Am Samstag nach dem Osterwochenende waren wir zur Taufe von Elisabeths Tochter Atete eingeladen. Die erforderlichen Details (Einladung) zum Event erreichten uns via WhatsApp einen Tag vorher. Der Taufgottesdienst würde 9 Uhr in der Katholischen Kirche „Regina Pace“ im Stadtteil Remera abgehalten werden. Obwohl wir unterdessen schon sehr mit den rwandischen Zeitangaben vertraut sind und diese auch zunehmen gelassener berücksichtigen, trauten wir uns doch nicht wesentlich später als in der Einladung angegeben, zu dem feierlichen Ereignis zu erscheinen. Pünktlich auf die Minute fuhren wir auf den Parkplatz direkt vor der Kirche.
Menschenmassen strömten in die Kirche, da in diesem Gottesdienst anscheinend zeitgleich 5 Brautpaare, mindestens 50 Täuflinge und weitere 30 Konfirmanden gesegnet werden würden. Sie alle standen mit ihren Familien auf dem Kirchplatz. Zu jeder dieser Parteien gehörte außerdem noch ein Fotograf, entweder ein Profi mit entsprechender Ausrüstung und Lichtinstallation oder ein Laienfotograf mit nicht weniger beeindruckender Kamera. Man hatte das Gefühl an einer riesigen Pressekonferenz teilzunehmen, auf der die Welt verkündet wird.
Erstaunlicherweise begann nur wenige Minuten nach 9 Uhr der Gottesdienst. Von Elisabeth und ihrer Familie war noch keine Spur. Lediglich Atete und ihre Taufpatin, Marice, ebenfalls eine Kollegin von Thomas, waren festlich gekleidet im Hauptschiff zu erkennen und winkten uns kurz zu, als sich unsere Blicke zufällig trafen. Es waren mehrere hundert Menschen in der Kirche und mit fortschreitender Zeit füllte sie sich weiter.
Wir sassen im Seitenschiff, um von dort besser Fotos machen zu können. Der Gottesdienst wurde in Kinyarwanda abgehalten und ein kleiner Chor stand bereit und unterstützte mit gewaltigem Stimmvolumen das sangesfreudige Publikum.
Mit einer reichlichen Stunde Verspätung kam Elisabeth und erkannte uns als einzige Europäer in der Masse der Anwesenden natürlich spielend. Sie schien noch bei der Kosmetik oder zumindest beim Friseur gewesen zu sein. Elisabeth sah umwerfend aus in ihrer traditionellen ‚Umushanana‘, bestehend aus einem langen Rock und einer Schärpe, die über einer Schulter geknotet getragen wird. Dazu trug sie hellgraue High Heels und lief damit problemlos und sehr elegant. Ich hätte in diesen Schuhen noch nicht einmal längere Zeit stehen können.
Im Akkord wurde von dem Hauptpriester das Ehegelübde der fünf Brautpaare abgenommen, alle Täuflinge und Konfirmanden gesegnet, die Taufkerzen überreicht und das Abendmahl mit der Gemeinde gefeiert. Da so viele Menschen anwesend waren, kam nicht jede/r Einzelne vor zum Altarraum, sondern der Priester ging mit seinen Gehilfen durch die Reihen und spendete den Segen. Ich fühlte mich ansatzweise an den Ostergottesdienst vor dem Vatikan in Rom erinnert. Die feierliche Zeremonie in der Kirche dauerte fast 4 Stunden.
Im Anschluss daran hatten wir zwei Stunden Zeit um die Tauf- Torten abzuholen, die wir als Geschenk nach Rücksprache mit Elisabeth bestellt hatten. 60 Gäste wurden am Nachmittag erwartet und 14 Uhr würden sich alle zum späten Lunch-Buffet im Hause ‚Ujeneza‘ treffen. ‚Ujeneza‘ ist nicht der Nachname von Elisabeth. Es ist ihr Name in Kinyarwanda und bedeutet „Die, die stets zur richtigen Zeit erscheint“. Das ist eigentlich ein Hohn, da gerade Elisabeth für unser Verständnis nie zur richtigen Zeit erscheint, sondern stets zu spät oder gar nicht auftaucht. Im ruandischen Kontext passt der Name jedoch wie die Faust auf’s Auge. Sehr gute Wahl!
