Im Rahmen eines Projektes war meine Partnerorganisation angehalten, einen 2-tägigen Evaluationsworkshop abzuhalten. Dieser sollte unter Teilnahme der Kolleg*innen der Verwaltung im Head Office und mit einigen Vorstandsmitgliedern stattfinden. Ziel war es, den “Strategieplan 2018-2022” und den “Sustainability plan” (Plan zur Projektnachhaltigkeit) auszuwerten, um danach neue Projektphasen beginnen zu können.
Dieses Vorhaben stand schon seit einigen Monaten im Raum und wurde im wöchentlichen Management Meeting von meinen Kolleg*innen immer mal wieder angesprochen, doch eine konkret Planung begann nicht. Ich wies dezent darauf hin, dass ich im März und April länger in Europa sein würde und daher in dieser Zeit nicht aktiv unterstützen könnte. Anderthalb Wochen vor meiner Dienst- und Urlaubsreise nach Deutschland konkretisierte sich die Zeitplanung für den Workshop. Selbstverständlich sollte ich dabei und in die Vorbereitung aktiv eingebunden sein. Na dann mal los!
Eilig wurde ein 4-köpfiges Vorbereitungsteam einberufen, um nun die Detailplanung für ca. 25 Teilnehmende anzugehen. Aufgrund bereits geplanter Termine mit externen Partnern und daher bestehender Verpflichtungen zur Teilnahme an externen Veranstaltungen, grenzte sich das Zeitfenster für die Durchführung des Evaluationsworkshops immer weiter ein. Schlussendlich sollte er dann mit nur ZWEI TAGEN Vorbereitung umgehend und noch vor meiner Ausreise nach Deutschland stattfinden.
In Anbetracht der sehr kurzen Vorbereitungszeit kam bei mir Ratlosigkeit auf, denn ich dachte an die zahlreichen Dinge, die noch organisiert werden müssten. Doch das Arbeiten ging Hand in Hand und jede*r schien genau zu wissen, was und wie alles am besten zu organisieren war. Eilig wurde erst einmal telefonisch der Termin mit den potentiellen Teilnehmern abgestimmt und danach umgehend die erforderliche offizielle Einladungen per e-Mail verschicken. Es begann die Recherche nach Tagungshotels außerhalb von Kigali. Das würde die Bereitschaft zur Teilnahme immense steigern, wurde mir erklärt. Nach mehreren Kostenangeboten und telefonischen Verhandlungen wurden die Hotelübernachtung und die Mahlzeiten gebucht. Außerdem sollte ein Kleinbus gemietet werden, um die PÜNKTLICHE Anreise aller Teilnehmenden sicherzustellen. Und alles selbstverständlich im Rahmen eines vorgegebenen Budgets aus den Projekten, die evaluiert werden sollten. Ich war beeindruckt, wie innerhalb so kurzer Zeit alle relevanten organisatorischen Themen nicht nur bearbeitet, sondern auch gut gelöst wurden. Spätestens bei der dritten Absage von einem Tagungshotel hätte ich Panik bekommen aber meine Kollegin telefonierte stoisch weiter sämtliche Optionen durch und …Volltreffer! Wir bekamen für einen erschwinglichen Preis ein traumhaftes Hotel mit einmaligem Blick.
Die inhaltliche Vorbereitung des Workshops lag ausschließlich in meinen Händen und das bereitete mir aufgrund der verbleibenden Zeit ebenfalls ein wenig Sorge. Eine zusätzliche Herausforderung bestand darin, dass die überwiegende Mehrzahl der Teilnehmenden blind oder sehr stark sehbeeinträchtigt war. Dementsprechend musste das Arbeitsmaterial auch in Brailleschrift erstellt werden. Das wurde vom RUB Rehabilitationscentrum in Masaka (MRCB) übernommen.
