Regenwald kommt von Regen

Am Wochenende waren wir im größten, ältesten und am besten erhaltenen Regenwald Ost- und Zentralafrikas, im Nyungwe Nationalpark. Über 1000 km² erstreckt sich die Fläche des dschungelartigen Waldes mit 300 Vogel- und mehr als 1000 Pflanzenarten. Als Besonderheit kann man 2 Schimpansen-Horden von jeweils 5 und 8 Tieren beobachten. Dazu müsste man allerdings 4:30 Uhr zu einer Tageswanderung aufbrechen. Diese wird jedoch von Teilnehmenden als sehr anstrengend beschrieben, da sich die Schimpansen sehr schnell und sehr viel bewegen. Man kommt also nur schwer hinterher oder mit ihnen mit. Deshalb und auch aufgrund der Regenzeit hatten wir uns gegen den Schimpansen-Trail entschiedenen. Genau die richtige Entscheidung! Es begann in der Nacht von Freitag auf Samstag zu regnen und zu stürmen. Selten habe ich diese Intensität erlebt, aber so stellte ich mir die Monsunzeit in Afrika vor. Daher war das Wetter auch am Samstag eigentlich mehr als ungünstig für irgendeine Wanderung. Trotzdem brachen wir 9:00 Uhr auf und erreichten 9:40 Uhr den offiziellen Eingang des Nationalparks.

Am Abend hatte uns Thomas bereits „eingecheckt“ und wir hatten uns für eine Tages-Rundtour durch den Dschungel entschieden. Außerdem hatten wir gehofft, so die lange Wartezeit am Eingang mit allen Touristen verkürzen zu können. Jede Tour im Nationalpark findet in Begleitung eines Rangers statt. Außer uns waren zu dieser frühen Stunde am Samstag nur noch zwei weitere Personen angekommen, es sollte also alles reibungslos laufen. Von der Ranger-Security wurde uns erst einmal mitgeteilt, dass wir unseren ausgesuchten Trail nicht machen könnten. Wir seinen 40 Minuten zu spät, er hätte 9:00 Uhr begonnen! Hä? Wie jetzt? In Rwanda geht kein Ereignis, keine Veranstaltung, keine gebuchte Tour je pünktlich los und ausgerechnet jetzt waren WIR zu spät? Das war doch wohl der Witz des Tages! Es hatte die letzten Stunden nicht nur geregnet, sondern geschüttet, der Nebel war noch nicht aufgezogen und mit Sicherheit war keine einzige Trecking-Gruppe an diesem Tag bereits mit einem Guide gestartet. Wir versuchten es mit „…oh, wir sind von Rwandischer Zeit ausgegangen, also nicht exakt von 9:00 Uhr und 40 Minuten sind doch nicht viel!“ Das kam leider nicht so gut an. Finstere Blicke der in Armee-Tarnklamotten regenfest eingekleideten Ranger. Wir erklärten, dass wir ja immerhin schon „eingecheckt“ seine und es daher keine lange Bearbeitungszeit mehr geben würde. Wir seien auch schon 5 Personen und könnten somit verspätet mit der Tagestour beginnen. Doch das Argument brachte nur noch mehr Verärgerung. Wir würden nicht verstehen, dass man sich hier an einen exakten Zeitplan halten müsse. Die Tourenguides müssten für nachfolgende Touren zurück sein, um andere Touristen zu begleiten. Aber wieso denn??!! Um uns herum standen mindestens 5 wartende Ranger. Wir verstanden die Welt nicht mehr. Uns wurde angeboten, eine 2-Stunden Tour zu machen, die allerdings erst 11:00 Uhr beginnen würde. Das bedeutete jedoch, eine weitere Stunde zu warten. Unterdessen waren wir mit dem außer uns noch anwesenden Paar ins Gespräch gekommen und wollten gemeinsam den Kompromiss eingehen und diese 2-Stunden-Tour machen. Daher schlugen wir vor, zu fünft bereits 10:00 Uhr starten zu wollen, so sei unser begleitender Ranger zeitig genug für eine Folgetour zurück. Aber auch das wurde nicht positiv aufgenommen. Der Tonfall des Haupt-Rangers wurde härter und lauter. Schließlich müssten vorher noch die Formalitäten für alle (anderen) Touristen erledigt und der Eintritt kassiert werden. Man würde pünktlich 11:00 Uhr starten und sehen, wie viele Touristen noch kommen würden!
Uns war unterdessen die Lust vergangen. Es war kalt (in 2300 Meter Höhe) und es regnete. Wir hatten pro Person 60 (bzw. 20 Dollar Studententarif) bezahlt und wollten dafür eigentlich einen längeren Trail machen und nicht nur für 2 Stunden im Wald herumspazieren! Es half alles nichts. Wir schimpften und ärgerten uns über die aberwitzige Situation und konnten doch gar nichts ändern. Eine Tagestour würde für uns nicht mehr möglich sein. Nach langem Hin und Her kam die Idee auf, an die erste Tour eine zweite anzuschließen, die lt. Plan dann 13 Uhr beginnen sollte. Das würde jedoch voraussetzen, dass wir pünktlich mit unserer ersten Tour starten würden. Aber der pünktliche Beginn wurde uns ja klar und deutlich vom Ranger verkündet!
Allerdings hatten wir nicht mit den Hürden der Formalitäten gerechnet. Lottis Online-Eintrittsanmeldung war nicht gültig, da sie zwar einen internationalen Studentenausweis hatte aber keine rwandische Studentin war. Dazu müsse man jetzt erst einmal mit dem Hauptquartier der Ranger Rücksprache halten. Eine ausgleichende Zuzahlung vor Ort sei leider nicht möglich. Na großartig! Heute war definitiv nicht unser Tag! Auch die vor Ort Anmeldung der anderen zwei Touristen lief aufgrund der VISA-Karten-Zahlung und der hochzuladenden Einreisevisa nicht glatt durch. Es dauerte und dauerte und dauerte…, die Zeit verging und wir näherten uns der Startzeit unserer 11:00 Uhr-Tour. Was für ein Desaster! Nun hatten wir endlich eine coole Möglichkeit gefunden, länger unterwegs zu sein, und nun durchkreuzten die Anmeldeformalitäten unseren ausgetüftelten Plan. Entnervt bestellten wir uns einen Kaffee, ergaben uns unserem Schicksal und WARTETEN.

