Alltag mit Corona

Thomas arbeitet nun die 3. Woche im Homeoffice. Das bedeutet, es finden
zahlreiche kleine Telefonate über den Tag verteilt statt, zu denen er im Haus oder in einem unserer leeren Zimmer aber manchmal auch im Garten
umherläuft. Ab und an ist auch ein Meeting von mehreren Stunden zur Abstimmung des weiteren Vorgehens in den zahlreichen Projekten angesetzt. Thomas verbringt diese Zusammenkünfte dann mit Headset vor dem Laptop. Manchmal ist auch Ruhe im Haus, dann weiß ich, schriftliche Ausarbeitungen stehen an und höchste Konzentration ist gefordert. Also nur nicht stören!

Durch die instabile Internetverbindung ist es nicht allen Kolleg*innen von Thomas möglich, effektiv von zu Hause aus zu arbeiten. Sie sind es zum
einen nicht gewöhnt, sich selbst zu strukturieren und Arbeit eigenverantwortlich zu planen. Aufträge werden üblicherweise durch das
Management erteilt und dann abgearbeitet. Zum anderen sind Telefonate zur inhaltlichen Abstimmung oder die Bearbeitungen von Dateien auf externen Servern aufgrund der ständig abbrechenden Internetverbindung nur bedingt
möglich. So strukturiert Thomas nicht nur seine Arbeit, sondern auch die der Kolleg*innen. Um etwas mehr Effizienz in den Arbeitsablauf zu bekommen, hat eine Kollegin, die nur 10 Minuten von uns entfernt wohnt,
einen Arbeitstag in „unserem Homeoffice“ am Esstisch verbracht mit 2 Metern Abstand zwischen den Laptops und vorherigem Händedesinfizieren.
Unsere Internetverbindung ist mittlerweile zwar auch nicht mehr stabil, aber Thomas hat drei unterschiedliche Anbieter, zwischen denen er im Falle eines kompletten Ausfalls oder einer Unterbrechung wechseln kann. So kommt er über den Tag.

Auch ich reihe mich in diese ungewohnte Organisation noch mit ein. Täglich lese ich meine Studienunterlagen, stelle Prüfungsausarbeitungen zusammen oder recherchiere Methoden, Strategien und Arbeitsansätze im Internet.
Zwischendurch nutze ich eine Vinyasa-Yogaeinheit oder einen online-Sportkurs, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich
brauche einfach (viel) Bewegung! Die nunmehr fast vollständige Inaktivität schlägt mir von Tag zu Tag mehr aufs Gemüt. Ich reagiere gereizt und bin
unzufrieden. Dabei gibt es auch etliche Gründe, die diese beklemmende Situation trotzdem ertragbar und sogar schön gestalten. Das Wetter in Kigali ist nach wie vor richtig toll, angenehme 20- 25 °C. Unser Garten ist herrlich grün, die Sträucher blühen, der Ausblick ins Tal mit dem
ländlichen Treiben dort ist weiterhin faszinierend. Sogar abends können wir entspannt auf der Terrasse sitzen, den Sternenhimmel genießen und den Vögeln beim Singen ihres Gutenachtliedes lauschen.

Trotzdem ist der Tag lang und es bedarf äußerster Selbstdisziplin, eine Struktur zu erfinden, die trägt. Wir haben z. B. gemeinsam mit Thomas eine morgendliche Yogaeinheit von 30 Minuten eingebaut. Durch einfache
Dehnungsübungen kommen wir im wahrsten Sinne des Wortes entspannter in den Tag. Abends unternehmen wir ab und an noch einen kleinen Spaziergang in der Nachbarschaft, was eigentlich nicht erlaubt ist. Wir begegnen auch nur wenigen Paaren oder Zweiergruppen, die sich ebenso verhalten. Ganz ohne Bewegung geht es einfach nicht, da leidet das psychische Wohlbefinden. So hangeln wir uns mit einem Minimum an Struktur derzeit von einem Tag zum
nächsten und freuen uns, wenn wir Butter, Brot oder Gemüse brauchen und dann einkaufen gehen (oder fahren) können.

