5. Tag: Serengeti

Der heutige Tag würde ein ganz entspannter werden. Eine Tagestour zu einem Wasserloch in der Serengeti, an dem wir Zehbra-, Gnu- und Antilopenherden sehen würden. Wir konnten also mal ausschlafen und mussten auch unser Zelt nicht abbauen, da wir noch einmal das gleiche Nachtlager nutzen würden. Im Schlenderschritt spazierten wir nach einem einfachen Frühstück, bestehend aus Milchtee und Chapati, über die Ebene. Sie wandelt sich nach einiger Zeit in die ersten Ausläufer der uns bekannten Serengeti. Diese Bezeichnung stammt von dem Maasai-Word „esirinket“ ab und bedeutet „endlose Ebene“. Die Landschaft wird noch karger, der Boden trockener und man sieht bzw. durchquert trockene Flussläufe. Allerdings bekommt man eine gute Vorstellung davon, welche Wassermassen sich in den ausgetrockneten Fußbetten bewegen, sobald die Regenzeit begonnen hat.

Wir liefen und liefen. Die Zeit verging, aber wir hatten nicht wirklich das Gefühl vorwärts zu kommen. Die in der Ferne erkennbaren Berge rückten nicht wirklich näher. Doch plötzlich sahen wir Umrisse von großen Tieren. Es waren anfangs nur ein, zwei aber mit jedem Schritt kamen am Horizont weitere nur schemenhaft erkennbare dunkle Punkte zum Vorschein, die sich langsam bewegten.
Wir schlichen uns heran und wurden von den Gnus und Zebras wachsam beobachtet. Anfangs flüchteten sie sofort, aber später hatten wir das Gefühl, sie hatten registriert, dass wir keine Bedrohung waren und von uns kein Angriff zu erwarten war. So ließen uns die Leittiere etwas näher an ihre Herde heran.

In größter Mittagshitze erreichten wir das Wasserloch, an dem sich in der Tat zahlreiche Tiere aufhielten. Unsere Begleiter erklärten uns, dass Gnus oft in unmittelbarer Nähe zu Zebras weiden. Letztere sind in der Lage, die langen und meist trockenen Grashalme in der Serengeti abzugrasen. Die Gnus dagegen können sich nur von den kurzen, bodentiefen grünen Büscheln ernähren. Eine natürliche Kooperation zur Nahrungsaufnahme ohne zähe Vertragsverhandlungen. Das hat die Natur doch ganz wunderbar geregelt.

Einen der größten und schwersten, jedoch trotzdem fliegenden Vögel Afrikas (lt. Aussage unserer Guides) haben wir ebenfalls mehrfach gesehen. Die sehr scheue und bis zu 1,30 Meter große Riesentrappe (Kori bustard oder Ardeotis kori struthiunculus) kann bis zu 19 kg wiegen. Sie ernährt sich nicht nur von Beeren und Samen, sondern auch von kleinen Reptilien, Schlangen und sogar Jungvögeln. Aufgrund ihrer weiß-braunen Farbe ist sie im Grasland der Serengeti fast nicht zu erkennen. Doch wir hatten das große Glück!

Unser Rückweg war dann nicht mehr im Schlenderschritt zu absolvieren. Wenga wollte uns die Vielfalt der Ebene zeigen und so ging es Hügel aufwärts und abwärts vorbei an blühenden Weideflächen, einer singulären Maasai-Rundhütte und durch steinige Ausläufer von früheren Lavaströmen. Unterwegs bekamen wir sogar noch einen Sandelholzbaum gezeigt. Ein Ast des Baumes war vor kurzer Zeit abgesägt worden, und so duftete der Stumpf noch relativ intensiv.

Am Nachmittag waren wir wieder zurück an unserem bekannten Zeltlager vor dem Maasai Boma. Die Jugend hatte sich unter dem einzigen Baum der Umgebung versammelt und hörte aus einem dröhnenden Lautsprecher moderne afrikanische Musik. Sogar wir kannten einen der Songs, da er gerade aktuell ist und somit überall in Kigali rauf und runter gespielt wird. Es ist ein tansanischer Song bzw. Künstler aber das wussten wir bisher nicht. Einige wenige Worte konnten wir mitsingen. Das war natürlich DAS Ereignis und sorgte für allgemeine Belustigung.

