Nicht nur Reisen

Unser Alltag hier in Rwanda besteht natürlich nicht nur aus Reisen, auch wenn das manchmal den Anschein haben mag, da ich sehr viel von diesen Eindrücken berichte.

Nach wie vor arbeiten Thomas und ich sehr engagiert in vielen Bereichen. Privat unterstützen wir nach unserem Umzug im Mai vergangenen Jahres weiterhin unsere ehemaligen Security Guards, indem wir ihnen die Studiengebühren finanzieren, den Führerschein oder sogar mit unserem privaten Motorrad den Start in die Selbständigkeit als Taxi-Fahrer ermöglichen. Wir geben nicht einfach nur das Geld sondern beraten sie in der Umsetzung ihrer Ziele, planen gemeinsam und achten dabei auf Nachhaltigkeit. Dazu gehört auch, dass wir Verträge aufsetzen, in denen schrittweise kleine Rückzahlungsverpflichtungen festgelegt sind. Aus eigener Kraft und mit persönlicher Anstrengung etwas erreichen, ist erstrebenswerter, als auf Charity und Großzügigkeit angewiesen zu sein. Gemeinsam freuen wir uns, wenn Donatien im Rahmen seines Hotel- und Gastronomie-Studiums eine weitere Prüfung geschafft hat und uns per WhatsApp seine Ergebnisse schickt, wenn Alex mit Hilfe von Florent für die Motorradführerscheinprüfung übt und Florent selbst seit mehreren Monaten erfolgreich als Motorradtaxifahrer ausreichend Geld verdient.

Auch im Job gibt es bei uns beiden weiterhin Höhen und Tiefen. Meinen Tiefpunkt hatte ich im vergangenen Oktober/November. Nach einem Jahr als Entwicklungshelferin in meiner Partnerorganisation hatte ich einen Fragebogen zur Evaluation meines Einsatzes mit Google Formate entwickelt und meine Kolleg*innen um online Feedback gebeten. Bisher eher erfolgsverwöhnt war ich dann sehr enttäuscht über die zögerlichen und auch wenig positiven Rückmeldungen. Doch andere Entwicklungshelfer*innen und auch Thomas versicherten mir aus eigenen Erfahrungen, dass die Einstellung beider Seiten auf den jeweils anderen Partner Zeit und Geduld braucht. Über beides verfüge ich leider nicht in ausreichendem Maße, auch aufgrund meines nur Zweijahresvertrages bei der GIZ.

Als ich zum Jahresende dann jedoch meinen Bericht zur Evaluation meiner Beratungstätigkeit an meinen Vorgesetzten verfasste, war ich mit mir selbst schon mehr zufrieden. Trotz aller Schwierigkeiten hatte ich in meiner Partnerorganisation viele kleine Dinge initiiert und die interne Kommunikation verändert. Unsere Zusammenarbeit ist auch grundsätzlich von einer positiven und vertrauensvollen Beziehung geprägt. Wir haben Spass miteinander und lachen viel. Doch nach wie vor haben wir auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was in welchem Umfang und in welchem Zeitrahmen verändert werden müsste. Auch die Implementierung kleiner Projekte bietet immer wieder Anlass zu gegenseitiger Unzufriedenheit. Die Einstellung zum Lernen, zum Ausprobieren, zur Selbstreflexion und zum kritischen Hinterfragen von Projekten sind häufige Punkte unserer Auseinandersetzungen und bewirken bei mir emotionale Anspannung.

Allerdings habe ich in dem vergangenen und ersten Jahr meines Einsatzes bei der GIZ unzählige neue Erfahrungen gesammelt und wahnsinnig viel gelernt. Der Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit ist ja trotz unseres Sabbaticals 2018 in Indien komplett neu für mich. „Results based Matrix“, „Theory of Change“, „Logical Frame Work Approach“, Monitoring & Evaluation im internationalen Kontext“ sind nur einige Begriffe, die ich mit Inhalten füllen und praktisch mit meiner Partnerorganisation umsetzten muss. Nicht selten bin ich damit jedoch selbst noch überfordert.

Moderationen von Events, themenspezifische Workshops und Trainings sowie das Erstellen von Roadmaps, Reports und Fördermittelanträgen aber auch Konzeptionen und Projektanträgen habe ich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen gemeistert. Schrittweise wird es nun hoffentlich leichter.

