Missverständnis

Thomas konnte sich vom vergangenen Jahr noch daran erinnern, dass am 01.02. in Ruanda der jährliche „heros day“ (Tag der Helden) stattfinden würde. Dafür gab es auch noch einen extra freien Tag, so dass erneut ein verlängertes Wochenende für uns anstand.

Jeden letzten Sonntag eines Monats ist verpflichtend für alle Einheimischen Communitywork angesagt. Bei unserer letzten Teilnahme am so genannten Umuganda am 26.01.  hatten wir Dank der Übersetzung von Doreen, einer BWL-Studentin und weitläufigen Nachbarin erfahren, dass alle Anwesenden aufgefordert worden waren, den Tag der Helden in jedem Umudugudu (Dorf), in jeder Akagari (Zelle) und sogar in jeder Isibo (Nachbarschaft) durch ein nachbarschaftiches Treffen gemeinsam zu feiern.

Das haben Thomas und ich natürlich sofort aufgegriffen und mit 3 unserer unmittelbaren Nachbarn, die auch am Umuganda teilnahmen, ein kleines informelles nachbarschaftliches Treffen verabredet. Fortune, unsere „Isibo-Verantwortliche“, würde sich über unsere WhatsApp-Gruppe zum Ort und zur Zeit noch einmal bei allen melden. Wir könnten darüber dann auch klären, wer in welcher Form etwas zu dem Event beitragen kann. Das klang doch sehr gut!
Es waren also 5 Tage Zeit für die Vorbereitungen. Am Samstag, 01.02. sollte die Feier stattfinden. 4 Tage lang hörten wir gar nix, doch dann erhielten wir am Donnerstagabend von Fortune eine Einladung in Kinyarwande zu der angedachten Veranstaltung. Auf Nachfrage folgte eine Übersetzung für uns. Wir würden uns alle  ab 10:00 Uhr im „Tequila Paradise“ treffen und sie würde jemanden organisieren, der uns abholte und dorthin begleitete. Wir schrieben sofort über WhatsApp zurück, dass das nicht nötig sei, da wir das „Tequila Paradise“ als unser Fitness-Studio ja kennen und es fußläufig zu erreichen ist. Gern würden wir jedoch einen Kuchen mitbringen und so fragten wir  nach, ob das in die allgemeine Planung passe. Es kam keine Antwort zurück. Wir kauften daher am Freitag noch einige Backzutaten ein und bereiteten einen Sandkuchen vor, den wir am Samstagvormittag vor dem Event noch schnell mit Schoko-Kuvertüre verzieren konnten. Auch einen Apfelkuchen wollten wir als typisch deutschen Hefekuchen mitnehmen. Der Teig war angesetzt und sollte „über Nacht gehen“.
Der Sandkuchen war schon fertig, die Kovertüre musste nur noch trocknen und wir wollten gerade mit dem Apfelkuchen beginnen. Allerdings hatten wir noch immer keine Rückmeldung bezüglich unseres Vorschlages, Kuchen mitzubringen. Das verunsicherte uns ein wenig. Wir wussten, dass eine klare und ehrliche Meinungsäußerung nicht unbedingt zur Kernkompetenz vieler Einheimischer gehört, sondern zurückhaltende Verschwiegenheit eher an der Tagesordnung ist. Außerdem ließ der Veranstaltungsort darauf schließen, dass sich nicht nur wie geplant die unmittelbare Nachbarschaft treffen würde. Daraufhin schrieb Thomas eine entsprechende WhatsApp-Anfrage an Doreen und sie bestätigte unsere Vermutung. Es handelte sich nicht mehr um ein nettes informelles Zusammentreffen der Nachbarschaft, sondern um ein hoch politisches und zentral organisiertes gesellschaftliches Großereignis. Wir waren bedient! Auf das Backen des Apfelkuchens verzichteten wir nach diesen neuen Informationen natürlich.

Was sollten wir denn nun mit dem Sandkuchen machen? Am nächsten Morgen würden wir für 7 Tage nach Tansania aufbrechen. Den frisch gebackenen Kuchen einfrieren? Es war kein Platz mehr in unserem kleinen Gefrierfach! Den lecker duftenden Kuchen selbst essen? Eigentlich eine sehr gute Idee, aber das war dann für 2 Personen an einem Tag doch etwas viel. So luden wir spontan Anja und Olaf, GIZ-Kollegen aus Hamburg zu uns zum Kaffeetrinken ein und spendierten auch unseren Security-Guards noch ein-zwei Stück. Sie freuten sich natürlich riesig. Damit war das Thema geklärt!

