„Lavasa“ ist ein Ausflugsziel für Einheimische ca. 65 km von Pune entfern. Dorthin wollen wir gemeinsam mit Pallavi fahren. Im Internet haben wir dazu gelesen, dass es eine „private Stadt“ ist. Es wurde dort wahnsinnig viel und ausschließlich privat investiert aber leider auch spekuliert. Alle Bauvorhaben sind daher aufgrund eines Korruptionsverdachtes vor einigen Jahren sofort gestoppt worden. Wir sind gespannt, was uns erwartet.
Über Serpentinen schlängelt man sich in die Berge, um dann einen tollen Blick ins Tal zu haben, in dem die besagte Stadt liegt. Für Motorradfahrer sind Serpentinen und Berge Musik in den Ohren. Doch wir entscheiden uns gegen die Zweiradvariante und für ein kleines klimatisiertes Auto. Pallavi möchte und kann nicht allein so weit auf ihrem Moped fahren und ein männlicher Begleiter lässt sich nicht finden.
In stickiger Wärme quälen wir uns zwei Autostunden in die Berge, nördlich von Pune. Leider schafft es die Klimaanlage nicht, die hohen Aussentemperaturen herunter zu kühlen. Ein Fenster zu öffnen, ist alles andere als empfehlenswert, da der Fahrtwind einem dann heiss ins Gesicht bläst und die Augen austrocknen. Wir werden jedoch mit ganz tollen Ausblicken für unser Durchhalten belohnt!
„Lavasa“ liegt im Tal, umgeben von Bergen. Diese sind in der Regenzeit dschungelartig bewachsen, jedoch jetzt im Sommer eher trocken und sandig-felsig. Die Privatstadt zeigt sich einerseits als eine Art Nachbildung einer italienischen Stadt am Meer und andererseits ist sie eine verlassene „Geisterstadt“ mit abrissreifen Bauruinen, rostenden Stahlkonstruktionen, leerstehenden Hotelpassagen, grauen Ferienhäusern und ausgetrockneten Fontainen und Wasserbecken. Einen total bizarres Bild!
Wir schlendern etwas umher, trinken unseren ersten leckeren Milchkaffee nach zwei Monaten Abstinenz und halten einige Motive zur Erinnerung fest.
Auf dem Rückweg kommen wir leider in den üblichen und von Einheimischen erwarteten Hauptverkehr. Der hat jedoch mit unseren Vorstellungen von Rushhour gar nichts zu tun! Schritttempo im absoluten Verkehrschaos. Jeder fährt, wohin er will, wie er will und wann er will. Millimeterarbeit beim Abbiegen! Ich sitze hinten im Auto und habe die Hände vor den Augen, da ich sonst von einem Aufschrei in den nächsten falle. Es ist unvorstellbar und unbeschreiblich! Pallavi sitzt derweilen entspannt neben ihrem „Lieblingsonkel“ und trällert indische Songs aus „Radio Pune“. Ich bin hochgradig angespannt, mir ist übel von den Abgasen, immer noch flau im Magen von den Serpentinen und heiss ist es ohnehin.
Gegen 21 Uhr haben wir es endlich bis vor die Tür von Pallavis Haus, in einem der größten Slums in Pune geschafft. Auch sie ist müde und erschöpft von der Tour aber sehr sehr glücklich. In wenigen Tagen hat sie Geburtstag. Dann sind wir leider schon wieder unterwegs, daher haben wir ihr schon jetzt ein Geschenk überreicht, ein neues Handy, da ihr altes gestohlen wurde. Wir verabschieden uns und verabreden uns erneut in zwei Tagen zum Abendessen mit ihrer Mutter.
Nun sind wir nur noch 15 Autofahrtminuten von Sagars Wohnung entfernt. Alle warten schon auf uns mit dem Abendessen. Nach wir vor sind die Straßen brechend voll und einige Prozessionen sowie Hochzeiten mit zusätzlichen Ansammlungen von Menschenmassen erschweren das Autofahren und Vorankommen. Plötzlich zwei Ruckler, ein Stotterer und unser Auto seht. Ein Hupkonzert bricht los, da wir uns gerade in einer relativ engen Seitenstraße befinden. Zurückhupen geht leider nicht, da ausgerechnet das wichtigste Autozubehör, die Hupe, in unserem Fahrzeug nicht funktioniert. Wir haben kein Benzin mehr! Die Tankleuchte funktionierte schon den ganzen Tag nicht und leuchtete ununterbrochen, der Zeiger rückte selbst nach umfangreichem zweimaligen Tanken keinen Millimeter weiter. Somit hatten wir keine Kontrolle über den aktuellen Benzinstand.
Wir steigen aus und sind sofort von gefühlt hundert Menschen umgeben, die alle auf uns einreden. Mit einigen schieben wir das Auto in eine noch kleinere Seitenstraße, um den Fahrtweg für die anderen nicht komplett zu versperren. Thomas nimmt zwei unserer leeren 2 Liter Wasserflaschen und wird von einem hilfsbereiten jungen Mann mit Motorrad zur nächsten Tankstelle in 1,5 km Entfernung gefahren.
Ich bleibe vor Ort, hole mein Handy heraus und tue so, als ob ich total entspannt damit beschäftigt bin. Nur nicht aufschauen, gefragt werden, weggezerrt werden… nur ruhig auf einem Stein am Straßenrand sitzen und warten. Ich bekomme von einer Frau einen Tee im Pappbecher gereicht, eine andere bietet mir an, mit zu ihrer Familie zu kommen und dort auf meinen Mann zu warten. Ich lehne jedoch höflich ab und gerade in dem Augenblick ruft Gott sei Dank Thomas an. Er teilt mir nur kurz mit, dass an der Tankstelle kein Benzin in unsere Flaschen abgefüllt werden darf. Sein Begleiter füllt daher nun aus seinem Motorrad das Benzin ab, was wir dann in unser Auto umfüllen können und er tankt statt dessen Benzin nach.
20 Minuten später ist der ganze Spuk vorbei und wir fahren erschöpft die letzten Kilometer zu Sagars Wohnung.
Erneut hat uns die übermäßige Hilfsbereitschaft Fremder erstaunt und erfreut. Hätten wir auch so reagiert? Sehe ich in Berlin Touristen fragend vor den Fahrkartenautomaten stehen, spreche ich sie nicht von mir aus an und biete Hilfe an. Fremde spontan zu mir nach Hause einzuladen, ist mir ehrlich gesagt bisher auch noch nicht in den Sinn gekommen. Auch Mitfahrgelegenheiten bieten wir von uns aus eher selten an. Ich werde mich bemühen, zukünftig aufmerksamer zu sein und meine Zweifel und unbegründeten Befürchtungen gegenüber Fremden öfter zu überwinden.