Zum Tempelfest haben wir Rupali, eine ehemalige Lehrerin der Schule getroffen. Baba war gar nicht froh, sie zu sehen. Sie hätte nur Stress gemacht und sich mit den Lehrern gestritten.
Rupali erzählt uns, dass sie gern an „unsere“ Schule zurückkommen wollen würde, da sie das Arbeiten vermisst. Ich berichte ihr dann auch gleich, dass wir eigentlich dringend Lehrer suchen. Eine Lehrerin ist schwanger und wurde von uns während der homevisits „verabschiedet“. Sie beginnt das neue Schuljahr im Juni nicht mehr. Auch Sarita wird zeitnah als Lehrerin aufhören. Sie wird heiraten. Wir waren ja bei einer der Brautschauen bei ihr mit dabei – noch gibt es zwar keinen Bräutigam – aber in zwei Monaten soll Hochzeit sein. Das ist wohl das einzige Thema, wo in Indien ein Zeitplan eingehalten wird.
Als wir Sagar gegenüber die „Neueinstellung“ von Rupali ansprachen, hat er uns einige Hintergrundinformationen gegeben, die für sich genommen schon wieder vollkommen irrwitzig sind.
Lehrer an staatlichen Schulen bekommen sehr viel mehr Geld als die Lehrer an privaten Schulen .
(normales Gehalt an privaten Schulen – 5.000 Rupien/Monat
Gehalt an staatlichen Schulen – ca. 30.000 Rupien/Monat)Deshalb stellt der indische Staat inzwischen laut den Aussagen, die wir hier erhalten auch im keine Lehrer mehr ein. Außer man hilft halt mit Bestechung nach.
Rupali hat nun nach der Hochzeit ihren Mann überzeugt, sein gesamtes Land zu verkaufen, um das Bestechungsgeld für den staatlichen Job in Höhe von 1.500.000 Rupien zusammenzubekommen. Das hat auch geklappt. Leider ist sie mit ihrer sehr direkten Art auch an dieser Schule nicht sehr gut angekommen und wurde kurz darauf wieder entlassen. Geld weg und Land weg! Seither leben die beiden getrennt. Mann auch weg!
Was für irrwitzige Schicksale dieses Dorf bereithält.
Tempelfest und kurze Röcke
Langsam steuert das Fest auf seinen unausweichlichen Höhepunkt zu. Wie so oft in den letzten Wochen lassen wir uns treiben und sehen mal was passiert. Baba hat Tatja abgestellt, um am Abend noch einmal mit uns zu den Feierlichkeiten zu gehen. Über dunkle Felder geht es den dumpfen Trommeln entgegen, die wir schon die ganze Zeit gehört haben.
Der Tempel in Rummelbeleuchtung, blinkend und bunt, davor die lokale Trommelgruppe, die sich in den Trance trommelt.
Der selbe Rhythmus über ewige Zeit, die Trommelgruppe immer ein paar Schritte vor und wieder zurück, am Ende der Gruppe ein langer Läufer an dessen Ende ein Priester unbeweglich mit einer Öllampe in der Hand steht. Die Gläubigen werfen sich vor ihm auf den Boden. Der ganze Tross mit Gläubigen, Öllichthaltern und Trommeln bewegt sich in einer kaum wahrnehmbaren Geschwindigkeit weiter. Irgendwann im Verlauf der nächsten Vier Stunden wird er den Tempel einmal umrundet haben.
Währenddessen geht 100 m weiter auf einem Platz das Kulturprogramm los. Vollkommen unerwartet sehr professionell Bollywood – Tanz mit teilweise sehr spärlicher Bekleidung. Das Publikum ca. 1000 Männer und Sonni. Da es dunkel ist, kann bei Sonni diesmal nicht so eine Panik aufkommen. Außerdem steht die halbe Babar Familie bereit, bei eventuellen Problemen einzugreifen. Was sehr auffällt ist, dass trotz sichtbarer Begeisterung insbesondere bei sehr spärlicher Bekleidung verbunden mit viel Hüfteinsatz keinerlei Beifallsbekundungen wie Klatschen oder Rufen zu hören sind. Zwischen den Stücken ist es totenstill. Sehr gewöhnungsbedürftig.