Gestern wollten wir gegen 17:30 Uhr einkaufen. Um mal einen „Tapetenwechsel“ zu haben, sind wir mit dem Auto in die Innenstadt gefahren. Auf der Hauptstraße fanden Polizeikontrollen statt und Beamte fragten jeden Einzelnen, wohin er gerade unterwegs sei und warum. Mit einem leeren Wasserkanister auf dem Rücksitz und einer großen Einkaufstasche daneben durften wir passieren, obwohl ein anderer Supermarkt wesentlich näher gelegen und in kürzerer Zeit erreichbar gewesen wäre.
In der Innenstadt fiel uns auf, das hier eindeutig weniger Menschen als in unserem ausserhalb gelegenen Wohngebiet auf den Straßen unterwegs waren. Das Zentrum glich
in der Abenddämmerung einer Geisterstadt. Die Ampeln schalteten zwar noch von grün auf rot aber es gab eigentlich gar keinen Verkehr, der geregelt werden musste. Am Straßenrand standen Polizisten mit Schutzmasken und führten vereinzelte Kontrollen durch. Auch Fussgänger wurden angesprochen.

Nach der üblichen Händedesinfektion am Security-Kontrollstand passierten
wir das Einkaufscenter zogen Einmalhandschuhe an und wollten den Supermarkt betreten, doch der war gerade dabei, zu schließen. Es war kurz nach 18:00 Uhr. Die Regierung hatte vor einer Woche kürzere Öffnungszeiten
verordnet. Das hatten wir ganz vergessen. Trotzdem ließ uns die Security als letzte Kunden noch passieren. Leider konnten wir die tatsächlich
benötigten Lebensmittel wie frisches Obst und Gemüse nicht mitnehmen, da das Abwiegen und Auspreisen zu dieser Zeit nicht mehr möglich waren. Um unsere Anwesenheit zu rechtfertigen kauften wir Teelichter, Lappen und ein
paar Getränke. Auf dem Rückweg hielten wir an unserem „Tante-Emma-Eck-Laden“ und tauschten unseren leeren 20 Liter Wasserkanister gegen einen vollen. Thomas nahm auch noch zwei Hühnerkeulen
mit, denn kochen steht nach Sport gleich an zweiter Stelle unserer gemeinsamen Tagesstrukturierung.

Bisher gab es keine offizielle Regierungsbekanntmachung, wie lange die schon sehr umfangreichen Schutzmaßnahmen weiter gelten. Ursprünglich waren
14 Tagen geplant, die am 30.03. beendet waren. Doch auch ohne neue Corona-Fälle (30.03 keine Neuinfektion in Rwanda) halten sich bisher sehr viele an die verkündeten Regeln.
Und auch wir bleiben weiter zu Hause!

zwei Wochen mit Corona

Die erste Woche (16.03. bis 20.03.) mit staatlich verordneten Sicherheitsmaßnahmen aufgrund des Corona Virus haben wir hinter uns, nachdem am 13.03. der erste offiziell bestätigte Corona-Fall in Rwanda verkündet wurde. Es ist schon erstaunlich, wie sich der Umgang mit dieser weltweiten Bedrohung hier gestaltet. Die Rwandische Regierung hat durch die bitteren Erfahrungen in Europa sehr umfassend, umsichtig und vor allem zeitnah reagiert und bereits für Tag 3 nach dem Corona- Erstfall einschneidende Maßnahmen im Alltag der Menschen angeordnet.

Obwohl zu unserer Erleichterung nur wenige Infizierte in der ersten Woche zu verzeichnen waren, wurden die Maßnahmen noch einmal verschärft. Ab der zweiten Woche nach dem Ausbruch des Virus, also ab 23.03. bestand für uns bereits eine komplette Ausgangssperre. Spaziergänge waren nicht mehr erlaubt. Lediglich Lebensmitteleinkäufe berechtigen zum draußen Sein. In der Öffentlichkeit darf kein Sport mehr getrieben werden. Geschäfte bleiben geschlossen. Alle Restaurants, Cafés und Bars dürfen ihren Service nur noch „take away“ anbieten. Busse, Motorrad- und Fahrradtaxis wurden eingestellt, Passagiere werden nicht mehr befördert. Lieferdienste sind nur vereinzelt unterwegs, denn diesen Service kennen und nutzen überwiegend die Muzungus. Einige von ihnen sind unterdessen auch ausgereist, so dass ein Boom dieser Branche nicht zu erwarten ist. Daher ist es ruhig auf den Straßen in Kigali und auch wir bleiben zu Hause.