Thomas hatte den ganzen Tag lang unzählige Fotos geschossen, von denen wir
die Hälfte am Abend wieder löschten. Bilder können ohnehin diese Naturerlebnisse nicht ansatzweise wiedergeben. Wir wünschen uns sehr, dass es uns gelingt sie dann erneut abzurufen, wenn wir Entspannung und Ruhe dringend benötigen.

Vorbereitungen für Tansania

Aufgrund des zusätzlichen freien Tages im Anschluss an den „heros-day“, hatte Thomas erneut die Chance ergriffen und wollte 4 Urlaubstage dranhängen. Wir überlegten, nach Tansania zu fliegen. Eine Kollegin von Thomas ist dort aufgewachsen und hatte immer mal wieder sehr begeistert berichtet. Von anderen Bekannten hatten wir von atemberaubenden Wanderungen in Kraterlandschaften gehört und die Maasai-Kultur interessierte uns selbstverständlich auch.
Mündlich war der Urlaub von Thomas Vorgesetztem bereits bestätigt und der schriftliche Antrag lag in der Personalabteilung zur Unterzeichnung vor. Die Flüge hatten wir daraufhin schon gebucht, um ein preisgünstiges Angebot nutzen zu können. Der Hinflug sollte am Sonntag, 02.02. mittags starten.
Wir freuten uns sehr und hatten umgehend Recherchen für passende Touren gestartet. Dabei half uns der „Lonely Planet“ aber es stellte sich bald heraus, dass eine komplett selbständig organisierte Tour ausgeschlossen sein würde. Die Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln sowie der Transport von einem Ort zum nächsten schien in der Abgeschiedenheit der Bergen und durch die Weiten der Ebenen schwierig. Wir wollten gern 6 Tage entlang der Vulkankrater und in einem Teil der Serengeti wandern. Doch diese Vorstellung schien sich selbst mit einem Reiseanbieter gar nicht so einfach umsetzten zu lassen. Es wurden überwiegend Gruppen-Safari-Touren angeboten und diese zu unverschämten Preisen.
Es gibt in der abgeschiedenen Gegend der Ngorongoro Conservation Area, dem offiziellen Lebensraum der Maasai, nur zwei offizielle Zeltplätze und wenige aber sehr hochpreisige Lodges (US $ 250 pro Person und pro Nacht). Erfahrene Eseltreiber transportieren mit ihren Tieren auf den Trekkingrouten das erforderliche Wasser und alle Lebensmittel. Außerdem benötigt man einen lokalen Guide für jeden Landschaftsbereich (Krater-Region, Serengeti, Lake Natron-Region). So sichert Tansania durch den Tourismus einigen Einheimischen eine regelmäßige Arbeit und damit ein akzeptables Einkommen. Gut so! Jedoch für uns bestand dadurch in der Vorbereitung keine Chance zur Selbstorganisation.
Ein kleines Reisebüro schien uns letztendlich sehr vielversprechend. Es hatte sein Büro in der Ngorongoro Conservation Area und nicht in irgendeiner Großstadt. Der Mitarbeiter ging konkret auf unsere Wünsche ein, meldete sich umgehend und reagierte sofort auf unsere Nachfragen. Anschließend wurde das Angebot für uns angepasst. Wir fühlten uns gut beraten und waren sehr zufrieden. Mit „Tanzania Cultural Tourism“ würden wir gern reisen. Unsere Tour stand fest, war jedoch noch nicht gebucht.