Die Songs aber sehr schön – letztendlich jedoch so, wie man es von den Bollywoodfilmen erwartet. Im Hintergrund eine stimmgewaltige Matrone, die phantastisch singt, im Vordergrund die junge halbbekleidete hüftwackelnde Tänzerin, die die Lippen mitbewegt und so tut als ob sie singt.
Mit Rücksicht auf unseren Betreuer Tatja gehen wir aber um zwölf nach Hause, da wir ja wissen, dass er immer schon um Fünf aufsteht, um die Kühe zu versorgen.
Homevisits
Gestern und heute haben nun endlich die ersten Homevisits stattgefunden. Wir hätten natürlich gern etwas mehr deutsche Vorbereitung in das Ganze hineingebracht, doch zum Schluss lief es einfach mit solidem indischen Chaos. Allerdings hatten wir damit weniger Arbeit und mehr Spaß – vermutlich natürlich auch weniger Ergebnis – aber wie soll man das nun bewerten?
Die Homevisits im April dienen eigentlich dazu, potentielle neue Studenten zu finden, indem man über die Dörfer fährt und schaut, was sich da so im letzten Jahr ereignet hat. Also starten wir am Morgen nach unserer Sprachnachhilfestunde, die wir regelmäßig jeden Tag für die Lehrer eingeführt haben, zu einem wilden Ausflug aufs Land.
Sonja und ich hätten vermutlich die Lehrer in Zweiergruppen eingeteilt, vermutlich jeweils ein Mann und eine Frau, damit man auch alle Familienmitglieder ansprechen kann, so wälzt sich hier aber ein Pulk von mindestens 6 Lehrern in jeden Haushalt. Wir bleiben mitten in der Pampa bei einzelnen Farmhäusern stehen und versuchen herauszubekommen, ob es Kinder im Schulalter gibt, deren Eltern bereit sind, sie auf eine englischsprachige Schule zu schicken.
Dabei wird regelmäßig auch nach einem gewissen materiellen Wohlstand geschaut. Ganz armselige Hütten werden ausgelassen, da sich die Eltern noch nichtmal die tägliche Busfahrt zur Schule leisten könnten selbst wenn irgend jemand (Spender, der Staat, die Schule) für das Schulgeld aufkommt (6000 Rupien für das Schulgeld und 500 im Monat für den Bus, Umrechnungskurs 80). Es ist schon bitter, zu erkennen, das unser kleines armseliges Hüttchen hier für die Umgebung schon einen gewissen materiellen Wohlstand darstellt. Es geht immer noch viel weiter nach unten.
Durch die Homevisits kommen wir mit Unterstützung unserer lokalen Begleiter in Dörfer hinein, in die wir uns ansonsten nicht hineintrauen würden. Insgesamt fühlt man sich aber schon so, wie eine Drückerkolonne, die auf dem Land Abos für die „TAZ“ im Doppelpack verscherbeln möchte. Wir treffen sozusagen nicht auf ungeteilte Begeisterung.
In einigen Haushalten werden wir jedoch freundlich aufgenommen, am Ende des Tages habe ich dreimal Tee und vier Zitronenwasser und vermutlich nun doch meinen ersten Magenkollaps durch haufenweise ungefiltertes Wasser vom Land erhalten.
Es ist daher verwunderlich, dass wir am Ende trotzdem mit 20 potentiellen Studenten wieder zu Hause ankommen. Wir drücken die Daumen, das davon tatsächlich auch einige zu uns kommen.
Impressionen
Kornernte beim Nachbarn!
Tatja drischt Korn und Shria säubert es dann.
Danach wird Mais auf dem Ochsenkarren in 100kg Säcken zum Lager gebracht. Die Kids dürfen auf dem Rückweg mitfahren.
Der Tierarzt kommt. 6 Kühe sind krank. Aber es gibt auch Nachwuchs.
Hausaufgaben mit den Kids.
Der Elektriker kommt. Endlich! Er hat uns mehrfach versetzt.
Das WLAN-Kabel wird verlegt.
Die Technik muss gekühlt werden. Ab 35°C Außentemperatur läuft sie heiss und schaltet ab.
Mittagspause!
Ein pünktlich startender Schulbuss.
Mangal und Shria machen Nudeln.
