Auf den Spuren von Mahatma Gandhi

Wieder in der Grossstadt Pune angekommen, hatten wir uns für unsere letzten Tage hier vier wesentliche Dinge vorgenommen:

  1. Ein Paket mit Sachen zum Zurückschicken nach Deutschland vorbereiten
  2. Noch einmal einige Freunde und Bekannte besuchen
  3. Erinnerungseinkäufe und
  4. Sightseeing.

Die Reihenfolge war von uns noch nicht exakt festgelegt, daher haben wir gleich erst einmal mit Sightseeing angefangen. Obwohl Thomas ein reichliches Jahr hier in Pune gelebt und gearbeitet hat, kannte auch er noch nicht den durch TripAdvisor ausfindig gemachten Mogulpalast (Aga Khan Palace). Ihm fehlte einfach die richtige Frau an seiner Seite.

Mahatma Gandhi und seine Frau sind in Indien verehrte Persönlichkeiten. Allerdings ist ihr Engagement für Gleichberechtigung zwischen den indischen Kasten und in Bezug auf Bildung für alle unserer Einschätzung nach im Ausland weitaus bekannter und anerkannter.

Gandhi wurde mit seiner Frau und seinem persönlichen Sekretär, den er wie einen Sohn ansah, zwei Jahre im Aga Khan Palace „gefangen“gehalten. Beide verstarben auch dort und Gandhi fiel später einem Attentat zum Opfer. Der Palast zeigt eine sehr gelungene Ausstellung zur Lebensgeschichte der Gandhis. Teilweise werden Originalmöbel, Alltagsgegenstände und Bekleidung gezeigt. Der Palast verfügt über zahlreiche grosse und gut ausgestattete Räume und befindet sich in einer erstaunlich gepflegten Gartenanlage. Daher mussten wir unsere persönlichen Vorstellungen von „Gefangenschaft“ etwas korrigieren.

Anschliessend besuchten wir noch eine kleine Art Gallery, die moderne Malerei und Skulpturen zeitgenössischer indischer Künstler ausstellte. So richtig überzeugt hat uns jedoch nur ein Bild, alles andere war so ein Mittelding zwischen naiver Malerei und Abiturabschlussprojekt der Kunstklasse.
Die folgenden Fotos sind Aussenaufnahmen vom Gelände, nicht die Ausstellungsstücke!

Seit einigen Tagen kommen wir nun auch noch in den „Genuss“ der Regenzeit. Bei unserer Ankunft in Kolhapur, wo wir den berühmten Mahalakshmi Tempel und den New Palace besichtigen wollten, ging am ersten Tag aufgrund starken Regens erst einmal gar nichts mehr. Auch am zweiten Tag hatten wir mit mächtigen Regenfällen zu kämpfen. Das marode Kanalsystem kann die Wassermassen nicht bewältigen und Strassen aber auch landwirtschaftliche Nutzflächen ausserhalb stehen schnell komplett unter Wasser.

Trotzdem haben wir tropfnass unser „Kulturprogramm“ durchgezogen und konnten in einigen kurzen regenfreien Momente sehr schöne Eindrücke gewinnen.