Die größte Herausforderung für mich ist, nicht dauerhaft oder in einem zu umfangreichen Maß auf die aktive Mitarbeit meiner einheimischen Kolleg*innen zu hoffen. Sie sind in zahlreiche andere Projekte mit internationalen Geldgebern involviert und müssen diese Aktivitäten zusätzlich zu den Projekten der GIZ bewältigen. Das führt zu einer zeitlichen und inhaltlichen Überforderung, nicht zuletzt auch durch unzureichende mittel- und langfristige Planung.

Daher bemühe ich mich zunehmend um Aufgaben in anderen GIZ Bereichen oder mit anderen Partnern, die jedoch im Zusammenhang mit meiner Beratungstätigkeit bei meiner Partnerorganisation stehen. Somit unterstütze ich seit einigen Monaten die Koordination der Entwicklung eines Disability Management Information Systems (DMIS) und komme dadurch mit anderen Entwicklungshilfepartnern wie z. B. der Clinton Health Access Initiative (CHAI) in Kontakt. Mit Rwanda Bookmobile arbeite ich an einer Audio-Version eines Trainingsmanuals zur Aufklärung von Sexual Gender Based Violence (SGBV), dass wir mit meiner Partnerorganisation für ein Training von 55 blinden Frauen nutzen wollen. Ich bin gespannt, wie ich diese beiden Themen in diesem Jahr voranbringe kann.

The Big Three (out of five)

Nach einem entspannten Wochenende am Lake Kivu mit Bootstour zu „Napoleon Island“ und kleiner Wanderung am See brachen wir an unserem letzen gemeinsamen Wochenende mit Bärbel in den Akagera Nationalpark auf. Es sollte für uns alle das Highlight werden.

Wir hatten nicht die üblichen Zeltplätze zur Übernachtung gebucht, sondern nutzen diese einmalige Gelegenheit mit- und füreinander Zeit zu haben für Exklusivität in jeder Hinsicht. Bereits die erste Unterkunft in der „Akagera Rhino Lodge“ mit Blick über den gesamten Nationalpark und abendlichen Diskussionen über Kindheitserlebnisse und das Teilen von Jugenderinnerungen unter einem sternenübersäten Nachthimmel…einmalig!

Wir erlebten den Nationalpark diesmal nicht nur unter den gewohnten heissen Temperaturen und in sandfarbenen trockenen Beige-Tönen. Dank der Regenzeit fuhren wir doch üppiges Grün, was die schmalen Pfade überwucherte und das Erkennen des eigentlichen Weges teilweise erschwerte. Bunte Schmetterlinge tanzten an unseren offenen Fensterscheiben, die wir jedoch im hohen Grasland umgehend schließen mussten, um nicht von den unendlich vielen Bremsen attackiert zu werden. Später verwandelte ein mehrstündiger und teilweise heftiger Regen die bisher staubige Umgebung. Dunstige nebelartige Wolken schwebten tief über die Anhöhen, auf denen wir bei unseren letzten Aufenthalten gezeltet und den freien Blick ins Tal und über die Ebene genossen hatten. Ein großer Regenbogen war der Abschluss dieses Naturschauspiels und schlagartig war es wieder warm und sonnig.

Wie auch die letzten Male hatten wir schon viele Zebras, Giraffen, Affenfamilien mit Jungtieren, Nilpferde, Büffel, sich sonnende Krokodile und zahlreiche verschiedene Antilopenherden gesehen. Doch zum ersten Mal spotteten wir in der Ferne auch eine Elefantenfamilie mit Jungtieren. Sie alle badeten zur Mittagszeit im Akagera und schienen sich abkühlen zu wollen.

Wir befanden uns schon auf dem Weg zum Ausgang des Parks und fuhren langsam durch die vom Regen ausgewaschenen großen Löcher. Ein letzter Blick über die endlos scheinende Ebene mit dunkelrot blühenden Disteln, auf der in der Ferne weitere Büffel- und Zebra-Herden grasten.

Doch halt! Was war das? Halt, halt, halt! Ich begann im Auto hysterisch zu schreien. Zurück! Zurück! Langsam! Schaut mal, hier vorn! Ich konnte es kaum glauben. Tatsächlich schlich nur wenige Meter neben uns ein Leopard durchs Gras, tief geduckt im Angriffsmodus auf eine Antilopenherde. Er war fast nicht zu erkennen und doch sahen wir ihn ganz deutlich.

Wir beobachteten eine Jagdszene, wie aus einer Tierdokumentation im Fernsehen. Was für ein Glück! Uns war es an diesem Wochenende vergönnt „the big three (out of five)“ zu sehen.

