde Affen. Sie ziehen sich an den bewaldeten Kraterrand zurück, als wir langsam durch das kniehohe Gras laufen, um sie nicht zu verschrecken. Zahlreiche bunte Vögel zwitschern laut und Schmetterlinge fliegen umher. Es ist wie in einem Märchenfilm, nur fehlen die Elfen. Kindheitserinnerungen kommen auf. Gemeinsam mit meinem Väterchen haben wir Pfauenauge, großer Admiral, Zitronenfalter klassifiziert und als Bilder hingen sie in meinem Kinderzimmer. Doch seit Jahrzehnten habe ich keinen dieser Schmetterlinge mehr gesehen. Hier fliegen dagegen andere, handtellergroße Exemplare herum. Auch wilde Bienen summen im üppigen Grün. Es ist eine Vielfalt an Tierstimmen und anderen Naturgeräuschen. Beeindruckend!

Nach einer Stunde Aufstieg zurück zum Kraterrand, es hat unterdessen leicht zu regnen begonnen, schlagen wir unser Nachtlager direkt neben dem Vulkankrater auf und erleben einen spektakulären Sonnenuntergang hinter den Bergen. Sogar ein Blick auf den Kilimanjaro in weiter Ferne ist uns vergönnt. Gänsehaut!
Es wird dann schnell dunkel und auch kalt. Einer unserer Begleiter versucht ein Feuer zu machen, allerdings sind der Boden und auch die Zweige zu feucht und so kommt es nicht richtig zum Lodern. Wir ziehen alle vorhandenen Sachen übereinander und genießen unser Abendessen als Picknick vor dem Zelt. Es gibt eine Mehl-Kräutersuppe als Vorspeise, anschließend Reis mit einer leckeren Gemüsesauce und Bananen sowie Apfelsinen zum Nachtisch.

Aufgewühlt von den vielen Eindrücken aber sehr glücklich und zufrieden über den gelungenen Start unserer Tour, freuen wir uns schon auf den nächsten Tag. Nun beginnt die eigentliche Trekkingtour und dafür wollen wir fit sein.

Anreise nach Arusha

Thomas hatte in letzter Minute durch Intervention seines Chefs den Urlaub doch noch genehmigt bekommen. Ein weiteres Afrika-Reiseabenteuer konnte also beginnen. Und es begann gleich bei Ankunft am Kilimandscharo Airport in Arusha (Tansania) mit unerwarteten Konfrontationen, die fast schon wieder das Ende unserer Reise hätten bedeuten können. Wir sollten nämlich noch vor der
Passkontrolle unseren Impfstatus mit einem entsprechenden Dokument nachweisen. Aufgrund des Corona-Virus befragten Beamte in Schutzkleidung alle Einreisenden penibel nach ihrer Herkunft und nach ihrem Reiseziel
sowie nach den Impfpässen. Wir hatten unsere jedoch nicht dabei. Durch die Aufregung mit der Urlaubsbewilligung im Vorfeld hatte ich sie vergessen einzupacken. Es ist bisher auch nie nötig gewesen, Impfausweise dabei zu
haben, aber nun waren sie Vorschrift. Wir standen mit 100 anderen Reisenden in einer langen Schlange zur Passkontrolle. An einigen Säulen in der Empfangshalle waren Desinfektionsspender angebracht und jeder wurde aufgefordert,
sich die Hände zu desinfizieren. Asiatische Reisende wurden separiert und noch einmal intensiver durch Beamte befragt.
Thomas bemühte sich sehr glaubwürdig, wenigstens eine Kopie des geforderten Impfausweises über sein Mobiltelefon zeigen zu wollen. Außerdem versicherte er den Beamten vom Gesundheitsschutz, dass wir ohne einen kompletten Impfschutz aus Deutschland gar nicht hätten aus – und in Ruanda einreisen dürfen. Das schien überzeugend genug, und zu unserer
Erleichterung wurden wir durchgewunken. Das war mal wieder knapp! Noch während unseres Wartens in der Schlange stellten wir uns eine Erinnerung im Handy ein, nach Rückkehr unsere Reiseunterlagen um die Impfausweise zu ergänzen. Schließlich wollten wir unser Glück nicht noch einmal herausfordern.

