Mitte Mai sind wir in die Innenstadt Kigalis umgezogen und sind überglücklich darüber. Es gibt viele Vorteile, die wir lange nicht gesehen haben oder die uns bisher auch nicht so wichtig gewesen sind.
Zum einen haben wir viel mehr Privatsphäre in unseren vier Wänden, da die Security nicht unmittelbar hinter uns steht, nur getrennt durch die vergitterten Fenster und die davor gezogenen Gardinen. Zum anderen können wir nun fussläufig viele uns doch sehr lieb gewordene Plätze, Cafés und Restaurants erreichen. Eine neue abendliche Spaziergangsrunde mit Blick auf die abendlich beleuchtete Innenstadt haben wir auch schon ausfindig gemacht.
Der allergrößte Vorteil für mich ist jedoch, dass ich nur 25 Minuten zu Fuss ins Büro meiner Partnerorganisation brauche. Diese Strecke führt mich durch eine dörflich strukturierte und eher ländlich anmutende Gegend. Auf meinem Weg begegne ich zahlreichen Schulkindern in Uniformen und Nonnen, die ihre Schüler am Eingang der Schule in Empfang nehmen. Väter und Müttern begleiten ihre schulpflichtigen Kinder bis zum Schultor. Häufig führen die Mütter dabei weitere Kleinkinder an der Hand und den Tragekorb mit Obst und Gemüse auf dem Kopf. Ein morgendliches buntes Treiben, wobei mich der oder die eine unterdessen als die „walking Muzungu“ sogar grüsst. Das alles kann ich sehr geniesse. Kein Stau auf dem Hinweg oder im Feierabendverkehr! Wunderbar!
So bleibt auch ein wenig mehr Zeit für Sport, zum Telefonieren mit Freunden in der Heimat aber auch, um das kleine bereits existierende Kräuterbeet auf unserer Terrasse wieder auf Vordermann zu bringen.
Aufgrund der Nähe zur Innenstadt erfahren wir auf unseren Spaziergängen nun doch öfter von den selten stattfindenden Kulturveranstaltungen. So waren wir beispielsweise zu einem Konzert in einer der zahlreichen traditionellen kleinen Kunstgalerien. Eine Kollegin von Thomas ist mit anderen Künstlerkolleg*innen dort aufgetreten. Auch im Französischen Kulturinstitut fand erst vor wenigen Tagen eine Performance statt. Dabei waren Ausdruckstanz, traditioneller Gesang und Bandauftritt als Gesamtprojekt gut aufeinander abgestimmt. In der „Car free Zone“ wurden wir bei einem Spaziergang vom „Europäischen Street Fair Festival 2022“ überrascht und kamen in den Genuss eines Konzertes auf großer Bühne. Das ist alles genau nach unserem Geschmack. Wir freuen uns täglich, dass wir diese Möglichkeiten nun unkompliziert nutzen können.
Unterdessen hat auch das lang geplante CHOGM (Commonwealth Heads of Government Meeting) begonnen. Eine Woche lang ist Kigali nun im Ausnahmezustand mit 5000 erwarteten Gästen. Bereits die Vorbereitungen waren unglaublich anstrengend für alle und kaum zu ertragen:
- ganze Straßenzüge mit einfachen Lehmhütten wurden abgerissen, um neue und modernere Bauten präsentieren zu können
- riesige Werbeplakate mit „Visit Rwanda“ prangen nun vor allen großen und kleinen „Schandflecken“ der Stadt, die damit dezent verdeckt werden sollen
- die alten halbzerfallenen Bus-Wartehäuschen wurden in Windeseile abgerissen und erneuert
- eine komplett neue Straßenbeschilderung weist eindeutig den Weg zu Hotels, zentralen Sehenswürdigkeiten und der Genozid- Gedenkstätte
- zahlreiche kleine Seitenstraßen aber auch große Hauptstraßen wurden neu asphaltiert
- Bordsteinkanten in schwarz-weiss gestrichen
- der Innenstadtbereich wurde großzügig bepflanzt, Palmen-Alleen und kleine Parks mit Bänken sind entstanden
- moderne Kugelleuchten schweben als dekorative Straßenbeleuchtung hoch über der Fahrbahn und die Fahnen der teilnehmenden Nationen wehen im Wind
Täglich bekommen wir vom CHOGM Veranstalter tagesaktuelle Straßenplanungen, die die zu nutzenden und zu vermeidenden Straßen für den täglichen Verkehr ausweisen. Die Schulen in Kigali sind geschlossen. Der Verkehrsstau beim Hinbringen und Abholen der Schüler durch Eltern oder Schulbusse soll vermieden werden. Wahnsinn!
Doch selbstverständlich gibt es auch ganz wunderbare „Neben- und Auswirkungen“. Zum einen können wir eine Woche lang im Homeoffice arbeiten und zum anderen finden natürlich auch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen statt. Wir werden an einem „Nachtlauf“ durch die verkehrsbefreite Innenstadt über 4,5 km teilnehmen und das „Made in Rwanda Straßenfest“ besuchen. Als Höhepunkt der gesamten Woche wird Prinz Charles erwartet, doch ihn werden wir vermutlich nicht persönlich sehen, bei allem anderen jedoch sind wir hautnah dabei.