Der Vergangenheit entfliehen

Ich hatte in dieser Woche meinen ersten Moment, der mir wirklich den Magen umgedreht hat. Mit einem der jüngeren Manager fing ich am Abend ein etwas persönlicheres Gespräch an. Er ist smart, sehr kommunikativ und unterhaltsam. Ein Jahr hat er in Japan gelebt. Wir kamen so von einem Thema zum Nächsten – er erzählte mir, dass er am Freitag gern in die Bar geht, Freundinnnen ungern in der Bar kennen lernt sondern eher über weibliche Freundinnnen vermitteln lässt, das Geld aber eigentlich nicht so richtig reicht, er zu Hause noch Hühner hält, weil er gern Eier ist.

Das Haus habe er selbst gebaut, mit dem Geld, dass er in Japan verdient hat. Er hat das Land dafür von der Familie bekommen. Außer ihm gebe es nur noch den Bruder, da sie die beiden einzigen nach dem Genozid wären, hätten sie eben relativ viel Land. Das plätscherte irgendwie so dahin und war sehr unterhaltsam – beim Thema Genozid wurde ich dann hellhörig und fragte nach wie alt er wäre – 31 – also zur Zeit des Genozids 6. Als ich ihn dann fragte, ob er sich noch irgendwie an die Zeit erinnern könnte, war sein Antwort: “Sicherlich, wie könnte man es nicht vergessen, wenn vor den eigenen Augen die Mutter und die kleine Schwester mit der Machete abgeschlachtet werden.”

In dem Moment wurde mir sozusagen mit der Dampframme noch einmal ins Gehirn gehämmert, in welch fragiler Umgebung ich mich befinde. Auch wenn alles an der Oberfläche ganz nett und schön aussieht, zieht sich diese Geschichte durch die einzelnen Familien, ihr zu entfliehen ist nicht möglich.

Emotional hat mich das erst einmal überfordert – das lockere Gespräch war erst einmal zu Ende. Ich werde sehen, wie ich damit umzugehen lerne.

Ankunft

Die Ankunft hier gestaltete sich dann doch etwas chaotischer als gedacht. Allerdings hatte das im Wesentlichen mit meinem unbegrenzten und leider ungerechtfertigten Vertrauen in die Technik zu tun. An sich sollte es genügen, bei der Ankunft hier seinen Reisepass vorzulegen und die Visumgebühren von 30$ zu bezahlen. Leider ist das etwas schwer, wenn alle Kassengeräte bei den Immigration-Schaltern ausfallen. Ein Tip von mir: immer das Geld fürs Visum in Dollar dabei haben!!!
Für mich bedeutete das gleich zu Beginn eine stressgeplagte Odyssee nachdem ich am Schalter erst einmal zurückgeschickt wurde. Erst durften dann alle anderen 547 Passagiere passieren, nachdem ich dann gefühlte Wochen gewartet hatte (es war letztendlich nur eine Stunde) nahm mich dann der Schalterbeamte an die Hand, durch die Kontrollen, am Zoll vorbei, hinaus in die Ankunftshalle, aus der Ankunftshalle hinaus am Taxistand vorbei bis zu einem Bankautomaten, der mir dann tatsächlich ruandisches Geld spendierte, dass ich dann nur noch umtauschen musste – in Dollar, weil die Einreiseschalter das Geld des eigenen Landes nicht annehmen. Dann ging es den selben Weg zurück – und irgendwann war ich dann tatsächlich auch da und durch alle Kontrollen durch.
Die Unterkunft hier ist ganz nett, ich bin über AirBnB bei einem Exilkanadier gelandet (Green Escape Lodge), der inzwischen als Sicherheitsberater für NGOs in Jemen und Afghanistan arbeitet. Zum gemeinsamen Abendessen erheiterte er mich mit netten Ratschlägen. Er selbst hat 30 Jahre bei der kanadischen Polizei gearbeitet und ist seit dem Beginn des Genozid-Tribunals hier vor Ort. Er ist der Meinung, dass hier noch gar nichts wirklich ausgesöhnt wurde. Sobald in Burundi („the poor little cousin of Rwanda“) Ausschreitungen starten würden, würde dies auch auf Ruanda überschwappen. Im Übrigen sollte ich das Thema niemals und unter keinen Umständen von mir aus einem meiner künftigen Kollegen gegenüber ansprechen („you should never, never, never, ever talk to someone about the genocide“). Falls doch, insbesondere öffentlich, z.B. in einem Restaurant, könnte ich gleich mit einem Besuch der ruandischen Geheimpolizei rechnen. Dazu gab es Reis mit scharfem Fisch und Auberginen. Ich hatte viel zu verdauen.
Die Stadt selbst ist eher ein Flächendorf – in der Mitte ein paar Bürotürme von KPMG und ähnlichem. Außen herum blechgedeckelte kleine Häuser, die sich an die Hügel schmiegen. Dazwischen viel, viel Grün und kaum Müll. Die Stadt ist unanständig sauber. Man sucht den Verfall, damit man seinen Einsatz als Entwicklungshelfer auch rechtfertigen kann. Selbst die Blechhütten wirken nicht so, als ob hier solch unerträgliche Armut wie z.B. in einigen Gegenden Kambodschas herrschen würde. Wenn eine Straße geteert ist, dann richtig vernünftig, inklusive Gehweg und Rabattenbepflanzung. Die Büsche am besten noch sauber in Form geschnitten.