1. Tag:

  • Flug nach Arusha (Kilimandscharo-Airport)
  • von Arusha mit Jeep in die Ngorongoro Conservation Area
  • Fahrt mit dem Jeep entlang des Ngorongoro Kraters
  • Weiterfahrt zum Empakai Krater und Abstieg in den Krater
  • Übernachtung im Zelt am Empakai-Krater

2. Tag:

  • Wanderung auf der Acacia Hochebene zum Naiyobi Village (Maasai Dorf)
  • Übernachtung im Zelt im Acacia Camp (Wildnis, kein Zeltplatz)

3. Tag:

  • Abstieg über Riffs und Klippen in das Tal am Fuß des Oldonyo Lengai (aktiver Vulkan)
  • Fahrt mit Jeep in die „Lake Natron“ Region
  • Übernachtung auf einem offiziellen Zeltplatz (mit Sanitäranlagen)
  • Wanderung am Nachmittag zu einem Wasserfall

4. Tag:

  • Trekking auf der Leparakash Ebene entlang des Embalulu Kraters
  • Übernachtung im Zelt in der Ebene vor einem Maasai Boma (traditionelles Maasai Dorf)

5. Tag:

  • Wanderung auf den Angata kiti Plains
  • Beobachtung von Wildtieren in der freien Natur
  • erneut Übernachtung in der Leparakash Ebene vor dem Maasai Boma

6. Tag:

  • Abstieg aus der Leparakash Ebene zum Engaresero Village (kleines lokales Versorgungszentrum)
  • Wanderung zum Lake Natron (Salzsee und bedeutende Brutstätte für Flamingos)
  • 3 Stunden Fahrt mit dem Jeep in die Ortschaft Mosquito
  • Übernachtung in einer Herberge

7. Tag:

  • Fahrt mit Jeep von Mosquito nach Arusha (ca 2 Stunden)
  • Frühstück im „Kitamu Coffee“
  • Weiterfahrt zum Kilimandscharo-Airport (ca 1 Std. von Arusha)

Dieser Reiseablauf gefiel uns, er versprach vielfältige Naturerlebnisse.

Am Mittwochabend, also 3 Tage vor unserem geplanten Abflug, kam Thomas total frustriert von Arbeit nach Hause und teilte mir mit, die Personalabteilung habe ihn darüber informiert, dass er den Urlaub so nicht nehmen kann. Sein lokaler Arbeitgeber genehmige den Mitarbeitenden nur zweimal im Jahr Urlaub. Wir hätten ja bereits zum Jahresanfang ein paar Tage genommen und die arbeitsvertragliche Regelung besage, dass somit nunmehr alle verbleibenden Urlaubstage am Stück von ihm genommen werden müssten. Anderenfalls würde die Tage verfallen. Aber wir hatten doch für August anlässlich der Hochzeit einer meiner besten Freundinnen bereits eine 1-wöchige Reise in die Heimat geplant! Die müsste dann entfallen?! Das ging ja alles gar nicht. Und nun? Ich war entsetzt und Thomas frustriert.
Mit seinem Vorgesetzten hatte sich Thomas am Nachmittag dazu umgehend verständigt und er hatte versprochen, sich für uns einzusetzen. Doch konnten wir uns darauf verlassen? Die Zeit war auch nicht gerade auf unserer Seite. In zwei Tagen, am Freitag, musste Klarheit bestehen denn sonst blieben uns nur drei Möglichkeiten:

1. den Urlaub trotz fehlender Genehmigung der Personalabteilung antreten und Thomas Kündigung riskieren,
2. die Flüge nach Tansania verfallen lassen und die Reise nicht antreten oder
3. den gesamten Jahresurlaub jetzt sofort am Stück zu nehmen, nach Tansania zu fliegen und danach weiter zu planen.

Letzteres würde jedoch bedeuten, dass Thomas projektbedingt bis Ende Juli keinen einzigen Tag Urlaub mehr hätte und täglich 10 Stunden arbeiten würde. Für ihn und auch für mich unvorstellbar. Es würde doch hoffentlich noch eine gute Lösung für uns geben!? Am nächsten Tag sollte noch einmal ein Gespräch mit der Personalabteilung stattfinden, um die komplizierten Vertragsregelungen zu klären. Schließlich hatte Thomas einen lokalen Arbeitsvertrag mit RISA und einen „Ergänzungsvertrag“ mit der GIZ. Welche Vorschriften würden für ihn greifen und wäre in dieser Situation auch eine unkomplizierte „Mischvariante“ denkbar?

