Wo soll ich scheißen

Ja ich weiß, der Titel ist etwas unflätig – aber so heißt nunmal der Slum, den wir gestern aus der Ferne betrachtet haben. Er soll abgerissen werden, um neuen tollen Villen Platz zu machen. Die Menschen darin arbeiten jedoch schon in Villen auf der anderen Seite des Berges als Haushälter . Wenn sie umgesiedelt werden, verlieren sie ihre Arbeitsplätze und die Wohnung. Daher kämpfen sie seit Jahren vor Gericht darum, bleiben zu dürfen. Bis jetzt haben sie immer gewonnen. Rene bezweifelt aber, dass sie auf lange Sicht gegen den Staat, der das Gebiet entwickeln möchte, gewinnen werden.

Inzwischen habe ich hier mit der Arbeit begonnen. Ich bin Bestandteil einer übergroßen Expat Community, die hier vor Ort ist und dem Land helfen möchte. Die Managementebene des Landes ist soweit ich das feststellen kann, sehr gut gebildet und wahnsinnig ambitioniert. Auf den Ebenen darunter fällt das Wissen dann allerdings schon wieder sehr schnell ab.

Manager haben größtenteils Auslanderfahrung, umfangreiches Wissen und würden auch in Europa sehr gut klar kommen. Ich arbeite in der “Ruanda Information Services Authority”, eine eigenständige Gesellschaft innerhalb des Ministeriums, die für das gesamte Land die IT Strategie verantwortet. Demzufolge schlagen alle Themen, die man sich nur vorstellen kann, bei uns auf. Einige der Ziele, die sich die Organisation gegeben hat, könnte man durchaus als überambitioniert bezeichnen – das Engagement ist jedoch absolut vorhanden und auch der Wille zum Aufbau der entsprechenden Infrastrukturen.

Ruanda lebt für mich wahrgenommen in einer pseudodemokratischen Autokratie. Den Menschen ist bewusst, dass der Präsident mit sehr viel Durchgriff regiert, es herrscht jedoch keine Angst, auch Sprachcodes wie in der DDR habe ich bisher noch nicht wahrgenommen. Aber das kann unter Umständen ja noch kommen.

Der konkrete Vorteil für meine Arbeit ist, dass wenn das Ministerium etwas beschließt, es auch tatsächlich mit aller Konsequenz ohne weitere Diskussionen umgesetzt werden kann. Das vereinfacht einige Dinge. So hat meine Organisation z.B. durch den Finanzminister inzwischen die Autorität erhalten, alle IT Projekte der Regierung freizugeben.

Es gibt wahnsinnig viel externe Hilfe (so wie ich ja selbst auch eine externe Hilfe bin) – unheimlich viele Ideen, manche ganz prima, manche verstehe ich irgendwie noch nicht. Die Japaner unterstützen eine “Startup-Factory” und versuchen so, junge Menschen dazu zu bewegen, neue Dinge für Ruanda zu entwickeln. Drei Japaner sitzen hier im Gebäude und werden so wie ich bis Ende des nächsten Jahres hier arbeiten. Der Teamleiter von Ihnen stellte sich bei mir mit den Worten vor “Japan und Deutschland hätte ja schon früher eine besondere Freundschaft verbunden. Ich weiß ehrlich gesagt nicht so richtig, wie ich das politisch korrekt für mich bewerten soll.

Die deutsche Entwicklungshilfe engagiert sich natürlich auch bei solchen Startups. Man versucht sich dabei irgendwie mit den anderen zu synchronisieren. Allerdings erhöht enge Synchronisation den Verwaltungsaufwand enorm, da sich alle Seiten dann erst wieder mit umfangreichen internen Verwaltungsstrukturen ihrer jeweiligen Ministerien abstimmen müssen – und so bleibt man lieber informell und und nur lose abgestimmt.

