In unserer Familie gibt es zwei Kinder, die 6 Jahre alte Sahi und den 4 Jahre alten Arush.

Beide gehen in die Englischschule, in der wir die Projekte gerade initiieren. Jeden Morgen laufen wir also gemeinsam, Baba vornweg, den kurzen Weg über die Felder zur Schule. Vorbei an einigen Nachbarhäusern, aus denen wir freundlich begrüßt werden und auch immer mal eine Einladung zum Tee zugerufen bekommen.
Wir sind schon eine lustige kleine Parade, die sich da jeden früh auf den Weg macht. Ein rüstiger alter Herr von 72 Jahren in weißen Leinensachen, dahinter läuft meist Thomas mit seiner knall-roten Notebooktasche unter dem Arm und Base-cap auf dem Kopf. Er versucht schnell auf dem Weg noch ein paar Dinge mit Baba abzuklären. Und dann komme ich mit einem schwarzen Regenschirm, da die Sonne auf dem Rückweg noch ganz ordentlich scheint. Dieser Schirm wurde extra für uns von Baba organisiert, aus welcher Ecke der wohl gekommen ist? Jeder von uns hat auch gleich auf dem Schulweg eine Literflasche Wasser in der Hand und ich noch einen Rucksack auf dem Rücken mit meinen Arbeitsmitteln (Fotoapparat, Notebook aber auch Stift und Papier). Zwischen uns Erwachsenen wuseln die Kids in ihrer Schuluniform und je einer blauroten Schultasche. Wobei die Farben durch den Staub, der sich darauf abgesetzt hat, fast nicht mehr zu erkennen sind.
Die meisten Kinder sind sehr neugierig und versucht mit uns englisch zu sprechen. Am liebsten wollen sie jedoch beobachten, was wir mit dem Handy und dem Notebook machen. Sehr beliebt sind auch Berichte über unsere Familie. Wir müssen Fotos von jedem einzelnen Familienmitglied zeigen und berichten, was er oder sie tut usw.

Wir werden ausgefragt über Lieblingsfarbe, Lieblingsessen, Lieblingsfilm und selbstverständlich müssen wir über Deutschland berichten. Es beginnt immer mit der Frage nach den Unterschieden zwischen Indien und Deutschland und hört z. B. auf bei der Frage, wie lang der längste Fluss bei uns wohl ist. Ich stelle sehr schnell fest, dass meine Geographiekenntnisse auch mal ein Update brauchen. Wann wurde unser Bildungssystem eingeführt und seit wann gibt es die Schulnoten 1-5 oder 6? Ich habe keine Ahnung! Wir haben daher versprochen, mal eine Unterrichtsstunde über Deutschland zu gestalten und Bilder zu zeigen. Das würde den dafür vorgesehenen Geographieunterricht etwas plastischer gestalten. Bis dahin kann ich diese ungewöhnlichen Fragen ja auch noch recherchieren.

Ab und an machen wir auch die Hausaufgaben mit den Kids, üben englisch lesen und schreiben oder singen. Man muss allerdings sehr gut aufpassen, sonst überschreitet man eine Schwelle und bekommt die kleine Bande nicht mehr los. Es ist aber immer lustig, als uncle oder auntie angesprochen und befragt zu werde.

Unser Projekt läuft nun in der 2. Woche. In der 1. Woche haben wir den Ablauf in der Schule beobachtet. Am Samstag hatten wir dann den großen Workshop mit allen Lehrern zur Bestandsaufnahme und es wurden viele Verbesserungsvorschläge zu unterschiedlichen Themen eingebracht. Zu diesen haben wir in Vorbereitung der nun laufenden 2. Woche Unterprojektgruppen gebildet. Es gibt nunmehr:

1. Management und Investment
2. Language Improvement
3. Website
4. teach the teacher
5. selfmade teaching material

Mit je einer dieser Arbeitsgruppen treffen wir uns pro Tag nach dem Unterricht für 2 Stunden, um Details zu besprechen und konkrete Maßnahmen zu verabreden. Am Ende dieser Woche stellen am Samstag alle Unterprojektgruppen ihre Ergebnisse vor. Diese werden mit dem Beamer vor allen Lehrern präsentiert. Es geht dabei auch um die Nutzung neuer Medien durch die Lehrerschaft.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele sehr gute Ideen von einzelnen Lehrern kommen. An Kreativität mangelt es auf keinen Fall.

