Natürlich mache ich auch Hausarbeit, z. B. habe ich schon Wäsche gewaschen. Das nimmt allerdings etwas mehr Zeit in Anspruch, da ich nicht nur auf den Startknopf der Waschmaschine drücken muss.
Die Wäsche ist durch den täglichen Staub und das regelmäßige Sitzen auf dem Fußboden sehr schmutzig und es reicht nicht aus, diese „ nur einmal kurz durch‘ s Wasser zu ziehen“, wie wir das üblicherweise mit verschwitzten Sommersachen auf Reisen machen würden.
In einem Eimer mit Speewasser wird für ca. 15 Minuten die Wäsche eingeweicht. Dann schlage und rolle ich jedes einzelne Kleidungsstück mehrfach auf einem Stein. Das Schmutzwasser daraus läuft in den total vermüllten Hintergarten ab. Danach wird die Wäsche gespült und zum Trocknen auf eine Leine gehangen. Das Trocknen geht dagegen relativ fix und in nur 20 Minuten liegen alle Sachen wieder frisch gewaschen im Schrank. Es hat also alles wie immer zwei Seiten!
Das Wäschewaschen erfolgt im Hocken, da es keine erhöhten Flächen, Becken o.ä. gibt. Bisher bereitet mir diese Position Schwierigkeiten, doch ich denke, die europäischen, büroverwöhnten Gelenke gewöhnen sich mit der Zeit noch an diese neue Möglichkeit. Bis es soweit ist, Wäsche ich vorerst täglich kleine Mengen.
Indische Zeit
Heute habe ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen deutscher und indischer Zeit erfahren.
Wir waren 14 Uhr zu einer Tanzaufführung eingeladen worden, die im Kulturhaus von Sangola stattfinden sollte. Da wir die Sonntagsmittagshitze ruhig und entspannt im klimatisierten Bollywood-Filmkino verbringen wollten, sagte Thomas erst für 15 Uhr zu. „Das reicht für indische Zeitverhältnisse auch noch aus!“, meinte er.
Da das Kino leider gar nicht geöffnet hatte, bummelten wir über einen phantastischen Lebensmittelmarkt in der Stadt. Dort besorgten wir etwas Gemüse für die nächsten Tage, da wir schließlich weiterhin so lecker bekocht werden möchten!
Nach etlichem Hin und Her und einigen Telefonaten mit dem Veranstalter, wo wir uns mit ihm treffen sollten, kamen wir gegen 15:15 Uhr in dem Kulturhaus an. Baba, der uns zur Tanzaufführung begleiten wollte, um netterweise darauf zu achten, dass wir nicht von einer Zeremonie zur nächsten weitergereicht werden, kam zeitgleich mit uns an. Das Kulturhaus kann man für richtig große Veranstaltungen ab 200 Personen (z. B. Indische Hochzeiten) buchen. Einige Besucher waren bereits da. Moderne indische Musik dröhnte aus riesigen Lautsprechern, ein Moderator war noch beim Soundcheck und Kinder tobten die Gänge entlang. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Alle Besucher waren festlich gekleidet und wir wurden gleich in die erste Reihe des riesigen Saales platziert. Dort standen dunkelrote, mit Goldmuster versehene Metallbänke, die jedoch noch mit der Einkaufsschutzfolie bespannt waren. Nach wenigen Sekunden war ich durchgeschwitzt und ich befürchtete nasse Schweissflecken beim Aufstehen.
Der Veranstalter kam und erklärte uns, das Tanzevent würde in 10 Minuten beginnen und vorher könnten wir uns ja noch traditionelle „Rangoli“ anschauen, die heute während eines Wettbewerbs entstanden seien. Außerdem sollten wir am Ende der Veranstaltung gegen 18:00 Uhr den 3 besten Tanzperformances die Preise übergeben. Ich bekam schlechte Laune aber nun ging es ja erstmal zu den „ Rangoli“.
Das sind auf den Fußboden aufgebrachte Sandgemälde. Mit feinstem, farbigen Sand werden wundervolle Muster gestaltet. Diese entstehen häufig bei öffentlichen Zeremonien vor einem Tempeln. Leider sind die „Rangoli“ nicht von langer Schönheit, da sie ganz schnell vom Wind und dem üblichen Strassenstaub zerstört werden.
