Studienabschluss

Den Bachelor- Abschluss einiger IT-Student*innen hatten wir mit „Seeing Hands“ bereits gefeiert. Trotzdem bekam ich von Emmanuel persönlich einen Anruf, mit dem er Thomas und mich zu seiner privaten Abschlussfeier nach Hause einlud. Emmanuel nimmt am IT-Training für Fortgeschrittene teil und unterrichtet einmal wöchentlich im Rahmen unseres Projektes den Beginner Kurs. Dadurch verdient er schon ein wenig Geld und kann seine Familie unterstützen.

Eine private Einladung zu weniger bekannten Personen ist eher eine Seltenheit in Ruanda. Das hatte es bisher für uns noch nicht gegeben. Oft bleibt es bei „…wir könnten doch mal gemeinsam….“ aber konkreter wird es dann nicht. Daher freuten wir uns riesig über die Einladung und sagten selbstverständlich zu.

Bereits ein paar Wochen zuvor hatte ich bei einem unserer üblichen Dorf-Besuche mit Beth und Callixte zur Unterstützung besonders armer Familien auch Emmanuel kurz zu Hause besucht. Die Familie wohnt im District „Gasabo“ im Sektor „Gikomero“ und man hat das Gefühl, irgendwo im Nirgendwo zu sein, jedoch nicht weit von Kigali entfernt. Es gibt keine Straße und keine Adresse nur diese beiden Angaben erklären die Location. Wie sollten wir allein den Weg dorthin finden? Google Maps nutzte uns hier gar nix. Da jedoch auch Callixte, Emmanuels Freund aus Schulzeiten zur Feier eingeladen war, boten wir ihm an, ihn mitzunehmen. Ganz in der Hoffnung, gemeinsam würden wir den Weg schon finden.

14 Uhr sollte die Party beginnen. Wir holten Callixte 13 Uhr ab, denn selbst für die sieben Kilometer Entfernung würden wir eine Stunde Fahrtzeit benötigen. Ab dem Stadtrand von Kigali stand uns nämlich eine längere Strecke auf sandiger Buckelpiste bevor.

Bei Callixte hatte ich mich vorab auch noch erkundigt, wie der Ablauf einer solchen Feier gestaltet sein würde (Kirchgang oder ausschließlich privat?) und wie wir uns dementsprechend kleiden sollten. Aus meiner Sicht war es einerseits ein festlicher und einmaliger Anlass aber andererseits würden wir in sehr arme dörfliche Strukturen kommen und ich wollte auf keinen Fall zusätzlich auffallen. Callixte verwies mich darauf, dass ich doch bereits die Familie und deren Lebensumstände kennen würde. Es sei eine private Feier mit ca. 20 Personen. Meine Frage kam mir unangemessen vor und ich schämte mich dafür, schon wieder ansatzweise von europäischen Verhältnissen für ein solches Ereignis ausgegangen zu sein. Trotzdem war ich beruhigt und fühlte mich nun mit meinem selbst gebackenen Zitronenkuchen und in Outdoor-Sachen gut vorbereitet. Auf unserem Weg wollten wir auf Anraten von Callixte noch Chips und Salzgebäck einkaufen. Das gäbe es nicht aber Getränke seien vorhanden, meinte er. Perfekt! Auf geht’s!

Zu unserem Erstaunen konnte uns Callixte trotz seiner Blindheit exakt die Stellen benennen, an denen wir abbiegen mussten oder an denen ein Landmark zu erwarten war z. B. eine Tankstelle oder die „Special Economic Zone Kigali“. Er schien jedes Schlagloch und jeden „Speed-breaker“ auf der Strecke zu kennen. Die grobe Richtung war uns natürlich auch bekannt. Der erste Reiseabschnitt ging zum „Caraes Ndera Neuropsychiatric Hospital“. Wenn das mal kein sicherer Ausgangspunkt war! Bis dorthin konnte uns Google Maps gut leiten. Danach waren wir ausschließlich auf Callixte angewiesen und kamen unerwartet fast genau auf die Minute pünktlich im Dorf an.

