Ein Tisch hat doch vier Beine!

Über adäquate Arbeitsbedingungen verbunden mit Arbeits- sowie Datenschutz braucht man hier in den meisten Bereichen gar nicht reden. Es gibt sie schlichtweg nicht. Die zentralen Vorgaben für Staatsbedienstete sind sehr umfangreich aber es gibt keine Diskussion über individuelle Lösungen aufgrund der persönlichen Situation des Arbeitnehmers.

So haben auch unsere Security Guards ein schweres Los. Sie arbeiten in zwei Schichten zu je 12 Stunden. Irgendwann gibt es mal einen freien Tag für jeden aber von regelmäßiger Dienst- und Schichtplanung kann keine Rede sein. Auch die Versorgung mit Mundschutz, Händedesinfektion oder selbst einfachem Handwaschmittel übernimmt der Arbeitgeber nicht. Daher hatten wir uns mit dem Ausbruch von Corona teilweise darum bemüht.

Bei normalen Temperaturen laufen die Guards auf dem Grundstück herum und versuchen, uns beim entspannten Sitzen auf unserer Terrasse nicht zu stören. Anderenfalls ziehen sie sich diskret hinter das Haus zurück. Dort steht ihnen, gerade bei extremeren Temperaturen oder in der Regenzeit, in einer Wellblechbaracke ein Raum von ca. 4 qm zur Verfügung. Er ist kahl und es gibt nur einen Haken an der Wand, einen weißen Plastikstuhl und ein großes Schicht-Notizbuch. Das wird in Ermangelung einer adäquaten Ausstattung auf dem Boden abgelegt. In diesem Raum oder besser Räumchen können sich die Guards umziehen und die Privatsachen gegen die Uniform tauschen. In einer Ecke des Raumes steht meist ein Rucksack mit Essen und einer Flasche Wasser, sowie das Schuhputzzeug. Letzteres ist super wichtig, da vor jeder Schicht die schwarzen Lederstiefel geflimmert werden (müssen!).

Neben dem winzigen Raum befindet sich ein Stehklo, allerdings mit Wasserspülung und einem Eimer, falls diese einmal ausfallen sollte. Nun muss man nicht denken, dass nur unser Haus bzw. Grundstück so mangelhaft für das Servicepersonal ausgestattet ist. Das ist der traurige Standard in allen Muzungu- Anwesen bzw. auch auf allen Grundstücken der einheimischen Mittelschicht. Manchmal sind es sogar nur Nischen, in denen die Guards allem Wetter trotzen müssen.

Daher hatten Thomas und ich überlegt, die Arbeitsbedingungen unserer Guards ein wenig zu verbessern. Wir schlugen ihnen vor, einen neuen Stuhl und einen Tisch aber auch einen Sonnenschirm zu kaufen. So könnten sie draußen neben dem großen Rolltor sitzen und hätten auch einen besseren Überblick über vorbeigehende Passanten. Begeisterung!

Am nächsten Tag zeigten uns zwei Guards zum Schichtwechsel einen Katalog mit Stühlen. Sie wüssten, wo in Kicukiro ein „Studio“ wäre, wo man so etwas kaufen könnte. Wir waren überrascht und verabredeten uns mit Donatien, der gerade die Nachtschicht verliess, am nächsten Tag, Samstag um 8:30 Uhr zum gemeinsamen Einkauf. Schließlich sollte die Ausstattung den Wünschen der drei Guards entsprechen.

Nach einem gemeinsamen Frühstückskaffee brachen wir auf. Allerdings wurde uns schon an der ersten Kreuzung klar, dass Donatien keinen Plan hatte, wo er mit uns den Stuhl kaufen wollte. So fuhren wir zu unserer Verärgerung am verkehrsreichen Samstagmorgen mit dem Auto in die Innenstadt. Ziel- und planlos!

Auf dem ersten Großmarkt, dem bekannten „Kigali Wood-market“ gab es zwar unzählige Möbelstücke jedweder Art, Form und Größe. Allerdings waren alle aus Holz, wie der Name des Marktes ja bereits vermuten liess. Aufgrund der bevorstehenden Regenzeit und der generellen Nutzung des Stuhls im Freien hatten wir jedoch in unserer Vorstellung ein anderes Material im Auge. Also brachen wir nach den üblichen ersten Verhandlungs-gesprächen die Aktion ab und fuhren weiter. Einmal quer durch die Innenstadt. Der Stadtverkehr ist zwar nicht so chaotisch wie wir ihn aus Indien kennen, jedoch trotzdem nichts für schwache Nerven und ungeduldige Fahrer. Um die wahl- und sinnlose Suche nach einem „Möbelstudio“ zu beenden und vielleicht trotzdem noch erfolgreich unser geplantes Vorhaben umsetzen zu können, entschlossen wir uns schweren Herzens wieder einmal zu „T 2000“ zu fahren. Das zweietagige, von Chinesen geleitete und entsprechend ausgestattete Shoppingcenter trägt zwar nie zur Verbesserung unserer Laune bei, ist jedoch die „erste Adresse“ für alles, was man im Alltag braucht aber auch für alles, was man niemals brauchen wird. Der dortige Qualitätsanspruch passt leider gar nicht mit unserem zusammen, doch es gibt scheinbar wirklich ALLES!

