Alles anders

Während unseres Aufenthaltes in Berlin habe ich remote das IT-Trainingsprogramm für die blinden Student*innen in Kigali weiter betreut. Wöchentlich telefonierte ich mit Callixte, dem Trainer und liess mich über den aktuellen Stand der Wissensvermittlung, der Essensversorgung und der Zusammenarbeit mit unserem Vermieter informieren. Beth war in der ersten Woche noch mit dabei, flog dann jedoch ebenfalls für zwei Wochen zu ihrer Familie nach Kenya.

Bereits in der letzten Woche vor unserem Abflug nach Deutschland hatten sich erste Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Catering- Anbieter und mit unserem Vermieter angedeutet. Es kam zu unerklärlichen Stromausfällen, die sich jedoch-sobald wir sie dem Vermieter meldeten- in Luft auflösten. Ähnliche Probleme bemerkten wir bei der Wasserversorgung. Die Nutzung der angemieteten Toilette in der 1. Etage war den Student*innen plötzlich nicht mehr möglich. Angeblich war die Pumpe defekt, die das Wasser nach oben befördern sollte. So mussten alle Student*innen stets über eine schmale Treppe ins EG, um dort den Sanitärbereich zu nutzen. Das war eine Zumutung sowohl für sie als auch für die Assistentin, die täglich vor Ort unterstützte. Auch die Essenversorgung zum Mittag verschlechterte sich, d.h. die Portionen wurden kleiner und die Vielfalt liess mehr als zu wünschen übrig. An einigen Tagen wurde das Mittagessen erst gegen 14 Uhr geliefert, so dass der gesamte Trainingsablau für diesen Tag durcheinander geriet.

Da unser Vermieter finanzielle Schwierigkeiten hatte und sein Business nicht wie geplant in Fahrt kam, vermuteten wir bei all diesen „Ausfällen“ und Reduzierungen fehlende Finanzen und Zahlungsversäumnisse. Das konnten wir natürlich nicht nachweisen aber unser Vermieter hatte uns in einem Anflug von Vertrautheit persönlich von seinen Problemen erzählt. Auch Personal hatte er offensichtlich entlassen müssen denn eine Reinigungsfrau und zwei Bürohelferinnen erschienen nicht mehr auf dem Gelände. Daher waren Beth und ich besorgt über die weitere, noch mindestens drei Monate andauernde Zusammenarbeit. Zusätzlich wurden wir sowohl von unserem Catering- Anbieter als auch vom Vermieter selbst per WhatsApp aufgefordert, mehr Geld an sie im Voraus zu überweisen. Damit sollten dann die bestehenden Strom- und Wasserprobleme gelöst werden.

Callixte hatte mir außerdem einige Tage zuvor berichtet, dass unser Vermieter ihn und andere Student*innen persönlich nach dem Internetpasswort gefragt hatte. Er wollte vermutlich den Zugang ohne unsere Zustimmung mit nutzen und die Kosten für den Anschluss eines Routers sowie die monatlichen Gebühren sparen. Hätte er offiziell in unserer bestehenden WhatsApp- Gruppe angefragt, hätten wir selbstverständlich zugestimmt. Aber so? Das war doch kein vertrauensvoller Umgang!

Ich war skeptisch und bat daher um eine klärende „interkulturelle Videokonferenz“. Beth schaltete sich aus Kenya zu, Jeff aus Spanien, der Vermieter aus Ruanda und ich aus Berlin! In dieser Runde sprachen Beth und ich die Besonderheiten in der Versorgung und die Zahlungsmodalitäten an. Wir versuchten so deutlich wie möglich unseren Standpunkt und unsere Abhängigkeit von den Fördergeldern der Amerikanischen Botschaft darzustellen, doch Verständnis bekamen wir dadurch nicht. Statt dessen wurden wir gebeten, andere Räume im EG zu nutzen, die jedoch wesentlich kleiner waren. Die Miete sollte allerdings nicht reduziert werden. Andere Alternativen waren nicht zu finden oder sollten nicht gefunden werden.