Vor der Haustür begrüßte uns in perfektem Englisch ein junger Mann. Er stellte sich als ein ehemaliger Studienkollege von Emmanuel und als „Zeremonienmeister“ des Events vor. Mir war sofort klar, was das bedeutete! Wir würden nicht an einer kleinen privaten Feier teilnehmen, sondern wir waren die Ehrengäste. Die wackelige Wellblechtür zum Innenhof wurde geöffnet…

und das GESAMTE Dorf schien uns zu begrüssen. Der Hof war gefüllt mit gut gekleideten Menschen und festlich geschmückt. Irgendjemand hatte eine Couchgarnitur besorgt, die unter einem provisorischen Sonnenschutzdach aus blauen Plastiktüten aufgestellt war. Emmanuel und seine Familie hatten darauf Platz genommen und wir sollten ebenfalls dort in erster Reihe sitzen. Ich stand etwas verloren mit meinem Zitronenkuchen auf einem Holzbrett und im Outdoor-Outfit im Eingangsbereich und schämte mich in Grund und Boden. Doch die Situation war nun, wie sie war und wir hatten das Beste daraus zu machen. Erneut retteten uns unsere drei Worte zur Begrüßung in Kinyarwanda. Das Eis schien gebrochen, wir wurden weniger ernst beobachtet und nun vielmehr herzlich aufgenommen.

Der Dorfpfarrer eröffnete mit einer Predigt und einem Gebet die Feier. Anschließend wurde mein Kuchen allen Gästen als Highlight präsentiert und auf einem kleinen Tisch angerichtet. Gemeinsam mit den Hauptpersonen, Emmanuel und seinem Vater musste ich ihn anschneiden und selbstverständlich auch eine Rede halten. Der „Master of Ceremony“ übersetzte für die Dorfgemeinschaft. Alle nickten und klatschten Beifall.

Weitere Reden und Vorstellungen von Anwesenden sowie Familienmitgliedern folgten. Anschließend gab es ein traditionelles Buffet mit Reis, Bohnen, Bananen und Isombe. Das ganz Dorf schien eingeladen zu sein, immer mehr Menschen strömten durch das kleine Wellblechtor in den Hof und es bildete sich eine Warteschlange vor der Essensausgabe. Danach folgte die explizite Aufforderung durch den Zeremonienmeister zur Geschenkübergabe und jeder überreichte einen Briefumschlag mit Geld. Auch darauf waren wir natürlich nicht vorbereitet aber zu unserer Erleichterung wurden Umschläge verteilt und wir mussten den unserigen nur noch bestücken. Aber auch das war nicht so einfach, da wir oft fast ohne Bargeld unterwegs sind und üblicherweise mit Karte oder Handy bezahlen. Also kratzen wir unsere letzten Scheine aus Taschen und Hosentaschen zusammen und konnten wenigstens noch 20 EUR beisteuern. Erleichterung!

Nun war es an der Zeit für die Abschlussrede des Uni-Abgängers. Emmanuel hielt eine sehr bewegende Rede und dankte seiner Familie für die in Ruanda ungewöhnliche Unterstützung ihres behinderten Kindes. Auch seinen Freunden dankte er explizit für deren Kraft und Mut sich trotz aller externen Widerstände jahrelang für ihn zu engagieren. Er erwähnte auch, dass er uns als besondere Unterstützer in seiner aktuellen Lebenssituation sehr schätze aber nie daran geglaubt hatte, wir würden seiner Einladung tatsächlich folgen. Seine Familie fühle sich geehrt, wertgeschätzt und durch unser Kommen in ihrem Handeln bestätigt.

Plötzlich wurde es ein wenig unruhig unter den Anwesenden, Musik erklang erst leise und dann immer lauter und schon sangen und tanzten einige Gäste zwischen den eilig zusammengestellten Stühlen. Es ging nahtlos in den gemütlichen Teil der Veranstaltung über. Ein Sänger war eingeladen worden und präsentierte seine, sowie aktuelle hitparadenverdächtige Songs.

Auch Emmanuels Vater tanzte mit ausladenden Bewegungen und forderte mich, wie konnte es auch anders sein, höflich zum Tanzen auf. Auch das noch! Mir blieb aber heute auch gar nix erspart. Einen Tanz mit dem Gastgeber konnte ich auf keinen Fall ablehnen. Ich war etwas angespannt von der Bemühung, mich in das traditionelle Geschehen einzufinden und außerdem auch ein wenig dehydriert. Thomas und ich hatten das Wasser und auch das Bananenbier, welches uns angeboten wurde, nicht angenommen. Eine Magen-Darm-Infektion wollten wir nicht riskieren. Die Sonne brannte! Und so bewegte ich mich, ein wenig steif im Vergleich zu den Einheimischen aber immer noch schwungvoll genug, zu den traditionellen und bei allen beliebten Songs.