11:20 Uhr wurde uns mitgeteilt, dass ein Vertreter des Ranger Hauptquartieres vor Ort im Nationalpark erscheinen würde, um unser Eintrittsproblem zu klären. Unterdessen könnten wir ja trotzdem schon die Tour beginnen. Wenn wir zurück seien, sei auch das Thema geklärt. Was für eine glückliche Wendung! Uns wurde ein junger Ranger zugeteilt mit dem wir nun „durch den Dschungel rennen“ wollten, um auch rechtzeitig die zweite Tour zu erreichen. Er verstand den Spaß und los ging es in zügigen Schritten trotz rostroten Schlammes und durch das dichte Blätterdach des Waldes strömenden Regens. Ein erneutes (ungewolltes) Abenteuer!

Ab diesem Zeitpunkt lief alles wunderbar. Unsere kleine Gruppe verstand sich prima, wir waren alle auf einem ähnlichen Belastungslevel und so hatten wir viel Spaß. Durchgeweicht bis auf die Knochen aber auch dankbar für kurze sonnige Ausblicke kamen wir nach 2 Stunden pünktlich zur zweiten Tour an. Auch diese absolvierten wir in der gleichen Konstellation und waren am Ende des Tage mit unter den letzten auscheckenden Touristen des Nationalparks.

Sehr zufrieden und dankbar für die schönen Naturerlebnisse im Nyungwe Regenwald verabschiedeten wir uns händeschüttelnd von den Rangern. Auch sie waren mit Blick auf den bevorstehenden Feierabend entspannter und besser gelaunt. Wir bedankten uns höflich für die „unkomplizierte Bearbeitung unseres Problems“ und versprachen, wiederzukommen. Was Thomas und ich bestimmt auch planen werden! Immerhin gibt es noch einen Tagestrail. Nun wissen wir aber wenigstens schon woher der Name Regenwald kommt. Klar, vom REGEN!