Themen zur Verbesserung müssen jedoch von einer außenstehenden Autorität moderiert werden. Sich selbst motivieren, verbesserungswürdige Themen erkennen und kommunizieren sowie passende Maßnahmen formulieren, funktioniert mit dem hier eingesetzten Management nicht. Die Fähigkeit, auch nur ansatzweise Themen zu bearbeiten und voranzubringen ist nur marginal ausgeprägt.

Ich bin gespannt, welche Ergebnisse wir tatsächlich erzielen werden und erst recht, was nachhaltig und langfristig umgesetzt werden wird.

Aktionsradius

Mein Schnupfen und Husten sind endlich weg. Ich merke, wie ich nun auch die enorme Hitze, unterdessen sind es schon 39 °C, besser verkrafte. Selbstverständlich muss man sich anpassen, alles langsamer und viel weniger Dinge machen, regelmäßig Pausen einlegen, viel trinken und von 14-16 Uhr einfach gar nichts machen oder am besten irgendwo drinnen mit heftig rotierendem Ventilator versuchen, diese Mittagszeit zu überstehen. Ab 19:00 Uhr wird es dann innerhalb kurzer Zeit richtig dunkel. Ohne starke Taschenlampe sind Aktivitäten draußen danach nicht mehr möglich. Somit ist das Zeitfenster für Unternehmungen auf dem Land relativ gering.

Die Helligkeit und auch die Wärme (bis zu einer gewissen Grenze) sorgen bei mir generell für gute Stimmung, ich fühle mich hier sehr wohl! Wir werden versorgt und brauchen uns um nichts zu kümmern. Selbst einen kleinen gekühlten 20 Liter Kanister mit sauberem Trinkwasser bekommen wir alle zwei Tage in unser Zimmer gestellt. Alle sind so großartig, dass mir die Anpassung an das mehr als einfache Landleben hier doch erstaunlich gut gelungen ist. Das hat jedoch 1 Woche gedauert und ich komme immer noch täglich an meine Grenzen, kann damit aber besser umgehen!
Am Abend unserer Ankunft wollte ich allerdings gleich wieder abreisen, ging natürlich nicht, da wir wussten, was für unsere Ankunft alles um- und ausgebaut worden war. Somit habe ich mich „meinem Schicksal ergeben“ und wollten dem Ganzen eine Chance geben. Besonders schwer ist für mich der Umgang mit dem so wahnsinnig anderen Verständnis von Sauberkeit und Ordnung. Das war ja zu erwarten! Diese Begriffe bekommen eine ganz neue Bedeutung!
In allen Zimmern des Farmhauses gibt es nur zwei Möbelstücke, hochbeinige Metallbetten und Metallschränke. Keine Stühle, denn gesessen wird auf dem Boden. Kein Tisch, denn das Essen kommt auf den runden Tabletts, die auch wieder auf dem Boden abgestellt werden. Man erkennt eigentlich nicht, in welchem Raum man sich gerade befindet. Ist es das Schlafzimmer der Eltern, das Gäste- oder das Kinderzimmer? Nur die Küche ist als solche erkennbar und verfügt über Regale, zum Verstauen von Dingen. Somit ist Ordnung halten einfach anders und die Dinge bzw. Sachen liegen, aus meiner Perspektive, einfach irgendwo draußen herum oder sind in die Schränke gestopft. Die Einheimischen wissen jedoch ganz genau, wo sie was haben „liegen lassen“ und von dem Platz aus nutzen Sie es erneut.
Was mir auch stark zu schaffen macht, ist der eingeschränkte Aktionsradius. In Berlin bin ich oft kilometerweit und stundenlang unterwegs, hier dagegen nur 800 Meter bis zur Schule. Anfangs war dafür sogar noch Begleitung durch Baba nötig, damit die Wachhunde der Nachbarschaften uns nicht „angreifen“. Unterdessen kennen Sie uns und wir können am Tag auch allein den kurzen Weg laufen. Im Dunkeln ist das jedoch schon wieder keine gute Idee, wie wir gestern bei einem Spaziergang herausgefunden haben.
Bis zum Dorf Alegaon ist es dann doch immerhin 1 Kilometer. Alle anderen Ortschaften können nur mit dem Motorrad erreicht werden und das muss man halt organisieren bzw. mit dem Rest der Familie abstimmen. Somit ist mein Aktionsradius enorm eingeengt.