Da sich die Corona-Zahlen in Ruanda und besonders in Kigali Anfang Juni bereits schrittweise erhöhten, befürchtete ich einen bevorstehenden Lockdown. In diesem Fall würden wir lt. Mietvertrag eine reduzierte Miete von monatlich 200 statt 300 EUR zahlen müssen, könnten jedoch das Trainingsprogramm für unbestimmt nicht fortsetzen. Was sollten wir tun? Auch diese Problematik besprachen wir offen mit unserem Vermieter, verwiesen erneut auf unsere begrenzten Fördermittel und hofften auf Verständnis.

Eigentlich dienen Verträge in Ruanda oft nur zur groben Orientierung und als Richtlinie für die verabredete Zusammenarbeit (MoU = Memorandum of Understanding). Sie werden daher häufig nachverhandelt. Deshalb hatten weder Beth noch ich bei der Unterzeichnung des Mietvertrages weitere Gedanken an die „Lockdownklausel“ verschwendet. Immerhin hatten wir diese einarbeiten lassen und eine Reduzierung verhandeln können. Im Fall eines Lockdowns würde sich unserer Meinung nach bestimmt eine einvernehmliche Lösung finden lassen. Doch weit gefehlt! In unserem Fall schien das ausnahmsweise nicht zuzutreffen. Unser Vermieter verwies uns auf die bestehende Klausel. Nun war guter Rat teuer. Wie sollten wir der Amerikanischen Botschaft verständlich machen, dass wir das Geld im Lockdown lediglich für die Miete ausgegeben hatten aber keine Schulungsergebnisse würden präsentieren können.

Beth und ich telefonierten mehrere Tage hintereinander miteinander und besprachen jegliche Option und bedachten deren Auswirkungen. War es etwa möglich, dass die NGO verklagt würde? Business kommt in Ruanda vor NGO- Arbeit! Welche Fristen und Vorschriften gab es im Fall einer Kündigung des Vertrages. Wir recherchierten beide und fanden keine konkreten Antworten, was die rechtlich wenig bindende Bedeutung von Verträgen untermauerte. Trotzdem entschlossen Beth und ich uns, diesen Schritt der Kündigung zu gehen. Wir würden ja sehen, was passiert und müssten dann darauf reagieren und die Konsequenzen tragen.

Ich setzte ein offizielles Schriftstück auf, welches Beth unterzeichnete und per e-Mail an den Vermieter verschickte. Jedoch war auch dringend eine persönlich Übergabe der Kündigung notwendig. Erfahrungen zeigen, dass anderenfalls Vorgänge als nicht getätigt oder in Gang gesetzt gelten und das wollten wir auf jeden Fall vermeiden.

Das gesamte technische Equipment, den Internet-Router, Trinkwasserkanister und diverse Reinigungsmittel entfernte Beth am Tag der Kündigung, 25.06. umgehend aus den angemieteten Räumen und brachte sie zu uns in Haus nach Kicukiro. Wir hatten auf der Terrasse einen Ersatzschlüssel hinterlegt, genau für solche Fälle. Man weiss ja nie, was passiert.

Drei Tage später wurden in Kigali umfassende Einschränkungen zur Corona-Bekämpfung durch die Regierung verkündet und wenige Tage danach folgte der Komplettlockdown. Wir hatten uns also gerade noch rechtzeitig und für den richtigen Schritt entschieden. Erleichterung! Nun waren wir wieder frei und offen für neue Aktivitäten. Schließlich würde das IT Training nach dem Lockdown fortgesetzt werden müssen.

Beth informierte abschließend die Amerikanische Botschaft über die aktuelle Entwicklung und die anstehenden Ereignisse. Unsere Weitsicht schien dort Zustimmung zu finden, und so brauchten wir keinen der sonst üblichen Berichte zu schreiben, um alles zu erklären.

Nach dem Lockdown werden wir erneut mit den Vorbereitungen für die Fortsetzung des IT Trainings beginnen und geeignete Räume in der Umgebung suchen. Auch ein Orientierungstraining für die Teilnehmenden steht dann erneut an.