Das Dian Fossey Museum und ein Besuch bei Ferdinand

Am dritten Wochenende ging unsere Reise nach Musanze. Es ist jedes Mals auf’s Neue ein erhebendes Gefühl bei der Anfahrt auf die Stadt die vier großen Vulkane (Bisoke, Muhabura, Karisimbi und Sabinyo) nach Tageszeit klar sichtbar oder wolkenverhangen nebeneinander zu erblicken.

Mit Bärbel besuchten wir das neu eingerichtete „Dian Fossey“ Museum. Es zeigt das Leben und Wirken der Wissenschaftlerin, die 20 Jahre lang mit den Gorillas in den Vulkanbergen Rwandas gelebt und sie studiert hat. Der Hollywood Film „Gorillas in the Mist“ stellt ihr ambivalentes und entbehrungsreiches Leben sehr eindrücklich dar. Diesen Film hatten wir in Vorbereitung auf unsere Wochenendtour angeschaut, und so waren uns die Zusammenhänge und Hintergründe noch sehr präsent.

Das Museum befindet sich in ca. 2500 Meter Höhe auf einem sehr ausgewählten Platz, von dem aus man einen direkten Blick auf die Vulkane hat. Es ist jedoch nicht nur ein Museum sondern es verbindet das Museum als touristische Attraktion mit dem so genannten „Karisoke Research Center“, indem aktuell Forschung zum Artenschutz der derzeit existierenden ca. 10 Gorilla-Familien in Rwanda betrieben wird. Das Forschungszentrum trägt den Namen nach der 1967 errichteten Station von Dian Fossey in den Bergen, die sie „Karisoke“ nannte, da sie zwischen den Vulkanen Bisoke und Karisimbi gelegen war. Das heutige Research Center und das Museum sind moderne, ja sogar ein wenig futuristisch anmutende flache Gebäude, die sich ganz wunderbar mit ihren Naturmaterialien in die Umgebung einfügen. Auch die Gestaltung des Museums ist sehr modern, interaktiv und mehrsprachig aufgesetzt. Man kann an einem interaktiven Fragebogen teilnehmen, indem einige persönliche Eigenschaften zu Alltagshandlungen evaluiert werden und man dann einem Gorilla-Pendent aus der Forschungsgruppe von Dian Fossey zugeordnet wird. Ich bin Macibiri, die Kurzform von Dian Fossey’s Spitzname. Das Gorilla Jungtier zeichnete sich nach den Beobachtungen von Fossey durch diplomatisches Verhalten in der Gruppe aus und war mit allen Tieren gut vernetzt. Mit dieser Zuordnung kann ich doch wohl sehr zufrieden sein!

So verging der Vormittag sehr entspannt und sonnenreich.

Am Spätnachmittag wollten wir Ferdinand besuchen. Unser langjähriger Touren Guide und Freund, mit dem wir schon zahlreiche Wandertouren unternommen hatten, hat sich in Musanze ein Haus gebaut. Wir hatten uns ehrlicherweise selbst bei ihm eingeladen bzw. den Vorschlag eines Besuches gemacht und er hatte ihn begeistert aufgenommen. Es war für ihn eine Ehre, wie er selbst sagte, dass „Mama Thomas“ mitkommen würde. Für uns war es eine einmalige Gelegenheit, Bärbel das ländliche Rwanda mit seiner natürlichen Schönheit und Einfachheit abseits hochpreisiger Hotels und Hauptstadtrestaurants zu zeigen. Ferdinand würde für uns traditionell kochen und wir sorgten für Getränke.

Ferdinand empfing uns sehr sehr herzlich. Die unmittelbaren Nachbarn im Ort bemerkten selbstverständlich unseren außergewöhnlichen Besuch. Zwei seiner Cousins waren auch anwesend und hatten bereits begonnen, für uns traditionell zu kochen. Wir starteten mit einem kleinen Rundgang und der Hausbesichtigung. Der Ausblick vor dem großen Eingangstor auf das unter uns liegende Tal war bereits einmalig und wir erwischten auch gerade noch den Sonnenuntergang gegen 18 Uhr.

Die Innenräume befanden sich alle noch im Rohbau, die zweite Etage mit kleiner Terrasse war auch noch nicht über eine Treppe erreichbar, doch wir wollten nicht auf einer improvisierten Holzleiter den wackeligen Aufstieg wagen. Das Wohnzimmer hatte Ferdinand dagegen vermutlich extra für unser Kommen eingerichtet. Der Tisch, die Sessel und der Läufer wirkten unbenutzt.