Bei unserem Rundgang und der Besichtigung der Sandgemälde tauchte plötzlich die lokale Presse auf und wir mussten wieder mal ein kleines Video-Interview geben. Ich war pappe satt. Niemals wird im Voraus gesagt, was man zu erwarten hat, geschweige denn wird gefragt, ob man das alles machen will. Es werden einfach Tatsachen geschaffen. Ich war stinkig!
Wir kehrten in die Halle zurück, unterdessen war es 16:20 Uhr und die Show hatte noch immer nicht begonnen. Dafür hatte sich der Saal weiter gefüllt. Jeder zweite Besucher wollte ein Foto mit uns. Meine Laune verschlechterte sich weiter. Thomas frage erneut nach, wann es denn nun endlich starten würde und bekam „… in 10 Minuten geht es los.“ zur Antwort.
Baba war mit seinen 72 Jahren auch ersichtlich erschöpft und von der zeitlichen Verzögerung und der Lautstärke im Saal angenervt. Er schlug vor, einen Tee trinken zu gehen. Wir suchten also einen kleinen Straßenstand, gleich vor dem Kulturzentrum auf und ich wurden mit frisch zubereitetem Tee wieder positiver gestimmt.
16:45 Uhr zurück im Kulturhaus und noch immer war von einem baldigen Beginn der Tanzveranstaltung nichts zu spüren. Statt dessen wurden nun erst einmal drei VIP-Chairs vor die Bühne gestellt, auf denen drei Herren (vermutlich die Jury) Platz nahmen.
Thomas war unterdessen auch frustriert und suchte zum dritten Mal den Veranstalter auf, um ihm mitzuteilen, dass wir 17 Uhr den Saal verlassen würden, sofern bis dahin die Veranstaltung noch nicht begonnen hätte. Unterdessen warteten wir 1,5 Stunden und eigentlich waren wir ursprünglich ja bereits zu 14 Uhr eingeladen worden. Ich konnte es nicht fassen. Das war mehr als indische Zeit! Etwas enttäuscht wegen der langen und vergeblichen Wartezeit, da wir ja von der versprochenen tollen Tanzveranstaltung nichts mitbekamen, fuhren wir tatsächlich 17 Uhr mit dem Motorrad zurück zum Dorf. Alle sollten mal die „deutsche Pünktlichkeit“ oder zumindest die Konsequenzen wahrnehmen! Doch grundsätzlich wird sich natürlich nichts an der indischen Zeitvorstellung ändern. Ich muss lernen, geduldig zu sein und das Warten sinnvoll zu füllen. Sicherlich hatten wir trotz allem tolle Begegnungen und unterhaltsame Kommunikation. Dies alles anders wahrzunehmen, fällt mir schwer. Ich hänge doch sehr an zeitlichen Strukturen. Hier ist also meine Lernaufgabe in den nächsten Monaten, wie bereits erwartet.
Heute wollten wir am Sonntag in‘s Kino nach Sangola, auch wenn wir bestimmt Probleme mit dem Verständnis gehabt hätten. Das Kino ist ewig weit außerhalb. Man fährt über eine staubige Landstraße vorbei an vereinzelt hingespuckten Wellblechhütten und noch nicht ausgewachsenen Bauwerken bis man irgendwo im Nirgendwo auf ein riesiges Multiplexkino stößt, dass Sonntags leider geschlossen ist. Wir hatten eigentlich vorgehabt, die Mittagshitze schön klimatisiert im Kino zu verbringen und standen nun in der brutzelnden hirnwegschmelzenden Hitze mitten in der Pampa. Wir haben uns dann zu Fuß ein wenig durch das staubige Gelände gewagt und stießen hinter einem Damm auf eine grüne Gemüseplantage, verbunden mit einem riesigen Bewässerungssystem. Inzwischen hat man angefangen, hier Wasser als Bodenschatz abzubauen. Wer auch immer etwas Geld zusammenkratzen kann, bohrt ein paar 200m tiefe Löcher – und wenn Strom da ist, gibt es auch Wasser.
Der Effekt ist gewaltig, wie man auf den Bildern sehen kann. Auf der einen Seite wüstes Brachland – auf der anderen Seite blühende Landschaften.
