Unter Strom

Die letzten Tage in unserer Schule stehen wir im wahrsten Sinne des Wortes unter Strom. Es sollen noch 10 Deckenventilatoren angebracht werden. Seit Wochen versuchen wir dafür einen Elektriker zu finden und werden, wie immer, von Tag zu Tag und von Woche zu Woche vertröstet.
Immerhin hatten wir schon auf die gleiche abenteuerliche Art und Weise wie die Schulbücher die Ventilatoren geliefert bekommen. Mit dem Überlandbus von Pune wurden sie nach Sangola gefahren. Ein Lehrer sollte die Pakete am Busbahnhof abholen, hat aber selbst den Bus dorthin nicht rechtzeitig bekommen. Somit ist der Überlandbus mit unseren sehnlich erwarteten Ventilatoren weiter ins Landesinnere gefahren.

Wir sind Meister der Improvisation, doch die Inder sind Grossmeister im Improvisieren. Wir hätten auf die Rückfahrt des Busses gewartet und versucht am Ausgangsbusbahnhof die Pakete zu bekommen. Doch zwei unserer Lehrer hatten eine andere Idee und sind mit einem der klapperigen alten Schulbusse dem Überlandbus aus Pune über Sangola nach Pandhapur hinterhergezuckelt und….ja, sie haben ihn ein- und überholen können. Somit sind wir dann also doch noch zu unseren Ventilatorpaketen gekommen.

Nun fehlte also weiterhin noch der Elektriker. Aus Alegaon war keiner der beiden Elektriker willens, uns zu helfen. Daher haben wir einen Elektriker aus der Stadt kommen lassen müssen. Unsere selbst eingekauften Materialien (wir wollten Geld sparen) wie z. B. Haken, Klemmen, Kabel, Schalter, Regulatoren usw. haben ihm nur teilweise zugesagt und so hat er auch nur die Kabel von einem Raum in den nächsten verlegt und die Schalter sowie die Regulatoren angebracht. Den Rest, also das tatsächliche Anbringen der Ventilatoren, wollte er nicht mehr übernehmen.

Da Thomas gern bastelt, handwerkelt und noch weniger als ich Arbeit unvollendet stehen lassen kann, haben wir zwei heute die Ventilatoren tatsächlich selbst an die Stahldachkonstruktionen angebracht. Abenteuerlich! Es gibt nämlich keine Leitern und die Deckenhöhe beträgt mindestens 4 Meter. Also wieder improvisieren. Wir leihen uns ein ca. 1,50 Meter hohes Stahlgestell vom Schweisser aus dem Dorf und erhöhen dieses mit zwei Schulbänken.

Meine Aufgabe ist es, die einzelnen Ventilatoren zusammenzubauen und die Verlängerung der Deckenhalterung mit den Schellen, Schrauben usw. vorzubereiten. Thomas ist der Elektrofachmann und zieht die Kabel durch. Dann muss er in lichter wackeliger Höhe alles an der Decke und an den Strom anbringen. Da wir unterdessen ein gut eingespieltes Team sind, haben wir heute schon 7 der 10 Ventilatoren installiert. Morgen geht es weiter.

Indien und die Armee

Das Verhältnis der Inder zu ihrer Armee beschreibt man am besten mit „enthusiastisch“. In einer unserer Englischstunden ging es um den Begriff „proud“ – worauf man also stolz ist. Das erste was dann kam, war „unsere heroische Armee“. Als es darum ging, den Begriff „morose“ (griesgrämig) zu erläutern war die allererste Reaktion, dass die Soldaten der indischen Armee „morose“ auf die ständigen Attacken aus Pakistan reagieren würden. In beiden Fällen wäre mir sicherlich etwas anderes eingefallen.

„Army“ ist ein super respektierter Beruf, den hier auf dem Land eine Menge anstreben. Es wird voller Hochachtung von berenteten Offizieren gesprochen, die es „geschafft“ haben. Wenn es darum geht, irgend etwas negatives zu projizieren, kommt dagegen jedoch fast immer Pakistan in’s Gespräch.