Für mich ist das eine weitere enorme Herausforderung. Nun wird mein bisher schon geringer Aktionsradius noch einmal mehr eingeschränkt und die wenigen, mühsam aufgebauten Sozialkontakte im unmittelbaren Wohnumfeld entfallen komplett. Wie ich das bewältigen soll, kann ich mir für einen längeren Zeitraum noch gar nicht vorstellen.

Von Freunden und von der Familie werden wir immer wieder gefragt, warum wir nicht auch ausgereist sind, als es die Möglichkeit dazu noch gab. Das ist ganz einfach: Wir haben uns verpflichtet, zwei Jahre hier zu leben und zu arbeiten. Dafür haben wir praktische Anleitung und Unterstützung im Alltag bekommen. Uns ist klar, wie wir uns in Krisensituationen zu verhalten und wo wir uns zu melden haben. Alles ist detailliert geregelt mit Kontaktpersonen und Notfallrufnummern. In der aktuellen Situation würden wir außerdem auch nicht aus einer Krisenregion (Afrika) in das Schlaraffenland (Europa) evakuiert werden. Aktuell haben schließlich alle Länder die gleichen Probleme, wobei Rwanda bisher mit nur 50 Corona-Fällen (2. Woche) wenig betroffen ist. Daher besteht keine verpflichtende Notwendigkeit zur Ausreise oder gar zur Evakuierung. Als „MAP“ (mit ausreisende Partnerin) hätte ich anfangs allein ausreisen können, doch die Überlegung bestand zu keiner Zeit. Als dann das Angebot der Dt. Botschaft und auch der GIZ zur gemeinsamen Ausreise für Ehepaare kam, haben wir lange überlegt und eine Risikobewertung vorgenommen. Dabei haben uns auch die Telefonate mit Bekannten hier in Kigali sehr geholfen. Wir haben uns zugunsten Rwandas entschieden, wie viele andere hier auch!

Außerdem hat man in der Entwicklungszusammenarbeit eine enorme persönliche Verantwortung, die sich im täglichen Handeln und im Umgang mit den Menschen hier klar zeigt. Hätten wir in der jetzigen Situation Rwanda schnellstmöglich verlassen, würden sich die unterschwelligen Rassenkonflikte und die noch immer bestehenden Vorurteile nur bestätigen. So waren wir beispielsweise schockiert darüber, als eine Kollegin von Thomas uns darauf aufmerksam machte, es ginge das Gerücht um, dass für Muzungus bereits ein Heilmittel gegen das Corona-Virus erhältlich sei. Afrika müsse wieder warten und könnte es sich vermutlich ohnehin später nicht leisten. Das Misstrauen der Menschen hier sitzt tief und ihre Erfahrungen kann man teilweise nicht negieren. Daher wollten wir auch bewusst ein Zeichen setzen, allerdings natürlich vor dem Hintergrund, dass wir im Augenblick auch keine persönliche Bedrohung oder ein gesundheitliches Risiko empfinden.

Hoffentlich hält unsere Risikoeinschätzung der aktuellen Situation hier in Rwanda stand und unsere Entscheidung bleibt lange die richtige.

Im medizinischen Notfall oder bei sich verstärkenden sozialen Unruhen und Ausschreitungen (davon wurde uns von einem Bekannten aus Uganda berichtet) werden die Mitarbeitenden der Botschaften und der GIZ sowie anderer deutscher Hilfsorganisationen weiterhin ausgeflogen. Doch so weit ist es Gott sei Dank nicht.

