Im Oktober hatte ich schon vom „Hackathon“ zum Thema
Innovate4Disability/Incusion berichtet. Nun hat es einige Monate gedauert, um neue Fördergelder bewilligt zu bekommen und vor zwei Tagen folgte dann die Fortsetzung mit einer Preisverleihung für die 5 besten Innovationen zur Erleichterung des Alltags für Menschen mit Behinderung.
11 Teams waren bereits im Oktober aus 21 Startteams gewählt und in diese Endrunde gekommen. Sie wurden nun erneut einen Tag vorbereitet, um vor 150 geladenen Gästen und 2 Ministerinnen sowie zahlreichen Geschäftsführern unterschiedlicher staatlicher Institutionen ihre Idee (Innovation) zu präsentieren. Was für eine Herausforderung und Chance! Viele der Männer und Frauen der teilnehmenden Teams kommen ursprünglich aus ländlichen Regionen um Kigali, sprechen teilweise kein oder kaum englisch und haben aus eigener Betroffenheit in ihrem sozialen Umfeld heraus Ideen zur Verbesserung der Situation für Menschen mit Behinderung entwickelt. Für sie ist eine Veranstaltung dieses Ausmaßes eine wahnsinnige Wertschätzung, besonders durch die Teilnahme der Ministerinnen und durch die Wahl des Veranstaltungsortes.
Die Vorbereitung für dieses große Event, was in einem
4-Sterne-Konferenzhotel in Kigali stattfand, war wieder
rwandisch-chaotisch. Die Einladungen wurden erst wenige Tage vor dem Ereignis an die Teilnehmenden versandt. Dafür wurden dann aber auch alle zur Verfügung stehenden Kanäle und sozialen Medien genutzt und ich konnte einen regen Chat in den diversen Gruppen mitverfolgen, ohne immer genau zu verstehen, worum es eigentlich ging. Auf meine Nachfrage an die Organisatorin, welche konkreten Erwartungen denn an mich gestellt würden (ich war ja schließlich auch im Verteiler), wurde mir mitgeteilt, ich sei eines von 5 Jury-Mitgliedern, die die Prämierung vornehmen bzw. die Kandidaten bewerten würden. OK! Braucht es dafür nicht auch ein wenig Vorbereitung? Welche Kategorien sind für die Bewertung relevant? Gibt es noch weitere Faktoren, die berücksichtigt werden sollten wie z B. Gender o.ä.? Ich sagte meine Teilnahme jedoch zu und hoffte auf ein Briefing vor der Veranstaltung. Dass es dazu nicht kam, brauche ich hier eigentlich nicht zu erwähnen. So hatte ich es leider befürchtet. Gemeinsam mit den anderen
Jury-Mitgliedern, bestehend aus je einem männlichen Vertreter der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) , NIRDA (National Industrial Research & Development Agency), NCPD (National Council for People with Disability) und RISA (Rwanda Information Society Authority) mussten wir erneut ein wenig improvisieren. Ich war also die „Quotenfrau“ und wurde als Gastjurorin und Expertin für Disability/Inclusion aus Deutschland vorgestellt. Was für eine gigantische Einführung meiner Person in diese nationale Spezialistenrunde.
Das Interesse am Thema schien groß zu sein denn der Saal war nicht nur gut gefüllt mit geladenen Autoritäten, hochstehenden Persönlichkeiten und einflussreichen Managern. Erstaunlicherweise waren auch viele Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen durch die Einladungen ihrer entsprechenden sozialen Institution anwesend. Es standen 3 Gebärdendolmetscher zur Verfügung und an drei riesigen Leinwänden konnte man aus jeder Sitzposition die Power-Point-Präsentationen der Teams optisch ansprechend verfolgen. Auch Mikrophone standen zur Verfügung, so dass Fragen und Anmerkungen gut verständlich kommuniziert werden konnten. Alle Tische waren nett eingedeckt und mit Getränken sowie Notizblöcken und Kugelschreibern ausgestattet. Eine unerwartete gute Vorbereitung durch das Hotel, weniger durch den Veranstalter.
Mit einer Stunde Verspätung wurde die Veranstaltung durch einen MC (Master of Ceremonie = Moderatorin) eröffnet. Der MC war Solange, eine von Thomas sehr geschätzte Kollegin von RISA. Sie war genau drei Stunden vor Veranstaltungsbeginn angefragt worden, die Moderation zu übernehmen. Daher war sie mega aufgeregt, was ich nur allzu gut nachvollziehen konnte. Auch die Bewertungsbögen zur Einschätzung der Teams standen nicht in ausreichender Zahl für uns Juroren zur Verfügung. Somit veranlasste ich erst einmal an der Hotel-Rezeption das Ausdrucken weiterer 35 Kopien für 6 EUR. Schließlich musste Transparenz sichergestellt werden, da es ja um die Verwendung von UNICEF-Fördergeldern ging.
