„No thanks…“, das ist der Titel eines Buches von Keturah Kendrick, einer afrikanisch-stämmigen Lehrerin, Schriftstellerin und Feministin aus den USA. Seit zwei Jahren lebt sie wieder in Ruanda. Im Rahmen des 10. KigaliLit (Kigali-Literaturkreis) hatte das Goethe Institut zu einer Lesung eingeladen. Hintergrund dieser jährlichen Veranstaltung ist zum einen die allgemeine Kulturarbeit in Kigali aber im Speziellen auch die Bildungsarbeit bzw. die Aufklärung junger Afrikanerinnen. Aufgrund des Buchtitels „No thanks: Black, Female, and living in the Martyr-Free Zone“ fand die Lesung mit anschließender Diskussion in Zusammenarbeit mit einer „Schwesternschaft“ (Sistah Circel Collectiv) in der Öffentlichen Bibliothek Kigalis statt.
An der Buchvorstellung wollte ich gern teilnehmen: sowohl das Thema, als auch der Ort machten mich neugierig. Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Gender-Thematik in Ruanda durch zahlreiche Veranstaltungen und auch
durch staatliche finanzielle Unterstützung sehr intensiv bearbeitet wird. Bereits wenige Tage später würde ich an der Veranstaltung „TechWomen- Frauen in Führungspositionen“ auf Einladung einer Bekannten teilnehmen. Über die geplante Buchlesung informierte ich auch Tina und lud sie ein, mich zu begleiten. Tina wurde in Kigali geboren, sie ist 25 Jahre alt, lebt im Haushalt ihres Bruders, da die Eltern (wahrscheinlich) während des Genozids umgekommen sind. Sie hat ein abgeschlossenes Studium im Bereich Finanzwesen, ist jedoch trotz zahlreicher Bemühungen seit Jahren ohne Job und hangelt sich von einem Praktikum zu nächsten. Ich war sehr gespannt, was sie zu dem Thema sagen bzw. ob sie in so einer Runde mit diskutieren und ihre Erfahrungen teilen würde.
Die Lesung begann mit der üblichen Verspätung. Die Autorin wurde von einer Moderatorin vorgestellt und auch das beteiligte „Sistah Circle Collectiv“ stellte seine Arbeit kurz vor. Durch Lesungen und Diskussionen thematisiert diese Community Inhalte, die besonders die Frauen in der afrikanischen Gesellschaft betreffen. Das Ziel ist es, Frauen zur Meinungsäußerung zu motivieren und auf kritische gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen. Doch wie erfährt die Zielgruppe eigentlich von den
Veranstaltungen? Ich hatte nur durch die Verlinkung mit dem Goethe-Institut Kigali auf Facebook eine Information dazu erhalten. Wie
gut sind jedoch die „Durchschnittsfrauen“ in der Hauptstadt auf Facebook vernetzt und wie aktiv wird tatsächlich Werbung diesbezüglich betrieben? Aufgrund fehlender oder nur sehr eingeschränkt vorhandener preiswerter öffentlicher Verkehrsmittel, ist es
nicht so ohne Weiteres möglich, den Veranstaltungsort unkompliziert zu erreichen. Man muss ein Motorradtaxi nehmen oder wie ich gemütlich ca. 1,5 Stunden laufen. Bleibt man daher zwangsläufig unter sich, d. h. die Organisatorinnen diskutieren dann nur mit ihren jeweiligen Freundes- und Bekanntenkreisen
untereinander? Diesen Eindruck hatte ich beim ersten Blick auf das anwesende, spärlich erschienene Publikum. Der große Veranstaltungssaal im Dachterrassen-Café der Bibliothek füllte sich jedoch mit fortschreitender
Zeit mehr und mehr. So veränderte sich beim zweiten Blick die Zusammensetzung des Publikums. Es bestand zwar nach wie vor überwiegend aus gut gebildeten Frauen der afrikanischen Mittelschicht, die sich bereits kannten. Viele hatten auch zeitweise im Ausland (England, USA, Kanada) gelebt, das
betonten sie bei ihren Wortbeiträgen im Rahmen der Diskussion. Auch einige interessierte Muzungus hatten sich, genau wie ich, hierher „verirrt“. Für mich unerwartet, waren sogar etliche Männer anwesend. Facebook schien also hier in Kigali das passende Medium zur Verbreitung von Veranstaltungsterminen zu sein. In Deutschland ist Facebook bereits out, zu langsam und zu pflegeintensiv. Es gibt schnellere soziale Medien zur unkomplizierten (Selbst) Darstellung von Inhalten.