Zur Überbrückung des Lockdowns plante ich unterdessen schon mit Callixte eine 2-stündige online Review-Einheit für die Gruppe der fortgeschrittenen Student*innen, um deren Vergessensrate zu minimieren und um an unserem Erfolg festhalten zu können. Einige Herausforderungen sind uns jetzt schon bekannt, die wir jedoch irgendwie meistern werden.

Auf geht’s!

Berlin, Berlin

Unser Aufenthalt in Deutschland ist diesmal nicht so ganz störungsfrei verlaufen. Von ursprünglich geplanten 4,5 Wochen mussten wir krankheitsbedingt auf 9,5 Wochen verlängern und die Rückflüge nach Ruanda verschieben. Schließlich hatten wir bereits 3 Wochen in Corona-Quarantäne verbracht. Kurze Zeit danach hatte ich noch einen kurzen Aufenthalt im UKB (Unfallkrankenhaus Berlin) denn beim Abendessen erlitt ich eine ungewöhnliche, einseitige Sehstörung mit einem kurzzeitigen Komplettausfall des Sehens und nachfolgenden Doppelbildern.

Wegen einer Thrombose war ich bereits vor 1 Jahr kurz vor unserem Rückflug nach Ruanda behandelt worden, daher verunsicherten mich bzw. auch Thomas diese Symptome dann doch und er brachte mich in die Notaufnahme. Verdacht auf Schlaganfall! Zur Überwachung sollte ich in der Klinik bleiben. WAS? ICH? Schlaganfall? Was soll das? Doch so schnell konnte ich gar nicht reagieren: durch eine Flexüle im Arm wurde mir eine Infusion verabreicht, ein EKG angeschlossen und ein Monitor überwachte meine Herzkreislauf-Werte. So schnell kann es also gehen! Zwei Tage verbrachte ich auf der Notfallstation des Klinikums. TIA (Transitorische Ischämische Attacke) war dann die abschließende Diagnose aufgrund mangelnder aussagefähiger Befunde. Gott sei Dank!

Thomas selbst vervollständigte unsere Ausflüge in medizinische Notfalleinrichtungen mit einem weiteren Tagesaufenthalt im UKB. Bei ihm wurde eine virusbedingte einseitige Gleichgewichtsstörung diagnostiziert, die jedoch herzinfarktähnliche Symptome hervorrief und bei mir Alarm! Daher verbrachten wir nicht, wie geplant, einen Tag an der Ostsee in Warnemünde, sondern nutzen erneut die technische und fachliche Vielfalt des UKB. Nun sind wir beide die in kürzester Zeit best-untersuchten Patienten aber ohne bedenkenswerte Diagnosen. Alles „post-Covid-Symptome“ aber hoffentlich keine „long-Covid-Erscheinungen“.

Zusätzlich zu all den ungeplanten Aktionen stand bei mir noch eine Kiefer-OP an. Um einen bereits wurzelbehandelten Zahn hatte sich eine Zyste gebildet, die gleich mit dem Zahn entfernt werden sollte. Auch das noch! Aber was sein muss, muss halt sein! Ich war nur unendlich froh, dass wir gerade in Berlin waren und ich somit eine erstklassige Diagnostik und Behandlung erfahren würde. Das Gesundheitssystem in Deutschland ist nunmal mit eines der besten, auch wenn wir das nicht immer so wahrnehmen und zu schätzen wissen.

Allerdings hatte ich mir unseren „Heimaturlaub“ nach fast einem Jahr so nicht vorgestellt. Diese plötzlichen Notfälle und Eingriffe hatten uns ganz schön auf Trab gehalten, inklusive der zweiten Corona Impfung mit BionTech. Viele unserer eigentlich geplanten Aktivitäten mussten wir verschieben oder sogar gänzlich streichen. Die Zeit lief uns davon. Thomas hatte offiziell 10 Tage Urlaub beantragt und die anderen Wochen im Homeoffice online gearbeitet. Daher konnten wir trotzdem noch viel Schönes unternehmen wie z. B.