Für unsere Weiterfahrt nach Pune am nächsten Tag hatten wir uns erneut für eine Zugfahrt entschieden. 8 Stunden für nur 250km! Somit wieder genügend Zeit, um Land und Leute genau beobachten zu können. Aller 5 Minuten kommt ein „fliegender Händler“, ein Teeverkäufer oder bettelnde Nomaden durch den Wagon. Sogar ein blinder Mann ging mehrfach in unserem Abteil auf und ab, bewegte sich verhältnismässig sicher durch die überall herumstehenden Menschenmassen und verkaufte Kartoffelchips.
Im Zug bekommt man teilweise merkwürdige Dinge zu kaufen. Schuheinlegesohlen, Schutzhüllen für Kreditkarten, aufblasbare Sitzkissen aber auch diverse abgepackte Knabbereien, frisches Obst, Wasser, Tee und Kaffee sowie Frittiertes. Die Einheimischen telefonieren lautstark, hören Musik ohne Kopfhörer, Kinder quengeln, alte Herren hüsteln vor sich hin und spucken aus dem Fenster. Der Abfall fliegt natürlich auch gleich zum Fenster raus. Schmutzige Hände oder die tropfende Nase wischen die Frauen an ihren Saris oder Kopftüchern ab. Eine Mutter hat sogar ihr kleines Kind mitten in den Gang pullern lassen. Dafür gabs dann aber nicht nur von uns strafende Blicke sondern auch die Einheimischen fanden das doch etwas zu viel. Thomas hat ganz demonstrativ Tempotaschentücher an die Mutter übergeben und sie unter zustimmendem Kopfschütteln der Anwesenden dazu genötigt, die Urinpfütze aufzuwischen.
Das ist alles nix für schwache Nerven! Entschädigt hat uns wieder einmal der Blick auf die durch die Regenzeit wunderbar ergrünte und sehr üppige Landschaft. Die Fahrt verlief ansonsten ohne Zwischenfälle und ohne Verspätung sind wir wieder in Pune angekommen.

Abschied nehmen von der Familie

Abschied nehmen von der Familie

So hatten wir uns das nicht vorgestellt – unseren Abschied hatten wir länger geplant – aber es lief anders als erwartet – irgendwie sehr anders.

Für den letzten Samstag vor unserer Abreise hatten wir eine kleines Essen mit Familie und den Lehrern geplant, am Sonntag wollten wir dann nochmal Eis essen mit der Familie und am Montag dann entspannt los. Wir hatten damit gerechnet, dass eigentlich alle auch irgendwie ein bisschen froh sein würden, die Belastung durch uns, sei es privat als Übernachtungsgäste oder beruflich in der Schule, irgendwann wieder loszuwerden.

Die emotionale Überforderung begann für uns mit Shria, die in der letzten Woche, als sie realisierte, dass wir wirklich packten, plötzlich total zusammenbrach.

Als wir sie trösten wollten, kam als Begründung „Seit meiner Kindheit, seit meiner Hochzeit hat sich nie jemand um mich geschert, nicht die Verwandten auch nicht mein Mann. Ihr ward in den fünf Monaten, die ihr hier ward, die ersten, denen ich wichtig war.“ Da war es mit uns auch geschehen – und die Tränen rollten auch bei uns – das wurde noch schlimmer als selbst Tatja und Mangal Tränen in die Augen bekamen. Es ist so bitter – für uns wird irgendwann das Leben weitergehen – für Shria wird das auf lange Zeit das Erlebnis sein an dem sie sich festhalten wird. Wir haben mit unserer Unbefangenheit letztendlich eine große Verantwortung übernommen, der wir hoffentlich gerecht werden können. Damit wir wenigstens den Abschied irgendwie überbrücken können, haben wir mit Hilfe eines Zuschusses von Sonnis Eltern für Shria noch ein einfaches Smartphone besorgt und Whatsapp eingerichtet und noch alles ausprobiert. Ich hoffe, dass wir es schaffen, auf die Entfernung weiterhin ein kleiner Lichtblick für sie zu sein.

Am Sonntag sind wir mit allen noch einmal nach Sangola gefahren, Shria hat sich in ihren tollsten Sari geschmissen, für alle gab es noch einmal Eis. In einem kleinen Laden wollte Shria dann, dass wir uns unbedingt ein Geschenk aussuchen sollen zum mitnehmen. Wir haben dann unter den vielen kitschigen Sachen einen kleinen Ganesh ausgesucht, den wir mit nach Deutschland nehmen werden.