Missverständnis

Thomas konnte sich vom vergangenen Jahr noch daran erinnern, dass am 01.02. in Ruanda der jährliche „heros day“ (Tag der Helden) stattfinden würde. Dafür gab es auch noch einen extra freien Tag, so dass erneut ein verlängertes Wochenende für uns anstand.

Jeden letzten Sonntag eines Monats ist verpflichtend für alle Einheimischen Communitywork angesagt. Bei unserer letzten Teilnahme am so genannten Umuganda am 26.01.  hatten wir Dank der Übersetzung von Doreen, einer BWL-Studentin und weitläufigen Nachbarin erfahren, dass alle Anwesenden aufgefordert worden waren, den Tag der Helden in jedem Umudugudu (Dorf), in jeder Akagari (Zelle) und sogar in jeder Isibo (Nachbarschaft) durch ein nachbarschaftiches Treffen gemeinsam zu feiern.

Das haben Thomas und ich natürlich sofort aufgegriffen und mit 3 unserer unmittelbaren Nachbarn, die auch am Umuganda teilnahmen, ein kleines informelles nachbarschaftliches Treffen verabredet. Fortune, unsere „Isibo-Verantwortliche“, würde sich über unsere WhatsApp-Gruppe zum Ort und zur Zeit noch einmal bei allen melden. Wir könnten darüber dann auch klären, wer in welcher Form etwas zu dem Event beitragen kann. Das klang doch sehr gut!
Es waren also 5 Tage Zeit für die Vorbereitungen. Am Samstag, 01.02. sollte die Feier stattfinden. 4 Tage lang hörten wir gar nix, doch dann erhielten wir am Donnerstagabend von Fortune eine Einladung in Kinyarwande zu der angedachten Veranstaltung. Auf Nachfrage folgte eine Übersetzung für uns. Wir würden uns alle  ab 10:00 Uhr im „Tequila Paradise“ treffen und sie würde jemanden organisieren, der uns abholte und dorthin begleitete. Wir schrieben sofort über WhatsApp zurück, dass das nicht nötig sei, da wir das „Tequila Paradise“ als unser Fitness-Studio ja kennen und es fußläufig zu erreichen ist. Gern würden wir jedoch einen Kuchen mitbringen und so fragten wir  nach, ob das in die allgemeine Planung passe. Es kam keine Antwort zurück. Wir kauften daher am Freitag noch einige Backzutaten ein und bereiteten einen Sandkuchen vor, den wir am Samstagvormittag vor dem Event noch schnell mit Schoko-Kuvertüre verzieren konnten. Auch einen Apfelkuchen wollten wir als typisch deutschen Hefekuchen mitnehmen. Der Teig war angesetzt und sollte „über Nacht gehen“.
Der Sandkuchen war schon fertig, die Kovertüre musste nur noch trocknen und wir wollten gerade mit dem Apfelkuchen beginnen. Allerdings hatten wir noch immer keine Rückmeldung bezüglich unseres Vorschlages, Kuchen mitzubringen. Das verunsicherte uns ein wenig. Wir wussten, dass eine klare und ehrliche Meinungsäußerung nicht unbedingt zur Kernkompetenz vieler Einheimischer gehört, sondern zurückhaltende Verschwiegenheit eher an der Tagesordnung ist. Außerdem ließ der Veranstaltungsort darauf schließen, dass sich nicht nur wie geplant die unmittelbare Nachbarschaft treffen würde. Daraufhin schrieb Thomas eine entsprechende WhatsApp-Anfrage an Doreen und sie bestätigte unsere Vermutung. Es handelte sich nicht mehr um ein nettes informelles Zusammentreffen der Nachbarschaft, sondern um ein hoch politisches und zentral organisiertes gesellschaftliches Großereignis. Wir waren bedient! Auf das Backen des Apfelkuchens verzichteten wir nach diesen neuen Informationen natürlich.