Vor ein paar Tagen gab es nun einen Hackathon – also eine Aufgabe für mehrere Teams, die über zwei Tage gelöst werden sollte. Ziel war es, insbesondere, die Spracherkennung der lokalen Sprache “Kinyarwanda”, die von drei viertel aller Menschen hier ausschließlich gesprochen wird mit Open Source Methoden zu verbessern. Da wurde schon gekleckert und nicht geklotzt. An der Vorbereitung war ein fünfköpfiges Team aus Deutschland (zwei davon extra für eine Woche eingeflogen) beteiligt, von der Mozilla-Stiftung wurde einer der wichtigsten Verantwortlichen weltweit für dieses Thema eingeladen, es gab Bier und Schnittchen, für das Gewinnerteam nach den zwei Tagen 2000€ und eine Reise zu einer der wichtigsten Konferenzen auf diesem Gebiet, für alle anderen immerhin noch 500€ für die Beteiligung an diesen zwei Tagen. Man kann nur hoffen, dass sich das Ergebnis tatsächlich lohnt und nicht irgendwo versackt. So sehr ich persönlich auch die Idee und die ganze Arbeit anerkenne, so sehr bezweifle ich eigentlich, dass das ein Thema ist, dass das Land zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich sehr weit nach vorne bringt. Aber unter Umständen bin ich auch einfach nicht technologie-affin genug.

Auf alle Fälle gibt es noch ein paar Bilder der Veranstaltung.

Straßenleben

In Kigali gibt es kein eigentliches Straßenleben. Die Hütten sind weit verteilt. Das Leben findet doch eher zu Hause oder manchmal auch in den Bars statt. Die Slums sind nicht vergleichbar mit den asiatischen, sondern eher kleine Blechhütten mit den dazugehörigen Minigärten. Die Kinder spielen oft mit Dingen, die sie sich zusammengebastelt haben, oft mit Reifen. Ich habe auf dem Weg ein kleines Video-Kino gefunden, dass sogar einen Plan draußen dran hatte. Das fand ich schon ziemlich cool. Hier noch ein paar Bilder aus den letzten Tagen:

Mauersteine aus Lehm werden getrocknet
Irgendwie beim Einparken die falsche Einfahrt genommen 🙂
Enge Gassen in den Slums
Ein kleines Video-Kino mit Programmvorschau.
Industriegebiet – da es keine vernünftige Arbeit gibt, wird die Hälfte der Bevölkerung als Security Guard angestellt.

Der Vergangenheit entfliehen

Ich hatte in dieser Woche meinen ersten Moment, der mir wirklich den Magen umgedreht hat. Mit einem der jüngeren Manager fing ich am Abend ein etwas persönlicheres Gespräch an. Er ist smart, sehr kommunikativ und unterhaltsam. Ein Jahr hat er in Japan gelebt. Wir kamen so von einem Thema zum Nächsten – er erzählte mir, dass er am Freitag gern in die Bar geht, Freundinnnen ungern in der Bar kennen lernt sondern eher über weibliche Freundinnnen vermitteln lässt, das Geld aber eigentlich nicht so richtig reicht, er zu Hause noch Hühner hält, weil er gern Eier ist.

Das Haus habe er selbst gebaut, mit dem Geld, dass er in Japan verdient hat. Er hat das Land dafür von der Familie bekommen. Außer ihm gebe es nur noch den Bruder, da sie die beiden einzigen nach dem Genozid wären, hätten sie eben relativ viel Land. Das plätscherte irgendwie so dahin und war sehr unterhaltsam – beim Thema Genozid wurde ich dann hellhörig und fragte nach wie alt er wäre – 31 – also zur Zeit des Genozids 6. Als ich ihn dann fragte, ob er sich noch irgendwie an die Zeit erinnern könnte, war sein Antwort: “Sicherlich, wie könnte man es nicht vergessen, wenn vor den eigenen Augen die Mutter und die kleine Schwester mit der Machete abgeschlachtet werden.”

In dem Moment wurde mir sozusagen mit der Dampframme noch einmal ins Gehirn gehämmert, in welch fragiler Umgebung ich mich befinde. Auch wenn alles an der Oberfläche ganz nett und schön aussieht, zieht sich diese Geschichte durch die einzelnen Familien, ihr zu entfliehen ist nicht möglich.

Emotional hat mich das erst einmal überfordert – das lockere Gespräch war erst einmal zu Ende. Ich werde sehen, wie ich damit umzugehen lerne.

