Wir hatten im Namen von “Seeing Hands Rwanda” 19 Institutionen wegen Räumlichkeiten für das geplante IT-Training für blinde junge Männer und Frauen angefragt und alle hatten uns bisher abgesagt. Sehr diskret teilte man uns stets mit, man sei auf diese Zielgruppe nicht eingerichtet. Was das heissen sollte, wussten wir nur zu genau.
Daher waren wir sehr froh, dass durch persönliche Beziehungen im Freundes- und Bekanntenkreis von Beth der Kontakt zu Fidence und seinem Unternehmen “Park & Pick” zustande kam. Nach zähen Mietvertragsverhandlungen, in denen sich die Bedingungen immer mal wieder änderten (Internet, Anzahl der Räume, Mietzahlungen im Fall weiterer Lockdowns), waren wir uns einig geworden und mieteten ab April halbwegs geeignete Räume an. Endlich war es soweit!
Aufgrund der Gedenkwoche anlässlich des 27. Jahrestages des Genozids gegen die Tutsi (07.04.1994) und durch die Osterfeiertage konnten wir jedoch erst ab 16.04. tatsächlich die Räume beziehen und nutzen. Die Auftaktveranstaltung mit allen potentiell interessierten Teilnehmenden sollte am 15.04. stattfinden. Am 14.04. wurden diesbezüglich alle telefonisch von Beth darüber informiert und am 16.4. wollten wir offiziell mit dem Training beginnen.
Längerfristige Planungen sind im jetzigen Umfeld, in dem Umfang und mit der Qualität wie ich es aus meiner bisherigen beruflichen Tätigkeit kenne, nicht möglich. Daher ist die gesamt Organisation des Trainings nicht nur finanziell eine große Herausforderung für mich sondern ganz besonders die Detailplanung. Meine Anpassungsfähigkeit, Spontanität und Improvisationsfreude werden immer wieder aufs Neue auf eine harte Probe gestellt.
Unerwarteter Weise erschienen zur Auftakt- und Informationsveranstaltung 25 blinde Männer und Frauen. Innerhalb eines nicht kommunizierten Zeitfensters von 2 Stunden waren auch alle irgendwie pünktlich. Es hatte sich offensichtlich herumgesprochen, dass es die Möglichkeit eines finanzierten IT-Trainings geben würde. Die Aussicht auf ein regelmäßiges warmes Mittagessen sowie die Erstattung der Fahrtkosten waren wohl ebenfalls ein Pluspunkt und weckten das Interesse relativ Vieler.
Selbstverständlich hatten wir uns zu Corona-Schutzmassnahmen Gedanken gemacht, obwohl wir wesentlich weniger Interessenten erwartet hatten. Die Abstände der Stühle waren von uns entsprechend berücksichtigt worden. Doch mit blinden Menschen ist das Einhalten von Abständen fast aussichtslos, außer man stellt jedem einen Assistenten zur Seite. Da die Umwelt von ihnen taktil erfahren wird, ist auch ein “Verbot”, Dinge oder Personen in persönlichem Kontakt zu berühren, ausgeschlossen. Das anschließende regelmäßige Händewaschen wird fast zur Unmöglichkeit und nimmt enorm viel Zeit in Anspruch. Wir gaben jedoch unser Bestes. Mit Händedesinfektionsspray versuchten wir, so gut wie möglich die Hygienevorschriften annähernd einzuhalten. Das Leichteste war für uns, die Fester dauerhaft offen zu halten und intensiv zu lüften. Die Außentemperaturen lassen das uneingeschränkt zu. Auch das erstmalige Betreten der Räume nacheinander war einfach umzusetzen, da eine extra eingestellte Assistentin jeden Einzelnen zu seinem Platz führte. In den Pausen brach jedoch “Chaos” aus, denn dann steht und geht jeder der Teilnehmenden, wo er halt geht und steht. Wir versuchten zu intervenieren, sobald es zu engen Gruppenbildungen kam. Eine enorme Herausforderung!