Nach 45-minütiger Autofahrt vom Flughafen kamen wir in Arusha an und übernachteten in einer kleinen Lodge mit einfachen, aber sauberen Zimmern. Der Besitzer war ein 28-jähriger Mann, dessen Eltern als Tierärzte in der Ngorongoro Conservation Area gearbeitet hatten. Er war in der absoluten Einsamkeit und Wildnis aufgewachsen. Jetzt wollte er nur noch unter Menschen sein und liebte es daher, sich persönlich um seine Gäste zu kümmern. Ein Deutscher Schäferhund und ein best Buddy waren seine einzigen Helfer im Haus und im angrenzenden üppig grünen Garten.

Am Abend trafen wir auch noch unseren Guide, Wenga, einen ebenfalls 28-jährigen Mann. Es stellte sich heraus, dass er zwar einerseits als
Consultant die Finanzen des kleinen Reisebüros managte, bei dem wir unsere Reise gebucht hatten. Andererseits jedoch sehr zurückgezogen und traditionell als Maasai-Krieger mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn in einem Dorf umgeben von Bergen lebte. Ab und an begleitet er Safari-Touren in der Serengeti oder führt Vulkanbesteigungen z. B. auf den Oldonyo Lengai (2800 Meter). Ein drahtiger, groß gewachsener und sympathischer junger Mann.
Später in den Bergen sollten wir auch noch einen Teil seiner Familie kennenlernen.

Am frühen Montagmorgen wurden wir von Wenga und einem Fahrer mit dem Auto abgeholt und fuhren von Arusha nach Mosquito. Dort wechselten wir das Fahrzeug, stiegen in einen Land Cruiser um und verluden noch einen Teil an Lebensmitteln. Außerdem holten wir unseren Koch ab, der uns während der gesamten Tour zu allen Mahlzeiten versorgen würde.

Wenga erklärte uns, dass wir in den nächsten 7 Tagen mit einer kleinen „Karavane“ reisen würden, bestehend aus ihm, einem weiteren Maasai als regional wechselnden Guide, zwei Eseltreibern und ihren zwei bis vier Tieren sowie dem Koch. Unser persönliches Gepäck, das Trinkwasser, alle Lebensmittel und Kochutensilien, eine Gasflasche für den Campingkocher sowie ein „Küchen- und ein Schlafzelt“ würden mit den Eseln durch die Berge transportiert. Wir hätten also lediglich unsere Regensachen und das Trinkwasser für die Tagestouren selbst zu tragen.

Das würde eine neue Erfahrung für uns werden, da wir in bisherigen Urlauben stets selbst mit je 12-18 kg Rucksackgepäck und manchmal sogar mehr unterwegs gewesen waren. Wir freuten uns sehr auf die Tour und konnten es kaum erwarten zu starten.