Ahnungslos

Thomas hat eine taffe Kollegin, Solange. Sie ist clever, nimmt die vielen inhaltlichen und methodischen Anregungen von Thomas sehr gern an und möchte sich mit seiner Hilfe beruflich weiterentwickeln. Als sie nun hörte, Ehefrau und Tochter sind auch in Kigali angekommen, wollte sie uns gern kennenlernen. So bekamen wir als Familie eine Einladung von ihr und ihrem Mann zum Abendessen im „ZEN“, einem orientalisch-asiatischen Restaurant. 19:00 Uhr wollten wir uns dort treffen.
Am frühen Nachmittag fuhren wir erst einmal mit dem Auto in die City. Etliche Dinge mussten noch eingekauft werden und wir wollten Lotti unsere „Lieblingsläden“ zeigen. Ich fuhr, da Samstag wenig Verkehr in der Stadt zu erwarten war und parkte auf einem extra großen, kostenpflichtigen Parkplatz eines Einkaufzentrums. Hier hatte ich eine Chance, das Einparken mit dem alten Land Rover zu bewältigen und ohne die Fallstricke einer Tiefgarage rein- und rausfahren zu können.
Der Einkauf bei T 2000, dem chinesischen Billiggroßeinkaufsmarkt, dauerte länger als erwartet. Das liegt an den Abläufen, die man dort einhalten muss: Taschenkontrolle vor dem Betreten des Marktes, gefolgt vom Einschließen aller Taschen und Beutel in einem Safe am Eingang der Einkaufsetagen, Wartschlangen an den Kassen und überforderte Kassierer, die die Preise nicht einscannen können, da die Technik nicht funktioniert. Am Ende des gerade überstandenen Kassierens erfolgt dann noch die Überprüfung des Kassenzettels mit den im Korb liegenden Waren durch die Security und zwar Stück für Stück (ein Kleiderbügel, zwei Kleiderbügel,… es ist für uns jedesmal ein Meditationsauftrag). Erst danach kann man seine Taschen wieder abholen, alles einpacken und aufbrechen. Zu unserem Bedauern wird von den Angestellten alles ganz selbstverständlich mit der notwendigen Ruhe und Sorgfalt ausgeführt. Die kostbare Zeit rennt davon, wobei man nur ein paar Dinge eingekauft hat. Unsere Geduld war überstrapaziert und wir daher beim Verlasse des Einkaufsmarktes alle etwas genervt und angespannt. Die gekauften Sachen luden wir aus unserem vollen Einkaufswagen ins Auto und wollten gerade starten…doch das Auto sprang nicht an. Hatte ich was falsch gemacht? Batterie? Zündung?
Beschämte Blicke, nur das Benzin war alle! So musste Thomas zu Fuß 10 Minuten zur nächstgelegenen Tankstelle laufen und einen kleinen Plastikkanister füllen lassen. Lotti und ich tranken unterdessen einen frisch gepressten Saft in einem Café, welches gleich neben der Parkplatzausfahrt lag und warteten. Das lernt man hier in Rwanda, totsicher!
Anschließend fuhren wir zu „Kigali Hights“, einem sehr noblen und schicken Einkaufsparadies für Kigalis Großverdiener und Expat-Territorium. In unseren Wochenend-Wohlfühl-Sachen entsprachen wir nicht ganz dem Anblick der sich dort tummelnden Mehrheit. Trotzdem bereitete uns der Einkauf in einem Sportladen viel Freude, da wir u. a. für Lotti gute Funktionssachen bekamen.
Unterdessen war es bereits 18 Uhr und wir überlegten, gleich von hier aus in das Restaurant zu fahren, entschieden uns jedoch dagegen. Also fuhren wir noch einmal 20 Minuten zurück nach Hause, um uns umzuziehen und die „Abendgarderobe“ anzulegen. Schließlich war Wochenende und wir waren zum Essen verabredet. Zeitlich würde das alles mega knapp werden, doch afrikanische und deutsche Zeit passen ohnhin nicht zueinander. Mit leichter Verspätung kamen wir im „ZEN“ an. Solange und ihr Mann Jacob saßen bereits am Tisch. Ein tolles überdachtes Gartenrestaurant mit sehr schön eingedeckten Tischen, ein sehr schönes Ambiente (www.zenkigali.com).