Was sollten wir denn nun mit dem Sandkuchen machen? Am nächsten Morgen würden wir für 7 Tage nach Tansania aufbrechen. Den frisch gebackenen Kuchen einfrieren? Es war kein Platz mehr in unserem kleinen Gefrierfach! Den lecker duftenden Kuchen selbst essen? Eigentlich eine sehr gute Idee, aber das war dann für 2 Personen an einem Tag doch etwas viel. So luden wir spontan Anja und Olaf, GIZ-Kollegen aus Hamburg zu uns zum Kaffeetrinken ein und spendierten auch unseren Security-Guards noch ein-zwei Stück. Sie freuten sich natürlich riesig. Damit war das Thema geklärt!

Vermutlich standen uns nun aber erst einmal 2 bis 3 Stunden lang Reden auf Kinyarwanda über die Errungenschaften des Landes und die Bedeutung der nationalen Helden im Aufbau des Landes bevor. Darauf hatten wir natürlich gar keine Lust. Das musste doch nun wirklich nicht sein! Wir versuchten per WhatsApp einen charmanten Rückzug mit der Begründung, die Sprache nicht zu verstehen. Jedoch wurden wir freundlich darauf hingewiesen, dass wir mit unserem Erscheinen die Verbundenheit mit dem ruandischen Volk zeigen und den Nationalfeiertag würdigen würden. Großartig! Aus dieser Nummer kamen wir also nicht mehr raus. Etwas verärgert, zumal keiner unserer bekannten und unmittelbaren Nachbarn teilnehmen würden, machten wir uns gegen 10:30 Uhr dann doch auf den Weg zum „Tequila Paradise“. Nun nutzten wir mal das „afrikanische Zeitverständnis“ zu unseren Gunsten.
Es überraschte uns nicht, dass in einem großen Saal, der ansonsten für Hochzeiten genutzt wurde, eine Art Hauptversammlung mit ca 80 bis 100 Personen aus dem gesamten Umudugudu abgehalten wurde. Im Präsidium saßen an 2 weiß gedeckten Tischen 5 Personen, 2 Frauen und 3 Männer. Sie alle würden eine Rede halten. Vielleicht hatten einige es ja auch bereits schon getan?  So jedenfalls unsere Hoffnung! Wir kannten nur einen der Redner vom Umuganda und Fortune.
Bei unserer Ankunft schwang sie gerade gestikulierend ihre Rede. Dazwischen erschallten nach ihrer Aufforderung kämpferische Ausrufe von den Anwesenden. Vereinzelt wurden auch Lieder angestimmt, alle erhoben sich von ihren Sitzen, klatschten und sangen mit.
Leider konnten wir uns trotz unseres verspäteten Erscheinens nicht in einer der hinteren Stuhlreihen „verstecken“, um bei Bedarf spontan aufstehen und gehen zu können. Nein, wir wurden in die vorderste Sitzreihe gebeten und unsere Namen auf einer Anwesenheitsliste eingetragen. Es bestand also keine Chance vorzeitig zu entkommen! Wir ergaben uns unserem Schicksal und versuchten, interessiert zu wirken. Das war auch nur dadurch
möglich, dass wir wieder einen „Übersetzter“ zugewiesen bekommen hatten. So konnten wir doch wenigstens punktuell dem Geschehen folgen. Nach einer reichlichen Stunden war erstaunlicherweise der formale Teil schon vorbei. Unsere Hoffnung, dass einige Präsidiumsmitglieder und politisch Aktive ihre Redebeiträge bereits vor unserem Erscheinen gehalten hatten, wurde damit bestätigt. Es hatte sich also gelohnt, ausnahmsweise mal nicht pünktlich zu erscheinen! Eine wunderbare Erfahrung, die uns ein wenig Zufriedenheit zurückgab!
Nun begann die eigentliche Feier zum Tag der Helden. Es wurden gekochte Maiskolben für die Anwesenden ausgegeben und alkoholfreie Getränke wie Cola, Fanta und Wasser gleich aus den Kästen heraus für alle im Saal verteilt.
Fortune und eine weitere Rednerin begannen zu einer im Hintergrund laufenden Musik zu tanzen, doch es sprang kein Funke über. Die
Teilnehmenden blieben sitzen, knabberten an ihren Maiskolben und waren froh über die unüblichen und für sie seltenen Erfrischungsgetränke.