  • einige Freunde besuchen (auch Josy im Eisladen im Prenzl-Berg) oder neue Freunde aus Kigali in Berlin wiedersehen
  • mit Thomas Geschwistern einen Tag aufm Floss über den Müggelsee, Seddinsee schippern
  • den Findlingspark in Nochten mit meinen Eltern besuchen
  • mit Lotti im Friedrichshain/Prenzl-Berg shoppen
  • meine drei langjährigen Bamberger Studienfreundinnen in Leipzig treffen und ausgiebig quatschen
  • den Thermomix gemeinsam mit Leo, Larissa und Lotti ausprobieren und ein tolles veganes Menü zaubern (lassen)
  • im Friedrichshagener Open Air Kino die Reise-Dokumentation „Verplant“ gemeinsam mit Lotti und Thomas anschauen
  • bei strahlendem Sonnenschein mit meiner Schwiegermutter eine Berliner „Brückentour“ auf der Spree machen
  • mit Thomas eine 21 km Radtour um den Bärwalder See im Lausitzer Seeland-dem größten künstlichen Gewässernetz Europas- unternehmen
  • bei einem Spaziergang durch Berlin City-Flair tanken und essen im „Hummus & Friends“
  • E-Scooter fahren in meinem alten Kiez in Friedrichshain
  • mit Lotti und Thomas eine Shakespeare Komödie im Open Air Theater am Schloss Charlottenburg geniessen

Für all diese Möglichkeiten und Treffen mit Freunden und der Familie bin ich unendlich dankbar. Wir hatten dadurch viele inhaltlich wertvolle Gespräche, die nicht nur an der Oberfläche kratzen. Das alles habe ich so sehr in Kigali vermisst und es wird mir in Kigali auch ganz schnell wieder sehr fehlen.

Hier noch ein paar Eindrücke von unserer Zeit in Berlin.

Besuch bei Meike, Jens und den Zwillingen
Barberini in Potsdam-Die Impressionisten

Gleichzeitig vermisse ich in Berlin die natürliche Chance zum Entschleunigen ohne schlechtes Gewissen, denn ein Termin jagt oft den nächsten. Es fällt mir wesentlich schwerer, ohne konkrete zeitliche Planung aktiv zu sein. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, die ich nutzen möchte und daher muss ich dann doch wieder planen und organisieren. Es ist ein Kreislauf, aus dem ich in Berlin nicht raus komme. Er ist erfüllend und sehr bereichernd aber auch anstrengend und Kräfte zehrend.

Daher freuen wir uns nach dieser langen Zeit in Berlin auch wieder sehr auf Kigali. Auch hier gibt es Menschen, die uns gern um sich haben und die sich freuen, dass wir wiederkommen. Die Beziehungen sind oft nicht so intensiv, doch trotzdem haben wir unterdessen die ganz eigene Freundlichkeit der Einheimischen zu schätzen gelernt. In kleinen Bemerkungen erkennen wir, dass wir auch hier willkommen sind.

In „beiden Welten“ zu leben, ist für mich manchmal sehr schwer, da sie so unterschiedlich sind. Das fordert mir enorme Anpassungsbereitschaft ab, die ich mir in der Auseinandersetzung mit mir selbst hart erarbeitet muss. Doch missen möchte ich beides nicht! Daher werden wir versuchen, unsere Besuche in Deutschland regelmäßiger zu gestalten, um so die positiven Dinge aus beiden Welten gut miteinander in Verbindung zu bringen.

Kigali, wir kommen! Berlin wir bleiben dir immer treu!

Kindheitserinnerungen

Die Corona-Infektion (Delta-Variante) hatten Thomas und ich nach reichlich drei Wochen in Quarantäne mit noch einigen Einschränkungen im Geruchs- und Geschmackssinn sowie dem üblicherweise auftretenden Schlappsein ganz gut überstanden. Nun blieb nicht mehr viel Zeit und wir würden in zwei Wochen wieder nach Ruanda zurück fliegen. Dabei hatten wir weder mit Freunden noch mit Familie bisher ausgiebig Zeit verbringen können. So ging das nicht! Wir mussten und wollten noch etwas bleiben und verschoben daher unsere Flüge.