Vorbereitungen für Tansania

Aufgrund des zusätzlichen freien Tages im Anschluss an den „heros-day“, hatte Thomas erneut die Chance ergriffen und wollte 4 Urlaubstage dranhängen. Wir überlegten, nach Tansania zu fliegen. Eine Kollegin von Thomas ist dort aufgewachsen und hatte immer mal wieder sehr begeistert berichtet. Von anderen Bekannten hatten wir von atemberaubenden Wanderungen in Kraterlandschaften gehört und die Maasai-Kultur interessierte uns selbstverständlich auch.
Mündlich war der Urlaub von Thomas Vorgesetztem bereits bestätigt und der schriftliche Antrag lag in der Personalabteilung zur Unterzeichnung vor. Die Flüge hatten wir daraufhin schon gebucht, um ein preisgünstiges Angebot nutzen zu können. Der Hinflug sollte am Sonntag, 02.02. mittags starten.
Wir freuten uns sehr und hatten umgehend Recherchen für passende Touren gestartet. Dabei half uns der „Lonely Planet“ aber es stellte sich bald heraus, dass eine komplett selbständig organisierte Tour ausgeschlossen sein würde. Die Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln sowie der Transport von einem Ort zum nächsten schien in der Abgeschiedenheit der Bergen und durch die Weiten der Ebenen schwierig. Wir wollten gern 6 Tage entlang der Vulkankrater und in einem Teil der Serengeti wandern. Doch diese Vorstellung schien sich selbst mit einem Reiseanbieter gar nicht so einfach umsetzten zu lassen. Es wurden überwiegend Gruppen-Safari-Touren angeboten und diese zu unverschämten Preisen.
Es gibt in der abgeschiedenen Gegend der Ngorongoro Conservation Area, dem offiziellen Lebensraum der Maasai, nur zwei offizielle Zeltplätze und wenige aber sehr hochpreisige Lodges (US $ 250 pro Person und pro Nacht). Erfahrene Eseltreiber transportieren mit ihren Tieren auf den Trekkingrouten das erforderliche Wasser und alle Lebensmittel. Außerdem benötigt man einen lokalen Guide für jeden Landschaftsbereich (Krater-Region, Serengeti, Lake Natron-Region). So sichert Tansania durch den Tourismus einigen Einheimischen eine regelmäßige Arbeit und damit ein akzeptables Einkommen. Gut so! Jedoch für uns bestand dadurch in der Vorbereitung keine Chance zur Selbstorganisation.
Ein kleines Reisebüro schien uns letztendlich sehr vielversprechend. Es hatte sein Büro in der Ngorongoro Conservation Area und nicht in irgendeiner Großstadt. Der Mitarbeiter ging konkret auf unsere Wünsche ein, meldete sich umgehend und reagierte sofort auf unsere Nachfragen. Anschließend wurde das Angebot für uns angepasst. Wir fühlten uns gut beraten und waren sehr zufrieden. Mit „Tanzania Cultural Tourism“ würden wir gern reisen. Unsere Tour stand fest, war jedoch noch nicht gebucht.

1. Tag:

  • Flug nach Arusha (Kilimandscharo-Airport)
  • von Arusha mit Jeep in die Ngorongoro Conservation Area
  • Fahrt mit dem Jeep entlang des Ngorongoro Kraters
  • Weiterfahrt zum Empakai Krater und Abstieg in den Krater
  • Übernachtung im Zelt am Empakai-Krater

2. Tag:

  • Wanderung auf der Acacia Hochebene zum Naiyobi Village (Maasai Dorf)
  • Übernachtung im Zelt im Acacia Camp (Wildnis, kein Zeltplatz)

3. Tag:

  • Abstieg über Riffs und Klippen in das Tal am Fuß des Oldonyo Lengai (aktiver Vulkan)
  • Fahrt mit Jeep in die „Lake Natron“ Region
  • Übernachtung auf einem offiziellen Zeltplatz (mit Sanitäranlagen)
  • Wanderung am Nachmittag zu einem Wasserfall

4. Tag:

  • Trekking auf der Leparakash Ebene entlang des Embalulu Kraters
  • Übernachtung im Zelt in der Ebene vor einem Maasai Boma (traditionelles Maasai Dorf)

5. Tag:

  • Wanderung auf den Angata kiti Plains
  • Beobachtung von Wildtieren in der freien Natur
  • erneut Übernachtung in der Leparakash Ebene vor dem Maasai Boma

6. Tag:

  • Abstieg aus der Leparakash Ebene zum Engaresero Village (kleines lokales Versorgungszentrum)
  • Wanderung zum Lake Natron (Salzsee und bedeutende Brutstätte für Flamingos)
  • 3 Stunden Fahrt mit dem Jeep in die Ortschaft Mosquito
  • Übernachtung in einer Herberge

7. Tag:

  • Fahrt mit Jeep von Mosquito nach Arusha (ca 2 Stunden)
  • Frühstück im „Kitamu Coffee“
  • Weiterfahrt zum Kilimandscharo-Airport (ca 1 Std. von Arusha)

Dieser Reiseablauf gefiel uns, er versprach vielfältige Naturerlebnisse.