Nach sehr herzlicher Begrüßung begann sofort ein lockeres offenes und lustiges Gespräch. Wir erfuhren, dass an diesem Tag Solange Geburtstag war. Wir hatten keine Ahnung gehabt und waren daher ohne Geschenk aber wenigstens noch in ordentlichem Outfit aufgetaucht. Erleichterung! Wir sangen „Happy Birthday“ und selbstverständlich auch noch „Weil heute dein Geburtstag ist.“ Damit unterhielten wir das gesamte Lokal und sorgten für Begeisterung bei allen Anwesenden, einschließlich dem Geburtstagskind. Sehr gut!
Es wurden Getränke bestellt und ein Blick in die Speisekarte geworfen. Man würde mit der Bestellung noch etwas warten wollen, wenn es uns auch Recht sei. So zeitig esse man in Ruanda nicht, erklärte uns Jacob. Obwohl wir richtig hungrig waren, schließlich hatten wir durch unseren Einkaufsmarathon keine Mittagspause gehabt, stimmten wir selbstverständlich zu. Eine weitere Stunde verging mit kurzen fachlichen Gesprächen der Männer und vielen lustigen Kindheits- und Familienanekdoten aus Tansania, wo Jacob und Solange aufgewachsen waren.

Plötzlich erklang „Happy Birthday“ in Kinyarwanda und der Kellner kam mit einer kerzenbestückten Torte an unseren Tisch. Ihm folgte jedoch eine weitere Person und dann noch eine und noch eine…es wurden immer mehr Personen und schließlich realisierte Solange, dass ihre gesamte Familie als Überraschungsgäste mit ihren beiden kleinen Kindern (3 und 5 Jahre) angereist war, um mit ihr zu feiern.

Das Erstaunen und die Freude waren auf allen Seiten groß und Jacob platze fast vor Freude und Stolz über seine gelungene Überraschung, die er gemeinsam mit einer Schwester von Solange organisiert hatte. Nun wurden Tische und Stühle gerückt, Getränke schnell geordert, eine Vorstellungsrunde durchlaufen, Umarmungen folgten, Tränen flossen und wir sahen uns plötzlich in einer großen traditionellen Familienfeier eingebunden. Reden wurden gehalten, Geschenke übergeben, gesungen, erzählt und dabei nun auch ausgiebig gegessen. Es war wunderbar! Alle zeigten sich uns gegenüber so offen und herzlich, als gehörten wir ganz
selbstverständlich mit zur Familie und das schon seit Jahren. Alle bemühten sich, ausschließlich englisch zu sprechen, damit auch wir teilhaben konnten. Die Schwiegereltern waren glücklich über unsere Anwesenheit und fühlten sich, wie wir übrigens auch, sehr geehrt. Thomas bekam in einer Ansprache durch das Geburtstagskind die wohl positivste Rückmeldung zu seinen beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften, die man sich nur denken kann. Ich war so stolz auf meinen Mann. In dieser Runde als kleine Familie dabei zu sein, machte auch mich glücklich.

Inklusion in Ruanda

„Bridging the disability digital divide“! Was für ein Titel! Übersetzen kann ich den nicht genau aber ich weiß, was damit gemeint ist und das reicht für den Anfang. Es ist ein hoch gestecktes Ziel, die Behinderung und digitale Spaltung überwinden zu wollen, besonders für ein sich entwickelndes Land wie Ruanda. Das Ministerium für Jugend und die „Ruanda Information Society Authority“ (RISA, dort arbeitet Thomas) hatten sich überlegt, eine Konferenz zum Thema Inklusion zu organisieren.

