Während unseres Aufenthaltes in Berlin habe ich remote das IT-Trainingsprogramm für die blinden Student*innen in Kigali weiter betreut. Wöchentlich telefonierte ich mit Callixte, dem Trainer und liess mich über den aktuellen Stand der Wissensvermittlung, der Essensversorgung und der Zusammenarbeit mit unserem Vermieter informieren. Beth war in der ersten Woche noch mit dabei, flog dann jedoch ebenfalls für zwei Wochen zu ihrer Familie nach Kenya.
Bereits in der letzten Woche vor unserem Abflug nach Deutschland hatten sich erste Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Catering- Anbieter und mit unserem Vermieter angedeutet. Es kam zu unerklärlichen Stromausfällen, die sich jedoch-sobald wir sie dem Vermieter meldeten- in Luft auflösten. Ähnliche Probleme bemerkten wir bei der Wasserversorgung. Die Nutzung der angemieteten Toilette in der 1. Etage war den Student*innen plötzlich nicht mehr möglich. Angeblich war die Pumpe defekt, die das Wasser nach oben befördern sollte. So mussten alle Student*innen stets über eine schmale Treppe ins EG, um dort den Sanitärbereich zu nutzen. Das war eine Zumutung sowohl für sie als auch für die Assistentin, die täglich vor Ort unterstützte. Auch die Essenversorgung zum Mittag verschlechterte sich, d.h. die Portionen wurden kleiner und die Vielfalt liess mehr als zu wünschen übrig. An einigen Tagen wurde das Mittagessen erst gegen 14 Uhr geliefert, so dass der gesamte Trainingsablau für diesen Tag durcheinander geriet.
Da unser Vermieter finanzielle Schwierigkeiten hatte und sein Business nicht wie geplant in Fahrt kam, vermuteten wir bei all diesen “Ausfällen” und Reduzierungen fehlende Finanzen und Zahlungsversäumnisse. Das konnten wir natürlich nicht nachweisen aber unser Vermieter hatte uns in einem Anflug von Vertrautheit persönlich von seinen Problemen erzählt. Auch Personal hatte er offensichtlich entlassen müssen denn eine Reinigungsfrau und zwei Bürohelferinnen erschienen nicht mehr auf dem Gelände. Daher waren Beth und ich besorgt über die weitere, noch mindestens drei Monate andauernde Zusammenarbeit. Zusätzlich wurden wir sowohl von unserem Catering- Anbieter als auch vom Vermieter selbst per WhatsApp aufgefordert, mehr Geld an sie im Voraus zu überweisen. Damit sollten dann die bestehenden Strom- und Wasserprobleme gelöst werden.
Callixte hatte mir außerdem einige Tage zuvor berichtet, dass unser Vermieter ihn und andere Student*innen persönlich nach dem Internetpasswort gefragt hatte. Er wollte vermutlich den Zugang ohne unsere Zustimmung mit nutzen und die Kosten für den Anschluss eines Routers sowie die monatlichen Gebühren sparen. Hätte er offiziell in unserer bestehenden WhatsApp- Gruppe angefragt, hätten wir selbstverständlich zugestimmt. Aber so? Das war doch kein vertrauensvoller Umgang!
Ich war skeptisch und bat daher um eine klärende “interkulturelle Videokonferenz”. Beth schaltete sich aus Kenya zu, Jeff aus Spanien, der Vermieter aus Ruanda und ich aus Berlin! In dieser Runde sprachen Beth und ich die Besonderheiten in der Versorgung und die Zahlungsmodalitäten an. Wir versuchten so deutlich wie möglich unseren Standpunkt und unsere Abhängigkeit von den Fördergeldern der Amerikanischen Botschaft darzustellen, doch Verständnis bekamen wir dadurch nicht. Statt dessen wurden wir gebeten, andere Räume im EG zu nutzen, die jedoch wesentlich kleiner waren. Die Miete sollte allerdings nicht reduziert werden. Andere Alternativen waren nicht zu finden oder sollten nicht gefunden werden.
