Und wieder ist es Sonntag

Schrittweise bereiten wir sowohl gedanklich als auch praktisch unsere Abreise aus Alegaon vor und damit die Verabschiedung von unserer Gastfamilie.
Heute, zum Sonntag, wollten wir unseren einzigen und wahrscheinlich letzten Familienausflug mit allen machen (wir haben nur noch 5 Wochen bis zu unserer Abreise nach Pune). Ravi hatte dazu offensichtlich jedoch keine Lust. Er hängt lieber mit seinen Kumpels ab und fährt mit seiner „Bullet“ (Royal Entfield) in der Gegend umher. Eine liebevolle Beziehung zu seinen Kindern hat er ohnehin nicht. Ehrlich gesagt, kann er mit ihnen gar nix anfangen. Es gibt fast keinen persönlichen Kontakt zwischen ihnen. Er hält sogar am Nachmittag in der Schule ein kurzes Erholungsschläfchen, da zu Hause seine beiden Kinder oft lauthals schreien, viel weinen wenn sie ihren Willen nicht bekommen und sich ständig in den Haaren liegen.

Das können wir nur zu gut verstehen, da auch wir täglich gegen 6:00 Uhr in der Frühe von den beiden geweckt werden. Manchmal sind es allerdings auch die Kühe, die während des Melkens muhen oder die ersten frühen Vögel, die einen Wurm abbekommen wollen…auf dem Land ist halt immer was los.

Da es heute Vormittag nicht wie an anderen Tagen geregnet hat, haben Thomas und ich noch einmal einen Spaziergang durch das noch immer ausgetrocknete Flussbett gemacht. Dort halten sich zahlreiche Pfauen auf, die in der Regenzeit besonders intensiv singen und dann dazu ihr prächtiges Rad schlagen. Das wollten wir unbedingt sehen. Es raschelte am Wegesrand und in froher Erwartung der farbenprächtigen Vögel blieben wir stehen. Ein kurzer Aufschrei! Entsetzen! Ein riesiges Schlangenpaar im Liebestanz kroch geräuschvoll durch das vertrocknete Gras.

Auch Schlangen kommen bevorzugt in der Regenzeit aus ihren Verstecken und paaren sich. Das haben wir von den Einheimischen nun auch erfahren inklusive der eindringlichen Bitte, nicht mehr im Dunkeln dort zu laufen. Ab sofort machen wir also um das Flussbett selbstverständlich einen großen Bogen, zumindest ab der Dämmerung.

Thomas hat dann am späten Vormittag noch schnell ein Cricketturnier mit 26 Mannschaften in einem Nachbardorf als Ehrengast eröffnet. Es gab wieder die übliche Eröffnungszeremonie mit Kokusnuss zerschlagen und Segenszeichen auf der Stirn. Danach wollten wir endlich, wie geplant alle gemeinsam einen Familienausflug nach Sangola machen. Da wir mit 5 Personen (Shria, die Kinder und wir) nicht auf ein Motorrad passen und Shria selbst kein Motorrad fahren kann, schien der Ausflug ohne Ravis Beteiligung auszufallen. Doch Shria schlug vor, einen kleinen Schulbus zu nehmen. Sie wollte wahrscheinlich unbedingt mal raus und unter Leute. Am Sonntag ist auch noch Markttag in Sangola und daher unendlich viele Menschen unterwegs.
Der Schulbus ist eine Zumutung! Total abgewrackt! Es klappert überall, die Sitze sind aufgeschlitzt und das Polsterzeug hängt in Fetzen herum, die Gänge gehen nicht richtig rein, Seitenspiegel gibt es nicht, Licht und Blinker fehlen ebenfalls. Als Fahrzeug kann man diesen Schrotthaufen echt nicht mehr bezeichnen. Ich weigere mich, damit unterwegs zu sein. Shria zuliebe habe ich jedoch alle meine Vorsätze und Bedenken über Bord geworfen und mich mürrisch ihrem Ausflugswunsch ergeben.

Gemeinsam waren wir wieder in dem Eisladen, der ganz leckere Shakes und Eissorten zubereitet. Der Besitzer kennt uns mittlerweile und weiß, was wir bestellen. Daher war ein Foto mit ihm diesmal ein Muss.