Vermutlich standen uns nun aber erst einmal 2 bis 3 Stunden lang Reden auf Kinyarwanda über die Errungenschaften des Landes und die Bedeutung der nationalen Helden im Aufbau des Landes bevor. Darauf hatten wir natürlich gar keine Lust. Das musste doch nun wirklich nicht sein! Wir versuchten per WhatsApp einen charmanten Rückzug mit der Begründung, die Sprache nicht zu verstehen. Jedoch wurden wir freundlich darauf hingewiesen, dass wir mit unserem Erscheinen die Verbundenheit mit dem ruandischen Volk zeigen und den Nationalfeiertag würdigen würden. Großartig! Aus dieser Nummer kamen wir also nicht mehr raus. Etwas verärgert, zumal keiner unserer bekannten und unmittelbaren Nachbarn teilnehmen würden, machten wir uns gegen 10:30 Uhr dann doch auf den Weg zum „Tequila Paradise“. Nun nutzten wir mal das „afrikanische Zeitverständnis“ zu unseren Gunsten.
Es überraschte uns nicht, dass in einem großen Saal, der ansonsten für Hochzeiten genutzt wurde, eine Art Hauptversammlung mit ca 80 bis 100 Personen aus dem gesamten Umudugudu abgehalten wurde. Im Präsidium saßen an 2 weiß gedeckten Tischen 5 Personen, 2 Frauen und 3 Männer. Sie alle würden eine Rede halten. Vielleicht hatten einige es ja auch bereits schon getan?  So jedenfalls unsere Hoffnung! Wir kannten nur einen der Redner vom Umuganda und Fortune.
Bei unserer Ankunft schwang sie gerade gestikulierend ihre Rede. Dazwischen erschallten nach ihrer Aufforderung kämpferische Ausrufe von den Anwesenden. Vereinzelt wurden auch Lieder angestimmt, alle erhoben sich von ihren Sitzen, klatschten und sangen mit.
Leider konnten wir uns trotz unseres verspäteten Erscheinens nicht in einer der hinteren Stuhlreihen „verstecken“, um bei Bedarf spontan aufstehen und gehen zu können. Nein, wir wurden in die vorderste Sitzreihe gebeten und unsere Namen auf einer Anwesenheitsliste eingetragen. Es bestand also keine Chance vorzeitig zu entkommen! Wir ergaben uns unserem Schicksal und versuchten, interessiert zu wirken. Das war auch nur dadurch
möglich, dass wir wieder einen „Übersetzter“ zugewiesen bekommen hatten. So konnten wir doch wenigstens punktuell dem Geschehen folgen. Nach einer reichlichen Stunden war erstaunlicherweise der formale Teil schon vorbei. Unsere Hoffnung, dass einige Präsidiumsmitglieder und politisch Aktive ihre Redebeiträge bereits vor unserem Erscheinen gehalten hatten, wurde damit bestätigt. Es hatte sich also gelohnt, ausnahmsweise mal nicht pünktlich zu erscheinen! Eine wunderbare Erfahrung, die uns ein wenig Zufriedenheit zurückgab!
Nun begann die eigentliche Feier zum Tag der Helden. Es wurden gekochte Maiskolben für die Anwesenden ausgegeben und alkoholfreie Getränke wie Cola, Fanta und Wasser gleich aus den Kästen heraus für alle im Saal verteilt.
Fortune und eine weitere Rednerin begannen zu einer im Hintergrund laufenden Musik zu tanzen, doch es sprang kein Funke über. Die
Teilnehmenden blieben sitzen, knabberten an ihren Maiskolben und waren froh über die unüblichen und für sie seltenen Erfrischungsgetränke.

Wir versuchten, mit dem einen oder anderen noch kurz ins Gespräch zu kommen, bedankten uns bei Fortune für die Einladung und wurden von ihr zum Abschied herzlich gedrückt. Selbstverständlich bot sie uns an, zu den Anwesenden sprechen zu können aber das Thema „Nationale Helden“ lag uns nicht wirklich und so lehnten wir dankend ab. Das war für sie auch in Ordnung, schließlich hätte spontan eine Übersetzung stattfinden müssen und das war aufgrund der doch eingeschränkten Englischkenntnisse der Anwesenden eher schwierig.

Wir freuten uns, dass wir Fortune mit unserer Teilnahme aber offensichtlich sehr stolz und glücklich gemacht hatten. Zufrieden spazierten wir nach Hause zurück und bereiteten uns auf unseren Urlaub in Tansania vor. Packen der Rucksäcke! Unser Flug ging am nächsten Tag.

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