Diese war als Auftaktveranstaltung für Technikfreaks und „Erfinder“ gedacht, die nachfolgend an einem „Hackaton“ teilnehmen würden. Im Ergebnis sollten junge technikaffine Ruandaer die gewonnenen Hintergrundinformationen zu Behinderung und Inklusion in technische Lösungen umsetzen. Eine wunderbare Idee! Ich war begeistert. Über Thomas trat ich mit der Organisatorin, Sylvie in Kontakt. Seit Mai hatte sie mit einem kleinen Team von RISA am Konzept, der Umsetzung sowie der Organisation gefeilt. Nun sollte am 12.09. die Auftaktveranstaltung stattfinden und ich war als Referentin angefragt worden. Genauere Hintergrundinformationen zum Ort der Veranstaltung, den Teilnehmenden, der Zeit und den Inhalten hatte ich nicht. Diese würden noch kommen, versicherte mir Thomas, nur mit etwas weniger Vorlaufzeit. Am 11.09. kam dann auf Nachfrage erst einmal die Information, dass alles auf den 13.09. verschoben worden sei, da man keine geeignete Lokalität für ca. 80 bis 100 Personen gefunden habe. Den geplanten Tagesablauf erhielt ich doch tatsächlich schon am 12.09. durch Weiterleitung einer WhatsApp um 22:49 Uhr. Daraus war dann ersichtlich, dass der Beginn der Verastaltung am nächsten Tag mit der Anmeldung der Teilnehmenden für 8:00 Uhr angesetzt war. 8:30 Uhr sollte die offizielle Begrüßung durch die CIO (Chief Information Officer) von RISA erfolgen. Anschließend standen drei Fachvorträge auf dem Plan:

8:40 bis 9:00 Uhr
„Die Entstehungsbemühungen um Inklusion in Ruanda und deren
Herausforderungen“ (Referent: Chef der Nationalen Organisation für Menschen mit Behinderungen = NCPD)

9:00 bis 9:25 Uhr
„Die Digitalisierungsbemühungen der Regierung in Ruanda: aktuelle Entwicklungen“ (Referent: Bereichsleiter Digitalisierung, RISA)

9:25 bis 9:50 Uhr
„Globale Trends und Hilfsmittel im Rahmen der staatlichen
Inklusionsbemühungen“ (Referent: Dekan der Universität Ruanda, Department Inklusion)

Nach einer Frühstückspause sollte ab 10:30 Uhr dann ein Workshop mit den Teilnehmer*innen starten. Inhaltlich wünschten sich die Veranstalter lebendige Kleingruppenarbeit, doch konkrete Vorstellungen gab es noch nicht. Klar war lediglich, dass es vor der Mittagspause um Herausforderungen bezogen auf Inklusion und danach um erste Lösungsansätze gehen sollte. Weiterhin stand in der WhatsApp Nachricht, man erhoffe sich einen inhaltlichen Input von mir zur Ausgestaltung des Workshops. Diesen Input wolle man gern am Vormittag der eigentlichen Veranstaltung, also am 13.09. direkt in die Planung einfließen lassen. Ich war entsetzt! Ein Veranstaltungskonzept in dieser Größenordnung und mit einer Vorlaufzeit von vier Monaten mit diesen konkreten organisatorischen Ergebnissen vorliegen zu haben, fand ich desaströs. Welchen Input sollte ich denn so spontan geben und wie sollte dann die praktische Umsetzung so kurzfristig organisiert werden? Ich hatte gar keine Lust auf so ein Chaos, war aber neugierig, wie alles laufen würde. Außerdem wollte ich die speziellen Informationen zu diesem internationalen und aktuellen Thema auf keinen Fall verpassen.
Also habe ich am Abend vor der Veranstaltung doch noch einmal intensiver nachgedacht, Erfahrungen herausgekramt, Möglichkeiten der praktischen Umsetzung geprüft und nach 1 Stunden hatte ich ein mögliches „Kurzkonzept“ für den Workshop als open-space mit vier Gruppen zu unterschiedlichen Themen und einem 15-minütigen Warmup skizziert. Wir bräuchten lediglich vier Moderator*innen und vier Flipcharts. Ob das so ankommen und auch passen würde? Ich war mega gespannt.