Wir waren ungemein stolz auf Ferdinand, was er mit seiner freundlichen, positiven aber stets zurückhaltenden Art und seinem kleinen beständig wachsenden Business „Slow Hike Africa“ in wenigen Jahren reicht hatte. Er unterstützt mit seinem Einkommen auch noch andere Familienmitglieder und hat sich trotzdem den Traum vom eigenen Haus erfüllt. Wahnsinn!

In der Vergangenheit hatte uns Ferdinand schon einige Male um Rat gefragt. Gemeinsam hatten wir seine Vertragsbedingungen und Hiking- Touren besprochen, Mehrtagestouren mit Zelt geplant, neue Kolleg*innen an ihn vermittelt und auch das Konzept bzw. die Möglichkeiten von „Homestay Accomodation“ in Rwanda diskutiert. Wir waren also nicht nur Kunden sondern unterdessen auch Freunde geworden.

Wir stiessen mit einem Gals Sekt auf seinen Erfolg an, überreichten ihm als kleines Einzugsgeschenk- ein Set aus Keramikgeschirr (Teller, Tassen, Schüsseln)- und verbrachten einen sehr lustigen Abend, diskutierend über Hochzeitstraditionen, Brautfindung und andere kulturelle Besonderheiten unserer jeweiligen Nationalitäten.

Das Abendbuffet war überaus reichlich bestehend aus Pilaw (Reis), regionalen Kinigi- Kartoffeln, gekochten Bananen, Mischgemüse, Yamswurzeln und Rindfleisch-Gulasch.

Es war ein wunderbarer Besuch für jeden von uns mit zahlreichen neuen Erfahrungen und Eindrücken. Wir alle konnten diese gemeinsame Zeit miteinander geniessen und fühlten uns trotz der sprachlichen Barrieren und der Mühen zur gegenseitigen Übersetzung sehr wohl miteinander.

Das neue Jahr hat begonnen

Den Silvesterabend verbrachten Thomas, Bärbel und ich im Rooftop-Restaurant des Hotels „Ubumwe Grande“ in der Innenstadt von Kigali. Es gab ein umfangreiches Abend-Buffet, fancy Cocktails und dazu eine grandiose Aussicht über die nächtliche, beleuchtete und weihnachtlich dekorierte Hauptstadt.

Das erste Wochenende im neuen Jahr wollten wir Bärbel erst einmal Kigali und Umgebung zeigen. Das „Umusambi Village“ mit der Freiluft- Aufzuchtstation für Kaiserkraniche und das Shopping Center „Kigali Hight“, wo es leckeres Eis in frisch gebackenen Waffeln gibt, waren unsere ersten Ziele. Selbstverständlich kommt der Geschmack des Milcheises nicht an unser Lieblingseis aus der „Da Dalt“ Manufaktur heran. Trotzdem geniessen wir die für Rwanda speziellen Sorten „Gurke-Minze“ oder „Macadamia-Caffee“ und und erinnern uns in Gedanken liebevoll an unsere „Eisnachbarn“ in Friedrichshagen.

Unser gemeinsamer Sonntagsausflug brachte uns in die Nähe der Burgundischen Grenze nur eine reichliche Auftofahrtstunde von Kigali entfernt. Der Süden Rwandas ist wesentlich flacher, als der Rest des Landes und daher lieben wir diese Gegend und fahren dort ab und an Fahrrad. Auf einer unserer Touren waren wir entlang eines Sees geradelt und hatten eine Rinderfarm in entlegener Einöde entdeckt. Es wachsen dort überall riesige Kakteenbäume und aus dem rostroten Erdboden ragen zahlreiche Termitenhügel heraus. Diese so ganz andere Landschaft Rwandas hatte uns beeindruckt und wir wollten sie Bärbel gern zeigen.

Auf unserer Fahrt entlang des „Lake Cyohoha“ bog Thomas ins Gelände ab. Plötzlich sahen wir eine große Herde Inyambo Rinder auf uns zu kommen und noch bevor wir in dem unwegsamen Gelände ausweichen konnten, waren wir mit unserem Landrover mitten drin. Schnell kurbelten wir die offenen Fenster hoch und schon zog die Herde hautnah an uns vorbei. Ich hatte das Gefühl die gewaltigen Hörner kratzen an der Scheibe und jeden Augenblick beschlagen die Fenster durch die Atemluft aus den Nüstern.