Wir versuchten, mit dem einen oder anderen noch kurz ins Gespräch zu kommen, bedankten uns bei Fortune für die Einladung und wurden von ihr zum Abschied herzlich gedrückt. Selbstverständlich bot sie uns an, zu den Anwesenden sprechen zu können aber das Thema „Nationale Helden“ lag uns nicht wirklich und so lehnten wir dankend ab. Das war für sie auch in Ordnung, schließlich hätte spontan eine Übersetzung stattfinden müssen und das war aufgrund der doch eingeschränkten Englischkenntnisse der Anwesenden eher schwierig.

Wir freuten uns, dass wir Fortune mit unserer Teilnahme aber offensichtlich sehr stolz und glücklich gemacht hatten. Zufrieden spazierten wir nach Hause zurück und bereiteten uns auf unseren Urlaub in Tansania vor. Packen der Rucksäcke! Unser Flug ging am nächsten Tag.

Fulu Miziki

Das neue Jahr war erst wenige Tage alt und wir wollten mit Freunden noch darauf anstoßen. Daher trafen wir uns an einem Samstag im Mamba-Club, einem beliebten Backpacker- Hostel im angesagten Stadtteil Kimihurura. Dieser Teil Kigalis ist bekannt für seine Kunst- und Kulturszene mit vielen kleinen Bars, Restaurants und Galerien. Das wollten nun auch wir mal etwas genauer erkunden.
Der Mamba-Club bietet alles, was Rucksacktouristen und Reisende allgemein lieben: eine Bar, ein Beachvolleyballfeld, einen Billardtisch, einen Spielplatz für die Kinder und sogar einen kleinen Pool. Einfaches Essen, Snacks und Getränke können jederzeit gegen ein überschaubares Entgelt bestellt werden. Um die Attraktivität nicht nur für Touristen sondern auch für die einheimische Mittelschicht zu erhöhen, finden ab und an Konzerte statt oder DJs legen auf. An diesem Samstag war „Fulu Miziki“ angesagt, eine kongolesische Band, die sich der traditionellen afrikanischen Musik verschrieben hat. Wir hatten keine Vorstellung davon, was uns musikalisch erwarten würde und waren daher sehr gespannt.
Bei unserer Ankunft gegen 16:30 Uhr, es sollte allerdings schon 15:00 Uhr los gegangen sein, fanden noch die letzten Vorbereitungen auf der Bühne statt: Sound-Check mit den traditionellen Instrumenten und die Scheinwerfer sowie Mikrophone wurden ausgerichtet. Das Mischpult stand überdacht und somit regensicher in der Mitte des Beachvolleyballfeldes. Im Sand eingesunkene Plastikstühle zum bequemen Abhängen standen ringsherum. Alles wirkte sehr professionell. Am Eingang des Geländes hatte man kleine Kunsthandwerksstände aufgebaut, die geschmackvolle Kleinigkeiten verkauften. Etwas abseits schraubten zwei Muzungus im Rasta-Look und Dreadlocks an einem alten klapprigen Wohnmobil herum. Sie hatten eine Afrika-Tour damit hinter sich und am nächsten Tag sollte es weiter gehen. Kinder rannten herum oder schaukelten auf dem Spielplatz. Erstmalig sah ich vereinzelte Personen in der Öffentlichkeit rauchen. In Ruanda ist das und auch das Essen in der Öffentlichkeit verboten!
Die Bar des Mamba-Clubs war geöffnet und es gab Leckeres vom Grill. Überall saßen auffällig alternativ oder betont extravagant gekleidete Leute herum. Wir passten weder zu der einen, noch zu der anderen Gruppe und fühlten uns ein wenig fehl am Platz. Zu normal!
Es war ein buntes Gewimmel an Nationalitäten und wir waren froh, als unsere Freunde mit ihren Kindern gegen 17:00 Uhr auftauchten. Jetzt erst einmal etwas essen und Getränke fassen! Prost aufs neue Jahr! So verging noch einmal eine reichliche Stunde aber das eigentliche Konzert hatte noch immer nicht begonnen. Zur Überbrückung gab es eine Musik-Licht-Performance mit einem DJ und weitere (alkoholfreie) Getränke für uns und die Kids. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit verabschiedeten sich unsere Freunde, die Kinder fingen an zu quengeln, sie mussten ins Bett. Wir wollten dem Ganzen jedoch noch eine Chance geben und warteten noch eine weitere Stunde.