Einmal treffen, geht noch!

Am Sonntag, zwei Tage nach dem ersten Corona-Fall in Kigali, waren wir von einer Bekannten zum Kaffeetrinken in ihren Garten eingeladen worden. Ein anderes befreundetes Paar würde auch kommen! Ähhhh! Moment mal! Corona-Virus-Ansteckungsgefahr? Gruppenansammlungen vermeiden! Och, die Maßnahmen der Regierung waren ja erst ab Montag, 16.03. gültig. Verdammter Mist, was machen wir jetzt? Absagen? Hingehen? Sonst wirken wir spießig! Olaf und
Anja waren auch erst vor einer Woche aus Deutschland zurückgekommen und hatten noch ohne Quarantänevorschriften gleich wieder zu arbeiten beginnen können. Erst in den letzten Tagen waren die Einreisemaßnahmen aus dem Ausland verschärft und eine 14-tägige Quarantäne verordnet worden. Thomas
hatte aus dienstlichen Gründen auch bereits Kontakt zu Olaf, daher schien ein Treffen zum Kaffeetrinken nun auch egal zu sein. Aber ab Montag halten wir uns dann exakt an die Vorschriften! Also einmal treffen, geht dann noch! Thomas wollte noch einen Streuselkuchen backen, den wir mitnehmen würden.

Der Nachmittag war sehr schön, entspannt und sogar lustig, obwohl wir natürlich alle nur EIN Thema hatten. Corona! Es war eigentlich eine
gegenseitige Informationsveranstaltung, wobei die Gastgeberin davon besonders betroffen war. Anna ist mit einem Rwandaer verheiratet und im 6
Monat schwanger. Thomas und auch andere Bekannte hatten ihr geraten, schon in den nächsten Tagen nach Deutschland auszureisen und ihren bereits gebuchten Flug vorzuverlegen, um kein Risiko einzugehen. Doch würde auch
ihr Ehemann nachkommen können? Die Grenzen waren in Europa teilweise schon dicht und der Flugverkehr von Kigali stark eingeschränkt. Anna berichtete, sie habe Gott sei Dank noch einen der letzten Flüge am 18.03. ergattert. Sie war also in
wenigen Tagen in „Sicherheit“, sofern man das überhaupt sagen konnte. Ihr Mann würde sich in den nächsten Tagen jedoch noch intensiver um ein Visum bemühen müssen, denn aufgrund der aktuellen Ereignisse lag die Bearbeitung der Anträge in den Behörden auch etwas zurück.

Anja und Olaf freuten sich dagegen auf ihren Urlaub in Südafrika. Sie wollten am Sonntag für 10
Tage zum Surfen. Ob das noch klappen würde? Sie hatten sich bisher vergebens um eine Verschiebung der Flüge bemüht, jedoch von der Fluggesellschaft kein Angebot oder eine konkrete Information erhalten. Da hilft jetzt nur noch, das Beste aus der Situation zu machen und Strand, Wellen und Südafrikanischen Wein so gut es geht zu genießen. Wir gönnen es euch von Herzen und hoffen, es wird trotz allem ein toller Urlaub.

Zum Abschied drückten wir uns nicht mehr, sondern winkten uns nur noch zu und verabredeten regelmäßige Telefonate oder Kurznachrichten.