Danach ging es weiter zum Shoppen: Grosseinkauf an Kosmetika und Schmuck für die Damen (exklusive meiner Person). Danach leckere Seltenheiten wie z. B. Datteln, getrocknete Kokosnüsse, Mandeln, Kashewkerne, Rosinen, Kekse aber auch ein neues Küchenmesser und eine neue Spülschüssel.
Thomas kaufte auch noch eine Bohrmaschine. Man soll es kaum glauben aber auf der Farm ist kein einziges Werkzeug vorhanden. Für alles wird ein Klempner, Elektriker oder Installateur gerufen. Die Handwerker kommen dann aber auch wann sie wollen und nie dann, wann es verabredet war. Somit ist für alle Reparaturen auch wieder WARTEN angesagt. Das war Thomas zu blöd und so reparierte er die Aussenlampe vor unserem Haus und brachte auch gleich noch eine Wäscheleine unter der einzigen Regenüberdachung an.

Was für ein ereignisreicher Sonntag!

Schulbeginn

Am 15.06. beginnt offiziell die Schule wieder. Somit haben wir ca. zwei Wochen für die Vorbereitungen mit den Lehrern und es gibt sooo viel zu tun:

  1. Die Klassenräume müssen sauber gemacht werden von zentimeterdickem Staub von anderthalb Monaten Leerstand in den Ferien.
  2. Die Schulbücher und andere offizielle Materialien sollten bestellt werden, ebenso die Schuluniformen, Schuhe, Socken etc.
  3. Unterrichtsmaterialien (Schautafeln, Bildmaterial, Namensschilder) müssen teilweise von den Lehrern selbst hergestellt werden, aus Mangel an Profimaterial
  4. Alle Klassenräume, besonders jedoch die der Kindergarten- und Vorschulkinder, sollen schön und entsprechend der Altersgruppe dekoriert werden. Dazu hatten wir grosse Soft-Pinnwände angeschafft und selbst mit Stoff bespannt.
  5. Die Anzahl der Neuzugänge bzw. der in der Schule verbleibenden Schüler aller Altersklassen (Kindergarten, Vorschule und 1.-9. Klasse) müssen in erneuten Hausbesuchen auf den umliegenden Dörfern erfragt werden.
  6. Die neuen Schulgelder für das kommende Schuljahr (Erhöhung um 500 Rupien) müssen in einem Informationsschreiben erstellt und an die Eltern zur Kenntnis weitergeleitet werden. Wir schreiben den Brief vor und ein Lehrer übersetzt ihn in Marathi.
  7. Der riesige Wasseraufbereiter und -filter muss aufgrund der fast zweimonatigen Nichtnutzung gesäubert und neu mit Wasser gefüllt werden, sonst ist kein Trinkwasser vorhanden.
  8. Der Neubau des Klassenzimmers für die zukünftige 9. Klasse muss eigentlich fertiggestellt und der Raum dann noch eingerichtet werden. Das wird jedoch in nächster Zeit nicht mehr möglich sein, da das Fundament noch offen ist und die Regenzeit schon begonnen hat.

Es ist also wieder richtig viel zu tun aber ausser uns haben hier alle die Ruhe weg. Jeder kommt und geht weiterhin wann er gerade möchte. Farmarbeit, Familie, Besuch oder die gerade beginnende Regenzeit…alles hat „Vorrang“ vor der Lehrtätigkeit. Es ist gefühlt ein heilloses Durcheinander. Allerdings haben die Lehrerinnen viel Freude am Gestalten der Soft- Pinnwände und leben ihre Kreativität aus. Schritt für Schritt entstehen kleine Kunstwerke.

Der Schule fehlen zum Schuljahresbeginn auch immer noch 4 Lehrer. Alle Bewerbungsgespräche waren bisher leider erfolglos, und es gab doch einige. Aber „mit Gottes Hilfe“ wird sich das alles schon klären, sagen die Einheimischen. Wir sind gespannt, ob diese Hilfe ausreicht oder ob man doch auch selbst das Eine oder Andere unternehmen sollte. Gern lassen wir uns eines Besseren belehren!

Wir versuchen zu strukturieren, anzuleiten, Ideen zu geben und dann teilweise bei deren Umsetzung mitzuhelfen. Dabei haben wir mit Erschrecken festgestellt, dass wir die Lehrer selbst mit den einfachsten Dingen komplett überfordern. Das ist in den ersten zwei Monaten nicht so aufgefallen, da wir in dieser Zeit „nur“ viel mit ihnen gesprochen, gemeinsam analysiert, abgestimmt und mit dem Management in Pune bzw. in den USA Pläne für Veränderungen besprochen haben. Nun geht es stärker um die praktische Umsetzung und wir bekommen grosse Augen, was geht und was halt auch nicht geht.