Leider mussten wir gerade jetzt aufbrechen, da es bereits 17 Uhr war und in einer Stunde dunkel werden würde. Den Rückweg wollten wir jedoch aufgrund der Straßenverhältnisse gern noch im Hellen antreten. Wir verabschiedeten uns von Emmanuel und seiner Familie und bedankten uns noch einmal für die persönliche Einladung. Für uns ein unvergessliches Erlebnis! Schnell wurden noch die Mitfahrgelegenheiten abgeklärt und schon waren wir wieder auf dem Heimweg.

Wieder einmal hatten wir eine einmalige Gelegenheiten bekommen, Land und Leute und dadurch die Kultur auf ganz besondere Art und Weise kennenzulernen. Nur an der sprachlichen Verständigung müssen wir wohl noch arbeiten. Doch bis dahin reichen Hände und Füsse.

Gut gepolstert!

Es war Samstag und wir hatten eine arbeits- und erlebnisreiche Woche hinter uns. Ausschlafen, abhängen und etwas lesen, vielleicht noch was kochen?! Das war unser Plan für den Tag. Doch erst eimal sassen wir, noch ein wenig verschlafen, auf unserer Couch und tranken unseren morgendlichen Kaffee.

Seit einem Jahr haben wir unsere Couch, made in Rwanda. Sie ist aus Massivholz und an einer Seite mit Imigongo- imitierter „Schnitzerei“ verziert. Keine richtig gemütliche „Kuschelcouch“ aber bequem zum Sitzen. Leider waren die blauen Sitzbezüge durch den Staub bereits nach kurzer Zeit verschmutzt. Jedoch hatte ich mich bisher nicht aufraffen können, sie zu waschen. Schließlich kam ohnehin ganz schnell immer wieder neuer Staub hinzu und bis zur Regenzeit würde es auch nicht viel besser werden. Einen Schonbezug (Decke) auf die Sitzfläche zu legen, wie ich es von meinen Großeltern kannte, davon war ich weit entfernt.

Doch Thomas meinte, wir sollten die Bezüge endlich mal abziehen, waschen und die hellgrauen Ersatzbezüge ausprobieren. Sie stünden noch gut verpackt im Schrank. Heute sei doch Zeit dafür! Das war eigentlich nicht mein Plan aber wenn der Mann im Haus schon mal solch einen ungewöhnlichen Vorschlag unterbreitet, kann ich den auf keinen Fall ignorieren.

Wir nahmen zuerst die mit Klettstreifen an der Rückenlehne befestigten schmalen Kissen ab und begannen mit dem Abziehen. Die Rückenlehnen waren gut gepolstert und so musste einer von uns das Kissen halten und der andere zog den Bezug millimeterweise über das Innenleben. Auf gleiche Weise handhabten wir das Beziehen mit den Ersatzbezügen.

Nun noch die drei großen gepolsterten Sitzkissen. Doch das schien noch schwieriger zu werden. Die Polsterung war so hart und fest, dass sich das Kissen keinen Zentimeter biegen liess. Der Bezug steckte fest. Jeder von uns setzte sich rittlings auf ein Kissen und versuchte es mit Hilfe des Körpergewichts (und das sind schon ein paar Kilo) zusammen-zupressen. Es tat sich nix! Das konnte doch nicht wahr sein! Schweißgebadet standen wir vor den halb abgezogenen Kissen und fluchten. Thomas holte aus lauter Verzweiflung unsere Spanngurte aus dem Auto und wollte damit die Sitzkissen zusammendrücken und ich sollte die Bezüge darüberstülpen und hochziehen. Oh mein Gott! Was für ein verfluchter Aufwand wegen der schei… Kissenbezüge. So hatte ich mir einen entspannten Samstagmorgen nicht vorgestellt.