Überall findet man Kasernen, die schön martialisch mit frisch angemalten Haubitzen und ausgemusterten Panzern am Eingang bestückt sind. Auch ein Panzermuseum gibt es gleich um die Ecke – aber irgendwie konnten wir uns nicht so dafür erwärmen – zu sehr durch pazifistische Erziehung verdorben.

Mein Lieblingsbild in dem Zusammenhang habe ich jedoch schon vor einiger Zeit aufgenommen als wir in Aurangabad waren. Es war eine Werbetafel, die gegenüber eines Militärgeländes angebracht war.

Die deutsche Entsprechung würde lauten:

„Die freie Tankstelle Südwallheim grüßt die Bundeswehr. Wir füllen die Mutigen ab.“ (stimmt natürlich nicht ganz – aber übersetzt selber von dem Bild)

Letzte Aufnahmen zur Erinnerung

Es gibt so viele erinnerungswürdige Momente aus unserem Farmalltag. Einige möchten wir gern teilen:

Generationen leben auf engstem Raum zusammen.

Nicht nur Fuchs und Hase sagen sich hier „gute Nacht!“

Wir feiern eine Party! Mangal kocht für 50 Personen eine Ziege. Wird das reichen?

Irgendwann muss man ja mal Feuerholz machen!

Schulbus: Los, einer geht noch rein!

Die frisch gemolkene Milch muss zur Sammelstelle transportiert werden.

Einweihung des Solarheaters mit einer kleinen „Kokusnuss-Zeremonie“. Endlich warmes Wasser am Morgen!

Da haben sich zwei „Knuddelmonster“ gefunden! Hier gibt es keine Verständigungsprobleme.

Trotz der vielen Arbeit ist Shria immer gut gelaunt. Wir mögen sie sehr und sind traurig, da wir mit ihr nicht in Verbindung bleiben können. Sie hat kein Handy und keinen Computer.

Es ist Regenzeit und unser Dach im Farmhaus hält leider nicht immer dicht.

Es ist gerade Mango- und Granatapfelzeit. Vitamine satt! Hmmm, einfach lecker und gleich hinterm Haus!

Ein lang geplantes Ereignis hat heute stattgefunden: staatlich verordnete „Baumpflanzung“. Wir würden sagen, es wurde ein „Umwelttag“ in der Schule organisiert. Die Regierung gibt einmal im Jahr an alle Schulen kleine Baumstecklinge aus, die dann mit den Schülern gepflanzt werden sollen. Man kann sich entscheiden, ob man an einen zentralen Platz in der näheren Umgebung fährt, wo die Bäume gepflanzt werden oder ob man selbst einen geeigneten Ort für die Stecklinge hat.
Unsere Schule hatte ca. 50 Baumstecklinge zugeteilt bekommen, die rings um das Schulgelände am Zaun entlang gepflanzt wurden. Die Schüler der 9. Klasse haben die Pflanzlöcher mit Spitzhacke in den harten trockenen Boden gegraben und somit alle Pflanzungen vorbereitet. Unkraut zupfen war leider auch angesagt, unter strenger Kontrolle der Lehrer.
Die jüngeren Schüler durften pflanzen und wässern. Jeweils eine Schülergruppe übernimmt dabei eine „Baumpatenschaft“ und muss sich nunmehr in der nachfolgenden Zeit um die Bewässerung des Baumes kümmern. Es ist sehr schön zu sehen, wie einige Kids während der Pausenzeiten kleine Wassereimer zu ihren Bäumen tragen und sie wässern.

Leider fehlten aus unserer Sicht noch ein paar theoretische Informationen zur Photosynthese, zu Umweltproblemen wie z. B. Luftverschmutzung oder auch zur Bedeutung von Bäumen in Bezug auf das Grundwasser. Diesen Part konnten und wollten wir jedoch nicht auch noch übernehmen. Es hätte dann für uns wieder mehr Vorbereitungszeit bedeutet denn auch unser Wissen dazu ist tief verschüttet, um Details an wissenshungrige Schüler weiterzugeben.

Hier noch ein paar Eindrücke vom heutigen „Umweltsamstag“.