Thomas hatte einen Lehrer gebeten, Bewerbungsunterlagen von Schülern in einen Aktenordner einzusortieren. Alle Materialien (Trennblätter, Stift, Papiere, Aktenordner) übergab er ihm und wartete auf die Ausführung. Als nach einer längeren Zeit immer noch nix passiert war, setzte ich mich neben den offensichtlich ratlosen Lehrer und stellte fest, er hatte gar keine Vorstellung davon, wie ein Aktenordner funktioniert. Dass man z. B. die Metallspange öffnen, schliessen und fixieren kann und von einem Ordnungssystem mit beschrifteten Trennblättern hatte er auch noch nie etwas gehört. Das ist kein Witz! Ich musste also erklären, wie man einen Aktenordner benutzt. Diesen Anleitungsaufwand können Thomas und ich bei 8 bis 10 Lehrern natürlich nicht leisten. Daher fallen viele noch offene Projektaufgaben schlicht und ergreifend aus.
Wir versuchen erneut täglich zu improvisieren und werden durch die nun beginnenden starken Regenfälle und die dadurch entstehenden grossen Schlammflächen und tiefen Regenpfützen auf ein Neues herausgefordert.

Sonntagsausflug nach Pandharpur

Bevor nun die gefürchtete Regenzeit einsetzt, nutzen wir jede Möglichkeit für einen Ausflug. Seit Tagen hatten wir versucht, uns für das Wochenende ein Motorrad zu organisieren. Auf den Zustand dieser fahrbaren Schrotthaufen darf man nicht schauen, sie fahren mehr schlecht als recht aber wir sind halt immer wieder froh, damit ein wenig Bewegungsfreiheit zu bekommen.
Heute, am Sonntag sind wir nach Pandharpur gefahren. Diesen bekannten Wallfahrtsort hatten wir bereits Ostern gemeinsam mit unserer Gastfamilie besucht. Doch nun wollten wir noch einmal entspannt durch die Stadt bummeln und die Eindrücke auf uns wirken lassen.

Da eine Fahrtstrecke 42 km beträgt, mussten wir auf dem Rückweg eine kleine Pause einlegen, um Trinkwasser zu kaufen und uns etwas die Füsse zu vertreten. Durch die katastrophalen Strassenzustände werden die Knochen schon mächtig durchgeschüttelt und die Wirbelsäule ordentlich gestaucht.
So landeten wir wieder einmal fast am Ende der Welt oder in der Mitte von Nirgendwo oder war es doch noch am Rand der Zivilisation? Jedenfalls hielten wir in einem kleinen Dorf, dessen Namen wir schon wieder vergessen haben und wurden sehr herzlich empfangen. Etliche Männer kamen in einem kleinen Büro in der Dorfmitte sogleich zusammen und redeten in Marathi auf uns ein. Nur ein Mann sprach leidlich englisch und so konnten die üblichen Fragen wieder schnell zur Zufriedenheit aller geklärt werden.
Es klingelte auf der Dorfstrasse, ein Karren hielt an und plötzlich hatten wir sowie die uns umringenden 8 Männer ein selbst hergestelltes Büffelmilcheis am Stiel (mit Kardamomgeschmack) in der Hand. Einladung vom Parteivorsteher. Ablehnen unmöglich! Lächeln, Loben und Lutschen!
Zum Abschluss durften wir auch noch die lokale Mühle besuchen, in der sogar am Sonntag noch Maismehl fürs Vieh gemahlen wurde. Mahlzeit!
Ohne den am Nachmittag erwarteten Regenschauer kamen wir wieder auf unserer Farm an und hatten für die Kids unserer Gastfamilie selbstverständlich auch ein Eis mitgebracht, allerdings abgepackt von „unserem Händler des Vertrauens“.