Corona ist nicht nur eine Biermarke

Offiziell hat am 13.03. die Corona-Krise auch hier in Rwanda begonnen. Es gab an diesem Tag, und es war wirklich Freitag der 13., in Kigali den ersten bestätigten Corona-Infizierten.
Die Erschütterung in meinem sozialen Umfeld (Fitness-Studio, Sicherheitsguards, unmittelbare Nachbarschaft) darüber war groß, da bisher die Ansicht bestand, Afrikaner bekommen das Virus nicht. Eine entsprechende Nachricht hatte sich über die sozialen Medien verbreitet und führte als Gründe die genetischen Voraussetzungen und die Hautpigmentierung an. Außerdem gab es zunehmend zahlreiche Wortmeldungen religiöser Führer oder selbst ernannter Propheten, die behaupten, Gott würde alle Gläubigen schon schützen und man brauche sich um nichts sorgen. Das bereitete jedoch mir große Sorge! Ich versuchte in WhatsApp Gruppen sachliche Nachrichten der WHO zu posten oder auch Tweets der Ministerien unterzubringen. Im Fitness-Studio wurde auf meine Initiative hin und mit Unterstützung der Trainer ein rudimentäres Hygieneprogramm (Händewaschen vor und nach dem Betreten der Sporträume sowie Geräte desinfizieren) eingeführt. Das entsprach zwar in keiner Art und Weise irgendeinem Standard aber die Bemühungen waren immerhin ersichtlich. Es fehlte leider an allem: Lappen, Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe und natürlich das individuelle Verständnis, warum das nun alles nötig sein sollte. Mit diesen Maßnahmen brauchten wir uns auch nur zwei Tage befassen, da bereits für Montag, 16.03. drastische Maßnahmen durch das Ministerium für Gesundheit angekündigt wurden:

1. Schulen und Kitas bleiben für die kommenden 14 Tage geschlossen

2. Homeoffice für die nächsten 14 Tage, wo auch immer möglich

3. Hände waschen
4. Abstand halten (mind. 1,5 Meter)
5. keine Gruppentreffen und -ansammlungen
6. so wenig wie möglich Bewegung in der Öffentlichkeit

Daher wurde das Fitness-Studio bis auf weiteres geschlossen. Das ging dann ja mal ganz schnell und die Maßnahmen waren auch gleich recht umfangreich. In der in Rwanda bestehenden „Demokratischen Diktatur“ (so sagen die Muzungus zu der Staatsform hier) sind solche Maßnahmen schnell angeordnet, über soziale Medien bis in den kleinsten Winkel des Landes verbreitet und durch die Polizei bzw. Sicherheitskräfte sofort umgesetzt. Da gibt es keine unnötigen Diskussionen, ob das nun angebracht und angemessen ist. Gesagt, getan und kontrolliert! Für diese Situation genau das Richtige! So waren am Montag vor allen öffentlichen Einrichtungen wie z. B. Hotels, Supermärkten, Banken, Ministerien, Restaurants usw. kleine mobile Plastik-Waschbecken aufgestellt. Davor patrouillierte Polizei und forderte jeden/jede auf, sich die Hände zu waschen.
Allerdings gibt es für den Privatgebrauch auch hier kein Desinfektionsmittel. Einer unserer Nachbarn hat jedoch eine Firma, die Wasch-und Desinfektionslotionen produziert. Ihn hatte ich umgehend angefragt und er hat mir nach einigen Tagen Wartezeit 5 Liter für 40 EUR verkauft. Wucher! Aber er erklärte, seine Zulieferer von Ethanol hätten die Preise erhöht! Egal! Wir hatten nun einen Kanister an Desinfektionsmittel und verteilten den Inhalt auch gleich in kleinen Sprühflaschen an unsere Guards und an unsere Haushaltshilfe. Sie können sich diese Preise auf keinen Fall leisten. Daher freuten sie sich sehr, dass nun auch ihre Familien „sicher“ seien.

Thomas und ich hatten Montag früh 8:00 Uhr für unseren klapprigen Land Rover einen Termin beim TÜV. Na ja, das heißt hier anders, ist aber inhaltlich identisch. Wir waren unsicher, ob dieser Termin überhaupt stattfinden würde, schließlich handelt es sich um eine Behörde, aber wir wollten es wenigstens versuchen. Was konnte schon passieren, als dass wir unverrichteter Dinge zurückgeschickt würden. Doch was wir am frühen Montagmorgen erlebten, war für uns völlig unerwartet. Mit aufwendiger Polizeipräsenz wurden alle ankommenden Fahrzeugführer bereits beim Befahren des Geländes geleitet. Jeder Einzelne wurde aufgefordert, sich in einer Reihe und mit einem Abstand von 1,5 Metern zum Vordermann aufzustellen und nach und nach die Hände zu waschen. Auf der einen Seite erfolgte die Kontrolle der Autopapiere und ggf. das Erstellen notwendiger Kopien. Auf der anderen Seite begannen die ersten Fahrzeugüberprüfungen. Selbst in den überdachten Wartebereichen wurde akribisch durch die Security darauf geachtet, dass immer zwei Stühle zwischen den Wartenden frei blieben. Es war eine erstaunliche Ruhe und Gelassenheit in den klaren Anordnungen. Kein Kreuz- und Querlaufen, kein hektisches Durcheinander. Ordnung und Struktur, wie man es in Deutschland nicht besser hätte erwarten können. Wir fühlten uns gut aufgehoben und sicher geleitet. Nach einer Stunde fuhren wir auch tatsächlich und für uns ebenfalls unerwartet mit einem neuen TÜV-Schein vom Hof.

