Thomas hat beruflich etliche sehr spannende und inhaltlich anspruchsvolle Projekte bei RISA zu begleiten. Einerseits leitet er die eigentlich verantwortlichen Projektmanager*innen an, indem er organisatorische Strukturen schafft und andererseits führt er professionelle Tools zur Nutzung ein. Dabei steht sowohl Coaching für das Management als auch für das Team sowie für Einzelne im Umgang mit neuer Technik oder mit den geschaffenen Strukturen an. Nicht immer ist von Anfang an die Einsicht in die erforderlichen Veränderungen gegeben und die Begeisterung hält sich häufig in Grenzen. Ab und an kommt es auch zu offensichtlicher Ablehnung oder sogar zum Boykott, indem verabredete Arbeitsinhalte einfach nicht erbracht werden. Doch gerade in Krisenzeiten läuft Thomas zur Hochform auf. So ist es ihm z. B. gelungen, während des Lockdowns in der Corona-Krise sein Team im Homeoffice sehr gut zu motivieren und mit den zuständigen Ministerien sowie den internationalen Partnern zu vernetzen. Im Ergebnis entstand eine Regierungswebseite, die durch ein extra entwickeltes Dashboard Zahlen im Zusammenhang mit Corona-Infektionen übersichtlich abbildet. Auch die täglich aktualisierten Regierungsstatements zu den Neuinfektionen werden auf dieser Seite präsentiert. Die Pressestelle der ruandischen Regierung hat diesbezüglich die Darstellung der Inhalte übernommen, während sich Thomas mit seinem Team und externen Berater um die Soft- und Hardware kümmerte und den technische Support stellte.
Die Webseite ist nun seit zwei Wochen online und für alle Beteiligten ein riesiger Erfolg. Leider ist es in diesem Kontext bisher nicht üblich, Erfolge auch gemeinsam zu feiern. Das Team erfährt durch das Management keine Würdigung für seine Leistung. Letztere wird lediglich im Rahmen so genannter “Imihigos” als “erreicht” bewertet. Imihigos sind schriftlich fixierte Mitarbeiterjahresziele, die für jede Hierarchieebene detailliert ausformuliert und selbstverständlich mit den Management-, Institutions- und sogar mit den Regierungszielen in den einzelnen Ministerien monatelang abgestimmt werden.
Die Chance, den Erfolg gemeinsam zu feiern, wollte Thomas dem Team jedoch nicht vorenthalten. Es musste jedoch eine Möglichkeit geschaffen werden, die die Bedingungen des Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie berücksichtigt. So kam die Idee auf, alle Beteiligten zu einer Video-Abschluss-Feier einzuladen. Thomas wollte für alle Pizza bestellen und diese mit einem Getränk ausliefern lassen. In Vorbereitung sollte sich jeder aus den zahlreichen Bestellmöglichkeiten einer bekannten Pizzeria in Kigali, dem Sole Luna, eine Wunschpizza aussuchen und diese mit der Angabe der jeweiligen Privatadresse für die Lieferung an Thomas schicken. Für 19:00 Uhr war eine Video-Konferenz unter Teilnahme von Vertretern der Partnerorganisationen aus Polen und Rumänien, der Deutschen GIZ und des Managements von RISA angesetzt. Bis dahin musste also jeder seine Pizza geliefert bekommen haben.
Der erste festgesetzte Termin am 25.04. scheiterte leider an den individuellen Rückmeldungen der Kolleg*innen. Nur 2 von 18 Angeschriebenen meldeten sich mit ihren Angaben zurück, obwohl mehrfach eine Erinnerung an alle verschickt worden war. Enttäuscht sagte Thomas per E-Mail das Event wieder ab, stellte jedoch ganz allgemein einen späteren Termin bei noch aufkommendem Interesse in Aussicht. Nun wurden plötzlich alle aktiv: Entschuldigungen gingen ein, Pizza-Bestellungen folgten mit den Lieferadressen und der nächste Samstag, 02.05. wurde umgehend mit dem gleichen zeitlichen Ablauf festgehalten. Na dann, auf ein Neues!
Unterdessen hatte sich die Situation des Lookdowns jedoch noch einmal verschärft. Wir benötigten für alle außerhäuslichen Aktivitäten eine schriftliche polizeiliche Genehmigung. Diese hatten wir überraschender Weise zwar erhalten, jedoch explizit nur für den privaten Einkauf in einem Supermarkt. Nun wollten wir jedoch zu einer Pizzeria, um 18 Pizzen zu bestellen. Hoffentlich würde uns die Polizei nicht unterwegs abfangen und detailliert befragen. Dann bestand die Gefahr, zurückgeschickt zu werden oder schlimmeres.