Chaos

Wir hatten ja schon geahnt, dass wir einen sehr durchwachsenen Start nach unserem Urlaub im Juni haben werden – aber dass es gleich so hart wird, hätten wir nicht gedacht. Am Ende unserer ersten Arbeitswoche ist unser Plan, das Management auf ein solides Fundament zu stellen, in sich kollabiert. Darüber hinaus haben wir nicht genug Lehrer und somit eigentlich ab Mitte Juni nicht mehr ausreichend zu tun (da wir die Managementthemen nicht weiter verfolgen können).
Weiterhin haben wir einige sehr herbe persönliche Enttäuschungen erlebt, die definitiv nicht dazu beitragen, unseren Glauben an eine wie auch immer geartete Loyalität der Inder zu erhärten. Es ist sich jeder selbst der Nächste. Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein sind in Größenordnungen nicht gegeben. Wir überlegen momentan intensiv, wie wir unsere Aufgabe zu einem geordneten Ende bringen können, obwohl wir extrem demotiviert und gefrustet sind. Aber die an uns gestellte Projektaufgabe, das Schulmanagement auf ein solides Fundament zu stellen, können wir nicht mehr realisieren.

Ich habe versucht, unsere letzte Woche mal in einem kurzen Abriss darzustellen – das ist in der Gesamtheit sicher etwas lang und Sonni ermahnt mich gerade, dass das vermutlich keinen interessieren wird – aber irgendwie bekomme ich es nicht vernünftig gekürzt. Es sind vielleicht etwas viele indische Namen am Stück – daher noch einmal eine kurze Einführung:

  • Baba: Der Gründer der Schule, der seine ganzen Ersparnisse und seine aktuelle Pension in die Schule steckt. Momentan besucht er gemeinsam mit der Familie seines jüngeren Sohnes die Familie seines anderen Sohnes in den USA.
  • Sagar Babar: Der jüngere Sohn von Baba, der unser Hauptansprechpartner ist und momentan die Schule leitet, momentan ebenso in den USA bis Ende Juli.
  • Pravin: Der inhaltliche Leiter, eine Rolle, die er bisher aber nie ausgefüllt hat. Er ist zwar ein sehr guter Lehrer, schafft es jedoch nicht, gegenüber den anderen Lehrern in Führung zu gehen.
  • Prashant: Ein Mitglied der Babar Familie, Lehrer für den Kindergarten und ein Macher. Er organisiert den Schulbau, die Finanzen für den Schulbus und wann immer irgend etwas zu machen ist.
  • Balasaheb: Der aktuelle Headmaster, unser Lieblingsgegner, unsteuerbar, lügt, faul…
  • Sagar Pawar, Sarita, Tai: Lehrer an der Schule.

Nach langen Telefonaten mit Sagar hatte er Mitte Mai entschieden, endlich den bisherigen Headmaster Balasaheb abzusetzen und sukzessive Prashant aufzubauen, der uns bisher am Verlässlichsten erschien. In einem Gespräch mit Sagar hatte dieser auch zugesagt, auf jeden Fall noch ein Jahr an der Schule zu bleiben. Mit dieser Entscheidung waren wir sehr zufrieden und bereiteten uns darauf vor, ab Juni die Finanzen gemeinsam mit Prashant aufzubereiten und aus ihm und Pravin ein Führungsteam zu formen, dass Balasaheb ablöst. Für ihn waren nur noch einige administrative Tätigkeiten vorgesehen. Er sollte zusätzlich auch wieder unterrichten. Für Montag hatten wir uns 8:30 Uhr in der Schule verabredet. Im Vorfeld hatten wir den Fakt auch mehrfach nachgefragt, ob das alle schaffen würden, da wir dafür unseren Urlaub abbrechen würden. Natürlich hatten wir für uns mit massiven Verspätungen gerechnet aber die Realität war noch frustrierender.

Montag

Wir warten von 8:30 bis 11:00 ohne dass jemand auftaucht oder sich meldet bzw. auf unsere Telefonate antwortet. Gegen 11:00 erreichen wir Prashant und kurz danach Pravin, die uns mitteilen, dass sie leider entweder Farmarbeit haben oder grad mit ihrer Mutter im Krankenhaus, bzw. beim Mittagessen sind. Für den nächsten Tag verabreden wir uns nachmittags für 14:30. Balasaheb teilt uns per SMS mit, dass er erst Donnerstag zu erscheinen gedenkt. Es geht noch etwas hin und her mit Balasaheb. Sagar Babar teilt ihm mit, dass er nur zum Managementteam gehört, wenn er spätestens am Mittwoch erscheint.