Nach der offiziellen Eröffnung folgten die üblichen Begrüßungsreden durch den Geschäftsführer der durchführenden Organisation (RISA) und der finanzierenden Ministerien (Ministerium für Jugend und Kultur sowie Ministerium für Information, Kommunikation, Technology und Innovation). Zur Auflockerung und zur Betonung des Themas der Veranstaltung „The world is accessible!“ gab es eine beeindruckende Darbietung durch eine Tanzgruppe, deren Mitglieder alle taub-stumm sind.
Anschließend starteten wir umgehend mit den 11 Präsentationen der einzelnen Innovationsteams, wobei jedes Team nur 5 Minuten zur Verfügung hatte. Ich musste mich sehr konzentrieren, um den Inhalten in dieser Geschwindigkeit folgen und meine Einschätzung auf dem vorbereiteten Bewertungsbogen in 5 Kategorien abgeben zu können. Im Gedächtnis geblieben sind mir folgende „Innovationen“:
1. ein SMS-System für ländliche Gegenden zur Meldung der tatsächlichen Bedürfnisse behinderter Menschen vor Ort an staatliche Institutionen, die dann die Hilfen einleiten und koordinieren
2. ein faltbarer, leichter Rollstuhl, wobei das Team noch an dessen Geländegängigkeit arbeiten muss
3. ein Informationssystem für den „öffentlichen Nahverkehr“ mit GPS und Sprachansage in den Bussen für Blinde und Taubstumme
4. ein Blindenstock, der Hindernisse auf dem Weg benennt und bei anbrechender Dunkelheit zu vibrieren beginnt (Sicherheitsfeature) 5. ein Armband, welches mit GPS versehen und an eine Sprach-App. gekoppelt ist und daher blinde Menschen sicher leitet
6. eine Brille, die geschriebene Schrift für blinde Menschen in Lautsprache übersetzt, so dass keine speziellen Braille-Bücher mehr erstellt werden müssten, sondern jeder schriftliche Beitrag gelesen werden kann. Außerdem scannt und erkennt diese Brille auch Hindernisse auf dem Weg und sagt diese in entsprechender Entfernung an.
7. eine Foto-App., die Gebärdensprache in Lautsprache übersetzt
Einige dieser Innovationen waren noch im Ideenstatus, aber einige hatten sogar schon einen Prototype, der vorgestellt werden konnten. Ich war beeindruckt!
Am Ende aller erfolgreichen Präsentationen hatten wir als Jury für die Auswertung unserer Team-Bewertungen in 5 Kategorien und für die Auswahl der 5 besten Teams nur 20 Minuten Zeit. Daher begann ein hektisches Auszählen von Punkten durch jedes einzelne Jury-Mitglied und für jedes einzelne Team. Danach wurden alle vergebenen Einzelpunkte in eine Tabelle den teilnehmenden Teams zugeordnet und erneut zusammengezählt. Das eigentliche „Ranking“ fand dann auf Kinyarwanda statt, da natürlich noch nationale Besonderheiten, Genderperspektiven, Anforderungen im Zusammenhang mit den Fördergeldern etc. berücksichtigt werden mussten. Schlussendlich gab es aber eine abgestimmte Rangfolge für die besten 5 Teams, an die ich mich leider nicht erinnere. Zu viele Informationen in zu kurzer Zeit. Jedes Gewinner-Team bekam einen Geld-Check in gestaffelter Höhe überreicht. Maximales Prämiengeld waren 200.000 RF = 200 EUR. Das ist hier sehr viel Geld, welches durch die Teams zur Weiterentwicklung ihrer Idee oder ihres Prototyps eingesetzt werden muss und nur nach Projektfortschritt ausgezahlt wird.
Diesen Prozess der Weiterentwicklung werde ich vermutlich auch begleiten. Einen (Zeit) Plan dafür gibt es selbstverständlich noch nicht, aber ich werde bestimmt „rechtzeitig“ informiert und kann dann wieder berichten. Spätestens dann kann und werde ich auch die Gewinner der Preisverleihung noch konkret benennen können.
Trotz des organisatorischen Chaos war es eine gelungene und repräsentable Veranstaltung, über die auch im nationalen Funk- und Fernsehen berichtet werden wird. Die Idee des „Hackathon“ ist genial und bezieht viele Betroffene, Interessierte, Wissende und Verantwortliche auf
unterschiedlichen Hierarchie- und Funktionsebenen ein. Das in Deutschland unterdessen so unbeliebte Thema „Inklusion“ wird mit einer unkomplizierten Selbstverständlichkeit auf den Weg gebracht.
Kurz erwähnen möchte ich noch das Langzeitprojekt des „digitalen Umuganda“, welches parallel zu den kleineren Veranstaltungen zum Thema „Inklusion“ ins Leben gerufen wurde. D. h. die monatlich für alle Rwandaer verpflichtenden Treffen in den Gemeinden und Dörfern sollen zukünftig dazu genutzt werden, um Sprachdaten in Kinyarwanda aufzunehmen, die dann bei der Rwandischen Ausgabe von „SIRI“ verarbeitet werden. So soll sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderungen über das sprachliche Abrufen von Informationen auf hilfreiche Veranstaltungen, Unterstützungsmaßnahmen, Finanzdienstleister etc. zugreifen können. In kleinen Schritten geht es in Afrika voran!