Aber auch der Versuch mit den Spanngurten schlug fehl denn die großen Kissen konnten nur an einer Stelle ganz eng zusammengeschnürt werden und dann…? Wir wussten genau, dass wir die Ersatzbezüge auf keinen Fall allein drauf bekämen. Daher riefen wir die Herstellerfirma „Inwood“ an. Zu unserem Erstaunen säuselte die Chefin Bernadette ins Telefon, wir könnten gern mit den Kissen im Showroom des Hotels „Lemigo“ vorbei kommen und einer ihrer Angestellten würde uns helfen. Sie ging bestimmt davon aus, dass wir unsere Betten und Kissen wie die Einheimischen durch Haushaltshilfen bezogen bekommen. Muzungus halt, können nicht mal selbst Kissenbezüge wechseln. Ich sah sie förmlich am Telefon schmunzeln. Aber ihr Angebot war trotzdem nett und wir mussten es annehmen. Keine andere Chance! Also packten wir die drei großen Sofa-Kissen und die neuen Bezüge ins Auto und fuhren zum „Lemigo“. Dort würde ganz fix alles gewechselt werden und der Samstag war gerettet.

Thomas und ich mussten uns das Lachen verkneifen, als wir die redlichen Bemühungen des Angestellten sahen. Er wollte sich keine Blösse geben, drehte und wendete die Kissen unzählige Male aber es tat sich nix, gar nix! Der Bezug ging keinen Zentimeter vor und zurück. Wir erklärten ihm daraufhin, dass die Bezüge wahrscheinlich neu genäht werden müssten und an zwei Seiten zu öffnen sein sollten, um dieses Drama zu vermeiden. Außerdem könnten dann auch gleich noch Bänder angebracht werden, mit denen die Kissen am Holzgestell festgebunden werden, damit sie nicht mehr verrutschen. Die bisherige Lösung mit dem Klettverschluss war auch suboptimal!

Verständnislose Blicke und ratloses Achselzucken. Die Verständigung mit „Google translate“ war nur bruchstückhaft möglich. Aber immerhin konnten wir den Angestellten überzeugen, mit uns nach Hause mitzufahren und vor Ort alles auszumessen. Glückwunsch!

Zur besseren Verständigung hatten wir zu Hause unseren Guard, Florent dazugeben. Doch auch zu dritt hatten wir keine Chance und kämpften verbal und körperlich weiter mit den Kissen.

Unterdessen war es Nachmittag und das Ergebnis nicht viel anders als am Morgen. Also packten wir 3 Sitz- und 3 Rückenlehnenkissen ins Auto und fuhren mit dem Angestellten zur Werkstatt von „Inwood“. Dort sollte nun in den kommenden Tagen alles gerichtet und neu zugeschnitten werden.

Auf das Ergebnis bin ich sehr gespannt! Eine Rückmeldung haben wir nach einer Woche bisher noch nicht erhalten.

Mein Geburtstag

Eigentlich ist 50 ja auch nur eine Zahl, um ganz genau zu sein eine Zehnerzahl mit einer Fünf an der Einerstelle und einer Null an der Zehnerstelle. Ganz einfach und trotzdem in diesem Zusammenhang etwas Besonderes. Ich bin ein halbes Jahrhundert alt! Das klingt dann schon wieder weniger schmeichelhaft aber immer noch nach etwas Besonderem!

Dabei begann der Tag weniger besonders, vielmehr ganz normal. Thomas musste bereits 6:30 Uhr aus dem Haus, da er die gesamte Woche in der Eastern Province Rwandas und nicht im Homeoffice in Kigali arbeitete. Wir würden also erst gegen 18:00 Uhr Zeit haben zum gemeinsamen Feiern beim Abendessen im Restaurant. Thomas nahm das Auto, um mich abends abholen zu können. Ich würde gegen 8:30 Uhr mit dem Moto-Taxi ins neue Büro nach Kacyiru zu „Seeing Hands“ fahren. Callixte hatte mich gefragt, ob wir uns der Konzeption und seiner Beantragung einer „Mandela Fellowship“ Fördermitgliedschaft widmen könnten. Klar konnten wir, Zeit hatte ich ja genug.