Abends haben wir dann endlich unser Versprechen eingelöst und europäisch gekocht – Nudeln mit Tomatensauce. Die Gewürze hatten wir uns liefern lassen, da natürlich in Sangola kein Gewürzladen zu finden ist. Nudeln, Olivenöl und Oliven blieben jedoch zweimal im indischen Postnirvana liegen. Also haben wir die Nudeln selbst gemacht – dauerte zwar eine Weile, war aber lecker – alle Kinder aus der Nachbarschaft kamen nochmal vorbei und probierten – was soll ich sage: es schmeckte allen.

Shria fing dann auch nochmal das Kochen an, um uns Reiseproviant mitzugeben, haltbare Dal-Kekse, gerösteter Puffreis mit Chili, kleine frittierte Kekse – alles, damit wir nicht „verhungern“ unterwegs. Danach bekamen wir dann den Ganesh von ihr und sie von uns einen kleinen „Segen“-Stein, den Sonni aus Deutschland als Segen mitbekommen hatte – wir waren uns beide sicher, dass er ganau dorthin gehört und sie beschützen wird – noch einmal viele Tränen.

Das wurde am nächsten Morgen dann nicht besser – als dann sogar Ravi, der Mann von Shria, bei dem es in den letzten Wochen zu keiner ersichtlichen Gefühlsregung kam, die Tränen in den Augen standen, war dann das Maß voll. Es ging irgendwie nichts mehr – passend dazu setzte auch noch ein starker Monsoon-Regen ein, Prashant kam mit dem klapprigen Schulbus nicht bis zu Farm und wir liefen mit Gepäck bis zur Straße, Hand in Hand mit den Kids, die wir noch in der Schule ablieferten. Shria konnte ja nicht von der Farm weg und hat uns von dort lange hinterhergewunken. Tatja kam dann noch hinterhergerannt und brachte uns auch noch ein Stück, während Anna im Dorf auf uns wartete um uns zu verabschieden.

Wir sind jetzt erst einmal für zwei Tage nach Kolhapur gefahren, um wieder runterzukommen.

Umwidmung des neuen Klassenraumes

Eigentlich sollte es der neue Klassenraum für die 9. Klasse werden. Da wir jedoch das Konzept der Schule auf 1. bis 4. Klasse und Vorschule umgestellt haben, wird dieser Raum nicht mehr im ursprünglichen Sinne benötigt.
Um keine „Bauruine“ zu hinterlassen, haben wir uns spontan entschieden, den Bau wenigstens noch überdachen zu lassen. Davon sind nun alle total begeistert, auch unsere täglichen Kritiker. Die überdachte Fläche kann gerade in der Regenzeit sehr vielfältig genutzt werden z. B. für die morgendliche Zeremonie mit Gebet, für Yoga im Sportunterricht oder auch für Spieleinheiten mit den Vorschulkindern. Ausserdem besteht nun die Möglichkeit, die kleinen Schüler von den derzeit noch bestehenden zwei grösseren Klassen (5. und 9.) zu separieren und getrennte Angebote abzuhalten.

Für uns war es sehr beeindruckend zu sehen, wie ohne Baumaschinerie hier noch von Hand gebaut wird. Dazu wurden aus dem Dorf vier Hilfskräfte engagiert. Es mussten Säcke an Baumaterial herangeschleppt, Zement händisch gemischt und dann flächig-mit Hilfe eines Brettes für die Randbefestigung- verputzt werden. Die Verdichtung des mit Steinen aufgefüllten Plateaus erfolgte ebenfalls händisch mit einem relativ schweren Holzklotz an einer Holzstange. Wie fest der Untergrund damit wirklich wird oder ob der Boden unter grösserer Belastung doch irgendwann einbricht, bleibt abzuwarten.

Selbstverständlich ging es auch beim Bau nicht ohne unerwartete Schwierigkeiten. Der Wassertank auf dem Gelände der Schule, der für´s Händewaschen nach den Toilettengängen ca. 300 Liter zur Verfügung stellt, reichte leider nicht aus und plötzlich, mitten im Anrühren des Zementes, war Feierabend. Nun musste erst ein neuer Wassertank organisiert werden.