Am nächsten Morgen fuhren Lotti und ich gleich 7:30 Uhr mit Thomas im Auto in die Innenstadt, da der Veranstaltungsort in der Nähe seines Büros lag. Wir wurden sehr herzlich von Sylvie begrüßt und bekamen auch umgehend Dr. Said vorgestellt, der für den Workshop-Teil zuständig war. Wie wir uns das denn nun denken würden, wurden wir sofort gefragt. Totales Erstaunen unsererseits! Es gab gar keine Vorstellungen von den Organisatoren, nicht ansatzweise. Also unsere Ideen in die bestehende Planung integrieren, war die Übertreibung des Jahrhunderts. Man hatte sich zur Ausgestaltung des Workshops ausschließlich auf unseren Input verlassen und so wurden selbstverständlich meine Ideen dankbar angenommen.
Dr. Said würde noch zwei weitere Moderatoren und die vier Flipcharts organisieren. Moment mal, wieso eigentlich nur zwei weitere Moderatoren? Er wolle moderieren und ich solle auch eine Gruppe übernehmen, war seine Antwort. Na das wurde ja immer besser. Ich hatte es befürchtet! Gott sei Dank hatte ich Lotti an meiner Seite. Gemeinsam stellten wir die vier Themenblöcke zusammen, bereiteten die Fragen für das Warmup vor und schrieben diese auf einen Zettel und erklärten allen Beteiligten den Ansatz des Workshops.
Gegen 9:00 Uhr kam dann auch endlich Innocent, ein weiteres Mitglied des Organisationsteams. Er sollte eines der drei Einstiegsreferate halten und auch eine Gruppe moderieren, hatte von unserem korrigierten Tagesablauf noch gar nichts gehört und schien aber jede Zeit der Welt zu haben. Ich war am Durchdrehen, denn noch immer fehlten Flipcharts und ein weiterer Moderator.
Unteressen waren wir mit über einer Stunde im Zeitverzug, als endlich die CIO von RISA auftauchte und mit der offiziellen Begrüßung die
Veranstaltung eröffnete. Auch einzelne Teilnehmer kamen mit mehr als einer Stunde Verspätung erst an. Das sei immer so, versicherte uns eine neben Lotti sitzende junge Frau. Die Fachvorträge folgten, jedoch nicht in der geplanten Zeitspanne von jeweils 20-25 Minuten. Jeder der Referenten überzog die Redezeit, dankbar darüber, sein Thema endlich auch einmal umfassend an offensichtlich interessierte Teilnehmende herantragen zu können. Während des letzten Vortages stellten wir fest, dass dieser genau die Inhalte abbildete, die wir im Workshop gemeinsam mit den Teilnehmenden erarbeiten wollten. So ein verdammter Mist! Konzept hinüber und die Zeit lief uns davon. Dr. Said war jedoch weiterhin entspannt und wir entschieden nach kurzem Zögern, die geplanten Inhalte trotzdem in den vier Workshopgruppen erarbeiten zu lassen und damit zu vertiefen.
Es ging erstmal in eine 15-minütige Kaffeepause. Auf die Mittagspause würden wir allerdings verzichten müssen, da am Freitag gegen 14 Uhr alle auf den Feierabendmodus umschalten würden und wir ohnehin im Zeitverzug waren. Somit startete der open-space Workshop nicht erst nach dem Mittagessen, sondern bereits nach der Kaffeekurzpause.
Die Erarbeitung von Herausforderungen durch Inklusion in den Bereichen Gesellschaft, Bildung, Arbeit und Wohnen lief ganz wunderbar. Ich
moderierte, wie sollte es auch anders sein, den Bereich Wohnen. Alle der tatsächlich anwesenden 50 Teilnehmenden waren motiviert, offen und sehr kommunikativ. Sie berichteten Erstaunliches. Selbst in der Hauptstadt werden behinderte Menschen von und in ihren Familien noch versteckt, sie dürfen nicht in die Öffentlichkeit. Die Familie schämt sich ihrer und empfindet die Behinderung als Fluch und Strafe. Kenntnisse über unterschiedliche Behinderungen gibt es (fast) nicht und Menschen mit kognitiven Einschränkungen werden in allen Diskussionen noch gar nicht berücksichtig. Bildung ist somit für viele behinderte Menschen nicht selbstverständlich und eine (Früh)Förderung schon gar nicht. An Arbeitsmöglichkeiten und an ein selbständiges Leben ist in den nächsten Jahren kaum zu denken! Wie verbindet sich das jedoch nun alles mit dem hohen Anspruch des Themas der Konferenz? Man möchte, durch die Regierung unterstützt, bereits Digitalisieren und hat doch noch nicht einmal die Basis geschaffen. Auch gibt es kein Standardsystem zur Diagnostik oder zur Erfassung eines Hilfebedarfes. Von personenzentrierter Assistenz kann auch keine Rede sein. Ehrlich gesagt, hatte ich das auch alles irgendwie so erwartet und trotzdem war ich von dem Thema der Konferenz so beeindruckt bzw. auch kurzzeitig verunsichert. Vielleicht war ja die Entwicklung in Ruanda doch weiter als erwartet und ich hatte meine Vorurteile wieder zu früh ausgepackt?! Auf Nachfrage konnten mir allerdings auch die Verantwortlichen diese Diskrepanz nicht erklären.
Lotti notierte alle Informationen auf dem Flipchart und ich versuchte die Diskussion rund ums Wohnen in geordneten Bahnen und inhaltlich am Laufen zu halten. Abschließend priorisierten wir drei Herausforderungen im Bereich Wohnen aus allen genannten Inhalten. Und schon wurde ich zur Abschlusspräsentation gebeten.