Zeit mit meinen Eltern, das war mir nach fast einem Jahr das Allerwichtigste! Und da kamen sie dann, die Kindheitserinnerungen. Durch Fotos, in Gesprächen und beim Besuch von Orten, an denen ich als Kind viel Zeit verbracht hatte. Eigentlich soll man ja im Leben nicht zurückschauen. Warum eigentlich nicht? „Früher war alles besser“ hört man ältere Menschen dann pauschal sagen. Doch so stimmt das natürlich nicht. Auch der alte Spruch „…schaue vorwärts, nie zurück, Lebensmut bringt Lebensglück“ stimmt nicht hundertprozentig.

Ich hatte ein wenig Zeit zum Zurückblicken und fuhr mit Thomas und meinen Eltern nach Oschatz und nach Cavertiz (Sachsen). Die Heimat meiner Großeltern und Eltern. Gemeinsam spazierten wir durch die kleinen Orte, sassen im Café auf dem Marktplatz, besuchten die Kirche, in der meine Eltern getraut wurden, pflückten Kirschen auf dem „Liebschützberg“ direkt neben der alten Windmühle und standen vor den jeweiligen Elternhäusern aber auch an den Gräbern meiner in hohem Alter verstorbenen Großeltern. Viele Jahre war ich nicht mehr dort gewesen, daher war es definitiv Zeit, mal wieder zurückzuschauen.

„Erinnerungen sind Wärmflaschen fürs Herz“ (Rolf Fernau), und das stimmt in meinem Fall ganz genau. An viele Details aus meiner Kindheit an diesen beiden Orten konnte ich mich noch erinnern z. B. an den Laden, in dem meine Oma arbeitete, an den alten Dachboden, auf dem ich in den Ferien auf einer durchgelegenen Matratze übernachtete, an das Plumpsklo auf halber Treppe, den Kirschbaum im Garten, die Pumpe im Innenhof, an der ich spielte und von der mein Väterchen unter Protest das Badewasser holen musste.

„War schön jewesen…“ Dieser Slogan der wöchentlichen Radio 1 Kolumne von Lea Streisand über Alltagsgeschichten in Berlin fällt mir dazu gerade ein und dem ist nix hinzuzufügen.

Alpha, Beta, Gamma, Delta

Am 22.05. sind wir mit Türkisch Airlines über Istanbul nach Deutschland gereist. Am Flughafen hatten wir unsere insgesamt 92kg Gepäck unter der Aufsicht geduldiger Beamter hin und her packen müssen, um das Gewicht vorschriftsmäßig auf alle möglichen Gepäckstücke zu verteilen.

Jeder von uns durfte 40 kg und 10 kg Handgepäck ausschöpfen, was uns ohne große Probleme gelang. Nach 30 Minuten war alles perfekt verstaut und eingecheckt. Erste Hürde genommen! Erleichterung, denn eine Waage zur Überprüfung zu Hause gibt es leider nicht. Das Wiegen von Waren und Personen wird in Kigali häufig nur in der Öffentlichkeit gegen ein kleines Entgelt vorgenommen. Oft an Marktplätzen oder in Straßen mit zahlreichen Läden.

Mit einem Taxiunternehmen und dessen Sondererlaubnis zur Fahrt außerhalb der Ausgangssperre ab 22 Uhr erreichten wir pünktlich den Flughafen. Dort trafen wir dann auch noch einmal Jacob, der zu einer Geschäftsreise auf eine mir unbekannte afrikanische Insel flog und dort 2 Wochen Schulungen in einem speziellen IT-Programm geben würde. Also verabschiedeten wir uns noch einmal und jeder begab sich zu seinem Gate.

In Ruanda ist das Tragen von Gesichtsmasken überall in der Öffentlichkeit seit dem ersten Corona- Ausbruch dauerhaft Vorschrift. Es sind jedoch nur die üblichen OP-Masken oder bunte und oft selbst genähte Stoffmasken erhältlich. Die FFP2 sind nirgends verpflichtend und eine Maske kostet, falls man sie überhaupt bekommt, 6 EUR. Also unerschwinglich für die Normalbevölkerung!