Vergangene Woche hätten wir nicht gedacht, dass der veränderte Bau nun doch noch während unserer Anwesenheit fertiggestellt wird. Da nun aber alle, auch die Handwerker im Dorf wissen, dass wir in zwei Tagen abreisen, drehen sich die Räder vermutlich etwas schneller. Wir sind auf alle Fälle zufrieden damit!

Lazy payers

Wir haben in der letzten Woche noch einmal angefangen, Geld von allen säumigen Schulgeld-Zahlern einzutreiben. Die Zahlungsmoral hier ist in der Tat katastrophal – aber durch einige Managemententscheidungen aus der Vergangenheit ist das Thema weiter verschärft worden. So gibt es keine ersichtlichen Konsequenzen für Nichtzahler – während auf der anderen Seite die Lehrer auf ihr Gehalt warten.

Sonja und ich sehen das im Wesentlichen als Managementversagen und setzen mit unseren Verbesserungen eher dort an. Als wir im April angefangen haben, das Geld einzutreiben, waren noch 160000 Rupien offen, ein Betrag, mit dem man die Lehrergehälter von zwei Monaten bezahlen könnte.

Als erstes haben wir die Säumigen klassifiziert nach „economic“ und „lazy“ – also nach denjenigen, die aus wirtschaftlichen Motiven nicht zahlen können und diejenigen, die trotz wirtschaftlicher Möglichkeit nicht zahlen. Von letzteren hatten wir dann diejenigen herausgesucht, die über die Hälfte des Jahresbeitrages noch nicht gezahlt hatten. Bis wir dahin kamen, war natürlich eine Menge an Recherche und Diskussionen mit den Lehrern notwendig, da es ja noch keine saubere Administration gab. Überall gab es noch Informationen, die im Nachgang kamen, seien es die Kinder des Schulfotografen, deren Fee eigentlich gegen das Gehalt des Fotografen gegengerechnet werden sollten, sei es, dass einige Eltern behaupteten, das die Gebühr bezahlt wurde und nur nicht korrekt verbucht wurde.

Unser Ansatz war, die Kinder der säumigen „lazy“ Zahler nach Hause zu schicken. Hierbei sind wir jedoch teilweise auf erbitterten Widerstand von Balasaheb gestoßen – trotzdem konnten wir das an einigen Stellen durchsetzen und haben innerhalb kurzer Zeit mehr als 80.000 Rupien einnehmen können und wenigstens einen Monat Gehalt an die Lehrer auszahlen können.

Das Ganze wiederholt sich natürlich nun im Juli – und auch nun gibt es wieder teils erbitterten Widerstand von Balasaheb, der ja dafür verantwortlich ist, die Schulgelder einzutreiben. Wir haben eigentlich vereinbart, dass die Schulbusfahrer angewiesen werden, die Kleinen gar nicht erst morgens mitzubringen. Das wurde aber an mehreren Tagen hintereinander durch die Fahrer nicht umgesetzt. So hatten wir nun die Kleinen hier in den Klassen – teilweise hatten sie noch ihre jüngeren Geschwisterkinder ohne jede Anmeldung (und Bezahlung) dabei.

Wir haben uns nun durchgesetzt und die Kinder nach Hause bringen lassen. Das ist natürlich für die Kinder extrem bitter und uns selbst blutet dabei das Herz, wenn man sie aus der Klasse rausholt und nach Hause bringen lässt – denn die Kleinen können nunmal am allerwenigsten dafür.

Da die Schule jedoch nicht vollständig durch Spenden finanziert wird – und auch nach aktueller Sicht niemals wird (der Finanzbedarf dafür wäre jährlich ca. 14.000 Euro) ist man auf die Zahlungen der Eltern nunmal angewiesen.

Unsere Hoffnung ist natürlich, dass wir noch ein wenig der Außenstände des letzten Jahres eintreiben können und dass mit einer stärkeren Konsequenz die Zahlungsmoral der Eltern und damit die Finanzsituation der Schule verbessert werden kann.