In den nächsten Tagen wird sich das gesamte Ausmaß der Corona-Pandemie hier in Rwanda zeigen. Noch sind wir, auch aufgrund der staatlich ergriffenen Maßnahmen, relativ gelassen.

Tinas Geburtstag

Am 07.03. erhielt ich eine Einladung per SMS von Tina. Sie würde ihren 26. Geburtstag am 09.03. gern mit mir feiern. Es war schon irgendwie komisch, eine Einladung als „Mom“ von ihr zu bekommen, obwohl ich sie eigentlich gar nicht gut kenne und von „Mom“ weit entfernt bin. Aber mit meinem Namen werde ich hier ohnehin so gut wie nie angesprochen. Trotzdem freute ich mich sehr über die Einladung, da es auch nicht üblich scheint, Gäste zu sich einzuladen.

Tina verabredete sich mit mir gegen 17 Uhr vor ihrer Kirche, die im Zentrum von Kigali liegt. Gemeinsam würden wir die heilige Messe besuchen. Diese sei anlässlich ihres Geburtstages auch ihr gewidmet. Das hatte sie nach eigener Aussage mit dem Prediger so abgesprochen bzw. vor Tagen extra angemeldet. So feiern nach Tinas Aussage Einheimische hier oft ihren Geburtstag, persönliche Jubiläen und individuelle Festtage mit der Gemeinde.

Ich liebe Kirchen! Das hängt vermutlich damit zusammen, dass mein Väterchen bereits wenige Tage nach meiner Geburt mit mir im Kinderwagen einen Spaziergang nach Großrückerswalde (Erzgebirge) in die dortige Pfarr- und spätere Wehrkirche aus dem 12. Jhd. unternahm. Auch im weiterenVerlauf meines Lebens besichtigte ich mit meinen Eltern unzählige Kirchen, Dome, Basiliken, Münster und Kathedralen. Die mit ihnen verbundene Geschichte, die oft beeindruckende Ausstattung mit kunsthistorischen Gegenständen aber vor allem auch die Klänge der Orgeln lassen bei mir stets ein Gefühl von Ehrfurcht, Frieden und ganz persönlicher Zufriedenheit und Ruhe aufkommen.

Tina freute sich wahnsinnig, dass ich tatsächlich gekommen war und wir gemeinsam den Gottesdienst besuchen würden. Für sie schien meine Anwesenheit eine besondere Würdigung ihres Geburtstages zu sein. Weder Freunde noch Familie und schon gar keine Geschenke ließen diesen Tag für sie bisher zu etwas Besonderem werden. Mein Erscheinen machten also heute den Unterschied! So stellte sie es zumindest dar.

