Gestern waren Thomas und ich an einem Punkt angekommen, an dem wir beide ernsthaft überlegt haben, ob das hier alles Sinn macht und nachhaltig sein wird. Immer mal wieder sind wir schon im Rahmen des Projektes an unsere Grenzen gekommen. Ein wesentlicher Punkt ist dabei die komplett andere Arbeitsweise. Vieles hat für uns den Anschein der Beliebigkeit. Es kommt, was kommt und es ist, was ist und wie es gerade ist. Eine Tätigkeit in einer bestimmten Art und Weise zu tun, damit das Ergebnis besonders gut genutzt werden kann oder damit ein gerade gekaufter Gegenstand besonders lange hält, ist nicht abgespeichert. Für das persönliche Stresslevel ist diese Herangehensweise ganz wunderbar. Stress hat hier niemand! Wirklich niemand!! Steht z. B. Farmarbeit an, kann ich halt nicht als Lehrer arbeiten und komme 3 Tage nicht zum Unterricht. Ist in meinem Dorf eine offizielle Zeremonie, bleibe ich auch zu Hause, kümmere mich um Gäste und um die Familie. Hat ein PC Fachmann gerade einen alten Computer repariert, wartet er geduldig darauf, dass dieser sich 50 Minuten lang updated. Das auch erforderliche WLAN Kabel schonmal zu verlegen, ist jetzt noch nicht dran (das ist übrigens ein aktuelles und kein Beispiel aus meinem bisherigen Arbeitsumfeld!!!). Alles schön nacheinander, parallel arbeiten geht nicht! Sehr weise, nur leider das komplette Gegenteil zu unserem Arbeitsansatz und zu unserem Arbeitsverständnis. Wir wollen und müssen uns anpassen.
Auch dass Verständnis für konkrete (komplexe) Sachverhalte ist anders ausgeprägt. Komplexität hat ein ganz anderes Ausmaß. Ich könnte z. B. nicht für 25 Personen mehrere warme Gerichte kochen und unterschiedliche Fladenbrote zubereiten. Dagegen ist es eine Herausforderung für die Lehrer, selbständig Arbeitsmittel (Papier, Schere, Locher, Kreide, Ordner) zu verwalten. Dafür gibt es Schulhelfer. Diese holen und bringen den ganzen Tag lang diese Dinge von einem Lehrer zum anderen.
Erschwerend für unser Projekt ist natürlich auch die sprachliche Verständigung. Aber das war ja vorauszusehen.
Diesen Tatsachen versuchen wir uns von Anfang an anzupassen. Wichtige Aufgaben, die von den Lehrern zu erfüllen sind, werden mehrfach und sehr kleinteilig erklärt. Es ist jedoch nicht unbedingt üblich, selbständig zu denken und Verständnisfragen zu stellen. So nicken bzw. schütteln alle Beteiligten bei gestellten Arbeitsaufgaben zustimmend den Kopf aber jeder macht dann das, was er denkt. Ein Beispiel…
Ich hatte gemeinsam mit Thomas für jede Klassenstufe eine Inventurliste in Excel für Unterrichtsmaterial angelegt. Die Struktur dafür, also die Überschriften der Spalten, hatten wir kurz mit dem „head of the teachers“ besprochen. Um die Nutzung möglichst einfach zu machen, bekam jeder Lehrer eine ausgedruckte Liste und sollte diese ausfüllen. Die Tabelle hatte ich in einer Projektrunde vorgestellt und erklärt. Sogar mit zwei Beispielen hatte ich versucht, alles deutlich darzustellen. Die Listen kamen zurück, jedoch waren das „Wunschlisten“, also was möchten wir für neues Unterrichtsmaterial haben. Um den Inhalt in der Tabelle wiederzufinden, den wir eigentlich gewollt hätten, hätten wir folgendes kommunizieren müssen:
- Liste zur Hand nehmen
- Einen Stift bereit legen
- Den Schrank im Klassenzimmer öffnen
- Erst alle Bücher zählen und in die Tabelle eintragen
- Dann überlegen, wo die Bücher aufbewahrt werden sollten (zentral/dezentral) und ein Kreuz in der Tabelle machen bei zentral oder dezentral
- Danach alle Anschauungsmaterialien zählen, die in dem Schrank sind und die Anzahl in die Liste eintragen
- Werden Unterrichtsmaterialien benötigt, die nicht vorhanden sind, diese auch in die Liste eintragen und vermerken, wieviel Stück davon gebraucht werden…
Gut, nun habe ich 12 Wunschlisten und werde damit auch etwas anstellen. Die Inventur wird jetzt praktischer:
- große Plastikkisten kaufen
- Datum für „Monsoonputz“ festlegen
- Arbeitsgruppen pro Klassenraum einteilen
- Alle Schränke ausräumen
- Nutzbares in Kisten verstauen
- Unbrauchbares auf dem Schulhof stapeln
- Liste erstellen, was wo aufbewahrt wird
Fertig!
Manche Skills sind halt weltweit einsetzbar. Internationales Projektmanagement muss jedoch in seiner Herangehensweise angepasst werden.
Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten. H.Domin
Zwei schritte vor , ein Schritt zurück …
manchmal wie in unserer Arbeit , das schaffst Du Sonja !
Hallo ihr Lieben, sehr pragmatisch. Wenn ihr zurück kommt seid ihr sicher deutlich relaxter bei Chaos in eurem Arbeitsumfeld 🙂 das kann manchmal auch hier sehr gut helfen!!
Ich hoffe ihr lasst euch nicht mürbe machen und zieht das Beste aus der Zeit in Indien raus, was ihr könnt. Ich habe das Gefühl, due Schule profitiert sehr von euch und auf eine andere Weise umgekehrt genauso.
Ich drück euch die Daumen 😡
LG von den Vieren
p.s.: Mein Liebling war heute der Klassiker mit dem WLAN Kabel 😉
Es fällt manchmal schwer, nicht arrogant abzuheben, aber es hilft, sich immer wieder klar zu machen, von welcher Entfernung die Leute kommen – insbesondere bezogen auf die Ausbildung. Dann wird man wieder etwas demütiger.