Da sich die Corona-Zahlen in Ruanda und besonders in Kigali Anfang Juni bereits schrittweise erhöhten, befürchtete ich einen bevorstehenden Lockdown. In diesem Fall würden wir lt. Mietvertrag eine reduzierte Miete von monatlich 200 statt 300 EUR zahlen müssen, könnten jedoch das Trainingsprogramm für unbestimmt nicht fortsetzen. Was sollten wir tun? Auch diese Problematik besprachen wir offen mit unserem Vermieter, verwiesen erneut auf unsere begrenzten Fördermittel und hofften auf Verständnis.
Eigentlich dienen Verträge in Ruanda oft nur zur groben Orientierung und als Richtlinie für die verabredete Zusammenarbeit (MoU = Memorandum of Understanding). Sie werden daher häufig nachverhandelt. Deshalb hatten weder Beth noch ich bei der Unterzeichnung des Mietvertrages weitere Gedanken an die “Lockdownklausel” verschwendet. Immerhin hatten wir diese einarbeiten lassen und eine Reduzierung verhandeln können. Im Fall eines Lockdowns würde sich unserer Meinung nach bestimmt eine einvernehmliche Lösung finden lassen. Doch weit gefehlt! In unserem Fall schien das ausnahmsweise nicht zuzutreffen. Unser Vermieter verwies uns auf die bestehende Klausel. Nun war guter Rat teuer. Wie sollten wir der Amerikanischen Botschaft verständlich machen, dass wir das Geld im Lockdown lediglich für die Miete ausgegeben hatten aber keine Schulungsergebnisse würden präsentieren können.
Beth und ich telefonierten mehrere Tage hintereinander miteinander und besprachen jegliche Option und bedachten deren Auswirkungen. War es etwa möglich, dass die NGO verklagt würde? Business kommt in Ruanda vor NGO- Arbeit! Welche Fristen und Vorschriften gab es im Fall einer Kündigung des Vertrages. Wir recherchierten beide und fanden keine konkreten Antworten, was die rechtlich wenig bindende Bedeutung von Verträgen untermauerte. Trotzdem entschlossen Beth und ich uns, diesen Schritt der Kündigung zu gehen. Wir würden ja sehen, was passiert und müssten dann darauf reagieren und die Konsequenzen tragen.
Ich setzte ein offizielles Schriftstück auf, welches Beth unterzeichnete und per e-Mail an den Vermieter verschickte. Jedoch war auch dringend eine persönlich Übergabe der Kündigung notwendig. Erfahrungen zeigen, dass anderenfalls Vorgänge als nicht getätigt oder in Gang gesetzt gelten und das wollten wir auf jeden Fall vermeiden.
Das gesamte technische Equipment, den Internet-Router, Trinkwasserkanister und diverse Reinigungsmittel entfernte Beth am Tag der Kündigung, 25.06. umgehend aus den angemieteten Räumen und brachte sie zu uns in Haus nach Kicukiro. Wir hatten auf der Terrasse einen Ersatzschlüssel hinterlegt, genau für solche Fälle. Man weiss ja nie, was passiert.
Drei Tage später wurden in Kigali umfassende Einschränkungen zur Corona-Bekämpfung durch die Regierung verkündet und wenige Tage danach folgte der Komplettlockdown. Wir hatten uns also gerade noch rechtzeitig und für den richtigen Schritt entschieden. Erleichterung! Nun waren wir wieder frei und offen für neue Aktivitäten. Schließlich würde das IT Training nach dem Lockdown fortgesetzt werden müssen.
Beth informierte abschließend die Amerikanische Botschaft über die aktuelle Entwicklung und die anstehenden Ereignisse. Unsere Weitsicht schien dort Zustimmung zu finden, und so brauchten wir keinen der sonst üblichen Berichte zu schreiben, um alles zu erklären.
Nach dem Lockdown werden wir erneut mit den Vorbereitungen für die Fortsetzung des IT Trainings beginnen und geeignete Räume in der Umgebung suchen. Auch ein Orientierungstraining für die Teilnehmenden steht dann erneut an.
Zur Überbrückung des Lockdowns plante ich unterdessen schon mit Callixte eine 2-stündige online Review-Einheit für die Gruppe der fortgeschrittenen Student*innen, um deren Vergessensrate zu minimieren und um an unserem Erfolg festhalten zu können. Einige Herausforderungen sind uns jetzt schon bekannt, die wir jedoch irgendwie meistern werden.
Auf geht’s!