In Istanbul hatten wir 4 Stunden Aufenthalt. Da der Flughafen wirklich sehr schön und weitläufig ist, kann man die Zeit ganz wunderbar verbringen. Es gibt unzählige erstklassige Einkaufsmöglichkeiten und internationale Speisenangebote. So verging die Zeit sehr angenehm und wir waren in großer Vorfreude auf Berlin, unser kleines Häuschen, die Familie und Freunde. Alle würden wir besuchen und sogar Freunde aus Kigali waren unterdessen erneut für eine begrenzte Zeit wieder in Berlin. Die gemeldeten Corona Neuinfektionen sanken in Deutschland täglich und wir hofften auf eine entspannte, kulturell abwechslungsreiche Zeit in der Heimat. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

Mit einem gigantischen Käse- Lachs-Buffet zum Abendessen wurden wir von meiner Freundin Jensine und Lotti überrascht. Welcome back! Das war gelungen.

Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Zug nach Hoyerswerda und besuchte meine Eltern, blieb eine Nacht und reise dann am nächsten Tag gleich weiter nach Frankfurt, um mich dort mit Thomas bei seiner Mutter zu treffen. Er war unterdessen in Berlin geblieben und hatte sich mit Leo und Lotti zum gemeinsamen Kochen getroffen.

Am vierten Tag nach unserer Ankunft in Berlin wurden wir früh morgens 8:00 Uhr in Frankfurt durch den Freund von Thomas in dessen Hausarztpraxis mit BioNTech/Pfizer geimpft und schon ging es zurück nach Berlin. Am Nachmittag schnell noch zur Zahnprophylaxe. Erledigt!

Noch am selben Abend bekam ich Kopfschmerzen sowie leichtes Fieber. Waren das Impfnebenwirkungen? Ein Schnelltest an einem der zahlreichen Testzentren gleich in unserer unmittelbaren Nachbarschaft am nächsten Morgen 8:15 Uhr brachte Gewissheit. Positiv! Ich hatte mir auf den letzten Metern doch noch Corona eingefangen und wie sich später herausstellte auch gleich noch die „Delta-Variante“. Verdammter Mist! Und dabei hatte ich mich zum Schnelltest nur angemeldet, um auf der Bölschestraße entspannt bummeln gehen und einen Kaffe trinken zu können. Das wird dann wohl nix!

Statt dessen begann nun nervöses Wirbeln: Als erstes fuhr ich nach Köpenick, um über einen PCR-Test die vorläufige „Diagnose“ des Schnelltestes abzusichern. Am Abend war das Ergebnis da. Tatsächlich positiv! Nun aber schnell den verpflichtenden Anruf beim zuständigen Gesundheitsamt, Information an meine Eltern und an Thomas Mutter, die Corona-WarnApp mit den notwendigen Informationen bestücken, die Zahnarztpraxis informieren und alle Termine der nächsten 14 Tage absagen. Thomas Bruder, Alex und seine Frau Maja würden uns während unserer 14-tägigen Quarantäne versorgen. Damit hatten wir ja wieder Glück.

Unser Berlinaufenthalt mit all unseren zahlreichen Vorhaben und Unternehmungen hatte sich schlagartig gewendet. An kulturelle Vielfalt war für die nächste Zeit erst einmal nicht zu denken. Dafür gab es nun abwechselnd Fieber und Schüttelfrost, elende Kopf- und Gliederschmerzen sowie bellenden, trockenen Husten bis das Zwerchfell schmerzt.

Funkstille bis auf weiteres!

