Man kann am 7. April nicht einfach einen Blog-Eintrag machen und über irgend etwas aus Ruanda berichten.
Am 7. April vor 25 Jahren begann das lang vorbereitete Morden an fast 1 Millionen Tutsi und an moderaten Hutus hier in Ruanda. Das Grauen, das die einzelnen Menschen hier erlebt haben, die rohe Gewalt und das Entsetzen sind nicht in Worte zu fassen. Ich habe es bisher noch nicht geschafft, zu einer der Genozid-Gedenkstätten zu gehen, da ich mich diesem Schrecken noch nicht stellen konnte.
In den letzten Wochen habe ich mich jedoch viel mit dieser Thematik beschäftigt. Selbstverständlich wirkt sich die Vergangenheit auf die heutige Gesellschaft aus. Es wird durch die Regierung versucht, mit einer institutionalisierten Erinnerungskultur einerseits das Thema nicht vergessen zu machen, es jedoch andererseits für die Stabilisierung der aktuellen Regierung auszunutzen. Dieser Balanceakt gelingt mal mehr und mal weniger gut. Auf der einen Seite hat sich die ruandische Gesellschaft tatsächlich Genozid-Leugnern zu erwehren und hat aus diesem Grund 2008 die offizielle Benennung von “Genozid” zu “Genozid an den Tutsis” geändert – auf der anderen Seite wird durch das Ausweisen von z.B. der BBC nach einem kritischen Bericht insgesamt ein Klima der Meinungskontrolle geschaffen, dass schwerlich als stabil gelten kann. Persönlich kann ich das Vorgehen zwar durchaus nachvollziehen, glaube jedoch nicht, dass man damit dauerhaft eine Heilung der Wunden erreicht. Ob dies überhaupt nach so einem Trauma gelingen kann, ist sowieso fraglich.
Mich erinnert all das sehr an meine Jugend und die institutionalisierte “Befreiung vom Hitlerfaschismus durch die ruhmreiche Sowjetarmee”. Ähnlichkeiten sind augenfällig. In einem von mir gelesenen Artikel wurde das aktuelle System als “Erziehungs- und Entwicklungsdiktatur” bezeichnet, was ich ganz treffend finde.
In meiner Wahrnehmung haben die Leute inzwischen jedoch genug vom Trauern. So wurde ich z.B. gestern zu einer Homeparty eingeladen – am Abend vor den Genozid-Feierlichkeiten, zu einer Zeit als vor 25 Jahren mit dem Abschuss der Präsidentenmaschine das Morden begann. Für mich war das schon ein wenig befremdlich. Am Abend davor gab es Livemusik im Vergnügungsviertel von Kigali. Die ganze Jugend traf sich und tanzte zu afrikanischen und internationalen Klängen.
Die nächste Woche ist jedoch ganz der (institutionalisierten) Trauer gewidmet. Früher gab es eine ganze Woche frei, um heimzufahren, sich mit den überlebenden Angehörigen zu treffen. Inzwischen sind es nur noch halbe Tage. Am Montag erwarten wir nachmittags einen Redner der Regierung in unserer Organisation, der eine Trauerrede halten wird, am Mittwoch trifft sich die ganze Einrichtung zu einer Trauer- und Gedenkveranstaltung. Ich versuche für mich, einen mentalen Balanceakt zu erbringen, einerseits, die Opfer zu ehren, mich aber nicht von der Propaganda vereinnahmen zu lassen. Ich denke aber, das mir das als Deutscher mit den reichhaltigen Erfahrungen der jüngeren Geschichte durchaus gelingen kann.
Zum Weiterlesen hier noch ein paar Links:
- Die offizielle ruandische Seite: http://kwibuka.rw
- Der Bericht des alleingelassenen UN Kommandeurs von 1994: Amazon
- Der Dokumentarfilm zu dem Buch: Youtube
Kwibuka heißt im Übrigen Erinnern – der Titel des Blogeintrages ist der offizielle Titel der diesjährigen Erinnerungsfeierlichkeiten.