Am Mittwochabend, also 3 Tage vor unserem geplanten Abflug, kam Thomas total frustriert von Arbeit nach Hause und teilte mir mit, die Personalabteilung habe ihn darüber informiert, dass er den Urlaub so nicht nehmen kann. Sein lokaler Arbeitgeber genehmige den Mitarbeitenden nur zweimal im Jahr Urlaub. Wir hätten ja bereits zum Jahresanfang ein paar Tage genommen und die arbeitsvertragliche Regelung besage, dass somit nunmehr alle verbleibenden Urlaubstage am Stück von ihm genommen werden müssten. Anderenfalls würde die Tage verfallen. Aber wir hatten doch für August anlässlich der Hochzeit einer meiner besten Freundinnen bereits eine 1-wöchige Reise in die Heimat geplant! Die müsste dann entfallen?! Das ging ja alles gar nicht. Und nun? Ich war entsetzt und Thomas frustriert.
Mit seinem Vorgesetzten hatte sich Thomas am Nachmittag dazu umgehend verständigt und er hatte versprochen, sich für uns einzusetzen. Doch konnten wir uns darauf verlassen? Die Zeit war auch nicht gerade auf unserer Seite. In zwei Tagen, am Freitag, musste Klarheit bestehen denn sonst blieben uns nur drei Möglichkeiten:

1. den Urlaub trotz fehlender Genehmigung der Personalabteilung antreten und Thomas Kündigung riskieren,
2. die Flüge nach Tansania verfallen lassen und die Reise nicht antreten oder
3. den gesamten Jahresurlaub jetzt sofort am Stück zu nehmen, nach Tansania zu fliegen und danach weiter zu planen.

Letzteres würde jedoch bedeuten, dass Thomas projektbedingt bis Ende Juli keinen einzigen Tag Urlaub mehr hätte und täglich 10 Stunden arbeiten würde. Für ihn und auch für mich unvorstellbar. Es würde doch hoffentlich noch eine gute Lösung für uns geben!? Am nächsten Tag sollte noch einmal ein Gespräch mit der Personalabteilung stattfinden, um die komplizierten Vertragsregelungen zu klären. Schließlich hatte Thomas einen lokalen Arbeitsvertrag mit RISA und einen „Ergänzungsvertrag“ mit der GIZ. Welche Vorschriften würden für ihn greifen und wäre in dieser Situation auch eine unkomplizierte „Mischvariante“ denkbar?

Missverständnis

Thomas konnte sich vom vergangenen Jahr noch daran erinnern, dass am 01.02. in Ruanda der jährliche „heros day“ (Tag der Helden) stattfinden würde. Dafür gab es auch noch einen extra freien Tag, so dass erneut ein verlängertes Wochenende für uns anstand.

Jeden letzten Sonntag eines Monats ist verpflichtend für alle Einheimischen Communitywork angesagt. Bei unserer letzten Teilnahme am so genannten Umuganda am 26.01.  hatten wir Dank der Übersetzung von Doreen, einer BWL-Studentin und weitläufigen Nachbarin erfahren, dass alle Anwesenden aufgefordert worden waren, den Tag der Helden in jedem Umudugudu (Dorf), in jeder Akagari (Zelle) und sogar in jeder Isibo (Nachbarschaft) durch ein nachbarschaftiches Treffen gemeinsam zu feiern.

