Der letzte Tag des Monats Juni, 35 °C und ein weiteres Dorf in Aufregung und Vorfreude auf unseren Besuch. Kasegaon, der Geburtsort von Shria, liegt in der Nähe des Pilgerortes Pandhapur. Wir brechen gegen 10 Uhr gemeinsam mit Shria, Ravi und den Kindern auf dem Motorrad auf. Nach 20 Minuten sind wir am Ortseingang von Sangola und dort wird klar, Ravi wird uns nicht begleiten. Er muss am Sonntag „arbeiten“. Allerdings ist er an keinem Wochentag wirklich von geschäftigem Tätigsein betroffen und erst recht nicht am Sonntag. Ausrede! Shrias Bruder kommt statt dessen mit seinem Motorrad und übernimmt den Familientransport. Ravi fährt mit seiner Royal Enfield nach Sangola… Wir sind empört, verärgert, erstaunt aber es hilft nix…andere Länder, andere Sitten! Die Kids und Shria tun uns leid. Sie sind für den Herren des Hauses offensichtlich von so geringem Interesse, dass lieber der jüngere Bruder von Shria aus Pune anreist, um unser Sonntagsvorhaben nicht platzen zu lassen. Ohne familiäre männliche Begleitung ist für eine Frau keine Reise möglich.
Kurz vor Pandhapur stösst der ältere Bruder von Shria auch noch mit Motorrad zu unserer Reisegruppe dazu und wir fahren gemeinsam erst einmal zum „Familientempel“, um zu beten und gesegnet zu werden. Danach besuchen wir eine Art „Disneyland zur Geschichte Indiens“. Die Kids sind happy und auch für uns ist es kurzweilig.
Anschliessend geht es nun endlich zur Familienfarm nach Kasegaon. Diese ist idyllisch gelegen und gut gepflegt. Wir werden mit einem persönlichen Rangoli empfangen. Die gesamte Nachbarschaft ist schon da und erwartet uns.
Wir besichtigen die grosse Farm, auf der Shrias Vater und ihr ältester Bruder mit einigen Leiharbeitern die Arbeit verrichten. 600 Granatapfelbäume, 400 Rebstöcke und noch etwas Obst sowie Gemüse (Bohnen, Ladyfingers, Mangos, Chili) für den Eigenbedarf.
Abschliessend bekommen wir noch ein mega leckeres Abendessen. Nun ist uns noch einmal mehr klar, weshalb Shria so gut kochen kann. Ihre Mutter ist ebenfalls eine phantastische Köchin. Wir würden am liebsten die kleinen Schalen auslecken, so aromatisch ist alles und die Zutaten ganz frisch vom Feld.
17:30 Uhr machen wir uns auf den Rückweg. Jedoch nicht ohne vorher eine Fotografierorgie hinter uns gebracht zu haben. Jeder will mit jedem aufs Bild und Gruppenfotos müssen in unterschiedlichen Konstellationen selbstverständlich auch noch sein.
Wir bekommen noch 2 kg Granatäpfel und 1 kg Mangos sowie Kokosnüsse mit auf den Weg. Der Rucksack ist schwer und unsere Klapperkiste von Motorrad scheint völlig überlastet. Kurz vor eintreten der Dunkelheit bemerkt Thomas am Fahrverhalten, dass wir eine Reifenpanne haben. Shria ist mit ihrem Bruder und den Kids vorausgefahren und bereits ausser Sichtweite. Sie hören unser Hupen nicht mehr. Wir steigen ab und stehen ratlos auf einer staubigen, im Bau befindlichen Landstrasse. Es dauert aber keine zwei Minuten, bis wir von hilfsbereiten Einheimischen umringt sind. Alle stehen um unser Motorrad herum, es ist am Strassenrand fast nicht mehr zu sehen und sie alle reden lautstark durcheinander und miteinander. Plötzlich ist das Hinterrad ausgebaut und zwei Männer schwingen sich damit auf ihr Motorrad und starten. Im Vorbeifahren hören wir nur noch „…wait here for 30 minutes“ und weg sind sie. Ähm! Ok! Dann bleibt uns wohl nix anderes übrig. Thomas hat unterdessen Ravi angerufen und der wiederum seinen Schwager und plötzlich sind wir alle wieder komplett. Shria ist total aufgeregt, sie hat sich Sorgen gemacht und befürchtet, wir könnten in einen Unfall verwickelt sein. Erleichterung! Wir warten alle gemeinsam. Die Kinder turnen am Geländer einer rostigen, halb verfallenen Bushaltestelle herum.
Nach exakt 30 Minuten ist unser Motorradhinterreifen geflickt wieder zurück gebracht, wird eingebaut und alle freuen sich mit uns. Kurz geht noch einmal ein Preisfeilschen los für die erbrachte Hilfe, Thomas bezahlt und wir fahren winkend davon.
Unterdessen ist es richtig dunkel geworden. Es gibt keine Strassenbeleuchtung, daher ist das Fahren wirklich gefährlich, da die entgegenkommenden Fahrzeuge ihr Licht nicht abblenden. Das ist in Indien nicht üblich. Angespannt aber sicher kommen wir auf „unserer kleinen Farm“ an, wo auch alle schon ganz aufgeregt auf uns warten.
So haben wir als Gäste wieder einmal für Erlebnisse gesorgt, die noch monatelang Gesprächsthema sein werden. Passiert ja auch sonst nix.
Es war für uns ein toller Tag und schön zu sehen, wie stolz Shria ist, uns alles zeigen zu können.
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