Heute am 18.03. ist Indisches Neujahrsfest. Dafür wird jedes Haus mit einer „kleinen Puppe“ geschmückt. Diese ist jedoch nur ein Sari mit einem kleinen umgekehrten Kupfertopf auf einem langen Holzstecken, der mit einer Kette aus Süßigkeiten geschmückt ist. Auch orangefarbene Fahnen sieht man überall und es duftet nach Räucherstäbchen.

9:00 Uhr sind wir mit dem Motorrad aufgebrochen, um noch vor der großen Mittagshitze etwas zu unternehmen. Gemütlich sind wir über Land gefahren und haben dann eine kleine Wanderung entlang eines ausgetrockneten Flussbettes bis zum nächsten Dorf gemacht. Das war jedoch nur eine Stunde lang möglich und schon brannte wieder die Sonne. Gott sei Dank hatten wir unseren 5 Liter Wassersack und noch zwei 1 Liter Wasserflasche dabei.

Erneut auf dem Motorrad mit etwas Fahrtwind, ließ sich alles wieder besser ertragen. Wir sind dann in die nächstgrößere Stadt, Sangola, gefahren. Endlich nach dreifachem Anlauf haben wir die Mittagsvorstellung des Muliplex-Kinos abgepasst. 12:20 Uhr begann ein dreistündiger Film (nach einer wahren Geschichte) über einen Steuerskandal im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh im Jahr 1981. Wir haben logischerweise kein Wort verstanden aber es war ein echtes Erlebnis. Vor Filmbeginn kam Werbung, die so laut war, dass wir uns Zellstoff in die Ohren stopfen mussten. Danach wurde die Indischen Nationalhymne gespielt und auf der großen Leinwand war eine wehende Indische Flagge zu sehen. Alle standen auf, Hände an die Hosennaht. Erst danach startete der Hauptfilm.

Für die Einheimischen waren wir der beste Teil der Vorstellung. Wir wurden im Kino, vor dem Kino und selbst auf dem Rückweg fahrend mit dem Motorrad fotografiert.

Auch heute hatten wir wieder nach dem üblichen Samstagsunterricht einen Workshop mit allen Lehrern/innen. Es wurden die Ergebnisse der 5 Unterarbeitsgruppen, die wir letzte Woche ins Leben gerufen hatten, präsentiert. Wie erwartet viel der Strom aus, so dass unsere wunderbare Exceltabelle mit allen Auflistungen an Themen, Terminen und Verantwortlichkeiten leider nicht zum Einsatz kam. Das war jedoch kein großes Problem, da wir nun alle gemeinsam die anstehenden Aufgaben zusammentragen mussten. Lief sehr gut!
Die neue Arbeitsstruktur des Teams schaut nun so aus, dass wir bis Ende Juni jeweils 2-wöchige Umsetzungsphasen mit konkreten Aufgabengeplant geplant haben. Einzelne Lehrer haben konkrete Aufgaben übernommen und werden in der kommenden Zeit von uns angeleitet, so dass sie diese auch erfolgreich ausführen können. Aufgaben sind z. B. 1. kleine Artikel für die Website schreiben
2. Erstellen von Schulregeln, die für die Lehrerschaft gelten 3. Inventurliste zu Arbeits- und Lehrmitteln erstellen
4. Erstellen einer Reparaturliste
5. Erstellen einer Investitionsliste und Priorisierung der Investitionen

Ich habe in den letzten Tagen Fotos von allen Mitarbeitenden gemacht und gemeinsam mit einigen Lehrern deren Kurzbiographien für die Website erstellt. Das hat total viel Spaß gemacht. Alle waren mega stolz, zukünftig auf der Homepage der Schule zu erscheinen. Mit den Fotos habe ich mir auch richtig Mühe gegeben, um auch den Einsatzbereich der jeweiligen Person ansatzweise mit abzubilden. Die Schulbusfahrer waren anfangs etwas skeptisch, da sie sich nicht nur stocksteif vor ihre Fahrzeuge stellen durften, sondern etwas „posieren“ sollten. Also mit geöffneter Fahrertür, im Bus sitzend oder das Auto „putzend“. Aber nach einer kurzen Übersetzungseinheit durch Baba hatten auch sie Freude. Ich musste sogar immer noch ein Foto machen, weil keines gut genug war. Auch der Hausmeister wurde abgebildet, wie er gerade die „Schulklingel“ bedient. Diese ist ein rostiges Metallteilen, auf das mit einer langen, ebenso verrosteten Schraube eingeschlagen wird.

Das Management wurde am PC abgelichtet, obwohl das Internet und die Tastatur nicht wirklich funktionieren und somit die Nutzung sehr eingeschränkt ist.

Mein Lieblingsfoto aus dieser Woche ist jedoch dieses hier!

In unserer Familie gibt es zwei Kinder, die 6 Jahre alte Sahi und den 4 Jahre alten Arush.