Meine Vorbereitung bestand nun darin, die wichtigsten Dokumente und Konzepte (Strategiepapier, Planungsunterlagen) schnell durchzuarbeiten. Dabei bekam ich Unterstützung von meiner lokalten Sparringspartnerin, Racheal. Sie beantwortete mir alle Fragen und erklärte die notwendigen Zusammenhänge. Als Workshop-Methoden wollte ich zum Einen das bekannte “World-Cafe” nutzen und in rotierenden Gruppen die gewünschten Inhalte erarbeiten lassen. Entsprechende Leitfragen stimmte ich mit den Kolleg*innen ab. Die Methode würde ich zu Beginn des Workshops intensiver vorstellen und erklären müssen, da Erfahrungen diesbezüglich nur bei wenigenTeilnehmenden vorhanden waren. Zum Anderen würde auch einfache Gruppenarbeit gut geeignet sein, um die vier Schwerpunkte des Strategieplanes auswerten und im Plenum präsentieren zu können. Innerhalb von nur zwei Tagen war mir eine inhaltlich und methodisch vielfältigere Vorbereitung des Workshops auch nicht möglich. Außerdem hatte ich gar keine Erfahrung und Vorstellung davon, wie bereitwillig, offen und intensiv die Kolleg*innen mitarbeiten würden. Daher verzichtete ich auf “auflockernde” Übungen und “kreative Aktivitäten” sondern beschränkte mich auf das inhaltliche Erarbeiten.
Gesundheitlich ging es mir zu dieser Zeit auch gar nicht gut. Ich hatte ständige recht heftige Kopfschmerzen und leichte Fieberschübe. Doch ich war in mehrfachen Tests, Corona-negativ, was ohnehin die Voraussetzung für eine Teilnahme am Workshop für alle war. Trotz meines Krankheitsgefühle wollte ich auf keinen Fall das Team enttäuschen und meine Teilnahme so kurz vor meiner geplanten längeren Abwesenheit absagen.
Der Evaluationsworkshop war außerdem die Voraussetzung für ein Treffen meiner Kolleg*innen in der darauf folgenden Woche mit den Projektsponsoren aus Dänemark. Es bestand also keine Möglichkeit, ihn nicht durchzuführen denn die Gäste aus Europa waren bereits eingeladen und die Anreise stand kurz bevor. So organisierte ich mit Hilfe von Racheal in letzter Minute den für die NGO so wichtigen Zweitagesworkshop und war gespannt auf die Ergebnisse.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde aller Teilnehmenden begannen wir auch umgehend mit der Gruppenarbeit. Das vorbereitete Arbeitsmaterial wurde ausgeteilt und jeder Gruppe eine sehende Kolleg*in zugeteilt. Die Präsentation der Inhalte sollte gruppenweise ebenfalls mit einer dafür vorbereiteten Vorlage erfolgen. So wollte ich das lästige Protokollieren ersetzen und Zeit für die Nachbereitung sparen. Außerdem konnten dadurch auch blinde Teilnehmende die formatierte Vorlage befüllen und sich diese über die Sprachausgabe-Funktion an ihrem Laptop vorlesen lassen.
Alle waren motiviert, die Stimmung entspannt und die Versorgung durch das Hotel freundlich und sehr gut. Das Personal versuchten den ungewohnten Umgang mit blinden und sehbeeinträchtigten Gästen so gut wie möglich zu gestalten, Hindernisse zu beseitigen und auf besondere Wünsche nach Begleitung einzugehen.
Am ersten Tag arbeiteten wir von 8:00 bis 17:00 Uhr mit einer kleinen Kaffee-Pause und einer einstündigen Mittagspause. Das war ein sehr ambitionierter Zeitplan für Menschen, die sich aufgrund des fehlenden Sehsinnes enorm auf ihr Umfeld konzentrieren müssen und dadurch schneller ermüden. Am Abend waren dann auch alle platt, ich inklusive!
Tagsüber hatte ich bei mir immer mal wieder “Fieberschübe” bemerkt. Die heimliche Temperaturmessung mit dem “Corona Thermometer” des Hotels ergab lediglich 37,6 °C, also nur erhöhte Temperatur. Doch ich fühlte mich schlecht und meine Wangen glühten, so dass mich sogar Kolleg*innen darauf ansprachen. Wird schon! War meine Antwort, was sollte ich auch machen?