Das haben Thomas und ich natürlich sofort aufgegriffen und mit 3 unserer unmittelbaren Nachbarn, die auch am Umuganda teilnahmen, ein kleines informelles nachbarschaftliches Treffen verabredet. Fortune, unsere „Isibo-Verantwortliche“, würde sich über unsere WhatsApp-Gruppe zum Ort und zur Zeit noch einmal bei allen melden. Wir könnten darüber dann auch klären, wer in welcher Form etwas zu dem Event beitragen kann. Das klang doch sehr gut!
Es waren also 5 Tage Zeit für die Vorbereitungen. Am Samstag, 01.02. sollte die Feier stattfinden. 4 Tage lang hörten wir gar nix, doch dann erhielten wir am Donnerstagabend von Fortune eine Einladung in Kinyarwande zu der angedachten Veranstaltung. Auf Nachfrage folgte eine Übersetzung für uns. Wir würden uns alle  ab 10:00 Uhr im „Tequila Paradise“ treffen und sie würde jemanden organisieren, der uns abholte und dorthin begleitete. Wir schrieben sofort über WhatsApp zurück, dass das nicht nötig sei, da wir das „Tequila Paradise“ als unser Fitness-Studio ja kennen und es fußläufig zu erreichen ist. Gern würden wir jedoch einen Kuchen mitbringen und so fragten wir  nach, ob das in die allgemeine Planung passe. Es kam keine Antwort zurück. Wir kauften daher am Freitag noch einige Backzutaten ein und bereiteten einen Sandkuchen vor, den wir am Samstagvormittag vor dem Event noch schnell mit Schoko-Kuvertüre verzieren konnten. Auch einen Apfelkuchen wollten wir als typisch deutschen Hefekuchen mitnehmen. Der Teig war angesetzt und sollte „über Nacht gehen“.
Der Sandkuchen war schon fertig, die Kovertüre musste nur noch trocknen und wir wollten gerade mit dem Apfelkuchen beginnen. Allerdings hatten wir noch immer keine Rückmeldung bezüglich unseres Vorschlages, Kuchen mitzubringen. Das verunsicherte uns ein wenig. Wir wussten, dass eine klare und ehrliche Meinungsäußerung nicht unbedingt zur Kernkompetenz vieler Einheimischer gehört, sondern zurückhaltende Verschwiegenheit eher an der Tagesordnung ist. Außerdem ließ der Veranstaltungsort darauf schließen, dass sich nicht nur wie geplant die unmittelbare Nachbarschaft treffen würde. Daraufhin schrieb Thomas eine entsprechende WhatsApp-Anfrage an Doreen und sie bestätigte unsere Vermutung. Es handelte sich nicht mehr um ein nettes informelles Zusammentreffen der Nachbarschaft, sondern um ein hoch politisches und zentral organisiertes gesellschaftliches Großereignis. Wir waren bedient! Auf das Backen des Apfelkuchens verzichteten wir nach diesen neuen Informationen natürlich.

Was sollten wir denn nun mit dem Sandkuchen machen? Am nächsten Morgen würden wir für 7 Tage nach Tansania aufbrechen. Den frisch gebackenen Kuchen einfrieren? Es war kein Platz mehr in unserem kleinen Gefrierfach! Den lecker duftenden Kuchen selbst essen? Eigentlich eine sehr gute Idee, aber das war dann für 2 Personen an einem Tag doch etwas viel. So luden wir spontan Anja und Olaf, GIZ-Kollegen aus Hamburg zu uns zum Kaffeetrinken ein und spendierten auch unseren Security-Guards noch ein-zwei Stück. Sie freuten sich natürlich riesig. Damit war das Thema geklärt!

