Am 07.03. erhielt ich eine Einladung per SMS von Tina. Sie würde ihren 26. Geburtstag am 09.03. gern mit mir feiern. Es war schon irgendwie komisch, eine Einladung als “Mom” von ihr zu bekommen, obwohl ich sie eigentlich gar nicht gut kenne und von “Mom” weit entfernt bin. Aber mit meinem Namen werde ich hier ohnehin so gut wie nie angesprochen. Trotzdem freute ich mich sehr über die Einladung, da es auch nicht üblich scheint, Gäste zu sich einzuladen.
Tina verabredete sich mit mir gegen 17 Uhr vor ihrer Kirche, die im Zentrum von Kigali liegt. Gemeinsam würden wir die heilige Messe besuchen. Diese sei anlässlich ihres Geburtstages auch ihr gewidmet. Das hatte sie nach eigener Aussage mit dem Prediger so abgesprochen bzw. vor Tagen extra angemeldet. So feiern nach Tinas Aussage Einheimische hier oft ihren Geburtstag, persönliche Jubiläen und individuelle Festtage mit der Gemeinde.
Ich liebe Kirchen! Das hängt vermutlich damit zusammen, dass mein Väterchen bereits wenige Tage nach meiner Geburt mit mir im Kinderwagen einen Spaziergang nach Großrückerswalde (Erzgebirge) in die dortige Pfarr- und spätere Wehrkirche aus dem 12. Jhd. unternahm. Auch im weiterenVerlauf meines Lebens besichtigte ich mit meinen Eltern unzählige Kirchen, Dome, Basiliken, Münster und Kathedralen. Die mit ihnen verbundene Geschichte, die oft beeindruckende Ausstattung mit kunsthistorischen Gegenständen aber vor allem auch die Klänge der Orgeln lassen bei mir stets ein Gefühl von Ehrfurcht, Frieden und ganz persönlicher Zufriedenheit und Ruhe aufkommen.
Tina freute sich wahnsinnig, dass ich tatsächlich gekommen war und wir gemeinsam den Gottesdienst besuchen würden. Für sie schien meine Anwesenheit eine besondere Würdigung ihres Geburtstages zu sein. Weder Freunde noch Familie und schon gar keine Geschenke ließen diesen Tag für sie bisher zu etwas Besonderem werden. Mein Erscheinen machten also heute den Unterschied! So stellte sie es zumindest dar.
Die Kirche, vor der wir uns trafen, ist ein Neubau von 1913. Im Gegensatz zu den historischen Kirchen in Deutschland löste sie daher bei mir keine besonderen Empfindungen aus. Der einstündige Gottesdienst wurde in Kinyarwanda gehalten und ich musste gut beobachten, welche Handlungen nacheinander dran waren und wie sich die Leute um mich herum verhielten. Ein kleiner Chor sang ohne Mikrophone und mit nur minimaler instrumenteller Begleitung auf einem E-Piano Kirchenlieder. Und da war sie dann, die ganz besondere Stimmung, die Musik und gemeinsamer Gesang auslösen kann. Kein zaghaftes leises Singen nur weniger Strophen durch Einzelne, sondern ein klarer mehrstimmiger voller Gesang aller Anwesenden (außer mir). Sehr ergreifend. Gänsehaut!
Im weiteren Verlauf wurden Gebete gesprochen und eine Taufe für einen erwachsenen Mann vorgenommen. Tina und ich nahmen am Abendmahl teil und ich hatte das Gefühl, alle Anwesenden, der zu einem Viertel gefüllten Kirche beobachtete mich als ich vor zum Altar ging.
Am Ende des Gottesdienstes bat mich Tina um ein Geburtstagsfoto in der Kirche zur Erinnerung an ihren, wie sie sagte, schönsten Tag im Leben. Ich war sehr gerührt über ihre Äußerung und die herzliche Umarmung. Vor der Kirche wartete schon ihr Bruder auf uns, der gerade von der Arbeit gekommen war und es daher nicht rechtzeitig zum Gottesdienst geschafft hatte. Gemeinsam fuhren wir mit je einem Motorrad-Taxi zu Tina nach Hause.
Wie schon einmal erwähnt, lebt sie mit der Familie ihres Bruders und in unmittelbarer Nähe zu ihrer Schwester. Die Wohnverhältnisse sind sehr, sehr einfach, die Räume klein und dunkel. Zu meinem Erstaunen war das Wohnzimmer mit einer Couch und einem kleinen Tisch sowie einer kleinen Schrankwand mit Fernseher recht europäisch eingerichtet. Eine Küche gibt es nicht. Gekocht wird in einem schmalen Verbindungsgang im Freien zwischen zwei Räumen. Tinas Schwägerin mit ihrem 3-jährigen Sohn sowie ihre Schwester mit ihrer drei-jährigen Tochter und zwei Freunde des Bruders kamen nach und nach und so füllte sich der Wohnbereich. Eine kleine Flasche Wein wurde geöffnet und wir stießen auf Tinas Wohl an. Über gesalzene Erdnüsse und Chips sowie eine Flasche Fanta freuten sich besonders die Kinder. Der Bruder brachte auch noch eine Schokoladencremetorte. Überraschung! Traditionell aber aus keinem erkennbaren Grund wird die Tortencreme durch die Gäste im Gesicht
des Geburtstagskindes verschmiert und dadurch die Dekoration zerstört. Schade drum! 😊
Ich überreichte Tina das Buch “No, thank you…!”, zu dessen Lesung und Vorstellung wir gemeinsam vor ein paar Wochen gegangen waren. Die Widmung der Autorin darin war für Tina unbegreiflich. Fast ehrfurchtsvoll wurde das Buch herumgereicht und immer wieder nachgefragt, ob tatsächlich die Autorin dort persönlich signiert habe.
Als mich Thomas gegen 20 Uhr auf seinem Heimweg von der Arbeit abholte, bekam auch er noch ein Stück von der Torte und gemeinsam sangen wir alle noch einmal “Happy Birthday…!” und zwar in Englisch, Deutsch, Suaheli, Französisch und Kinyarwanda. Thomas toppte den Abend mit einem russischen Geburtstagslied.
Auf unserer Rückfahrt wurde mir noch einmal bewusst, mit wie viel weniger Erwartung an Geschenke, an ein Festessen im Restaurant, an festliche Kleidung, an besondere Dekoration oder Musik wir gerade Tinas Geburtstag gefeiert hatten. Die Besonderheit an diesem Tag war ich mit meiner Bereitschaft, mit ihr den Gottesdienst zu besuchen. Einzelne Menschen und aufrichtige Beziehungen sind in unserem Leben etwas Besonderes und machen Tage zu Festtagen. Es tat gut, die eigenen Erwartungen relativiert zu sehen und stärker die Dankbarkeit zu empfinden für jedes “Plus”, was wir bei unseren Feierlichkeiten dazutun können. Wie feiern wir nun eigentlich Thomas 50. Geburtstag im April? 😉