Uff! Nun auch noch die richtigen englischen Worte finden, um eine Stunde inhaltlicher Arbeit zusammenzufassen und die tatsächlich schwierigen Themen sensibel benennen. Lief aber auch ganz gut und alle waren am Ende zufrieden. Es sei ein toller Workshop gewesen: aktivierend, informativ und mit dem gewünschten Ergebnis, ohne die üblichen langweiligen Powerpoint-Präsentationen, über denen immer alle Teilnehmenden einschliefen. Das war der dankbare Abschlußkommentar von Dr. Said und Sylvie. Was konnte man mehr erreichen?

Der Specht kommt zurück

Nach unserem Urlaub erwartet uns eine schöne Überraschung: „Woodpecker“ wird unsere zweite kleine Möbelbestellung am Samstag 17:00 Uhr liefern. So hatten wir es vor unserem Urlaub verabredet. Dunkel erinnern wir uns noch an die versprochene Lieferfrist bei Vertragsabschluss von 4 Tagen. Unterdessen sind mehr als zwei Wochen vergangen aber wir freuen uns sehr darauf, unsere doch recht großen Räume nun etwas wohnlicher und gemütlich gestalten zu können.
17:00 Uhr kommt dann die fast schon erwartete SMS mit der Information: „Wahrscheinlich kommen wir erst gegen 18:30 Uhr!“ Als auch dieser Zeitpunkt schon wieder überschritten ist, klingelt Thomas Telefon und Ahmet, der indische „Woodpecker“ verkündet: „Heute schaffe ich es nicht mehr, stehe noch im Stau. Wie wäre es morgen Vormittag?“ Thomas wird etwas sauer und dabei ziemlich deutlich in der Kommunikation. „Heute werden wenigstens noch die Möbelteile geliefert und die Korrekturarbeiten an den Stühlen und am Tisch erfolgen in der kommenden Woche!“ Ende der Durchsage!
19:30 Uhr öffnet dann endlich unsere Security das Tor und aus einem Kleintransporter werden unser Sideboard und 3 kleine Wandregale ausgeladen. Doch… die Rollen am Sideboard bewegen sich nicht, man kann es also nicht verschieben (und das, obwohl alles konkret bei der Bestellung besprochen wurde). Die drei Regalteile haben auch nicht die verabredeten Maße. Ein quadratisches Regal, ein kurzes und ein längeres rechteckiges Regal sollten gebaut werden. Letzteres fehlt, dafür gibt es zwei kleine rechteckige Regale. Es ist zum Haare raufen. Wieso braucht alles mindestens drei oder mehr Anläufe? Ohne eine gewisse Langmut und Fehlerakzeptanz wird man hier nicht glücklich.
Egal! Unterdessen ist auch Ahmed die Situation äußerst unangenehm und er bietet an, kostenlos das fehlende Regal in der kommenden Woche zu den Korrekturarbeiten an Tisch und Stühlen mitzubringen. Ich glaube ja noch nicht daran aber „Wunder gibt es immer wieder!“

Wir beginnen umgehend mit dem Aufstellen der gelieferten Teile und hängen erste gerahmte Foto auf.