Vermutlich standen uns nun aber erst einmal 2 bis 3 Stunden lang Reden auf Kinyarwanda über die Errungenschaften des Landes und die Bedeutung der nationalen Helden im Aufbau des Landes bevor. Darauf hatten wir natürlich gar keine Lust. Das musste doch nun wirklich nicht sein! Wir versuchten per WhatsApp einen charmanten Rückzug mit der Begründung, die Sprache nicht zu verstehen. Jedoch wurden wir freundlich darauf hingewiesen, dass wir mit unserem Erscheinen die Verbundenheit mit dem ruandischen Volk zeigen und den Nationalfeiertag würdigen würden. Großartig! Aus dieser Nummer kamen wir also nicht mehr raus. Etwas verärgert, zumal keiner unserer bekannten und unmittelbaren Nachbarn teilnehmen würden, machten wir uns gegen 10:30 Uhr dann doch auf den Weg zum „Tequila Paradise“. Nun nutzten wir mal das „afrikanische Zeitverständnis“ zu unseren Gunsten.
Es überraschte uns nicht, dass in einem großen Saal, der ansonsten für Hochzeiten genutzt wurde, eine Art Hauptversammlung mit ca 80 bis 100 Personen aus dem gesamten Umudugudu abgehalten wurde. Im Präsidium saßen an 2 weiß gedeckten Tischen 5 Personen, 2 Frauen und 3 Männer. Sie alle würden eine Rede halten. Vielleicht hatten einige es ja auch bereits schon getan?  So jedenfalls unsere Hoffnung! Wir kannten nur einen der Redner vom Umuganda und Fortune.
Bei unserer Ankunft schwang sie gerade gestikulierend ihre Rede. Dazwischen erschallten nach ihrer Aufforderung kämpferische Ausrufe von den Anwesenden. Vereinzelt wurden auch Lieder angestimmt, alle erhoben sich von ihren Sitzen, klatschten und sangen mit.
Leider konnten wir uns trotz unseres verspäteten Erscheinens nicht in einer der hinteren Stuhlreihen „verstecken“, um bei Bedarf spontan aufstehen und gehen zu können. Nein, wir wurden in die vorderste Sitzreihe gebeten und unsere Namen auf einer Anwesenheitsliste eingetragen. Es bestand also keine Chance vorzeitig zu entkommen! Wir ergaben uns unserem Schicksal und versuchten, interessiert zu wirken. Das war auch nur dadurch
möglich, dass wir wieder einen „Übersetzter“ zugewiesen bekommen hatten. So konnten wir doch wenigstens punktuell dem Geschehen folgen. Nach einer reichlichen Stunden war erstaunlicherweise der formale Teil schon vorbei. Unsere Hoffnung, dass einige Präsidiumsmitglieder und politisch Aktive ihre Redebeiträge bereits vor unserem Erscheinen gehalten hatten, wurde damit bestätigt. Es hatte sich also gelohnt, ausnahmsweise mal nicht pünktlich zu erscheinen! Eine wunderbare Erfahrung, die uns ein wenig Zufriedenheit zurückgab!
Nun begann die eigentliche Feier zum Tag der Helden. Es wurden gekochte Maiskolben für die Anwesenden ausgegeben und alkoholfreie Getränke wie Cola, Fanta und Wasser gleich aus den Kästen heraus für alle im Saal verteilt.
Fortune und eine weitere Rednerin begannen zu einer im Hintergrund laufenden Musik zu tanzen, doch es sprang kein Funke über. Die
Teilnehmenden blieben sitzen, knabberten an ihren Maiskolben und waren froh über die unüblichen und für sie seltenen Erfrischungsgetränke.