Dienstag

Wir treffen uns um 16:00 (das war im Übrigen sogar eine Punktlandung bezogen auf unsere Zeiterwartung). Pravin und Prashant teilen uns mit, dass sie beide leider nur noch für 2 Monate als Lehrer zur Verfügung stehen und außerdem zusätzlich zu Tai, die in den Schwangerschaftsurlaub verschwunden ist noch Sarita und Sagar Pawar die Schule verlassen haben. Sagar hätte die Schule verlassen, weil er gern mehr leitende Aufgaben übernehmen würde. Unsere gesamte Planung für das kommende Schulhalbjahr kollabiert innerhalb von Minuten. Mit Balasaheb können und wollen wir keine Managementthemen wie Finanzen oder Lehrerweiterbildung bearbeiten, da er uns einfach schon zu oft angelogen hat, des Weiteren stinkend faul und beratungsresistent ist. Darüber hinaus, wie am Montag gesehen, folgt er keinerlei Anweisungen, weder von uns noch von Sagar Babar. (In Deutschland wäre das längst ein Kündigungsgrund – hier jedoch auf dem Land findet Sagar einfach keinen Ersatz und Balasaheb nutzt das aus) Wir kontaktieren Sagar Babar in den USA und verabreden, uns am nächsten Morgen zum weiteren Verfahren abzustimmen. Ich bitte Pravin, sowohl Sagar Pawar zu kontaktieren (u.U. lässt sich ja da noch etwas bewegen) und Rupali (die hier schon einmal gearbeitet hat, sehr geradlinig aber auch streitbar ist und es sich deshalb schon mit Baba verscherzt hat).

Mittwoch

Das Gespräch am Morgen mit Sagar in den USA findet nicht statt und wird auf den Abend geschoben – wir sagen das eigentlich geplante Treffen mit Prashant und Pravin ab und machen uns gefrustet auf den Weg nach Sangola in der (korrekten) Annahme, dass Balasaheb sowieso nicht erscheinen wird. Im Tagesverlauf melden sich Rupali und Sagar Pawar. Mit beiden vereinbaren wir Gesprächstermine an der Schule- mit ihr noch gleich für den Mittwoch Nachmittag. Wir wälzen verschiedene Optionen, die wir Sagar vorstellen könnten, hin und her. Ohne Veränderung des Managements vor Ort ist unsere Arbeit nicht mehr umsetzbar. Die meisten Themen sind dort angesiedelt. Wenn wir bei diesen Themen nicht ansetzen können, bleiben uns ab 15. Juni, wenn die Schüler kommen, nur täglich ca. 1h Arbeit mit den Lehrern übrig. Das steht gemessen an den Umständen in keinem vernünftigen und erstrebenswerten Verhältnis mehr.
Am Abend sprechen wir mit Rupali und haben einen sehr guten Eindruck von ihr. Sie spricht gutes Englisch, weiß wovon sie redet, hat klare Vorstellungen zur Methodik im Unterricht und Steuerung der NGO. Mit ihrer sehr direkten Art stößt sie jedoch in der indischen Männergesellschaft sehr schnell an. Wie sich später herausstellt, ist auch ein Problem, dass ihr Mann und sie sich getrennt haben. Sie ist mit den Kindern allein im Dorf im Haushalt ihres Bruders geblieben und versucht nun, irgendwie durchzukommen.
Am Abend erreichen wir telefonisch nun endlich Sagar in den USA und verabreden uns für den Folgeabend zur Entscheidung. Er nimmt das Thema “Rupali” noch einmal als Diskussionsvorschlag für Baba mit. Die Idee, dass wir mit Sagar Pawar sprechen wollen, um mit ihm Alternativen zu besprechen, findet er prima.

Donnerstag

Wir sprechen am Morgen eine Stunde mit Sagar Pawar. Er zeigt sich begeistert von der Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Teil eines Managementteams zu sein. Allerdings möchte er seine Frau mitbringen, die gerade ihren pädagogischen Abschluss gemacht hat und nun ihren Einstieg als Lehrerin sucht. Wir fallen vor Freude fast um und glauben, zwei Probleme auf einmal gelöst zu haben. Bisher ist uns Sagar durchaus positiv als ein Kandidat für zusätzliche Verantwortung aufgefallen. Wir hätten sie ihm unter Umständen jedoch ein wenig später gegeben, aber so kommt nun alles etwas schneller. Abends holen wir uns aus den USA die Freigabe für unseren Ansatz. Rupali ist leider bei Baba “verbrannt”. Er sträubt sich mit Händen und Füßen gegen ihre erneute Einstellung. Irgendetwas muss vorgefallen sein. Baba ist eigentlich ein sehr umgänglicher und verträglicher Mensch. Wenn er jemanden so abschiebt, dann hat es da mal mächtig gerappelt.