Die Autorin berichtete mit Auszügen aus ihrem Buch über ihre negativen Erfahrungen als bekennende gewollt kinderlose und unverheiratete US-Afrikanerin im Alter von Anfang 40. Für junge Frauen sei der Druck auch im 21. Jahrhundert nach wie vor immens, ein traditionelles Leben als verheiratete und mehrfache junge Mutter zu führen, berichtete sie. Das Unverständnis sowohl von der eigenen Familie als auch von Freunden sei immer noch deutlich spürbar. Ihre Aufforderung, Frauen jeden Alters sollten lernen, ihre Wünsche klar zu kommunizieren und „No thanks…!“ zu
sagen, war daher ein Appell an das versammelte Publikum. „Nein, danke…!“ bezieht sich dabei jedoch nicht nur auf das Thema „Kinder und Familie“ sondern auf alle Bereiche des täglichen Lebens.
Doch ist eine Abgrenzung von Traditionen durch ein lautstarkes „Nein,
danke…!“ eine richtungsweisende Entwicklung? Kann es nicht auch ein „Ja bitte, mit welchen Unterstützungsangeboten…“ sein? Muss die Gender-Thematik durch Kampf und Gegensätzlichkeit vorangetrieben werden?
Diese Fragen kamen für Thomas und mich auf, als ich zu Hause etwas genervt von der „Frauen wir sind stark und müssen nur öfter Nein sagen“- Veranstaltung berichtete.
Weshalb wird propagiert, dass Frauen lernen sollten, sich stärker durchzusetzen und abzugrenzen? Warum gibt es keine oder nur wenig Angebote für Männer? Was ist mit „Alltags- und Lebensvorbereitungskursen“ für das
männliche Geschlecht, um ihre zukünftigen Familien und Frauen angemessen zu unterstützen?
Rwanda hat eine sehr hohe Frauenquote in führenden staatlichen, als auch in privatwirtschaftlichen Positionen. Auf einer anderen Veranstaltung habe
ich die ca. 35-jährige Grace kennengelernt. Sie ist CEO (Chef Executiv Officer) der RITA (Rwanda Information Technology Agency) und leitet alle
technischen Entwicklungen für den Staatsdienst. Diese Frau kann bestimmt “ nein, danke…!“ sagen. Trotzdem braucht sie Unterstützung, um ihren Job und auch die Anforderungen durch ihre Familie (zwei Kinder) zu bewältigen.
Dabei helfen zum einen fachliche Netzwerke und Initiativen wie „TechWomen“ oder „Career Women´s Network Kigali“. Aber wo und wie findet die Einbeziehung der Männer statt?
In dem Umfeld, in dem Thomas und ich uns derzeit bewegen, stehen wir mit der gebildeten Mittelschicht afrikanischer Frauen im Kontakt. Wir beobachten und wir wissen, dass sie (nach Diskussionen in der Familie) nur ein oder zwei Kinder haben. Die Frauen sind, wie ihre Ehemänner, beruflich
Vollzeit in verantwortungsvollen Jobs tätig. Sie alle, selbst eine alleinerziehende Kollegin, haben eine Kinderfrau, die im Haushalt lebt und
sich ausschließlich um die Kinder kümmert. Außerdem wird oft die Reinigung der Wohnung, das Kochen sowie der Einkauf von zusätzlichem Personal verrichtet. Das würden sich viele berufstätige Frauen in Deutschland vermutlich auch (mal) wünschen. Doch unser deutsches Familienkonzept ist ein
anderes: gemeinsames Erleben in der Freizeit und Arbeitsteilung im Alltag. Die damit verbundenen „Geschlechterkämpfe“ sind nicht einfach und bedürfen beidseitiger Kompromisse und persönlicher Weiterentwicklung.
Das afrikanische Familienmodell der Mittelschicht scheint hingegen einen anderen Ansatz zu verfolgen. Es bietet anderen Frauen und Männern feste Jobs in den privaten Haushalten, um wiederum deren eigene Familien finanziell zu unterstützen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird dadurch enorm erleichtert, die Gender-Thematik jedoch aus meiner Sicht nicht vorangebracht.
Die nationale und internationale Bildungsarbeit in Rwanda durch Vereine, private Initiativen und staatliche Institutionen sollte nicht Gender trennende, sondern Gender verbindende Lösungen suchen und gesellschaftlich vielschichtig kommunizieren.
Aufgrund des verspäteten Beginns der Buchlesung hatte sich Tina bereits nach wenigen Minuten wieder von mir verabschiedet. Sie wollte zu einer Verabredung in ihre Kirchengemeinde. Schade, so konnte die Idee der Emanzipation diesmal nicht in vollem Umfang weitergetragen und mit ihr diskutiert werden. Das hätte ich jedoch sehr gern getan. Vielleicht ergibt sich dazu noch eine Möglichkeit. Das Buch bekommt Tina mit einer Widmung der Autorin zu ihrem Geburtstag im März.
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