Selbst bei einer Schule im Slum war der Schulhof mit sauber getrimmten Büschen bepflanzt.

In den Hintergärten der Blechdachhäuser wird auf kleinstem Raum noch Gemüse und Mais angebaut – die Aufnahme mit dem Mais entstand ca. 500m Luftlinie vom Stadtzentrum.

Allgegenwärtig sind nicht nur die Motos (Motorradfahrer, die als Taxi fungieren mit roten Westen und zweitem Helm) sondern auch die Verkäufer der Telco-Vouchers. Sie verkaufen Aufladescheine für das Telefon und sind an jeder Ecke zu finden. Erkennbar sind sie an den Gelben Westen.

 

Auf ein Neues

Kurz nach der Ankunft aus Indien hatte ich mich bei der deutschen Entwicklungshilfe als integrierte Fachkraft für Ruanda beworben. Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass etwas daraus wird. Und eigentlich hatte ich auch damit gerechnet, dass wenn, Sonni und ich immer zusammen in‘s Ausland gehen würden.
Beides kam nun anders. Irgendwie habe ich es wohl geschafft, die Ruanda Information Services Agency von meinen Kompetenzen zu überzeugen, Sonni hat jedoch gerade mit einem neuen Projekt in Deutschland angefangen und kann erst einmal nicht mitkommen. Ich werde nun also für zwei Jahre nach Afrika gehen, wann Sonni nachkommt, ist noch offen.
Daher gibt es diesmal eine Abschiedsparty, die mit ziemlich viel Abschiedsschmerz gefüllt ist, die Stimmung bei uns beiden ist überhaupt nicht enthusiastisch, auch wenn die Aufgabe und das Land natürlich mehr als reizvoll sind.
Die Vorbereitung war ein wenig chaotisch, den Koffer habe ich erst gestern Abend fertig gepackt, meinen deutschen Vertrag habe ich auch erst vor zwei Tagen erhalten. Der lokale Vertrag dümpelt seit mehreren Wochen in irgendwelchen afrikanischen administrativen Kreisläufen und wird und wird nicht fertig. Ich erwarte eigentlich das totale Chaos und das nicht viel vorbereitet ist. Wir werden sehen, ob Afrika meine Erwartungen erfüllen kann.
Nach einem ziemlich herzzerreißenden Abschied heut Morgen von Sonni, sitze ich nun im Flieger und warte darauf, dass mein Reisegefühl langsam kommt und ich mich auch dem Neuen wirklich zuwenden kann. Ich weiß aus Erfahrung, dass das Gefühl des Wechselns zwischen den Welten bei mir eigentlich immer erst auf dem Zielflughafen einsetzt. Zu groß sind die Unterschiede, zu überwältigend das Eintauchen in die andere Realität.
Ich werde versuchen, den Blog hier fortzuführen – aber natürlich fehlt meine andere Hälfte. Daher wird es bestimmt keine täglichen Updates geben, sondern eher wöchentlich.