Wir versuchten, mit dem einen oder anderen noch kurz ins Gespräch zu kommen, bedankten uns bei Fortune für die Einladung und wurden von ihr zum Abschied herzlich gedrückt. Selbstverständlich bot sie uns an, zu den Anwesenden sprechen zu können aber das Thema „Nationale Helden“ lag uns nicht wirklich und so lehnten wir dankend ab. Das war für sie auch in Ordnung, schließlich hätte spontan eine Übersetzung stattfinden müssen und das war aufgrund der doch eingeschränkten Englischkenntnisse der Anwesenden eher schwierig.

Wir freuten uns, dass wir Fortune mit unserer Teilnahme aber offensichtlich sehr stolz und glücklich gemacht hatten. Zufrieden spazierten wir nach Hause zurück und bereiteten uns auf unseren Urlaub in Tansania vor. Packen der Rucksäcke! Unser Flug ging am nächsten Tag.

Fulu Miziki

Das neue Jahr war erst wenige Tage alt und wir wollten mit Freunden noch darauf anstoßen. Daher trafen wir uns an einem Samstag im Mamba-Club, einem beliebten Backpacker- Hostel im angesagten Stadtteil Kimihurura. Dieser Teil Kigalis ist bekannt für seine Kunst- und Kulturszene mit vielen kleinen Bars, Restaurants und Galerien. Das wollten nun auch wir mal etwas genauer erkunden.
Der Mamba-Club bietet alles, was Rucksacktouristen und Reisende allgemein lieben: eine Bar, ein Beachvolleyballfeld, einen Billardtisch, einen Spielplatz für die Kinder und sogar einen kleinen Pool. Einfaches Essen, Snacks und Getränke können jederzeit gegen ein überschaubares Entgelt bestellt werden. Um die Attraktivität nicht nur für Touristen sondern auch für die einheimische Mittelschicht zu erhöhen, finden ab und an Konzerte statt oder DJs legen auf. An diesem Samstag war „Fulu Miziki“ angesagt, eine kongolesische Band, die sich der traditionellen afrikanischen Musik verschrieben hat. Wir hatten keine Vorstellung davon, was uns musikalisch erwarten würde und waren daher sehr gespannt.
Bei unserer Ankunft gegen 16:30 Uhr, es sollte allerdings schon 15:00 Uhr los gegangen sein, fanden noch die letzten Vorbereitungen auf der Bühne statt: Sound-Check mit den traditionellen Instrumenten und die Scheinwerfer sowie Mikrophone wurden ausgerichtet. Das Mischpult stand überdacht und somit regensicher in der Mitte des Beachvolleyballfeldes. Im Sand eingesunkene Plastikstühle zum bequemen Abhängen standen ringsherum. Alles wirkte sehr professionell. Am Eingang des Geländes hatte man kleine Kunsthandwerksstände aufgebaut, die geschmackvolle Kleinigkeiten verkauften. Etwas abseits schraubten zwei Muzungus im Rasta-Look und Dreadlocks an einem alten klapprigen Wohnmobil herum. Sie hatten eine Afrika-Tour damit hinter sich und am nächsten Tag sollte es weiter gehen. Kinder rannten herum oder schaukelten auf dem Spielplatz. Erstmalig sah ich vereinzelte Personen in der Öffentlichkeit rauchen. In Ruanda ist das und auch das Essen in der Öffentlichkeit verboten!
Die Bar des Mamba-Clubs war geöffnet und es gab Leckeres vom Grill. Überall saßen auffällig alternativ oder betont extravagant gekleidete Leute herum. Wir passten weder zu der einen, noch zu der anderen Gruppe und fühlten uns ein wenig fehl am Platz. Zu normal!
Es war ein buntes Gewimmel an Nationalitäten und wir waren froh, als unsere Freunde mit ihren Kindern gegen 17:00 Uhr auftauchten. Jetzt erst einmal etwas essen und Getränke fassen! Prost aufs neue Jahr! So verging noch einmal eine reichliche Stunde aber das eigentliche Konzert hatte noch immer nicht begonnen. Zur Überbrückung gab es eine Musik-Licht-Performance mit einem DJ und weitere (alkoholfreie) Getränke für uns und die Kids. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit verabschiedeten sich unsere Freunde, die Kinder fingen an zu quengeln, sie mussten ins Bett. Wir wollten dem Ganzen jedoch noch eine Chance geben und warteten noch eine weitere Stunde.

Endlich ging es los. Der Veranstalter forderte alle noch in Plastikstühlen Sitzenden auf, aufzustehen und so der Band ihren Respekt zu zeigen. Die Stühle wurden sogar zusammengestellt und weggeräumt.
Was nun auf der Bühne erschien, war für uns mehr als unerwartet. Weder traditionelle Kostüme noch historische Instrumente. Jeder Einzelne der Band trat in einem total verrückten Kostüm auf, was aus Müll und sonstigen Konsumresten zusammengestellt war. Teesiebe und Gasmasken waren zu einer Brille oder zu einer Kopfbedeckung verarbeitet worden. Einzelne Maschinenteile hatte die Band zu Instrumenten zusammengeschraubt. Zwei Plastikrohre in einem Gestell wurden mit Hilfe eines Flip-Flops an deren Öffnungen angeschlagen und dadurch zu einem dumpfen Klangkörper. Sogar ein rostiger Flaschenzug kam mit seinen alten Ketten und Zahnrädern als Ratsche zum Einsatz. Wir staunten, was alles umbaufähig war und wie kreativ Müll zum Einsatz kommen kann. Damit wollen die Mitglieder vom „Fulu Miziki“ auf die konsumbedingte Verschwendung und den Umweltschutz, nicht nur in ihrem Land, aufmerksam machen. Es ist ihnen gelungen!

Ich wurde während des Auftritts unweigerlich an das Musical „Starlight Express“ erinnert, in dem die Akteure unterschiedliche Zug-Typen darstellen und auf Rollschuhen, ebenfalls mit verrückten Kostümen, im Saal herumfahren. Diese sind jedoch designed und nicht aus Müll
zusammengetragen.
Was für ein gigantischer Eindruck und ein echtes Erlebnis. Jedoch ist diese Art von Musik (Garbage/Trash) für meine Ohren nur eine sehr begrenzte Zeit gut zu verkraften. Risiken und Nebenwirkungen treten bei längerem Hören auf und trüben dann auch ein wenig die bis dahin überwiegende Freude. Wir blieben nicht bis zum Ende des Konzertes. Obwohl unsere Freunde nicht live dabei waren, haben sie das Konzert trotzdem miterlebt, denn es war weit über den Stadtteil Kimihurura hinaus zu hören.