Darauf hatten wir schon seit längerem hingearbeitet. Ein keiner Ausflug mit Shria. Sie darf als Frau ihre Farm nur verlassen, wenn sie am Wochenende zum Gebet in den Tempel geht. Alle anderen Besuche im Dorf sind ihr untersagt. Allerdings kann sie in Begleitung ihres Mannes Ravie in andere Orte fahren, um dort für sich einzukaufen. Da Ravie jedoch als Farmer „immer“ arbeitet bzw. irgendwo unterwegs ist, sind Ausflüge für sie eine Seltenheit.
Shria ist eine sehr aufgeschlossene, intelligente und wissbegierige junge Frau (28 Jahre alt). Sie spricht nur einzelne Worte englisch, versteht aber sehr viel unserer englischen Kommunikation. Interessiert fragt sie uns über Traditionen, Familie, unsere Reisen und das Leben im Allgemein in Deutschland aus.
Da gerade Ferien sind, sind ihre beiden Kinder bei ihrem Bruder und den Großeltern und es bleibt etwas Zeit für sie selbst. Diese Chance haben wir ergriffen. Unter dem Vorwand, ich brauche Hilfe beim Einkaufen von T-Shirts baten wir sie, uns nach Sangola zum Shoppen zu begleiten. Gemeinsam wollten wir dann auch gleich noch Lebensmittel auf dem Markt einkaufen. Unser Plan ging auf und so sind gestern Shria, Ravie und die 5-jährige Tochter von Ravies Schwester auf dem einen Motorrad und Thomas und ich auf dem anderen Motorrad zum „Großeinkauf“ nach Sangola gefahren.
Im ersten, eher traditionellen indischen Bekleidungsshop ging eine schmale steile Metalltreppe in den oberen Verkaufsraum. Wir mussten unsere Schuhe beim Betreten des Ladens ausziehen und quetschten uns die Stufen nach oben. Dort saßen bereits eine Mutter mit ihrer Tochter und suchte nach Oberteilen. Der Verkäufer, ein kleiner Mann von ca. 1,50 m passte ganz wunderbar in den niedrigen Raum mit den breiten vollgestopften Regalen. Er zog wahllos Plastiktüten mit bunten Oberteilen hervor und warf sie auf den Boden. Zum Anprobieren musste ich mich hinsetzen, da andererseits die Raumhöhe nicht ausgereicht hätte. Wir gaben jedoch nach kurzer Zeit auf. Zu klein, zu glitzernd, zu indisch.
Eigentlich sollte jedoch unser kleiner Ausflug ja auch eine Auszeit für Shria sein, also stoppten wir noch in einem Straßencafé, in dem Milchshakes und Lassies gemixt wurden. Alle waren happy, inklusive des Ladenbesitzers aufgrund unserer Anwesenheit.
Nach dem obligatorischen Markt mit nun durch Shria unterstützten Preisverhandlungen, die uns immerhin 10 Rupien extra einbrachten, stoppten wir an einem Schmuckladen, der sich jedoch im hinteren Gebäudeteil als Friseur- und Kosmetikstudio entpuppte. Jetzt legte Shria los. Eigentlich sollte es nur eine Minute dauern aber Ravi wusste wohl schon dass es dauern würde und macht es sich bequem. Thomas versuchte sich derweil irgendwie zu beschäftigen, da er sowieso nicht in den gesamten Laden durfte: „Nur für Frauen“. Das Aussuchen von ein klein wenig Nagellack und ein paar Bindies (Klebepunkte, die als modisches Acessoire auf die Stirn kommen) dauerte dann über eine Stunde.
Egal – Shria war glücklich. Diesmal war sie die Hauptperson, die von allen im Laden befragt wurde und ziemlich stolz berichtete, dass wir 5 Monate Gäste bei ihr wären. Alle wollten alles ganz genau wissen. Dann folgten die üblichen Selfies.
Die Männer saßen unterdessen draußen und beobachteten das Geschehen auf der Straße. Eine Prozession mit Trommeln und Rasseln sowie zahlreichen tanzenden Frauen und Männern zogen vorbei Richtung Tempel am Ende der Straße. Ein kleiner Junge wurde, ausstaffiert wie für eine Hochzeit, für eine religiöse Initiationsfeier hinter dem tobenden tanzenden trommelnden Tross in einem Auto durch die Gegend gekarrt. Er sah irgendwie ziemlich desinteressiert aus im Vergleich zum restlichen Pulk. Auf dem Rückweg der Truppe vom Tempel wurde Thomas mehr oder weniger gegen seinen Willen mit in die Menge gezerrt. 3 Männer konnte ich ausmachen, die an seinem Arm zerrte, bis er endlich mit dabei war und ein paar bekümmerte Versuche machte, lustig zu sein. Damit er nicht so alleine in der tanzenden Masse verschwand, gab ich mir noch einen Ruck und hüpfte ein wenig mit. Daraufhin waren alle glücklich. Es folgten Hände schütteln und Fotos und der Tross verschwand.
Shria hatte sich in der Zwischenzeit verschönern lassen und hatte nichts davon mitbekommen. Ravi hatte sich heimlich verzogen und uns allein gelassen, was für ein Feigling. Anyway, Shria war glücklich.
Auf dem Rückweg duften wir dann endlich mal einkaufen – Zucker, Sago und Öl in Großhandelspackungen auf einer mittelalterlichen Waage abgewogen. Die Motorräder bis zum Abwinken überladen ging es dann irgendwann heim.
Wir wahren am Ende total durch – aber Shria war glücklich und strahlte. Ein Ausflug mehr in diesem Jahr für sie. Was für ein Erfolg!