Doch friedlich trabten die Muttertiere mit ihrem Nachwuchs an uns vorbei. „Mwaramutse! Umunsi mwiza!“ grüßte ich erleichtert die zu guter Letzt hinter der Herde noch auftauchenden Viehtreiber und entlockte ihnen damit ein kleines Lächeln!

Mit diesen sehr unterschiedlichen ersten Eindrücken war unser gemeinsames Wochenende sehr schnell verstrichen. Eine neue Arbeitswoche stand uns bevor doch auch zwei weitere Wochenenden, die Thomas schon umfassend geplant und gut vorbereitet hatte, lagen noch vor uns.

Weihnachten in Hoyerswerda

Unseren Weihnachtsurlaub hatten wir schon lange geplant und die Flüge gebucht, schließlich waren wir Corona-bedingt mittlerweile schon zwei Jahre nicht mehr zum Fest in Deutschland. Diese, gerade für mich sehr besondere Zeit des Jahres bei 23 °C in Kigali zu verbringen, hatte in diesen Jahren nicht zu der ersehnten Advents- und Weihnachtsstimmung geführt, die Thomas und ich daher so sehr vermissten.

Am 17.12. war es dann so weit. Wir flogen mit zahlreichen (leeren) Koffern und Taschen nach Berlin, um auf dem Rückflug wieder einmal 80kg Gepäck transportieren zu können, wovon sicherlich nicht alles Weihnachtsgeschenke wären.

Die Feiertage waren bei meinen Eltern in Hoyerswerda geplant. Wir würden gemeinsam ein Adventskonzert geniessen, uns mit den traditionellen Leckereien vollschlagen und am Heiligabend zum Gottesdienst gehen. Lotti, Leo und Larissa kämen am 1. Feiertag und abends fände die von allen erwartete Whiskey Verkostung mit den „stillen Reserven“ meines Väterchens und den neuen flüssigen weihnachtlichen Errungenschaften statt, bis die Zunge schon etwas schwer würde. Das waren doch tolle Aussichten!

Doch auch ohne Corona sollte es kein typisches „Hausmannsches Weihnachtsfest“ werden denn mir stand ein kleiner operativer Eingriff am Herzen bevor. Ein Loch zwischen dem rechten und linken Vorhof (PFO) sollte verschlossen werden, nachdem bei mir im vergangenen Jahr eine TIA und eine Tiefenvenenthrombose kurz vor unserem Rückflug nach Kigali diagnostiziert wurden. Ein Routineeingriff, sagten die Ärzte! Ich wäre nach dem minimal-invasiven Eingriff und nach nur einer Nacht im Seenland Klinikum Hoyerswerda wieder „weihnachtsfähig“.

So fuhr ich zwei Tage nach unserer Ankunft in Berlin am 19.12. mit dem Zug zu meinen Eltern und wurde am 20.12. in die Klinik eingewiesen, nachdem ein Schnelltest meine Corona-Freiheit bestätigt hatte. Allerdings hatte ich auch erst wenige Wochen zuvor in Kigali meine dritte Virus-Infektion mit 7 Tagen Quarantäne überstanden.

Doch erst einmal war ich nur sehr froh, dass wir trotz des engen Zeitplanes und meiner Weiterreise nach Hoyerswerda am Vortag wenigstens noch Thomas Bruder Alex und seine Familie sowie Thomas Schwester Christiane mit ihrer Tochter Johanna in Friedrichshagen zu einem gemeinsamen Frühstück treffen konnten. Es war ein tränenreiches Wiedersehen mit großer Herzlichkeit und Freude auf allen Seiten. Auch der Müggelsee zeigte sich auf unserem gemeinsamen Spaziergang von seiner ungewohnt winterlichen und trotzdem einladenden Seite. Klirrende Kälte hatte ihn zufrieren lassen und vereinzelt sah man Schlittschuhläufer.

In Hoyerswerda angekommen war es am nächsten Tag schon ein merkwürdiges Gefühl ausgerechnet auf einer der Stationen des Klinikums eingewiesen zu werden, auf der ich meine Ausbildung zur Krankenschwester von 1990 bis 1993 absolviert hatte. Es hatte sich herumgesprochen, dass eine Patientin aus Afrika aufgenommen worden war, deren Eltern beide jahrelang im Klinikum gearbeitet hatten. So fragten mich einige Schwestern und Ärzte während der Aufnahme, der Voruntersuchung und während des Anamnesegespräches ein wenig über Ruanda, meine Beweggründe und auch die familiären Zusammenhänge aus. Ich hatte nicht erwartet, diese „Exotik“ mit nach Hause zu bringen aber Hoyerswerda ist wohl und bleibt auch immer meine geliebte Heimatkleinstadt in Sachsen.