Es begann leider gleich früh zu regnen (Beginn der Regenzeit) und damit fiel die Moto-Taxitour zum Büro aus. Ich bestellte ein Yego- Cab und liess mich wie die Queen persönlich festlich gekleidet ins Büro chauffieren. Schließlich wird man nicht jeden Tag ein halbes Jahrhundert alt und ein zweites halbes Jahrhundert schaffen nur die wenigsten. Außerdem wollten wir ins „Poivre Noire“ zum Abendessen. Daher durfte ich mich mal ein wenig herausputzen, was hier ja sonst nicht nötig und oft auch nicht angemessen ist. Per WhatsApp hatte ich Thomas noch schnell gefragt, ob ich einen Tisch im Restaurant reservieren sollte aber er hatte selbstverständlich schon alles organisiert.

Mittwochs findet in den neuen Räumen von „Seeing Hands“ ab 8:00 Uhr immer das „Basic IT Training“ für die weniger Erfahrenen statt. Daher waren bei meiner Ankunft auch schon einige Student*innen anwesend und sassen über ihren ersten Aufgaben. Callixte kam aufgrund des Regens erst 9:00 Uhr ins Büro. Nun aber los! Doch Zeit für einen afrikanischen Milchkaffee mit ihm war allemal. Ich bestellte im Bistro unseres Vertrauens, welches auch das Mittagessen für die Trainingsteilnehmer zuverlässig viermal die Woche liefert. Kurz überlegte ich auch noch, einen Geburtstagskuchen zum gemeinsamen Verzehr mit allen gleich mit zu bestellen aber das würde das Training und unsere konzeptionelle Arbeit zeitlich beeinflussen. Vielleicht hätten wir ja dazu noch Gelegenheit, sofern Thomas bereits schon am Nachmittag aus der Eastern Province zurück käme.

Also erst die Arbeit und dann das Vergnügen! Callixte und ich kamen mit unserer Konzeption für das „Inclusive Community Center“, was in den drei neu angemieteten Räumen nun entstehen soll, auch gut voran. Bis zur Mittagspause hatten wir die einzelnen Projekte detailliert in ihren Zielen und Auswirkungen beschrieben. Nach dem Mittagessen wollten wir uns dem Budget zuwenden. Das würde eine umfangreiche Aufgabe werden und viel Zeit in Anspruch nehmen, da wir für jedes Teilprojekt ein eigenes Budget mit anteiligen übergreifenden Finanzen zusammenstellen mussten.

Auf das Mittagessen verzichtete ich zu Gunsten des bevorstehenden Abendessens. Doch ein wenig „Isombe“ wollte ich probieren. Das ist ein traditionelles rwandisches Essen, bestehend aus gekochten Maniok- (Cassava) Blättern, verfeinert mit Erdnuss- Mus und ggf. einigen kleinen mitgekochten Rindfleischstücken. Es erinnert mich sehr an gekochten Spinat, schmeckt aber etwas „strenger“ und ist natürlich noch viel gesünder!

Wie geplant ging es nach dem Mittagessen mit der Budgeterstellung weiter und auch hier kamen Callixte und ich gut voran. Drei von sechs Teilbudgets waren am Nachmittag fertig. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen! Es war bereits 17:00 Uhr und somit war klar, einen Geburtstagskaffee und -kuchen mit Thomas würde es vorerst nicht geben. Umso mehr freute ich mich auf das Abendessen.

Um zu überprüfen, ob Thomas auf der Rückreise im Feierabendverkehr mit. seinen Kolleg*innen gut vorankam, nutzte ich gegen 17:30 Uhr die Ortungs-Funktion auf meinem Handy. Ohhh! Thomas war schon hier! Na das war ja eine zeitliche Punktlandung. Ich rief kurz an, um ihm mitzuteilen, dass ich vor dem Haus warten würden und wir gleich weiterfahren könnten. Doch Thomas informierte mich, dass er leider im Stadtzentrum an einer Kreuzung nur wenige Minuten von meinem Büro entfernt noch im Stau stehe und es noch etwas dauern würde. Vermutlich war meine Ortungs-Funktion aufgrund der instabilen Internetverbindung nicht ganz korrekt. Wäre ja nicht das erste Mal, dass die Technik mich hier im Stich lässt und ein paar Minuten länger konnte ich jetzt auch noch warten. Der Tisch war bestellt und die Ausgangssperre erst ab 22:00 Uhr relevant. Also genügend Zeit!