Wir kaufen einen Schreibtischstuhl. Der alte war für unsere Gewichtsklasse nicht ausgelegt und brach zusammen. Transport des gesamten Stuhles mit dem Motorrad, 35 Minuten Fahrzeit.
Am Sonntag, 08.04. wurde am Nachmittag die Tempelfestwoche anlässlich der „Hochzeit der Tempelgottheit“ eröffnet. Alle feierfreudigen Anwohner, auch aus den umgebenden Dörfern, kommen dann zum Tempelplatz in Alegaon. Der Tempel wurde für diese Festwoche extra mit Lichterketten geschmückt und außen komplett und sehr farbenfroh renoviert.
Eigentlich sollte auch bereits eine Solaranlage auf dem Tempelgebäude installiert sein. Thomas hatte das Kostenangebot dafür inhaltlich geprüft. Doch leider konnte die Fertigstellung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht bis zu dem konkreten Datum sichergestellt werden.
Die Tempelfestwoche ist täglich mit einem Kulturprogramm flankiert, beginnend mit Livemusik, traditionellen Tänzen, sportlichen Zweimannkämpfen, traditionellen Gesängen und einem Feuerwerk zum krönenden Abschluss.
Die Finanzierung stellt der Dorfvorsteher (Serpanch) dadurch sicher, dass er von Tür zu Tür geht und jede Familie um eine kleine Spende bittet. Wird man persönlich von einer Respektsperson aufgesucht und angesprochen, fällt es schwerer, nein zu sagen oder einen Finanzbeitrag zu verweigern. Clever! Auch die individuellen Segnungen im Tempel werden oft durch die Gläubigen mit kleinen finanziellen Beiträgen entlohnt. Somit leisten sich alle genau das, was sie sich als Gemeinschaft für diese Festwoche leisten wollen und leisten können!
Wir treffen uns 17 Uhr in einem großen historischen Anwesen der Familie Babar, welches jedoch nur noch aus wenigen alten ehrwürdigen Grundmauern besteht und sich unweit des Tempels befindet. Dort müssen sich Frauen und Männer strikt getrennt voneinander aufhalten. Ohne große Vorankündigung finde ich mich in einer Gruppe von mindestens 30 Frauen mit ihren Kindern wieder, die mich umringen, mich anfassen, auf mich einreden, mich hierhin und dorthin schieben. Ich „rette“ mich in eine Ecke an eine Mauerwand und sinke in den Schneidersitz! Schlagartig ist Ruhe und alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich sage mit meinem einzigen Satz in Hindi, wie ich heiße und füge in englisch hinzu, dass ich nur englisch spreche. Damit war alles gesagt. Ein Getuschel und Gemurmel beginnt, mein Name wird unzählige Male wiederholt, ältere Damen blicken starr und misstrauisch auf mich herab, junge Frauen schütteln zustimmend (wozu auch immer) ihre Köpfe und die kleinen Kinder kommen neugierig herangekrabbelt. Es ist so eng, dass nur noch eine schmale Gasse vor meinen Füßen frei ist. Es ist heiss und stickig, die Luft wird knapp, es weht kein einziger Luftzug. Bin klatsch nass und bekomme auch meine verschwitzen Hände gar nicht mehr an meinen Sachen trockengerieben, so dass ich mir auch nicht mehr das Gesicht wischen kann. Schweiß läuft mir die Stirn runter. Mir ist übel und ich habe Angst umzukippen. Wobei das geht nicht mehr, ich sitze ja schon. Mir wird ganz schummrig. Trinkwasser habe ich leider keins. Na ja, wird schon! Durchhalten!
Immer mal wieder bringen einzelne Männer riesige Lebensmittelpakete, auf dem Kopf tragend, herangeschleppt und bahnen sich auch noch ihren Weg durch die schmale Gasse vor meinen Füßen. Die sitzenden Frauen springen auf und weisen Ihnen den Weg zur „Food-Ablage“ auf einer großen Fussbodenmatte. Dadurch kommt etwas Bewegung in die Menschenmasse. Eine junge Inderin nimmt dann neben mit Platz, tippt etwas in ihr Handy und frag dann…“married?“ Dank „Google translator“ beginnen nun Ein- und Zweiwortfragesätze und mit meinen gestikulierten Antworten steigt die Zufriedenheit der anwesenden Frauen. Nun wissen sie alles, was für sie wichtig ist!