Wir freuten uns trotzdem über das unerwartet große Interesse an einem halbjährigen IT Training, würden uns jedoch für 18 Teilnehmende entscheiden müssen, davon 9 IT-Anfänger und 9 IT-Fortgeschrittene. Wie diese Eingruppierung entschieden würde, war mir völlig schleierhaft. Callixte, der Trainer kannte zwar etliche der Interessenten persönlich aus der “Blinden-Community” aber die tatsächlichen IT-Fähigkeiten der Einzelnen konnte er nicht wirklich einschätzen. Mein Vorschlag, einen minimalen Aufnahmetest durchzuführen, wurde abgewählt. Zu aufwendig! Dann würde es anders gehen müssen. Auch über Evaluations- und Monitoring Maßnahmen hatten wir bisher nicht umfänglich gesprochen. Kurzberichte an die Amerikanische Botschaft zum allgemeinen Verlauf würden reichen müssen und waren üblich. Auch gut! Allerdings hatte ich über LinkedIn Kontakt mit einer Amerikanerin bekommen, die sich anbot, uns kostenlos mit Fragebögen zur Evaluation zu unterstützen. Mal sehen, was sich daraus entwickeln würde.
Die persönliche Registrierung jedes einzelnen Teilnehmenden mit Fingerabdruck als Ersatz für die Unterschrift dauerte zwei Stunden. Dazu musste erst einmal eine Anwesenheitsliste für die Anfänger- und eine für die Fortgeschrittenen-Klasse erstellt und diese ausgedruckt werden. Ich war mehrfach versucht, einzugreifen, um den Prozess zu beschleunigen und die erforderlichen 9 Namen einfach ganz schnell einzutragen. Doch ich hielt mich zurück. Mit dem Laptop vor sich auf einem Stuhl und mit Hilfestellung von Jeanette, der Assistentin, gab Callixte sein Bestes, die erforderlichen Listen möglichst schnell zu erstellen. Er musste zusätzlich der enormen Geräuschkulisse der sich lautstark unterhaltenden 25 Teilnehmer trotzen. Was für eine mega Leistung. Mir schwirrte dagegen schon lange der Kopf.
Auch in den nächsten Tagen würden wir weiterhin viel improvisieren müssen. Noch war nicht die komplette Ausstattung der Räume mit Tischen und Stühlen vorhanden. Auch Steckdosen gab es nur zwei. Wir würden jedoch mindestens 10 verschiedene technische Geräte anschließen müssen, also mussten noch Verlängerungskabel besorgt werden. Hoffentlich würde die Stromversorgung generell mitspielen.
In der Toilette gab es gerade kein Wasser, die Pumpe war spontan ausgefallen. Dafür existierte im Bad eine Stolperstufe, die jedesmal angesagt bzw. an die die Teilnehmenden erinnert werden mussten. Auch einen stabilen Internetzugang würde ich noch besorgen müssen. Das “Angebot” von Canalbox in Form eines Werbeflyers für monatlich 40 EUR mit 50 Mbps lag mir bereits vor. Der Router würde nochmals 40 EUR kosten und es würde 7 Tage dauern, bis alles installiert wäre. In der Zwischenzeit…? Keine Ahnung! Vermutlich unser privater mobiler Router. Aber die 80.000 RWF mussten wir schon in Voraus bezahlen. Wann dann der tatsächliche Anschluss zu erwarten war…??? Überraschung!
Trotz aller noch zu behebenden “Mängel” war es eine sehr gelungene Auftaktveranstaltung. Die Informationen zum Trainingsablauf waren sehr professionell zum Einen in englisch und zum Anderen in Kinyarwanda von Callixte vorgetragen worden. Außerdem hatte ich auch das Gefühl, dass sich alle ungemein darüber freuten, sich nun mal wieder regelmäßig zu treffen. Ein reger Austausch untereinander, herzliches Lachen und sogar gemeinsames Singen zeigten mir deutlich, dass es ganz wunderbar lief und sich alle wohlfühlen.
Ich wünsche mir sehr, dass auch das eigentliche Training so positiv verläuft und wir gute Schulungsergebnisse erzielen. Das Projekt werde ich nun weitere 6 Monate begleiten.