Ich vertiefte mich also erneut mit Callixte in die Zusammenstellung der detaillierten Projektfinanzen. Plötzlich erklang laute Musik. Ohhh! Die letzten Student*innen verliessen vermutlich gerade froh gelaunt den Schulungsraum und waren auf dem Nachhauseweg.

Hmm? Moment! Den Song kannte ich doch! „Rennrad“ von Dota Kehr. Unser Aufbruchslied zur Radtour anlässlich unserer Hochzeit 2016. Was war hier los? Und schon tauchte Thomas mit einem riesigen bunten Rosenstrauss im Büro auf. Plötzlich kam auch Beth ums Eck, und ich sah Donatien unseren Nacht-Guard und alle Studentinnen des IT- Beginner- Kurses, die eigentlich schon seit einer Stunde zu Hause sein sollten. Marceline, ein Kollege von Thomas filmte mein Erstaunen und die Freude über die unerwartete Überraschung. Sie alle sangen und tanzten und es war Bombenstimmung! Beth hatte auch ihre Tochter und Schwester mitgebracht und selbst unsere Kurs-Assistentinnen und Volunteers waren anwesend. Corona?? Scheiß egal! Alle waren geimpft und einen Schnelltest würden Thomas und ich am nächsten Tag machen, um tatsächlich das kleine Restrisiko auszuschließen.

Beth hatte sogar noch eine Passionsfrucht- Torte mit Feuerwerk organisiert und Fleischspiesse mit Kartoffelecken sowie Getränke zum Abendessen für alle bestellt. Das war ihr Geschenk für mich. Ich war den Tränen nahe. Keiner hat hier viel und das Wenige wurde heute für mich ausgegeben.

Aber auch Thomas hatte am Vortag noch heimlich bis spät in die Nacht einen Nusskuchen gebacken. Bis zum Morgen war der Backduft in der Küche jedoch schon verflogen und ich hatte nix bemerkt. Aufgrund der Anzahl der Überraschungsgäste war alles ruck zuck verputzt und die Student*innen freuten sich mindestens ebenso wie ich über dieses überraschende Abend-Event.

Callixte war nun allerdings sichtlich erleichtert. Seine zugeteilte Aufgabe war es, mich den ganzen Tag über beschäftigt zu halten und dafür zu sorgen, dass ich nicht vorzeitig das Büro verliess. Einige Male hatte er seine ganze Überredungskunst aufbringen müssen, denn ich war gerade am Nachmittag drauf und dran gewesen, aufzubrechen. Aber er fragte immer wieder auf’s Neue nach der Berechnung der Budgets und so wollte ich die gemeinsame Arbeit nicht abbrechen. Es kommt im rwandischen Kontext nicht allzu oft vor, dass Menschen freiwillig so intensiv zusammenarbeiten, um etwas wirklich fertigzustellen. Für Callixte gilt das jedoch auf keinen Fall, die Arbeit mit ihm macht richtig Spass und wir teilen viele Ideen und eine ähnliche Arbeitseinstellung.

Viele Freunde und natürlich Familie hatten sich tagsüber telefonisch, per Videocall oder über WhatsApp mit Fotos gemeldet oder sogar gesungen. Jeder/jede hatte ganz besondere Worte und Wünsche für mich gefunden. Ich hatte somit einen ganz besonders besonderen Tag unter den vielen besonderen Tagen hier in Kigali.

Das Wandern ist des Müllers Lust

Bereits seit einiger Zeit hatten wir uns mit Freunden vorgenommen, eine ca. 20km lange Wanderung von Kigali nach Bugesera zu unternehmen. Dort würde uns Joselyne in einem der liebevoll eingerichteten kleinen Bungalows ihrer „Bugesera Lodge“erwarten und abends vorzüglich bekochen. Für dieses Vorhaben mussten wir jedoch die Trockenzeit abwarten, da die Wanderung durch eine sehr ausgedehnte Sumpflandschaft führt.

Mehrfach hatten Thomas und ich bereits Teile dieser Tour zu Fuss oder auch mit dem Rad und vereinzelt sogar schon mit Freunden ausprobiert. Doch die Flussüberquerung zur anderen Seite des Sumpfes hatten wir noch nicht gemacht. Darauf freuten wir uns, das würde spannend werden! Gemeinsam mit Anja und Olaf brachen wir also wieder einmal von Kicukiro aus auf.