Startschuss

„Launching“ ist ein sehr wichtiges Wort in Ruanda. Alles wird hier ge-launched. Heisst nix anderes als etwas beginnen oder starten. Ursprünglich wurde in der Wirtschaft die Einführung neuer Produktlinien auf dem Markt ge-launched. Doch in Ruanda hat das Wort scheinbar eine ganz andere Bedeutung. Jedes noch so kleine Projekt wird offiziell ge-launched, wobei noch gar nix tatsächlich Neues auf dem afrikanischen Markt eingeführt wird. Vielmehr sollte man wohl, wie für IT-Projekte üblich, von so genannten formalen „Kick offs“ sprechen. Da werden Projektinhalte, -phasen und Verantwortlichkeiten noch einmal für alle Beteiligten vorgestellt, obwohl man in der Vorbereitung des Projektes ja oft ohnehin schon mehrfach intensiv miteinander im Austausch stand. Egal! Eine „Kick off“ Veranstaltung muss sein! Dadurch kann sich später keiner der Beteiligten herausreden, man hätte dieses oder jenes anders verstanden, in der Intension nicht so beabsichtigt oder angestrebt. Alle haben die gleiche Ausgangsbasis und den gleichen Kenntnisstand. Das macht also definitiv Sinn und verringert Missverständnisse von Anfang an. Leider erleichtert es das gemeinsame, multiprofessionelle und interkulturelle Arbeiten trotzdem nicht unbedingt. Denn oft hat weiterhin jeder seine eigene (unausgesprochene) andere Vorstellung vom Projekt und verfolgt damit einhergehend häufig auch eigene Ziele. Jedenfalls würde aus meiner Wahrnehmung eher eine Kick off-Veranstaltung zum Erfolg Rwandischer Projekte beitragen, als ein vorgezogenes „Launching“.

Jedenfalls war klar, wir würden unser IT-Trainingsprojekt für Blinde ebenfalls offiziell „launchen“ müssen. Dazu werden stets hochrangige Persönlichkeiten, Unterstützer, die Presse aber selbstverständlich auch die eigentlichen Akteure eingeladen. Das ist in Zeiten beschränkter Gästezahlen und eingeschränkt funktionierender Businesses aufgrund umfassender Corona-Schutzmaßnahmen eine Herausforderung. Aber das würden Beth und ich schon irgendwie meistern.

Zuerst erfolgte die Terminabstimmung mit der Amerikanischen Botschaft, die die Gelder zur Finanzierung des Projektes bereitgestellt hatten. Der Schriftverkehr ging mehrfach hin und her bis dann der 21.05. feststand. Doch wir sollten noch einen detaillierten Ablaufplan schicken, bevor eine konkrete Zusage zur Teilnahme von der Botschaft gegeben und die tatsächliche Teilnehmerzahl festgelegt werden würde. Auch die offiziellen staatlichen Einrichtungen der Behindertenhilfe (NCPD und NUDOR) und der Bezirke mussten mit einer persönlichen Einladung bedacht werden. Selbstverständlich durfte auch ein Vertreter von RISA als dem vertretenden staatlichen Organ des ICT-Ministeriums nicht fehlen. Doch unterdessen habe ich vereinzelt persönliche Kontakte und so konnten wir gezielt Personen einladen.

Selbstverständlich stehen die Studenten und Studentinnen im Vordergrund unserer Bemühungen, daher sollten sie vordergründig die Möglichkeit bekommen, sich zu präsentieren und erlernte Fähigkeiten zu zeigen. Speziell den Einsatz technischer Geräte wie z. B. Orbit Reader wollten wir gleich mal in der Praxis präsentieren. Dadurch würde offensichtlich werden, wie wichtig Technik für blinde Menschen ist und wie stark sich deren Alltag damit positiv verändern kann.

Daher wurde als erstes der konkrete Zeitplan entsprechend der verschickten Einladungen mit allen potentiellen Gästen und Rednern auf die Orbit Reader hochgeladen. Der MC (Master of Ceremony) also der Moderator der Veranstaltung würde somit den gesamten Tagesablauf auf dem Gerät lesen und daher die einzelnen Punkte gut anmoderieren können.

Die Aussicht auf ein „Launching Event“ schien alle zu beflügeln. Wir hatten zwei Wochen, um eine aussagekräftige Präsentation von „Seeing Hands“ im Rahmen dieses Events vorzubereiten. Beth liess noch ein aktuelles Werbeplakat drucken und wir bestellten eine „Thank You!“ Torte, die gemeinsam mit den Vertretern der Amerikanischen Botschaft angeschnitten werden sollte.