Der Tag begann heute mit einer erneuten Zeremonie. Der serpanch (Dorfvorsteher) von Alegaon hatte extra zu unserer Begrüßung dazu eingeladen. Allerdings waren nur männliche Vertreter unserer Gastfamilie Babar gebeten worden zu kommen. Demnach war Thomas diesmal die Hauptperson und musste Teile der Zeremonie übernehmen. Wir bekamen beide den uns schon bekannten orangefarbenen Turban und durften als besondere Ehre das Innere des Tempels betreten und dort beten. Das Heiligtum wird normalerweise nur von Tempelverantwortlichen betreten. Selbstverständlich musste Thomas eine kurze Rede halten, auf englisch und auf deutsch. Die Herren wollten unsere Muttersprache einfach mal hören. Dass wieder zahlreiche Fotos gemacht wurden, brauche ich eigentlich nicht erwähnen.
Auch den zweiten Teil des Tages, unseren Workshop mit den Lehrern, haben wir in 2 Stunden gut geschafft. Zwar konnten wir nicht mit unserer vorbereiteten PowerPoint Präsentation starten, da der Strom gerade dann wieder ausfiel. Damit hatten wir jedoch gerechnet und waren auch anderweitig gut vorbereitet! Der typische Plan B für deutsche Projektmanager.
Da das englische Sprachniveau der einzelnen Lehrer sehr unterschiedlich ist, musste oft in Marathi übersetzt werden. Jeder Lehrer musste je 3 positive und 3 zu verbessernde Inhalte im Schulalltag aufschreiben und diese dann vor den anderen Kollegen/innen vorstellen. So eine offene Kommunikation ist eher untypisch. Ich hatten den Eindruck, dass es für einige der Frauen noch etwas schwieriger war, vor den anderen (Männern) zu sprechen. Aber sie brachten gute Inhalte. In der Kommunikation der Männer ist mir aufgefallen, dass sie überwiegend zu uns und weniger zu den (weiblichen) Kolleginnen gesprochen haben. Auf Fragen wird sehr schnell zugestimmt, „Yes, yes…“ oder „Ha, ha…“ in der Muttersprache. Dabei wird aber der Kopf geschüttelt! Obwohl ich diese konträre Verhaltensweise kenne, bin ich immer mal wieder verunsichert und werde stutzig. Zweimal kam eine Diskussion in der Muttersprache auf zu einem Thema, welches unterschiedlich, also positiv und negativ, von den Lehrern bewertet wurde. Da mussten wir dann deutlicher strukturierend eingreifen. Ansonsten lief alles ganz prima. Strom war auch nach einer gewissen Zeit wieder vorhanden und so verlief alles zu unserer Zufriedenheit. Wir haben auch Ergebnisse erzielt. Diese müssen jedoch jetzt schrittweise in 5 Arbeitsgruppen umgesetzt werden. Das wird, aufgrund anderer Vorstellungen von Pünktlichkeit und Disziplin, eine weitere Herausforderung für alle!
Lektion gelernt
Unterdessen haben wir vier Unterrichtstage miterlebt und morgen, Samstag ist auch noch ein Schultag. Das System kennen Thomas und ich teilweise auch noch aus unserer Schulzeit.
Am ersten Tag waren wir erstaunt, ja teilweise schockiert, was hier Unterricht bedeutet. Nach vier Tagen haben wir unsere Lektion jedoch gelernt! Die Bedingungen unter denen die Lehrer ihren Unterricht gestalten und die Schüler lernen müssen, sind um ein vielfältiges härter, als man es sich nur ansatzweise vorstellen kann. Alle Klassen bzw. Jahrgänge-angefangen von der Kita bis zur 8. Klasse-sind mit 10 bis 16 Schülern in kleinen, überdachten halbwandigen Räumen untergebracht. Wunderbar denkt man, dann kann in der Hitze ja etwas Luft zirkulieren. Stimmt! Allerdings ist der Geräuschpegel dadurch auch gigantisch. Man hat an jedem Klassenraum immer mind. 2 angrenzende Räume, in denen lautstark andere Unterrichtseinheiten abgehalten werden. Liest in der 7. Klasse z. B. gerade jeder Schüler leise für sich einen englischen Text, singt dahinter die Kitagruppe, nebenan referieren die Schüler der 6. Klasse in Marathi und auf dem Hof toben die Kids der Lehrerinnen, die (noch) nicht in die Einrichtung aufgenommen wurden. Auf dem Gang unterhält sich ein Lehrer mit dem Schulleiter in Hindi, der Hausmeister scheppert mit Wasserkübeln durch angrenzende Flure und Schulhelferinnen kehren singend den Abstellraum. Ich bin komplett überfordert! Ich höre alles und verstehe doch gar nichts!