So war das Probesitzen von Donatien auf diversen Stühlen schnell erfolgreich. Ein etwas höherer Bar-Stuhl, sollte es sein. Dazu passend gab es auch einen hochbeinigen runden Tisch mit Glasplatte. Beides aus rostfreiem Metall und schwarz lackiert. Die Ausstellungs-stücke wiesen jedoch schon Abnutzungserscheinungen auf, d. h. der Lack war an einigen Stellen einfach schon ab. Wir signalisierten Interesse an dem Modell und bekamen genau diese beiden Möbelstücke und eine Sprühdose schwarzen Autolack angeboten. Schließlich könne man doch die kleinen Schäden damit ganz leicht selbst ausbessern und es seien ohnehin die letzten Exemplare. Der Verkaufspreis bliebe allerdings der selbe! Wie bitte? Das war doch bestimmt ein Missverständnis!? Aber nein, die meinten das ernst! Thomas versuchte zu verhandeln und plötzlich standen drei junge Verkäufer um uns herum und argumentierten. Donatien war diesbezüglich keine Hilfe, ihm schien das alles nur mega peinlich zu sein. Das Verhandlungsgespräch ging einige Minuten erfolglos hin und her und wir waren gerade dabei abzubrechen. Plötzlich brachte einer der Verkäufer doch noch je ein verpacktes und bis zur Unkenntlichkeit verstaubtes Exemplar aus dem Lager angeschleppt. Na bitte, hatten wir es doch vermutet! Zweite Verhandlungsrunde!

Nun wurde entpackt und die auseinander geschraubten Modelle zur Überprüfung zusammengebaut. Dabei stellte Thomas fest, dass die Tischbeine unterschiedlich lang waren. Zwei kurze und zwei etwas längere waren in der Packung zusammengestellt worden. Diese Erkenntnis kam für uns einerseits zum ungünstigsten Zeitpunkt, da wir bereits 45 Minuten in dem Center zugebracht, gewartet und diskutiert hatten. Andererseits kam die Erkenntnis ja genau richtig, da wir unseren potentiellen Neuerwerb noch nicht bezahlt hatten. Was nun? Ein Verkäufer baute unbeirrt von Thomas Erkenntnis den Tisch manuell weiter zusammen und die zwei anderen Verkäufer standen ungläubig daneben. Auch beim Beobachten der handwerklichen Fähigkeiten bekam man als Kunde keine leuchtenden Augen in Vorfreude auf den neuen Besitz. Im Zeitlupentempo wurden Schrauben gedreht, passendes Werkzeug gesucht, dicke Staubschichten abgewischt und die Maße der Tischbeine mehrfach genommen. Als die praktische Erkenntnis des Nichtpassens nicht mehr zu verleugnen war, wurde kurzerhand noch einmal der Hammer geschwungen und mit Gewalt auf das Tischbein eingehämmert. Doch es half nichts, es passte einfach nicht! Nun sollte das Ausstellungsstück auseinander geschraubt und die Beine ausgetauscht werden. Na das konnte ein ganz guter Plan sein! Weitere 30 Minuten vergingen, bis unzählige verkantete Schrauben manuell raus- und am neuen Modell wieder rein geschraubt waren.

Donatien hatten wir unterdessen Taxi-Geld gegeben und nach Hause geschickt. Er würde ja noch die Nachtschicht antreten müssen und brauchte ein wenig Schlaf. Thomas hatte sich auf einer weiteren Sitzgruppe im Ausstellungsbereich niedergelassen und beobachtete genervt das unvorstellbare Treiben. Stolz zeigt uns der Verkäufer nach weiteren 20 Minuten, dass unterdessen die drei ausgetauschten und neu angeschraubten Tischbeine ganz wunderbar passten, obwohl sie unterschiedlich lang seien. Es sei also alles kein Problem und wir könnten den Tisch nun ruhig mitnehmen. „Ein Tisch hat doch aber wohl 4 Beine!“ rief Thomas etwas lauter als beabsichtigt und war nahe am Explodieren. „Alle Beine müssen passen, sonst wird das hier nix!“ Genervt nahm nun er den Schraubendreher und half dem völlig verunsicherten Verkäufer beim weiteren Austauschen, Auseinanderbauen und Zusammensetzen. Im Endergebnis kippelte der Tisch immer noch etwas. Ein wenig Druck mit dem gesamten Körpergewicht und ein kräftiger Faustschlag auf die Tischplatte durch den Center Manager und der Tisch stand perfekt. Na bitte, wer sagt’s denn, passt doch! Dritte Runde! Wir kauften und bezahlten endlich den verdammten Tisch und den dazu passenden Stuhl und verliessen nach zwei Stunden „T 2000“. Der Samstagvormittag war unglücklicherweise leider vorbei, unsere Guards jedoch waren mehr als happy über die neue Sitzmöglichkeit in unserem Garten. Nun fehlt uns nur noch ein passender großer Sonnenschirm aber das wird bestimmt eine weitere lustige Begebenheit.

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