Ankunft

Die Ankunft hier gestaltete sich dann doch etwas chaotischer als gedacht. Allerdings hatte das im Wesentlichen mit meinem unbegrenzten und leider ungerechtfertigten Vertrauen in die Technik zu tun. An sich sollte es genügen, bei der Ankunft hier seinen Reisepass vorzulegen und die Visumgebühren von 30$ zu bezahlen. Leider ist das etwas schwer, wenn alle Kassengeräte bei den Immigration-Schaltern ausfallen. Ein Tip von mir: immer das Geld fürs Visum in Dollar dabei haben!!!
Für mich bedeutete das gleich zu Beginn eine stressgeplagte Odyssee nachdem ich am Schalter erst einmal zurückgeschickt wurde. Erst durften dann alle anderen 547 Passagiere passieren, nachdem ich dann gefühlte Wochen gewartet hatte (es war letztendlich nur eine Stunde) nahm mich dann der Schalterbeamte an die Hand, durch die Kontrollen, am Zoll vorbei, hinaus in die Ankunftshalle, aus der Ankunftshalle hinaus am Taxistand vorbei bis zu einem Bankautomaten, der mir dann tatsächlich ruandisches Geld spendierte, dass ich dann nur noch umtauschen musste – in Dollar, weil die Einreiseschalter das Geld des eigenen Landes nicht annehmen. Dann ging es den selben Weg zurück – und irgendwann war ich dann tatsächlich auch da und durch alle Kontrollen durch.
Die Unterkunft hier ist ganz nett, ich bin über AirBnB bei einem Exilkanadier gelandet (Green Escape Lodge), der inzwischen als Sicherheitsberater für NGOs in Jemen und Afghanistan arbeitet. Zum gemeinsamen Abendessen erheiterte er mich mit netten Ratschlägen. Er selbst hat 30 Jahre bei der kanadischen Polizei gearbeitet und ist seit dem Beginn des Genozid-Tribunals hier vor Ort. Er ist der Meinung, dass hier noch gar nichts wirklich ausgesöhnt wurde. Sobald in Burundi („the poor little cousin of Rwanda“) Ausschreitungen starten würden, würde dies auch auf Ruanda überschwappen. Im Übrigen sollte ich das Thema niemals und unter keinen Umständen von mir aus einem meiner künftigen Kollegen gegenüber ansprechen („you should never, never, never, ever talk to someone about the genocide“). Falls doch, insbesondere öffentlich, z.B. in einem Restaurant, könnte ich gleich mit einem Besuch der ruandischen Geheimpolizei rechnen. Dazu gab es Reis mit scharfem Fisch und Auberginen. Ich hatte viel zu verdauen.
Die Stadt selbst ist eher ein Flächendorf – in der Mitte ein paar Bürotürme von KPMG und ähnlichem. Außen herum blechgedeckelte kleine Häuser, die sich an die Hügel schmiegen. Dazwischen viel, viel Grün und kaum Müll. Die Stadt ist unanständig sauber. Man sucht den Verfall, damit man seinen Einsatz als Entwicklungshelfer auch rechtfertigen kann. Selbst die Blechhütten wirken nicht so, als ob hier solch unerträgliche Armut wie z.B. in einigen Gegenden Kambodschas herrschen würde. Wenn eine Straße geteert ist, dann richtig vernünftig, inklusive Gehweg und Rabattenbepflanzung. Die Büsche am besten noch sauber in Form geschnitten.

Selbst bei einer Schule im Slum war der Schulhof mit sauber getrimmten Büschen bepflanzt.

In den Hintergärten der Blechdachhäuser wird auf kleinstem Raum noch Gemüse und Mais angebaut – die Aufnahme mit dem Mais entstand ca. 500m Luftlinie vom Stadtzentrum.

Allgegenwärtig sind nicht nur die Motos (Motorradfahrer, die als Taxi fungieren mit roten Westen und zweitem Helm) sondern auch die Verkäufer der Telco-Vouchers. Sie verkaufen Aufladescheine für das Telefon und sind an jeder Ecke zu finden. Erkennbar sind sie an den Gelben Westen.