Der erste Tag war aus meiner Wahrnehmung erfolgreich. Die Auswertung des mehrere Jahre gültigen Strategieplanes hatte konkret messbare Ergebnisse gebracht aber auch die Offenlegung von Versäumnissen bewirkt. Ich war zufrieden! Daran müsste das Team allerdings im Nachgang weiter arbeiten und Konsequenzen für den zukünftigen Projektablauf ziehen. Eine diesbezügliche Initiierung war bestimmt durch mich erforderlich aber erst nach meinem Deutschlandaufenthalt.
Auch der zweite Tag mit den Themenschwerpunkt “nachhaltiges Arbeiten” verlief ganz gut. Jedoch hatte ich Schwierigkeiten die “World Café” Methode verständlich zu machen. Der Ablauf war mit drei “Thementischen” (Hauptbüro, landesweite Niederlassungen und Rehabilitationnscentrum) sowie den dazu passenden Leitfragen geplant. An jedem Tisch würde ein Gruppen- Facilitator die Moderation übernehmen und jede Gruppe würde jedes Thema einmal diskutieren und Inhalte ergänzen. Die Bearbeitung versprach durch die drei wechselnden Teams umfassender und vielfältiger zu werden. Doch das war den Teilnehmenden nicht so einfach zu vermitteln. Es brauchte eine ganze Zeit bis jeder seinen Platz gefunden hatte und im Arbeitsmodus war. Die Ergebnisse der einzelnen Gruppen wurden erneut in einem vorbereiteten Dokument festgehalten und im Plenum vorgestellt.
Dabei musste ich jedoch feststellen, das der Begriff “Sustainability” (Nachhaltigkeit) sehr unterschiedlich verstanden und interpretiert wurde. Daher wäre eine Klärung für alle im Vorfeld sehr sinnvoll gewesen. So variierten die erarbeiteten Inhalte und die Ideen sehr stark. Trotzdem war es im Nachgang möglich, Schwerpunkte zum nachhaltigen Arbeiten zu clustern (externe Finanzen, Weiterbildung des Personals und Konzepte), mit denen man weiter arbeiten könnte.
Abschließend wollte ich den Fokus meiner Kolleg*innen bezüglich der anzustrebenden Nachhaltigkeit von dem überbordenden Wunsch nach mehr Finanzen und externen Geldgebern ein wenig relativieren. Daher stellte ich die Fragen: “Welchen persönlichen Beitrag wird jeder Workshopteilnehmer leisten, wenn es KEINE externen Gelder mehr gibt?”
Schweigen im Raum! Einige Minuten Bedenkzeit zum Überlegen. Nacheinander musste jeder Einzelne seinen Beitrag formulieren. Was soll ich sagen? Mir kamen fast die Tränen denn es war ein so anrührender und einmaliger Moment. Jetzt zeigte sich tatsächlich, wie stark emotional verbunden alle Anwesenden vom Vorstand über die ehrenamtliche Mitarbeiterin bis zum Chauffeur mit der NGO sind. Es kamen ganz phantastische und kreative Angebote. Aus meiner Sicht war es für die Direktorin der NGO ganz wunderbar zu hören, wie bereitwillig und tatkräftig sich ihre Kolleg*innen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten einbringen würden. Mehr musste man nicht sagen! Ein gelungener Abschluss, der alle zum Nachdenken angeregt und für weitere Diskussionen gesorgt hat.
Was doch alles mit nur ZWEI TAGEN Vorbereitung möglich ist!
Meine “Fieberschübe” hatten in den zwei Tagen nicht nachgelassen. Daher hatte ich mit Thomas verabredet, dass er mich auf halbem Weg mit dem Auto abholen kommt und wir gemeinsam in ein Krankenhaus fahren würden. Einen Malaria UND einen erneuten Corona-Test wollte ich machen lassen.
Es dauerte mehrere Stunden bis das Ergebnis vorlag. Beide Tests waren negativ. Ich war total erleichtert denn eine Freundin war mit genau diesen Symptomen auf beides positiv getestet worden. Ich hatte also mal wieder das Glück auf meiner Seite!