Beide gehen in die Englischschule, in der wir die Projekte gerade initiieren. Jeden Morgen laufen wir also gemeinsam, Baba vornweg, den kurzen Weg über die Felder zur Schule. Vorbei an einigen Nachbarhäusern, aus denen wir freundlich begrüßt werden und auch immer mal eine Einladung zum Tee zugerufen bekommen.
Wir sind schon eine lustige kleine Parade, die sich da jeden früh auf den Weg macht. Ein rüstiger alter Herr von 72 Jahren in weißen Leinensachen, dahinter läuft meist Thomas mit seiner knall-roten Notebooktasche unter dem Arm und Base-cap auf dem Kopf. Er versucht schnell auf dem Weg noch ein paar Dinge mit Baba abzuklären. Und dann komme ich mit einem schwarzen Regenschirm, da die Sonne auf dem Rückweg noch ganz ordentlich scheint. Dieser Schirm wurde extra für uns von Baba organisiert, aus welcher Ecke der wohl gekommen ist? Jeder von uns hat auch gleich auf dem Schulweg eine Literflasche Wasser in der Hand und ich noch einen Rucksack auf dem Rücken mit meinen Arbeitsmitteln (Fotoapparat, Notebook aber auch Stift und Papier). Zwischen uns Erwachsenen wuseln die Kids in ihrer Schuluniform und je einer blauroten Schultasche. Wobei die Farben durch den Staub, der sich darauf abgesetzt hat, fast nicht mehr zu erkennen sind.
Die meisten Kinder sind sehr neugierig und versucht mit uns englisch zu sprechen. Am liebsten wollen sie jedoch beobachten, was wir mit dem Handy und dem Notebook machen. Sehr beliebt sind auch Berichte über unsere Familie. Wir müssen Fotos von jedem einzelnen Familienmitglied zeigen und berichten, was er oder sie tut usw.

Wir werden ausgefragt über Lieblingsfarbe, Lieblingsessen, Lieblingsfilm und selbstverständlich müssen wir über Deutschland berichten. Es beginnt immer mit der Frage nach den Unterschieden zwischen Indien und Deutschland und hört z. B. auf bei der Frage, wie lang der längste Fluss bei uns wohl ist. Ich stelle sehr schnell fest, dass meine Geographiekenntnisse auch mal ein Update brauchen. Wann wurde unser Bildungssystem eingeführt und seit wann gibt es die Schulnoten 1-5 oder 6? Ich habe keine Ahnung! Wir haben daher versprochen, mal eine Unterrichtsstunde über Deutschland zu gestalten und Bilder zu zeigen. Das würde den dafür vorgesehenen Geographieunterricht etwas plastischer gestalten. Bis dahin kann ich diese ungewöhnlichen Fragen ja auch noch recherchieren.

Ab und an machen wir auch die Hausaufgaben mit den Kids, üben englisch lesen und schreiben oder singen. Man muss allerdings sehr gut aufpassen, sonst überschreitet man eine Schwelle und bekommt die kleine Bande nicht mehr los. Es ist aber immer lustig, als uncle oder auntie angesprochen und befragt zu werde.

Unser Projekt läuft nun in der 2. Woche. In der 1. Woche haben wir den Ablauf in der Schule beobachtet. Am Samstag hatten wir dann den großen Workshop mit allen Lehrern zur Bestandsaufnahme und es wurden viele Verbesserungsvorschläge zu unterschiedlichen Themen eingebracht. Zu diesen haben wir in Vorbereitung der nun laufenden 2. Woche Unterprojektgruppen gebildet. Es gibt nunmehr:

1. Management und Investment
2. Language Improvement
3. Website
4. teach the teacher
5. selfmade teaching material

Mit je einer dieser Arbeitsgruppen treffen wir uns pro Tag nach dem Unterricht für 2 Stunden, um Details zu besprechen und konkrete Maßnahmen zu verabreden. Am Ende dieser Woche stellen am Samstag alle Unterprojektgruppen ihre Ergebnisse vor. Diese werden mit dem Beamer vor allen Lehrern präsentiert. Es geht dabei auch um die Nutzung neuer Medien durch die Lehrerschaft.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele sehr gute Ideen von einzelnen Lehrern kommen. An Kreativität mangelt es auf keinen Fall.

Themen zur Verbesserung müssen jedoch von einer außenstehenden Autorität moderiert werden. Sich selbst motivieren, verbesserungswürdige Themen erkennen und kommunizieren sowie passende Maßnahmen formulieren, funktioniert mit dem hier eingesetzten Management nicht. Die Fähigkeit, auch nur ansatzweise Themen zu bearbeiten und voranzubringen ist nur marginal ausgeprägt.

Ich bin gespannt, welche Ergebnisse wir tatsächlich erzielen werden und erst recht, was nachhaltig und langfristig umgesetzt werden wird.