Schulbücher per Bus

Nach fast drei Wochen Unterrichtszeit, hat bis heute noch kein Schüler ein aktuelles Lehrbuch und die Lehrer natürlich auch nicht. Somit wurde bisher auch kein Lehrstoff vermittelt, sondern die Zeit überbrückt mit Wiederholungen, Sport und Spiel…bis sich die Schüler aus der 9. Klasse beschwert haben. Daraufhin gab es gestern ein einstündiges Gespräch mit allen Eltern dieser Klasse über die Qualität in der Schule. Zu Recht!
Die Bestellung, Bezahlung und Lieferung der Schulbücher ist eine Odyssee! Was eigentlich ganz einfach mit einem Online-Bestellformular abgewickelt werden könnte, hat für uns wieder ein unvorstellbares Ausmass an Organisation bedeutet.

  1. Anzahl der Schüler in den jeweiligen Klassen feststellen (nicht so einfach, da zum Teil noch nicht einmal nach drei Wochen alle neuen Schüler bekannt sind. Teilweise werden Kinder von ihren Eltern einfach ohne weitere Info morgens in den Schulbus gesetzt und wir müssen dann nach und nach erst alle Informationen besorgen)
  2. Auswahl der benötigten Bücher treffen
  3. Bestellung bei einem Verlagshaus in Pune aufgeben (lange Zeit hieß es, das kann nur der Schulleiter direkt vor Ort machen. Bis wir verstanden hatten, dass es lediglich um das Ausfüllen eines Bestellformular geht, waren schon wieder ein paar Tage um)
  4. Bezahlung der Bücher organisieren
  5. Bücher beim Verlag abholen und verpacken lassen (unser Kontakt in Pune hatte natürlich für so etwas keine Zeit und er musste über mehrere Tage nachdrücklich telefonisch aufgefordert werden)
  6. Bücher mit einem Überlandbus von Pune nach Alegaon mitschicken
  7. Bücherlieferung mit einem Schulbus in Alegaon abholen (Abholung zu Hause beim Busfahrer, nachdem er von seiner Nachtfahrt ausgeschlafen hat)

Das Thema der Schulbuchbestellung wurde von uns bereits im Mai, weit vor Beginn des Schuljahres aufgeworfen. Dann hiess es aber erstmal „tomorrow, tomorrow!“ Zuständig und verantwortlich fühlt sich dann auch weiterhin niemand. Jeder Einzelne handelt nur nach konkreter Auftragserteilung durch uns. Da die Herren des bisherigen Schulmanagements oft kommen und gehen wie es ihnen, der Farm und der Familie gerade passt, wurde die Bestellung zeitlich verschleppt. Die Unzufriedenheit auf allen Seiten wuchs täglich.

Na dann wollen wir jetzt mal! Nun aber los! Wir bestellen gleich morgen. Wo ist nur das Bestellformular? Ok, muss erst noch heruntergeladen werden…morgen! Am nächsten Tag ist aber leider Stromausfall. Gut, dann halt morgen! ……

Nach tagelangen Gesprächen dieser Art haben wir aus lauter Verzweiflung die ganzen 7 o.g. Punkte selbst organisiert, und da war so manche Hürde dabei. Wie bekommt man eine grosse Menge Bargeld von Alegaon nach Pune? Visa-Karten gibt es hier nicht und Onlineüberweisungen sind auf dem Land auch nicht möglich. Noch nicht einmal alle Lehrer haben ein Girokonto. Vieles läuft in der Tat nur mit Bargeld oder durch Ausstellung eines Checks. Also war der Geldtransfer ein richtiges Problem. Thomas ist schliesslich zur Bank nach Sangola gefahren und hat am Schalter Bargeld auf ein Konto eingezahlt. Ein Vertreter des Managements hat dann für uns die Bestellung vor Ort in Pune übernommen und auch den Versand organisiert.

Der ganze Prozess hat uns wochenlang beschäftigt und wäre in Deutschland bestimmt in wenigen Tagen über die Bühne gegangen. Struktur ist doch was feines! Unterdessen ist uns aber klar, dass es keine Böswilligkeit ist. Das Nichtwissen um Effektivität und Effizienz ist für uns immer wieder erstaunlich.

Und nun war heute der grosse Paket-Tag. Alle Bücher sind angekommen und wurden heute von den Lehrern nach Klassenstufen sortiert. Ab morgen beginnt dann der richtige Unterricht. Endlich!