Ausversehen hatte ich gestern in der 7. Klasse Interesse an ihrer Yoga-Stunde bekundet. Das hatte ich mir wohl nicht gut überlegt. Pünktlich 12 Uhr ging heute die Tür des Klassenzimmers auf, in dem wir gerade versuchten, dem Unterricht zu folgen. Ich wurde mit strahlendem Lächeln von einer Schülerin eingeladen, nun Yoga mitzumachen. Ich konnte auf keinen Fall ablehnen! So saß ich in der größten Mittagsglut mit 3 Schülern und 4 Schülerinnen auf einer überdachten kleinen Terrasse im Schneidersitz. Schnell wurde klar, dass meine bisherigen Yogastunden (immerhin 1 Jahr) diesen Anforderungen nicht genügen würden aber ich gab mein Bestes: dehnte, atmete und Omm´te, was auch immer möglich war. Zur Freude aller versteht sich und mit Fotoaufnahme durch den Schulleiter. Klassenbeste war ich natürlich nicht!
Thomas und ich sind jedoch nicht nur in der Schule präsent. Diese erste Woche war zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Kontakte knüpfen. In Indien läuft alles sehr hierarchisch. Ohne bestimmte Personen geht einfach gar nichts. Man muss immer bedenken, den Schulstifter zu fragen, danach erfolgt noch die Abstimmung mit dem Schulleiter, im besten Fall auch noch mit dem Schuladministrator und selbstverständlich mit dem Lehrer. Gott sei Dank, kennt Thomas das System schon. Ich hätte sicherlich zahlreiche Fettnäpfchen erwischt.
Unsere Aufgabe ist es, die Schule finanziell sicherer zu stellen ( neue Web-Site für spendende Unterstützer), die Unterrichtseinheiten zu verbessern und die Sichtbarkeit der Schule in der einheimischen aber auch in der internationalen Öffentlichkeit zu erhöhen. Eine RIESEN Aufgabe. Aber ich reise ja mit meinem persönlichen Profi-Projektmanager und gemeinsam haben wir unter Beachtung aller Hierarchien eine Plan gemacht, der nun noch Struktur bekommen soll. Dazu veranstalten wir morgen mit den 12 Lehrern, dem Schulleiter und dem Schuladministrator einen mehrstündigen Workshop. Wir wollen versuchen, aus der Lehrerschaft für die Zielerreichung tragfähige Ideen zu generieren. Nur dann werden diese auch praktisch im Alltag umgesetzt. Es gibt nur ein Problem…das ist ein typisch deutsches Vorgehen, mit Struktur und Flipchart, Witheboard, Kartenmaterial, Brainstorming…na ja mit den ganzen Moderationsmodulen. Wir haben keine Ahnung, ob das hier „wirkt“ also ob das System der offenen Meinungsäußerung und der selbstkritischen Reflexion möglich ist. Sicher ist, dass der Workshop morgen richtig schwer für uns wird. Alle Lehrer sind total motiviert und freuen sich, mit uns was zu machen. Ha, noch wissen Sie ja nicht, was morgen auf sie zukommt. Viele haben heute nach der Schule gemeinsam mit uns den Raum für morgen vorbereitet. Die Gesichter hättet ihr sehen müssen… Pinnwand? Großflächiges Papier? Flipchart? Textmarker? Beamer? Letzteres haben wir, alles andere ist total improvisiert. Erstaunlich, was man alles anders als ursprünglich gedacht nutzen kann. Ich muss an mein Väterchen denken: „ …erst brauchen wir eine vernünftige Ausrüstung und dann fangen wir an…“ So funktioniert hier gar nichts! Ausstattung? Kann doch alles irgendwie verwendet werden und was wir nicht haben, können wir auch nicht nutzen, also Improvisation ist hier das A und O!
Ich bin sehr gespannt auf den Workshop und ob es uns gelingt, die doch etwas träge Masse zu aktivieren. Auf keinen Fall wollen wir als die besserwissenden Europäer daherkommen und jahrelange gute Aufbauarbeit kritisieren. Und trotzdem müssen bestimmte Dinge angesprochen werden, die die Routine der Lehrerschaft unterbrechen werden. Das ist unser Auftrag, dafür wurden wir eingeladen. Morgen geht es also richtig los. Bitte alle Daumen drücken!