Endlich ging es los. Der Veranstalter forderte alle noch in Plastikstühlen Sitzenden auf, aufzustehen und so der Band ihren Respekt zu zeigen. Die Stühle wurden sogar zusammengestellt und weggeräumt.
Was nun auf der Bühne erschien, war für uns mehr als unerwartet. Weder traditionelle Kostüme noch historische Instrumente. Jeder Einzelne der Band trat in einem total verrückten Kostüm auf, was aus Müll und sonstigen Konsumresten zusammengestellt war. Teesiebe und Gasmasken waren zu einer Brille oder zu einer Kopfbedeckung verarbeitet worden. Einzelne Maschinenteile hatte die Band zu Instrumenten zusammengeschraubt. Zwei Plastikrohre in einem Gestell wurden mit Hilfe eines Flip-Flops an deren Öffnungen angeschlagen und dadurch zu einem dumpfen Klangkörper. Sogar ein rostiger Flaschenzug kam mit seinen alten Ketten und Zahnrädern als Ratsche zum Einsatz. Wir staunten, was alles umbaufähig war und wie kreativ Müll zum Einsatz kommen kann. Damit wollen die Mitglieder vom „Fulu Miziki“ auf die konsumbedingte Verschwendung und den Umweltschutz, nicht nur in ihrem Land, aufmerksam machen. Es ist ihnen gelungen!

Ich wurde während des Auftritts unweigerlich an das Musical „Starlight Express“ erinnert, in dem die Akteure unterschiedliche Zug-Typen darstellen und auf Rollschuhen, ebenfalls mit verrückten Kostümen, im Saal herumfahren. Diese sind jedoch designed und nicht aus Müll
zusammengetragen.
Was für ein gigantischer Eindruck und ein echtes Erlebnis. Jedoch ist diese Art von Musik (Garbage/Trash) für meine Ohren nur eine sehr begrenzte Zeit gut zu verkraften. Risiken und Nebenwirkungen treten bei längerem Hören auf und trüben dann auch ein wenig die bis dahin überwiegende Freude. Wir blieben nicht bis zum Ende des Konzertes. Obwohl unsere Freunde nicht live dabei waren, haben sie das Konzert trotzdem miterlebt, denn es war weit über den Stadtteil Kimihurura hinaus zu hören.