17:00 Uhr brachen Thomas und ich auf und erreichten nach 15 Minuten ohne Polizeikontrolle die Pizzeria im Nachbarbezirk, Remera. Die Straßen waren menschenleer, kein Stau, wie ansonsten üblich. Vor Ort nahm die Bestellung trotz guter Vorbereitungen mit Adress- und Bestellliste noch einmal 30 Minuten in Anspruch. Schließlich musste jede Pizza mit der dazu passenden Adresse im Kassensystem eingegeben werden und wir wollten außerdem für 3 Parteien die Pizzen persönlich ausliefern. Diese Adressen lagen in unserem Wohnviertel, Kicukiro und daher auf unserem Rückweg. So wollte Thomas sicherstellen, dass wenigstens einige Pizzen zeitlich passend zum Video-Call geliefert waren.
Unterdessen war es 17:40 Uhr. Die Lebensmittelläden würden aufgrund des Lockdowns pünktlich 18:00 Uhr schließen aber wir wollten noch Getränke einkaufen, die mit der jeweiligen Pizza zusammen geliefert werden sollten. Im Eiltempo rasten wir zum nächsten “Simba-Supermarkt”, verpackten dort alle Softdrinks und Bierflaschen in Papiertüten, schrieben den Namen des Empfängers drauf und rasten zurück zur Pizzeria. Dort waren alle Pizzen unterdessen fertig und auf dem Tresen gestapelt. Die Beschriftung fehlte noch und nahm weiter wertvolle Zeit in Anspruch. Nach weiteren 10 Minuten waren alle Namen, Adressen und Getränke zugeordnet und die Rechnung bezahlt. Nun aber los!
Es war bereits dunkel als wir mit 8 Pizzen im Auto, einige Haushalte brauchten mehr als nur eine Pizza, durch die holprigen Straßen bzw. auf Sandwegen auf der Suche nach den 3 Adressen durch Kicukiro fuhren. Wieder einmal waren wir dankbar für unseren alten klapprigen Land Rover, der in diesem steilen und unebenen Gelände genau das richtige Fahrzeug war. Die Zeit wurde knapp. 18:45 Uhr würden sich die ersten Teilnehmer zum Video-Call einwählen und es wäre peinlich, wenn Thomas nicht da wäre.
18:30 Uhr standen wir mit unserem Auto in einer abgelegenen Sackgasse. Irgendwo hier wohnt eine Kollegin von Thomas, aber es gab natürlich keinen Straßennamen und auch keine Hausnummer. Telefonisch war sie nicht zu erreichen oder der Empfang war hier einfach zu schlecht. Aufgeregt und unter Zeitdruck rannten wir auf der Straße von einem Toreingang zum anderen und klopften. Verwundert wurden wir von den heraustretenden Einheimischen beäugt. Muzungus, die in eine Slum-Area Pizza liefern, das gab es hier noch nie. Verständigung unmöglich! Von der Kollegin jedoch war weiterhin keine Spur. Wir riefen laut ihren Namen, nachdem wir an allen Toren geklopft oder geklingelt hatten und viele Nachbarn um uns herumstanden. Gerade wollten wir aufgeben oder die Pizzen einfach irgendjemandem übergeben, als aus dem Dunkeln eines seitlichen Hinterhofes eine kleine schmale Frau heraustrat. Lucy! Wir übergaben hastig die Pizzen ohne viel Worte, sprangen ins Auto und rasten weiter zur dritten und letzten Lieferadresse. Dem jungen Kollegen hatte ich unterwegs telefonisch unser Ankommen bereits mitgeteilt und ihn gebeten, an die Straße zu kommen, um seine Pizza im Empfang zu nehmen. Das funktionierte wunderbar und wir mussten nicht lange suchen. So konnten wir einige Minuten wieder rausholen und erreichten verschwitzt und abgehetzt 18:53 Uhr unser Haus. Thomas wählte sich umgehend in die Video-Konferenz ein. Geschafft! Elisabeth, die Bereichsleiterin und Teamchefin, kam mit ihrer Tochter nach einigen Minuten auch noch zu uns nach Hause. Ihre Pizza stand bereits zum Aufwärmen im Ofen. Immer mehr Kolleg*innen wählten sich zur Video-Konferenz ein und los ging die Show!
Thomas eröffnete die kleine Feier und übergab dann das Wort an jeden einzelnen Vertreter für eine kurze Ansprache. Unterdessen hatten auch noch andere Kollegen ihre Pizza vom “Sole Luna” geliefert bekommen. Einige mussten jedoch bis 21 Uhr warten, was wir jedoch erst am nächsten Tag erfahren haben. Bierflaschen wurden geöffnet, Dankesworte vom Management gesprochen und auf den gemeinsamen Erfolg angestoßen. Das Team war sichtlich gerührt. So viel Würdigung in einem sowohl feierlichen als auch lockeren Rahmen hatten sie noch nie zuvor erhalten. Mit großem Anlauf war diese Aktion also doch noch zu einem sehr schönen Ereignis für alle geworden.