Unterwegs begegneten uns Kinder, die uns neugierig begleiteten und sich vermutlich darüber wunderten, weshalb sich vier Muzungus in „ihrem Territorium“ herumtreiben. Fischer angelten im trüben Akagera-Fluss. In den Lehm-Ziegelbrennereien wurde auch am Wochenende gearbeitet. Kinder liessen Ziegenherden auf den durch die Trockenzeit noch wenigen grünen Flecken weiden. Ziegen sind die perfekten Haustiere: anspruchslos und sehr genügsam knabbern sie an trockenen Halmen und überleben selbst in kargen Landschaften.

Den lehmig-braunen Akagera mussten wir mit einem Holzboot überqueren, um auf der anderen Seite weiter bis zur „Bugesera Lodge“ zu wandern. Die Strömung war nicht stark, aber vorhanden. Für 100 FRW pro Person (8 Cent) konnten wir diese Art der Fähre nutzen. Sogar beladene Fahrräder wurden mit dem schmalen Boot transportiert und wir als ungewöhnliche Mitreisende gemustert.

Mir ringt diese Sumpflandschaft viel Ehrfurcht ab. So richtig wohl und sicher fühle ich mich hier nicht. Der Boden ist weich und man läuft wie auf Polstern. Schmale Wege sind teilweise nur mit abgeschlagenem Schilf- oder Papyrus-Grün „befestigt“ und bei jedem Schritt spürt man, wie der Boden nachgibt. Doch die uns begleitenden Kinder sprangen im Gelände umher und so verliert man doch schnell alle Sorgen.

Doch plötzlich passierte es. Ein unvorsichtiger Tritt und Anja, die ein wenig vorausgegangen war, versank knöcheltief im Morast. Jetzt nur keine Panik bekommen und GANZ LANGSAM versuchen, den Fuss mit dem Schuh aus dem Sumpf zu ziehen.

Selbst die Kids halfen mit und zeigten uns trittsichere kleine Flächen. GESCHAFFT! Eine dunkle nährstoffreiche Moorpackung am Fuss gab es kostenlos zum Mitnehmen. Dafür würden wir in Deutschland viel Geld bezahlt haben. Na ja, solange wir darüber noch Spässe machen konnten, war ja alles in bester Ordnung.

Und weiter ging es! Trotz des kleinen Zwischenfalles konnten wir alle die Wanderung durch die ungewöhnliche Landschaft und die vielen schönen Ausblicke sehr geniessen. Außerdem wussten wir, dass uns ein kühles Bier bei Joselyne erwartete.

Nach vier Stunden Wanderung endlich angekommen, verbrachten wir ein wunderbares, entspanntes Wochenende. Joselyne war wieder die perfekte Gastgeberin, begeisterte uns mit ihrem französisch-englischen Akzent und ihrer sprühenden Art. Zum Abendessen bekamen wir ein vier Gänge Menü u. a. mit selbst gebackenem Sauerteigbrot und Tiramisu. Außerdem liess sie uns exclusiv in ihrem neuen „Familien-Gästehaus“, mit wunderbarem Blick auf die Wetlands und Kigali in der Ferne, übernachten. Am Sonntagmorgen konnte ich dann noch den Ausblick vom neu errichteten „Bugesera-Tower“ auf die „Wetlands“ und auf das Geländer der Lodge sehr geniessen.

Diesen Ausflug machen wir bestimmt noch einmal. Schließlich führen viele Wege nach Rom…ach ne nach Bugesera.

Geschafft

Das Studienjahr 2020/2021 ist offiziell am 27.08. zu Ende gegangen. Acht Student*innen im IT- Trainingsprogramm von „Seeing Hands Rwanda“ haben auch ihren Universitätsabschluss (Bachelor) an unterschiedlichen Fakultäten GESCHAFFT. Zeit zum Feiern! Doch fast alle blinden und sehbehinderten jungen Leute leben in dörflichen Strukturen am Stadtrand von Kigali oder einige sogar in entfernten Dörfern. Es ist kein Geld für eine Party oder ein festliches Outfit vorhanden, daher wurde „Seeing Hands Rwanda“ angefragt, zu unterstützen.