Die Kirche, vor der wir uns trafen, ist ein Neubau von 1913. Im Gegensatz zu den historischen Kirchen in Deutschland löste sie daher bei mir keine besonderen Empfindungen aus. Der einstündige Gottesdienst wurde in Kinyarwanda gehalten und ich musste gut beobachten, welche Handlungen nacheinander dran waren und wie sich die Leute um mich herum verhielten. Ein kleiner Chor sang ohne Mikrophone und mit nur minimaler instrumenteller Begleitung auf einem E-Piano Kirchenlieder. Und da war sie dann, die ganz besondere Stimmung, die Musik und gemeinsamer Gesang auslösen kann. Kein zaghaftes leises Singen nur weniger Strophen durch Einzelne, sondern ein klarer mehrstimmiger voller Gesang aller Anwesenden (außer mir). Sehr ergreifend. Gänsehaut!
Im weiteren Verlauf wurden Gebete gesprochen und eine Taufe für einen erwachsenen Mann vorgenommen. Tina und ich nahmen am Abendmahl teil und ich hatte das Gefühl, alle Anwesenden, der zu einem Viertel gefüllten Kirche beobachtete mich als ich vor zum Altar ging.

Am Ende des Gottesdienstes bat mich Tina um ein Geburtstagsfoto in der Kirche zur Erinnerung an ihren, wie sie sagte, schönsten Tag im Leben. Ich war sehr gerührt über ihre Äußerung und die herzliche Umarmung. Vor der Kirche wartete schon ihr Bruder auf uns, der gerade von der Arbeit gekommen war und es daher nicht rechtzeitig zum Gottesdienst geschafft hatte. Gemeinsam fuhren wir mit je einem Motorrad-Taxi zu Tina nach Hause.
Wie schon einmal erwähnt, lebt sie mit der Familie ihres Bruders und in unmittelbarer Nähe zu ihrer Schwester. Die Wohnverhältnisse sind sehr, sehr einfach, die Räume klein und dunkel. Zu meinem Erstaunen war das Wohnzimmer mit einer Couch und einem kleinen Tisch sowie einer kleinen Schrankwand mit Fernseher recht europäisch eingerichtet. Eine Küche gibt es nicht. Gekocht wird in einem schmalen Verbindungsgang im Freien zwischen zwei Räumen. Tinas Schwägerin mit ihrem 3-jährigen Sohn sowie ihre Schwester mit ihrer drei-jährigen Tochter und zwei Freunde des Bruders kamen nach und nach und so füllte sich der Wohnbereich. Eine kleine Flasche Wein wurde geöffnet und wir stießen auf Tinas Wohl an. Über gesalzene Erdnüsse und Chips sowie eine Flasche Fanta freuten sich besonders die Kinder. Der Bruder brachte auch noch eine Schokoladencremetorte. Überraschung! Traditionell aber aus keinem erkennbaren Grund wird die Tortencreme durch die Gäste im Gesicht
des Geburtstagskindes verschmiert und dadurch die Dekoration zerstört. Schade drum! 😊

Ich überreichte Tina das Buch „No, thank you…!“, zu dessen Lesung und Vorstellung wir gemeinsam vor ein paar Wochen gegangen waren. Die Widmung der Autorin darin war für Tina unbegreiflich. Fast ehrfurchtsvoll wurde das Buch herumgereicht und immer wieder nachgefragt, ob tatsächlich die Autorin dort persönlich signiert habe.
Als mich Thomas gegen 20 Uhr auf seinem Heimweg von der Arbeit abholte, bekam auch er noch ein Stück von der Torte und gemeinsam sangen wir alle noch einmal „Happy Birthday…!“ und zwar in Englisch, Deutsch, Suaheli, Französisch und Kinyarwanda. Thomas toppte den Abend mit einem russischen Geburtstagslied.

Auf unserer Rückfahrt wurde mir noch einmal bewusst, mit wie viel weniger Erwartung an Geschenke, an ein Festessen im Restaurant, an festliche Kleidung, an besondere Dekoration oder Musik wir gerade Tinas Geburtstag gefeiert hatten. Die Besonderheit an diesem Tag war ich mit meiner Bereitschaft, mit ihr den Gottesdienst zu besuchen. Einzelne Menschen und aufrichtige Beziehungen sind in unserem Leben etwas Besonderes und machen Tage zu Festtagen. Es tat gut, die eigenen Erwartungen relativiert zu sehen und stärker die Dankbarkeit zu empfinden für jedes „Plus“, was wir bei unseren Feierlichkeiten dazutun können. Wie feiern wir nun eigentlich Thomas 50. Geburtstag im April? 😉