Eine Powerpoint Präsentation mit den Highlights an Aktivitäten von „Seeing Hands“ aus dem zurückliegenden Jahr war vorbereitet. Den Videoprojektor hatte ich rechtzeitig bei der GIZ ausgeliehen. Zusätzlich waren zwei Optionen vorbereitet für den Fall eines technischen oder eines Stromausfalls. Letzteres kommt im Kicukiro regelmäßig vor und kann daher in der Vorbereitung leicht mit berücksichtigt werden. Es sollte also an unserem großen Tag nix schief gehen!

Am 20.06. war Generalprobe. Schließlich sollten sich alle Studenten sicher im Objekt bewegen können und sich und ihr Anliegen selbstbewusst vertreten. Daher begannen wir im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Probedurchlauf. Der würde den Student*innen zur besseren Orientierung im Raum dienen. Mit 4 blinden Männern und 3 Frauen übte ich unter Verwendung des Langstockes ihren persönlichen „Bühnenauftritt“. Es war wirklich wie im Theater. Wer würde wo sitzen, wo befand sich der Videoprojektor, wo sassen die Gäste zu denen man sich ausrichten würde und wo waren angrenzende Räume wie z. B. Terrasse, Treppenaufgang und Toilette?

Der Gesamte Ablauf wurde mehrfach „durchlaufen“ und durchgesprochen, inklusive der jeweiligen persönlichen Redebeiträge der Einzelnen. Ich imitierte erst einmal die Gastredner und wurde von Pacifique, dem MC, in mehrfachen Rollen angekündigt. Die Einhaltung des Zeitplans war wichtig, da die Gäste mit Sicherheit nicht alle bis zum Abschluss bleiben würden. Daher sollte sich in nur wenigen Minuten jeder Student mit seinem persönlichen beruflichen Background vorstellen und für sich werben. Keine einfache Angelegenheit, obwohl alle Teilnehmenden Universitätsabsolventen mit Bachelor-Abschlüssen in Psychology, Kommunikation, Bildung oder Technik waren. Mit jedem Durchlauf wurden die Studenten sicherer und offener für Improvisationen. Allgemeinaussagen wurden vermieden und statt dessen individuelle Erfahrungen, Wünsche und Herausforderungen dargestellt. „Zeichnet ein Bild von euch selbst, welches die sehende Welt als Erinnerung an die Präsentation mitnehmen kann“, war die Aufforderung an alle und diese Vorstellung schien zu funktionieren.

Am 21.05. kamen wie erwartet nur wenige, jedoch die für uns wesentlichen Gäste. Statt 10:00 Uhr konnten wir auch erst 11.00 Uhr beginnen. Doch auch diese Zeitverschiebung hatte wir bereits eingeplant und dementsprechend das Programm angepasst. Es lief alles entspannt und reibungslos. Alle Anwesenden waren in bester Verfassung, die Stimmung familiär und gelöst. Den Eindruck, den „Seeing Hands“ mit der Einführung des IT Trainingsprogrammen hinterliess, wurde als professionell durch die Anwesenden bestätigt und das war unser Hauptanliegen. Eine kleine aber sehr gelungene Veranstaltung hatten wir gemeinsam organisiert!

Thomas kam mich am Nachmittag 14:00 Uhr abholen und hatte so noch die Gelegenheit, einige der Studenten und Cletus, einen Geschäftsmann und Freund von Beth aus Kamerun sowie unseren Vermieter Fidense von „Park & Pick“ kennenzulernen. Auch für ihn und sein Unternehmen war es gut, sich inhaltlich vorstellen zu können und die besondere Form der Zusammenarbeit mit „Seeing Hands Rwanda“ darzustellen. Schließlich besteht weiterhin der Plan darin, technisch trainierte Studenten an „Park & Pick“ zu vermitteln.

Am Spätnachmittags würden Thomas und ich endlich unsere Koffer packen und gegen 23 Uhr zum Flughafen aufbrechen. Heimaturlaub in Berlin vom 22.05. bis 28.06. war geplant in Verbindung mit dem 80. Geburtstag von Thomas Mutter und unserer persönlichen Corona-Impfstrategie.