Sonntag morgen von 8:00 bis 9:30 Uhr hatte ich zum zweiten Mal seit dem Ausbruch von Corona und seit meiner Thrombosediagnose an einem Aerobic-Kurs im nachbarlichen Fitness-Studio teilgenommen. Verschwitzt und k.o. kam ich nach Hause. Wir frühstückten gemütlich, lasen noch ein wenig und am Nachmittag wollten wir unsere erste Radtour starten. Anfang September hatten wir unsere Fahrräder aus Berlin mit nach Kigali genommen, um flexibler im Alltag und mobiler am Wochenende zu sein.
Ein kleiner Sonntagsausflug sollte es werden aber wer uns kennt, weiss, dass wir nur sehr schwer ohne persönliche Grenzerfahrungen auskommen. 15:00 Uhr brachen wir auf. Dass es eine Geländetour werden würde, war uns klar. Das Umland von Kigali und rings herum um unser Dorf sind nunmal nur Berge und Täler. Also muss man entweder steil oder stetig bergan aber schließlich auch wieder steil oder stetig auf Holperstrecken bergab.
Die ersten 6 km fuhren sich im Gelände relativ entspannt. Wir Radelten an den uns schon bekannten Wetlands vorbei und entdeckten eine Art Brücke, gebaut aus Sandsäcken, aufgefüllt mit Steinen und Lehm, die mitten in die Wetlands hinein führte. Das mussten wir natürlich erkunden. Erneut tat sich eine bizarre Landschaft auf. Einerseits grünes, fruchtbares Marschland, auf dem Tomaten angebaut und gerade geerntet wurden und andererseits trockene, aufgerissene staubige Erde.
Waren wir auf unseren Wanderungen zu Fuß durch die Wetlands schon eine Seltenheit für das Auge der Einheimischen, so waren wir jetzt DIE Sensation. Bauern unterbrachen ihre Feldarbeit oder das Ziegelbrennen und starrten uns ungläubig hinterher. Die wenigen entgegenkommende Motorrad- und Fahrradfahrer hielten kurz an, um sich zu vergewissern, wohin denn die Muzungus wohl unterwegs waren. Und plötzlich standen wir unmittelbar vor ihm, dem Nyabarongo. Rwandas größter, 297 km langer Fluß und einer der Zuflüsse des Weißen Nils. Bisher hatten wir den mächtigen trüben Fluss nur von unseren Bergwanderungen im Tal dahin schlängeln sehen. Nun bemerkten wir die starke Strömung und die zahlreichen Strudel.
Weit ab von jedweder Zivilisation, einzelne kleine Lehmhütten waren nur am gegenüberliegenden Berghang sichtbar, konnten wir den Fluß hier mit den Fahrrädern leider nicht überqueren. Frauen saßen in bunter Kleidung in den Tomatenfeldern und schienen unsicher, was unser Erscheinen hier zu bedeuten hat. Am Ufer standen zwei schmale lange Holzboote, die vermutlich als Fähre genutzt wurden aber das war uns dann doch zu abenteuerlich. Dieses Wagnis würden wir auf einen anderen Tag verschieben aber auf alle Fälle ausprobieren. Also blieb uns nur, den Rückweg anzutreten. Plötzlich trat aus einer Lehmhütte am Ufer ein kleiner uniformierter Mann heraus, ein blaues Notizbuch unterm Arm und, man mag es kaum glauben, ein digitales Thermometer in der Hand. Coronabedingtes Temperaturmessen in der absoluten Einöde! Es war grotesk.
Auf Symptomfreiheit überprüft, machten wir uns auf den Rückweg. Da wir nur ungern den gleichen Weg noch einmal nehmen, bogen wir an der Brücke in eine andere Richtung ab, die uns allerdings von Kicukiro entfernte. Nach nur wenigen Metern ging es heftig und stetig bergauf. Ein kurzer Versuch. Keine Chance! Ich musste absteigen und das Rad schieben. Thomas kapitulierte nach nur wenigen Metern ebenfalls. Verschwitzt und krebsrot kamen wir auf der Höhe in einem Bergdorf an und zur Belustigung der Dorfbewohner schoben wir unsere Räder eine gefühlte Ewigkeit an den verwundert dreinschauenden Dorfbewohnern vorbei. Warum schieben die Muzungus ihre Hightech-Räder und fahren nicht einfach? Das wird die Frage des Jahrhunderts gewesen sein. Egal, auch diese Peinlichkeit haben wir überstanden. Leider endete der Weg nach einer Stunde auf einem Kamm vor einem Steinbruch und wir kamen leider nicht auf “unseren” Bergrücken und zu unserem Dorf. Nur in der Ferne sahen wir bereits ganz klein unser Haus, unsere Kirche und sogar unser Fitness-Studio. Fuck! Also zurück und einen anderen Weg suchen. Das Navigationsgerät zeigte schon lange keine Wege mehr an. Hier waren offensichtlich ja auch keine. 17:30 Uhr begann die Dämmerung und wir waren immer noch unterwegs. Unterdessen hatten wir jedoch DIE neugebaute Hauptstraße nach Kigali erreicht und radelten “todesmutig” neben dahin donnernden Lastwagen, hupenden Motorrädern, wild überholenden und ständig blinkenden PKWs sowie anderen Radfahrern weiterhin leicht bergan. Spuren waren auf dieser neuen Asphaltstraße noch nicht eingezeichnet aber hoffentlich irgendwann doch geplant. Mit zitternden Beinen und schmerzendem Nacken kamen wir noch vor der Dunkelheit gegen 18:00 Uhr zu Hause an.
Da hatten wir es doch mal wieder übertrieben und unseren Bewegungsmangel unter der Woche in nur drei Stunden am Sonntag mehr als ausgeglichen. Trotzdem werden wir wohl weiter radeln und hoffen, unseren schlechten Trainingszustand damit auch ein wenig zu verbessern.