Unterdessen sind 1,5 Jahre vergangen, in denen ich in meiner Partnerorganisation arbeite. Daher war es Zeit, in einem offiziellen Auswertungsgespräch mit den Kolleg*innen meiner Partnerorganisation und meinem Vorgesetzten vom GIZ-Programm meinen bisherigen Einsatz zu evaluieren und Ergebnisse zu sichern sowie eine Entscheidung über die weitere Zusammenarbeit im Rahmen der GIZ zu treffen.
Die Spezifika im Ruandischen Arbeitsumfeld sind für mich nicht einfach im beruflichen Kontext zu berücksichtigen. Die Kommunikation ist z. B. weniger spontan, klar und offen, dafür jedoch stark hierarchiegeprägt. Informelle Abstimmung auf pragmatische Art und Weise ist nur sehr begrenzt möglich.
Ruanda ist Weltmeister im Abhalten von Meetings, Trainings und Workshops, da sich hier alle internationalen Entwicklungshilfeorganisationen tummeln. Selbst für kurze Meetings zum Informationsaustausch oder zur Präsentation von Ergebnissen erst recht jedoch zur Erarbeitung von Inhalten muss genau darauf geachtet werden, wer wen einlädt. Obgleich ich ggf. ein Meeting inhaltlich vorbereite, erfolgt die Einladung zur Teilnahme häufig durch andere Autoritäten, die dann auch als Gastgebende allgemeine einleitende Eröffnungsworte sprechen. Erst danach wird mir das Wort erteilt. Es gibt auch immer einen Moderator und einen Facilitator. Ich habe bis heute nicht begriffen, was diese beiden Rollen wirklich voneinander unterscheidet. Wichtig ist nur, beide Rollen müssen vergeben und in der Agenda berücksichtigt werden.
Es ist durchaus üblich, eine Agenda für ein Meeting zu haben, doch oft sind die Themen sehr allgemein gehalten und haben so klangvolle Namen wie “Launching Event” oder “Technical Exchange” sowie “Seering Committee” oder “Stakeholder meeting”. Sie lassen viel Spielraum für wortreichen inhaltlichen Austausch und Diskussionen. Lösungs- und zielorientierte Ergebnisse werden am Ende eines Meetings nur selten festgehalten. Statt dessen gibt es häufig narrative Reports und Präsentationen, die an die Anwesenden versandt werden. Das liest kein Mensch mehr im Anschluss und keiner greift je darauf zurück!
In Diskussionen werden überbordend kommunikative Teilnehmende nicht höflich unterbrochen. Man wartet, bis jeder das gesagt hat, was zu sagen beabsichtigt war. Somit dauern Meetings durchaus auch mal mehrere Stunden und sind trotzdem nach wie vor ergebnisoffen. Zum Haareausraufen! Da habe ich so einige Fettnäpfchen mitgenommen, indem ich zeitbewusst Themen auf ein Nachfolgemeeting verschoben habe. Das gehört sich eigentlich nicht.
Das Thema Eigeninitiative bringt mich auch regelmäßig an meine Grenzen. Selbständiges Handeln ist oft nur in einem sehr begrenzten Rahmen möglich und auch nur in homöopathischen Mengen erwünscht. Vorgesetzte geben im ruandischen Arbeitskontext stärker Anweisungen bezüglich nächster Handlungsschritte und man hat das Gefühl, jeder delegiert an jeden bis keiner zum Delegieren mehr da ist. Reden scheint wichtiger als Handeln! Auch situationsbezogene Entscheidungsfreude im Rahmen der eigenen Rollenverantwortung ist eher unüblich. Übernehme ich keine Verantwortung, kann ich auch nichts falsch machen und dafür kritisiert werden. Unser europäisches Verständnis von Fehlerkultur ist davon Meilen weit entfernt.
Durch meine bisherige berufliche Tätigkeit bin ich komplett anders geprägt, so dass ich pro-aktives Handeln, Eigeninitiative sowie kritisches Nach- und Hinterfragen sehr vermisse, von Pragmatismus und spontanem Austausch ganz zu Schweigen. Es wird oft erst dann reagiert, wenn es keinen Zeitpuffer mehr gibt oder Themen werden “ausgesessen” und bleiben unbearbeitet. Das hat einerseits den großen Vorteil, dass man nur sehr wenig für den “Papierkorb” arbeitet denn in letzter Minute sind alle zu berücksichtigenden Umstände zum Handeln klar oder das bisher kritische Thema hat sich aufgrund der verstrichenen Zeit “von selbst” erledigt. Andererseits ist die Qualität der Aktivitäten durch die Art der Vorbereitung und die fehlende Detailplanung oft nicht die, die durch anderes Handeln möglich wäre. Auch diese Arbeitsweise ist tag-täglich eine Herausforderung für mich. Trotz gegenteiliger Behauptungen wird es, je länger wir hier in Ruanda arbeiten, nicht leichter. Ich kann mich nur schwer umstellen und auf “Morgen reicht auch noch!” einlassen. Ein Problem!
Dementsprechend scheine ich meine Partnerorganisation teilweise überfordert zu haben mit Nachfragen, Erklärungen, Planungsabsichten, Rückmeldungen, Auswertungen, Vorbereitungen, Verbesserungsvorschlägen, Anregungen… Die Chefin meiner Partnerorganisation meinte zu meinem Vorgesetzten in einem extra einberufenen Zweiergespräch: “Sonja ist schon sehr präsent, die kann man nicht vergessen!” Das kann ich einerseits als positives Feedback gelten lassen aber es hat durchaus auch einen Hauch von “Die nervt uns schon ein wenig!”
Ansonsten habe ich in meinem Auswertungsgespräch, welches ich mit Agenda, simpler Power Point Präsentation in zwei Stunden mit 7 konkreten Ergebnissen abgehalten habe in der Tat positives Feedback bekommen. Doch darauf sollte man sich in Bezug auf Ehrlichkeit nicht einhundertprozentig verlassen.
Ich bin gespannt, wie die nächsten und vermutlich letzten 6 Monate in der NGO (Vertragende 12/2023) laufen werden und welche neuen Anforderungen jetzt noch an mich gestellt werden. Nun wird es schließlich Zeit zu handeln!
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