Freitag

Sagar erscheint mit seiner Frau, die keinen einzigen Brocken Englisch versteht oder spricht. Uns wird schon etwas mulmig aber das erscheint uns als Preis dafür, das Managementthema geklärt zu haben, noch vertretbar. Ein Großteil der Lehrer trudelt am ersten Arbeitstag irgendwann im Verlauf des Vormittags ein. Wir stellen das neue Managementteam (und Sagars Frau als neue Lehrerin) vor und beginnen mit der Vorbereitung für das neue Schulhalbjahr.

Samstag

Sagar und seine Frau erscheinen nicht. Er geht weder ans Telefon noch hat er eine Nachricht geschrieben. Wir werden im Verlauf des Tages aufgeklärt, dass er schon am Freitag allen gesagt hat, dass er am Folgetag nicht mehr erscheint und sich alle anderen Lehrer selbst genau überlegen sollten, ob sie für das Gehalt die festgelegte Arbeitszeit akzeptieren wollen.
Wir sind entsetzt und frustriert und brauchen erst einmal eine kurze Auszeit mit einer Runde um die Schule, um uns zu fangen und inhaltlich auszutauschen. Es fehlen uns vier Lehrer (nur noch acht sind da, von denen zwei aber auch demnächst gehen). Das Management besteht nur noch aus Balasaheb, dem wir nicht einen Meter über den Weg trauen und der vor allem mit stumpf lächelndem Gesicht die meisten Dinge einfach nicht tut.
Positiv ist, dass wir es schaffen, den Lehrern trotzdem noch die Arbeit zu erleichtern, indem wir das erste Mal nun gemeinsam das Minicomputerlab benutzen und den Lehrern die ersten Schritte in Excel beibringen.

Wir werden für die restliche Zeit hier vor Ort von solchen kleinen Erfolgen zehren müssen. Der große Wurf wird uns nicht mehr gelingen.

Bergfest

Ja, wir feiern Bergfest! Nicht, dass es uns hier nicht gefällt aber wir vermissen schon sehr Freunde, Familie, Kollegen und alle, die man halt so noch vom Sehen kennt und mit denen man sich in seinem gewohnten Umfeld wohlfühlt.

Auch unsere Unabhängigkeit vermissen wir weiterhin sehr. Unterdessen sind wir aber ein klein wenig „selbständiger und unabhängiger“ geworden, trauen uns mehr zu, haben Ansprechpartner und fühlen uns nicht mehr so beobachtet. Na ja, jedenfalls können wir besser damit umgehen, denn geändert hat sich eigentlich nix. Wir sind hier auch nach 3 Monaten noch die Exoten.

Aus unserem Urlaub zurück in Alegaon stellen wir fest, wie bei jedem Gast gilt auch für uns: „Besuch wird nach 3 Tagen lästig“. Der anfängliche Support und die selbstverständliche Hilfe von allen Seiten hat stark abgenommen. Zumal auch Baba, unser grosser Unterstützer und Beschützer, seit Ende Mai in den USA bei seinem Sohn ist. Nun müssen wir uns selbst um unseren 20 Liter Trinkwasserbottich kümmern, kleine Zwischenmahlzeiten wie z. B. Obst, Lassi, Tee etc. werden uns weniger regelmässig angeboten und auch das bisher unkomplizierte Zurverfügungstellen eines Motorrades wird zunehmend komplizierter.
Egal! Wir sind ja schon gross und können uns allein um unsere Angelegenheiten und Bedürfnisse kümmern. Es war nur sehr komfortabel unter den etwas schwierigen und ungewohnten Bedingungen etwas „verwöhnt“ zu werden. So verbringen wir nun etwas mehr Zeit damit, unseren Alltag zu organisieren.

Da jetzt täglich die Zeichen für die beginnende Regenzeit zunehmen, sind wir schon sehr gespannt, welche Auswirkungen diese haben wird. Etwas beunruhigt bin ich schon. Wir rechnen mit Starkregen, Sturm, Stromausfällen verbunden mit Dunkelheit, Schlamm(flächen) überall, nicht mehr trocknender Wäsche, weniger Bewegungsmöglichkeiten (Fahrten mit dem Motorrad) und kürzeren Aufenthalten im Freien. Erste Vorbereitungen haben wir schon getroffen. Gestern haben wir eine aufladbare Lampe gekauft, Kerzen gehen ja bei solchen Regenstürmen sofort aus. Es bleibt also weiter spannend für uns.