Nach einer anstrengenden Stunde des Wartens im Schneidersitz (nach 10 Minuten tun mir alle Knochen weh aber die Beine auszustrecken, ist einfach nicht möglich) wird das Zeichen zum Aufbruch zum Tempel gegeben. Allerdings dürfen nur die Männer zum Tempel laufen. Die Frauen des Dorfes bleiben zurück.
Aus 4 unterschiedlichen Richtungen im Dorf kommend, treffen die männlichen Nachkommen der Babar- Familie aufeinander und strömen gemeinsam in einem Zug zum Ortszentrum. Alle bringen Massen an Lebensmitteln auf großen Metalltablets mit. Als eine riesige Schlange von Gläubigen walzen sie auf den Tempel zu. Und ich als einzige Frau mittendrin. Ich habe von Baba eine „Sondergenehmigung“ erhalten. Auf die hätte ich jedoch liebend gern verzichtet. Ich habe mich nie unwohler gefühlt! Als kleine Unterstützung hatte ich die junge Inderin an meine Seite gestellt bekommen, die sich jedoch nicht weniger unwohl fühlte. Sie versuchte immer mal wieder per Handy und Google translator eine Frage an mich zu stellen. In dem übermächtigen männlichen Stimmengewirr, verbunden mit monotonen Gebetsausrufen, gingen diese jedoch unter. Wir wurden schrittweise vorwärts geschoben.
Am Tempelplatz angekommen, standen dort zu meinem großen Erstaunen bereits an den Seiteneingängen alle Frauen des Dorfes wunderschön but gekleidet. Sie warten darauf, nach den Männern in den Tempel eintreten zu dürfen. Ich war total verärgert! Warum musste ich mit all den Männern mitgehen und durfte nicht auch bis zur letzten Konsequenz den Frauen folgen? Es sollte wohl eine besondere Ehrerweisung sein, die ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht annehmen konnte. Einfach unlogisch alles!
Thomas war schon mit zahlreichen anderen Männern und Baba im Tempelinneren verschwunden und ich stand nun unter 100 Frauen und noch viel mehr Kindern mitten auf dem Tempelplatz und wartete, was weiter geschehen würde. Eine Schülerin unserer Schule hatte mich gesehen und bahnte sich den Weg zu mir. Nun hatte ich wenigstens mal wieder die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen. Es begann eine „Hochzeitsansprache“ im Tempelinneren, die durch Lautsprecher nach draußen übertragen wurde. 5 Mal ertönten gesungene Gebetsausrufe, zu denen durch die draussen stehenden Gläubigen pinkfarbener Reis auf alle Anwesenden geworfen wurde. Pink ist die Farbe der Gottheit und es ist ihre Hochzeit, die gefeiert wird, daher auch der pinkfarbene Reis.
Es wurde langsam dunkel. Thomas kam auch sichtlich erschöpft aus dem Tempelinneren. Dort, erzählte er kurz, war es unerträglich voll, stickig und auch er hatte kurzzeitig das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen und umzufallen. Er teilte mir nur noch kurz mit „wir treffen uns nachher alle im Haus von Anna“, und schon war er wieder verschwunden bzw. weitergezogen mit allen Männern zu einem kleineren Tempel ca. 10 Gehminuten vom Dorfzentrum entfernt.
Eine unserer Schulhelferinnen, Shitel, nahm sich meiner an. Sie ist aus der Kaste der Brahmanen und darf Aufgaben einer Priesterin übernehmen. Sie schleuste mich, vorbei an der langen Warteschlange der Frauen, schnell ins Tempelinnere, schob und drängte mich vor den heiligen Schrein. Gemeinsam knieten wir vor der Gottheit nieder und ich bekam von ihr die „pinkfarbene Segnung“. Ebenso schnell bugsierte sie mich auch wieder ins Freie. Luft! Durchatmen! Shitel begleitete mich noch zum Haus von Anna und übergab mich dort an die Familie. Völlig erschöpft sass ich auch dort wieder im Schneidersitz und wartete auf Thomas. Er kam mit Baba nach ca. 20 Minuten und gemeinsam schlenderten wir endlich zurück zu unserem Farmhaus.
Was für ein Tag!