Nun war es Zeit! OP-Hemdchen angezogen und los ging die Fahrt im Bett, den Fahrstuhl nutzend in eine andere Etage, den langen Krankenhausflur entlang in einen Nachbartrakt- den OP-Bereich.

Dank der intensiven Vorbereitungen meines Väterchen war dieser Eingriff überhaupt so kurzfristig möglich und aus der Ferne für mich organisierbar geworden. Ich habe in Hoyerswerda keinen Hausarzt, der die Klinikeinweisung unkompliziert vornehmen und auch die Nachbehandlung übernehmen kann. Daher war dieser Tag trotz allen Ernstes der Jackpot für mich!

Es lief auch alles komplikationslos und ich wurde in der Tat nach nur einer Nacht im Krankenhaus entlassen. Lediglich ein kleiner Schnitt in der Leiste, professionell verschlossen mit „Ziernaht“ und ein riesiger blauer Fleck am rechten Oberschenkel waren die sichtbaren Zeichen des operativen Eingriffs. Ich war erschöpft und müde, hatte ich mir doch das Zimmer mit einer 100-jährigen Dame geteilt, um die ich mich ein wenig kümmerte, sofern der Schwesternnotruf nicht unbedingt erforderlich war. Sehr glücklich über das Weihnachtsgeschenk eines gesunden Herzens verbunden mit der Risikominimierung einer erneuten Thrombose oder Blutung war ich pünktlich zum ersten Stolle-Essen am 21.12. wieder zu Hause.

Die darauf folgenden Tage verliefen sehr entspannt. Thomas kam am 22.12. ebenfalls mit dem Zug nach Hoyerswerda und wir holten ihn mit meinem Väterchen vom Bahnhof in Senftenberg ab. Auf das geplante Adventskonzert am 23.12. verzichteten wir, da ich doch noch etwas schlapp war, viel schlief oder zumindest auf der Couch lag.

Doch am späten Vormittag des 24.12. war ich schon wieder in der Lage, gemeinsam mit meinem Väterchen den Weihnachtsbaum zu schmücken und das traditionelle Glas Rotwein dazu zu trinken. Jetzt kam die so lang ersehnte Weihnachtsstimmung auf. Dazu trugen auch die winterlich kalten Temperaturen in Deutschland, die vielen Kerzen in der Wohnung meiner Eltern und die Weihnachtsdekoration mit roten Weihnachtssternen, Räuchermännern, Nussknackern und Pyramide bei. Welcome home!

Am Heiligabend verfolgten wir den Gottesdienst im Fernsehen und gingen nicht wie üblich in die Johanneskirche in der Altstadt. Ausruhen und liegen war für mich immer noch angesagt sowie auch die Einnahme einer minimalen Dauermedikation. Doch ein Heiligabend ohne gemeinschaftliches Singen in der Kirche, ohne die klaren Stimmen eines Chores und ohne eingemummelt zu sein in dicke Wintersachen auf einem leicht beheizten Sitzplatz im Mittelschiff der Kirche war nicht zu vergleichen mit den vielen Jahren des traditionellen Feierns zuvor. Aber wir sassen nach zwei Jahren endlich wieder beisammen und das war einfach wunderbar!

Lotti kam am 1. Feiertag auch mit dem Zug zu meinen Eltern. Das sollte doch wohl den CO2 Fußabdruck der Familie ein wenig verbessert nach unseren 8-10 stündigen Flügen von und nach Kigali. Leider konnten Leo und Larissa nicht mitkommen. Leo war krank geworden und daher blieben beide in Berlin. In kleiner Runde fand die Whiskey Verkostung statt und jede/r wählte seine/ihre Lieblingssorte.

Merry Christmas!

Der Abschied kam leider wieder einmal schneller als erwarten. Bereits am 26.12. reisten wir wieder zurück nach Berlin, um am 27.12. hastig die letzten Einkäufe zu tätigen und am 28.12. gemeinsam mit Thomas Mutter zurück nach Kigali zu fliegen.

Silvester würden wir also bereits wieder in unserem zweiten Zuhause und in einer anderen Familiekonstellation feiern. Der Tisch im Rooftop-Restaurant eines Hotels war schon bestellt und die festliche Kleidung im Koffer verstaut.

Auf einen guten, gesunden und erlebnisreichen Start ins Jahr 2023!