Aktionsradius

Mein Schnupfen und Husten sind endlich weg. Ich merke, wie ich nun auch die enorme Hitze, unterdessen sind es schon 39 °C, besser verkrafte. Selbstverständlich muss man sich anpassen, alles langsamer und viel weniger Dinge machen, regelmäßig Pausen einlegen, viel trinken und von 14-16 Uhr einfach gar nichts machen oder am besten irgendwo drinnen mit heftig rotierendem Ventilator versuchen, diese Mittagszeit zu überstehen. Ab 19:00 Uhr wird es dann innerhalb kurzer Zeit richtig dunkel. Ohne starke Taschenlampe sind Aktivitäten draußen danach nicht mehr möglich. Somit ist das Zeitfenster für Unternehmungen auf dem Land relativ gering.

Die Helligkeit und auch die Wärme (bis zu einer gewissen Grenze) sorgen bei mir generell für gute Stimmung, ich fühle mich hier sehr wohl! Wir werden versorgt und brauchen uns um nichts zu kümmern. Selbst einen kleinen gekühlten 20 Liter Kanister mit sauberem Trinkwasser bekommen wir alle zwei Tage in unser Zimmer gestellt. Alle sind so großartig, dass mir die Anpassung an das mehr als einfache Landleben hier doch erstaunlich gut gelungen ist. Das hat jedoch 1 Woche gedauert und ich komme immer noch täglich an meine Grenzen, kann damit aber besser umgehen!
Am Abend unserer Ankunft wollte ich allerdings gleich wieder abreisen, ging natürlich nicht, da wir wussten, was für unsere Ankunft alles um- und ausgebaut worden war. Somit habe ich mich „meinem Schicksal ergeben“ und wollten dem Ganzen eine Chance geben. Besonders schwer ist für mich der Umgang mit dem so wahnsinnig anderen Verständnis von Sauberkeit und Ordnung. Das war ja zu erwarten! Diese Begriffe bekommen eine ganz neue Bedeutung!
In allen Zimmern des Farmhauses gibt es nur zwei Möbelstücke, hochbeinige Metallbetten und Metallschränke. Keine Stühle, denn gesessen wird auf dem Boden. Kein Tisch, denn das Essen kommt auf den runden Tabletts, die auch wieder auf dem Boden abgestellt werden. Man erkennt eigentlich nicht, in welchem Raum man sich gerade befindet. Ist es das Schlafzimmer der Eltern, das Gäste- oder das Kinderzimmer? Nur die Küche ist als solche erkennbar und verfügt über Regale, zum Verstauen von Dingen. Somit ist Ordnung halten einfach anders und die Dinge bzw. Sachen liegen, aus meiner Perspektive, einfach irgendwo draußen herum oder sind in die Schränke gestopft. Die Einheimischen wissen jedoch ganz genau, wo sie was haben „liegen lassen“ und von dem Platz aus nutzen Sie es erneut.
Was mir auch stark zu schaffen macht, ist der eingeschränkte Aktionsradius. In Berlin bin ich oft kilometerweit und stundenlang unterwegs, hier dagegen nur 800 Meter bis zur Schule. Anfangs war dafür sogar noch Begleitung durch Baba nötig, damit die Wachhunde der Nachbarschaften uns nicht „angreifen“. Unterdessen kennen Sie uns und wir können am Tag auch allein den kurzen Weg laufen. Im Dunkeln ist das jedoch schon wieder keine gute Idee, wie wir gestern bei einem Spaziergang herausgefunden haben.
Bis zum Dorf Alegaon ist es dann doch immerhin 1 Kilometer. Alle anderen Ortschaften können nur mit dem Motorrad erreicht werden und das muss man halt organisieren bzw. mit dem Rest der Familie abstimmen. Somit ist mein Aktionsradius enorm eingeengt.

Überall wird man aufgefordert, sich zu setzen. Wir dürfen uns auch nicht auf den Boden setzen sondern bekommen einen Plastikstuhl angeboten; in der Schule beim Gespräch mit den Lehrern, beim Abendessen in einer Gastfamilie, man sitzt natürlich auch auf dem Motorrad und im Schatten vor dem Haus…

Wohin kann ich mal laufen, wie komme ich in Bewegung? Von 8:30 bis 14:30 Uhr sind wir bisher in der Schule. Danach laufen wir nach Hause und machen bis 16:30 Uhr nix. Anschließend wird Wäsche gewaschen oder Lebensmittel auf dem Markt eingekauft und dann ist es auch schon dunkel. Diese Abhängigkeit ist für mich schwer zu ertragen und nimmt mich gerade etwas mit. Ich habe mir vorgenommen, meine bisherige Tagesstruktur nochmal zu überdenken!
Immerhin habe ich heute mal gegen 17:30 Uhr für 20 Minuten ein paar Sportübungen auf der Terrasse vor der Schule gemacht. Und sofort war die Stimmung wieder gut!

Ich finde schon noch meinen Rhythmus, dauert halt alles etwas. Wir sind ja auch erst 1,5 Wochen hier vor Ort. Na ja, Geduld war noch nie meine Kernkompetenz. Ich arbeite dran!