Ein Essen für 60 Personen im eigenen Haushalt vorzubereiten, ist eine Meisterleistung, die nur mit Unterstützung von Freunden oder Profis möglich ist. Auch Elisabeth hatte diese Unterstützung und konnte sich so entspannter ihren Gästen widmen. Für uns war die Vorbereitung des Buffets ein weiterer einmaliger Einblick in die ruandische Kultur. Ähnliches hatten wir in Indien bereits kennengelernt, und so waren wir nicht allzu überrascht von der Gelassenheit und dem Improvisationstalent aller Beteiligten.
Im Haus und auf der hinteren Terrasse herrschte spektakuläres Chaos. Hühner, ein Hund und zahlreiche Kinder jeden Alters wuselten umher. Ein Videofilm auf großem Bildschirm im Wohnzimmer brachte später etwas Ruhe in die Kinderschar.
In riesigen Töpfen kochte Reis, Bananen wurden frittiert und Gemüse geputzt. Zerteilte und scharf angebratene Fleischstücke kochten mit Knochen ebenfalls in großen Pfannen über offenem Feuer. Die Platte eines Esstisches deckte man komplett mit einer dünnen Plastikfolie ab. Darauf wurde in kleinen mundgerechten Portionen das Salatbuffet bestehend aus Karotten, Gurken, rohen Zwiebeln, Avocado sowie hart gekochten Eiern angerichtet.
Gegessen wurde schlussendlich 18:30 Uhr und viele der Gäste, einschließlich uns, waren unterdessen hungrig! Dasher begann im wahrsten Sinne des Wortes ein Ansturm auf das Buffet. In wenigen Minuten sah man nur noch ein Schlachtfeld aus Speisen- und Knochenresten, Schalen von Früchten und Kuchenkrümeln, teilweise auch verteilt auf dem Teppich im Wohnzimmer. Die Rest von Spaghetti, die extra für die Kinder zubereitet und in einer großen Schale serviert worden waren, schienen ebenfalls überall verteilt zu sein. Nun waren alle gesättigt und zufrieden. Ehrengäste hielten eine Rede und es begann der gemütliche Teil des Abends.
Erneut war ich total erstaunt aber auch beeindruckt, wie Elisabeth als alleinerziehende Mutter mit der Organisation eines solchen Events umgeht. Sie ist einerseits an Traditionen gebunden und daher sowohl ihrer Tochter als auch ihrem sozialen Umfeld verpflichtet. Andererseits studiert Elisabeth seit zwei Jahren in Teilzeit an der Cargegie Mellon University (CMU) in Kigali und macht im Mai ihren Masterabschluss in ICT. Unkonventionelle Abweichungen in der Ausrichtung der Taufe ihrer Tochter aufgrund ihrer persönlichen, hoch angespannten Situation sind nur schwer vorstellbar. Daher bedarf es zusätzlichen Engagements von Elisabeth und ihrem Freundes- sowie Bekanntenkreis, um diese Herausforderung zu meistern. Unbestritten schafft sie dies ganz wunderbar auf ihre ganz eigene Art und Weise.
Am Abend wirkte sie ersichtlich müde aber auch sehr glücklich. Nun war nur noch die Frage zu klären, wer das ganze Chaos im und um das Haus am nächsten Tag wieder beseitigen würde. Als Thomas und ich uns verabschiedeten gab es dazu noch keinen „Ausführungsplan“, doch auch der wird sich nach unseren Erfahrungen hier ganz spontan ergeben.
Thomas und ich fühlten uns an diesem Tag sehr geehrt denn wir waren nicht als Arbeitskollegen von Elisabeth eingeladen, wie etliche andere Anwesende. Vielmehr durften wir sogar am Tisch der engsten Familienmitglieder und Ehrengäste sitze. Dementsprechend wurden wir auch bei der Begrüßung vorgestellt. Obwohl wir Elisabeth und Atmete erst seit 4 Jahren kennen und uns auch nur in größeren zeitlichen Abständen treffen, gemeinsam etwas unternehmen oder auch mal ein Bier trinken gehen, hat sich doch unterdessen ein fast familiäres Verhältnis entwickelt. Freundschaft brauch Zeit, die man sich mit- und füreinander nimmt!