Auch in der Stadt haben wir unterdessen kleine Läden ausfindig gemacht, die einheimische soziale Projekte unterstützen, in denen aus Natur- und Recycelingmaterialien tolle dekorative Sachen hergestellt werden. Die kleinen überall bekannten runden Tomatenmarkdosen werden lustig bunt
angestrichen und mit Kerzenwachs gefüllt. Bienenwachskerzen gibt es in allen Formen und Grössen, Tropfenmörmige leuchtfarbene Vogelhäuser aus Holz oder Bambus sind der absolute Eyecetcher im Garten, ebenso die buntgemusterten Decken, Kissen und Untersetzer.
Doch wir wollen den Afrika-Look nicht überstrapazieren und begnügen uns erst einmal mit einfacher holzfarbener Dekoration aus Bilderrahmen, Kerzenständern und Körben. Was für ein Unterschied. Wir fühlen uns wohl und hoffen, dass es auch Lotti gut gefällt. Sie kommt uns ab 10.09. für sechs Wochen besuchen. Wir freuen uns sehr und wollen daher nicht nur für uns ein schönes zweites zu Hause schaffen.

Ohne Kerzen kann ich den Laden in der Innenstadt jedoch auf keinen Fall verlassen und ein Wiederkommen ist ganz sicher!

Hitzestau: 5. Etappe nach Bumba

Unsere geplante vorletzte Tageswandertour beginnen wir etwas unausgeschlafen. Die Nacht haben wir in Musaza in einer „Zelle“ mit einem schmalen Bett verbracht. Als Waschmöglichkeit gibt es in einer Niesche im Hof zwei große Wasserfässer mit Schöpfeimer. Die Steinlochtoilette (Stehvariante) befindet sich hinter einem Bretterverschlag von ungefähr 1 Meter x  2 Meter. Ab ca. 19 Uhr gibt es kein Licht mehr, was die weitere Nutzung der Sanitäranlagen unmöglich macht.

Zum Frühstück bekommen wir jedoch leckere Pancakes, Obst und lokalen Kaffee. Man kann halt nicht alles haben.

Noch ahnen wir nicht, was für ein Weg uns auf unserer vorletzten Etappe bevorsteht. Landschaftlich sehr schön mit Blick über den See und auf zahlreiche kleine Inseln geht es anfangs gemäßigt bergauf. Später müssen wir jedoch einen 550 Meter Anstieg bis auf ca. 2100 Meter Höhe zu dem Bergdorf „Bumba“ bewältigen. So hatten wir uns das nicht vorgestellt. Mitleidige Blicke bekommen wir von den Einheimischen am Wegrand, die während der Mittagszeit entspannt in den Hauseingängen ihrer Hütten sitzen, Bananenbier trinken und es uns auch gern anbieten. Dankend lehnen wir ab und kämpfen uns mit hochrotem Kopf und Wasserflasche in der Hand den staubigen Weg weiter bergauf. Hinter jeder Ecke hoffen wir, das Ende des Anstieges zu sehen aber es folgt noch eine Kurve und noch eine…. Irgendwoher kenne ich das doch. Ja, genau! Aus Kindertagen. Die Wanderung zur Elbquelle mit meinen Eltern. Unvergessen! Aber anscheinend hat bereits diese Wandererfahrung meinen Durchhaltewillen gestärkt.

Oben am Basecamp angekommen, stellen wir fest, dass die letzte Etappe nach Kibuye nur noch entlang einer befahrenen Straße verläuft. Darauf haben wir dann gar keine  Lust mehr und verzichteten auf die letzte Etappe. In „Bumba“ warten wir auf den Überlandbus, müssen einmal umsteigen und fahren gleich zurück nach Kigali. Der Bus ist vollständig ausgebucht, wir bekommen die letzten beiden Plätze und sitzen für 4 Stunden auf niedrigen Klappsitzen im Gang hinter dem Fahrer. Das Gepäck der Mitreisenden vor, hinter und zwischen uns. Eine kleine Herausforderung für die ohnehin schon beanspruchten Knie.

So geht eine wunderschöne Urlaubswoche zu Ende. Die körperliche Anstrengung schätzen wir in der jeweiligen Situation nicht so sehr. Liegt sie jedoch hinter uns, sind wir froh und stolz, es geschafft zu haben. Auch ist es für Thomas immer wieder erstaunlich, wie viel Grummeln, Grollen und Schimpfen meinerseits möglich ist, aber er lässt sich davon nicht aus der Ruhe und vom Weg bringen.