Whiskey Destillerie

Der Besuch in der ersten ost-afrikanischen Whiskey Destillerie, hier in Kigali, war mein Weihnachtsgeschenk für Thomas. In der „1000 Hills Distillery“ werden Rum, Vodka, Kaffee- und Macadamianuss-Liköre sowie Gin aber eben auch single Malt Whiskey produziert. Den Gutschein für eine Führung vor Ort, für die anschließende Verkostung ALLER Produkte und für
Cocktails mit abschließendem Abendessen zu bekommen, war eine Woche vor Weihnachten schon eine kleine Odyssee.
Die Bestellung des Gutscheins ging ganz einfach per E. Mail, aber dann kam die Bezahlung und die war etwas schwieriger. Mir wurde ein Link zugeschickt, über den ich online bezahlen sollte. Jedoch wurde meine ausländische Visa-Karte von diesem System nicht angenommen. PayPal konnte ich in diesem Fall für die Bestellung bei einer ruandischen Firma auch nicht nutzen und für Mobilemoney (ruandischer Mobilfunkt-Online-Bezahldienst) bin ich nicht angemeldet. Gott sei Dank stand ich mit Andrew, einem britischen Mitarbeiter der Destillerie im Kontakt. Wir verabredeten, dass ich die Summe als Bargeld einfach in den nächsten Tagen bei ihm im Büro vorbeibringen sollte. Ich machte mich also
am Folgetag auf den Weg, um mich von einem Motorradtaxi zur Destillerie fahren zu lassen. Nun ist das nicht gerade ein Fahrziel für die
Einheimischen, sondern schon eher eine Touristenattraktion. Daher fragte ich drei Moto-Taxifahrer vergebens, sie verstanden einfach mein Anliegen und die Destination nicht. Die Karte auf Google Maps mit dem roten Pin für
den Standort der Destillerie half auch nicht. Ich gab auf und ging nach Hause zurück. Erneut schrieb ich Andrew, dass dieser Plan leider nicht funktioniert hatte und dass ich aber auch nicht mit unserem privaten Auto kommen könne.
Das hatte gerade einen Kühler-Schaden und ich daher Angst, bergauf mitten auf der Hauptstraße dampfend und qualmend stehenzubleiben. Aber Andrew bot mir an, einen Marketing-Mitarbeiter bei uns zu Hause vorbeizuschicken, der dann eben das Bargeld abholen würde. Ich war begeistert! Einige Tage später klingelte es gegen mittag, die „Geldübergabe“ erfolgte und ich
bekam vom Marketing-Chef höchstpersönlich den „1000-Hills-Distillery-Christmas- Gutschein“ überreicht. Der war eine weiße A4-Druckerpapierseite im Querformat mit einem dicken kleinen Weihnachtsmann und einem Tannenbaum vorn drauf und der Überschrift „Giftvoucher from Sonja to Thomas“. OK, so hatte ich mir das nicht ganz vorgestellt, aber ich war zufrieden, dass sich meine Geschenkidee in die Realität hatte umsetzen lassen.

Mit diesem Gutschein waren wir nun am vergangenen Samstag zur Führung in der Destillerie. Sie liegt etwas außerhalb von Kigali auf einem kleinen Berg. Der Blick ins Tal und über Kigali ist wunderschön, sowohl am Tag als auch abends.

Anders als man es sich üblicherweise vorstellt, gab es keine riesigen Kellergewölbe mit gewaltigen Eichenfässern zu besichtigen, in
denen der Whiskey Jahrzehnte gelagert wird. Hier in Kigali ist lediglich die 3-jährige Lagerung erlaubt und danach muss aufgrund rechtlicher
Vorgaben das Erzeugnis abgefüllt und verkauft werden. Es gibt also lediglich „junge“ Whiskeysorten. Die Besonderheit des Whiskeys ist jedoch, dass er in Holzkohle getränkt wird und daher einen milden, leicht rauchigen Geschmack bekommt. Sehr angenehm und lecker, sogar für mich.

Auch die anderen Produkte wie Vodka, Gin, Rum und der Kaffee- Likör sind mild im Geschmack und daher pur trinkbar.
Trotzdem hatten wir uns im Verlauf des Abends für Cocktails entschieden. Außerdem gabs Bio-Rindersteak aufm „heißen Stein“.

Die Rinder, die dafür ihr Leben lassen müssen, werden mit der Melasse und anderen pflanzlichen Abfallprodukten aus der Destillerie gefüttert und weiden in der unmittelbaren Nachbarschaft. Somit übernimmt die „1000 Hills Distillery“ auch in der Community eine soziale Aufgabe und unterstützt die Bauern der Umgebung. Alle hochprozentigen Produkte sind „Made in Rwanda“, da nicht nur die Produktion sondern auch die Zutaten wie Zuckerrohr und Gewürze aus dem eigenen Land oder zumindest aus Afrika stammen.

Die eine oder andere Flasche wird mit unserer Abreise sicherlich auch noch ihren Weg nach Deutschland finden.