Einige Student*innen sind vorübergehend zu Verwandten nach Kigali gezogen, um an dem IT- Training teilnehmen zu können und werden aber mehr geduldet als herzlich aufgenommen. Die Familien erwarten von ihnen, dass sie durch das IT- Training bald einen Job und damit ein eigenes Einkommen haben werden und dann endlich zum Familienunterhalt beitragen können. Die Lebensumstände und -verhältnisse sind überall sehr bescheiden und oft kritisch. Das musste ich bei meinen Besuchen in den Dörfern oft feststellen.

Kinder arbeiten hart auf den kleinen Familienfarmen. Ein Schulbesuch wird ihnen durch die Eltern oft nicht ermöglicht, obwohl die staatlichen Schulen kostenlos und zahlreich vorhanden sind. Essen ist eben wichtiger als Bildung. Häufig passieren auch Haushaltsunfälle, bei denen Kinder teilweise schwere Verletzungen, Verbrennungen oder Brüche erleiden. Auch von häuslicher Gewalt wird noch oft berichtet. Da das Aufsuchen eines Krankenhauses aufgrund der Entfernung und fehlender Transportmittel oft nicht möglich oder aber aufgrund traditioneller Einstellungen nicht erwünscht ist, entwickeln sich unbehandelte Erkrankungen und Verletzungen zu einer Behinderung.

Vergangene Woche besuchte ich mit Beth und Callixte (Leiter der NGO „Hope in his Vision“) die 16-jährige Saline und ihre Familie. Sie leben ca. eine Autofahrtstunde von Kigali entfernt. Ihre eine Gesichtshälfte wurde durch einen solchen Haushaltsunfall (Verbrennung) vor vier Jahren total entstellt und auf einem Auge ist das Mädchen blind. Seitdem wird Saline im Haus versteckt und gilt als verflucht. Rituale zur Dämonenvertreibung finden nach Aussage der Mutter regelmäßig statt. Ein Schulbesuch ist Saline unmöglich, da sie von allen gemieden wird. „Seeing Hands Rwanda“ bemüht sich nun um eine Lösung oder wenigstens um eine geringfügige Verbesserung ihrer Situation. Wie diese aussehen kann, wissen wir noch nicht. Der Weg wird lang und schwer aber wir wollen es versuchen!

Umso erstaunlicher ist es für mich zu erleben, dass aus solchen Verhältnissen kommend, Kinder doch einen Universitätsabschluss erreichen können. Wie hart mag wohl ihr Weg und der Kampf ihrer Familien mit der dörflichen Gemeinschaft gewesen sein?

Daher haben Beth und ich selbstverständlich am 27.08. eine kleine Party für die graduierenden Student*innen organisiert. Gemeinsam haben wir online die offizielle Abschluss-Zeremonie der Universität Kigali verfolgt und anschließend mit selbst gebackenem Zitronenkuchen und einem intensiven Fotoshooting sowie kleinen Ansprachen gefeiert. Alle Student*innen waren richtig glücklich. Endlich würdigte jemand ihre individuelle Leistung und ermutigte sie, weiter zu kämpfen und ihre Ziele zu verfolgen. So viel Dankbarkeit habe ich bisher sehr selten erlebt. Dabei bestand mein Beitrag lediglich in diesen zwei Kuchen und dem Fotoshooting. Die Vorbereitungszeit dafür dauerte nur wenige Stunden.

Dagegen wird in Deutschland für ähnliche Events sehr langfristig geplant und detailliert organisiert, um ein angemessenes und festliches Ambiente zu erzielen. Es ist toll, so etwas durch Freunde und Familie ermöglicht zu bekommen oder es sich selbst ermöglichen zu können. Doch ich bin ein wenig beschämt darüber, wie selbstverständlich es für viele von uns (mich eingeschlossen) geworden ist, in oft sehr großzügigem Rahmen Jubiläen feiern zu können.

Es hat mir erneut gut getan zu sehen, dass man auch mit wenig Prunk und ohne große Geschenke glücklich und zufrieden sein kann. Von Herzen kommende Achtung und Wertschätzung ist ganz leicht und über Landes- sowie Kulturgrenzen hinaus vermittelbar und macht den Empfänger einfach glücklich.