Überall wird man aufgefordert, sich zu setzen. Wir dürfen uns auch nicht auf den Boden setzen sondern bekommen einen Plastikstuhl angeboten; in der Schule beim Gespräch mit den Lehrern, beim Abendessen in einer Gastfamilie, man sitzt natürlich auch auf dem Motorrad und im Schatten vor dem Haus…

Wohin kann ich mal laufen, wie komme ich in Bewegung? Von 8:30 bis 14:30 Uhr sind wir bisher in der Schule. Danach laufen wir nach Hause und machen bis 16:30 Uhr nix. Anschließend wird Wäsche gewaschen oder Lebensmittel auf dem Markt eingekauft und dann ist es auch schon dunkel. Diese Abhängigkeit ist für mich schwer zu ertragen und nimmt mich gerade etwas mit. Ich habe mir vorgenommen, meine bisherige Tagesstruktur nochmal zu überdenken!
Immerhin habe ich heute mal gegen 17:30 Uhr für 20 Minuten ein paar Sportübungen auf der Terrasse vor der Schule gemacht. Und sofort war die Stimmung wieder gut!

Ich finde schon noch meinen Rhythmus, dauert halt alles etwas. Wir sind ja auch erst 1,5 Wochen hier vor Ort. Na ja, Geduld war noch nie meine Kernkompetenz. Ich arbeite dran!

Landwirtschaft

In „unserer neuen heimischen“ Landwirtschaft hat sich in den letzen Tagen einiges getan. Der Schwerpunkt liegt auf der Versorgung von nunmehr 10 Kühen, so dass diese möglichst viel Milch geben. Vor zwei Tagen wurde erst eine neue Kuh gekauft und am Abend auch gleich geliefert. Derzeit steht sie separat im Gehege mit zwei unterschiedlich alten Jungtieren.
Es existiert sogar eine kleine mobile Melkmaschine und 2 x täglich werden alle 10 Kühe gemolken. So kommen insgesamt 2 x 60-80 Liter zusammen, die dann an den Serpanch (Dorfvorsteher) verkauft werden. (Zum Vergleich: eine deutsche Milchkuh liefert ca. 30-40 Liter am Tag) Der Serpanch fungiert als Zwischenhändler für die Firmen in der Stadt. Unterdessen haben wir jedoch gelernt, dass die Milch der Kühe von den Einheimischen als minderwertig angesehen wird. Die Büffelmilch dagegen ist höherwertig und wird kleinen Kindern 2 x täglich gegeben, damit sie Abwehrkräfte bekommen. Am hochwertigsten ist jedoch die Milch der weißen heiligen Kühe.

Außerdem wurde ein neuer Kuhstall gebaut. Da hat die halbe Nachbarschaft mitgeholfen.

Dazu passend gab es dann auch gleich noch einen neuen Futterunterstand und so ist das „Milchkuhgeschäft“ erfolgreich erweitert worden.

Die gesamt Familie war heute mit dem Dreschen von Hirse beschäftigt. Auf dem Dach des Haupthauses lagen tagelang zum Trocknen Hirserispen. Diese wurden von den beiden Frauen, Shria und Mangal, in Säcke gestopft.

Hinter dem Haus wurde extra eine Dreschmaschine aufgebaut. Ein richtig historisches Teil. Die Männer schleppten die Säcke also zu dieser Maschine, schütteten die Rispen in den oberen Trichter und unten füllte sich dann schrittweise ein Sack mit den Hirsekörnern. Die Abfallspäne flogen in kleinen Stücken hinten aus der Maschine raus und bildeten schnell einen kleinen Berg.

Die Frauen haben meine absolute Hochachtung. Sie arbeiten am meisten und am längsten von allen, besonders die jungen Frauen. Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass „nur“ die Hausarbeit und die Kids in ihre Zuständigkeit fallen und die Versorgung der Familie sowie das Business die Männer verantworten. Heute ist mir jedoch klar geworden, dass auch die harte Arbeit in der Landwirtschaft teilweise mit von den Frauen übernommen wird. Das hatte ich so in dem Umfang nicht erwartet.

Gestern zum Sonntag haben Thomas und ich einen Spaziergang durch‘s Dorf gemacht. Wir haben eine Hose zum dortigen Schneider gebracht. Der saß in einem Holzverschlag mit einer Nähmaschine, die noch mit dem Fuß angetrieben werden musste und nähte ein neues türkis-kariertes Herrenhemd. Das sah nicht nur farbig sondern auch qualitativ gut aus. Gegenüber vom Schneidermeister bestellten wir ein Huhn zum Abendessen für die Familie (beim Abholen am Abend sollte es nicht mehr leben und bereits ausgenommen sein). Wir schlenderten einfach etwas herum und versuchten möglichst unauffällig, was natürlich nicht immer gelang, das Dorfleben zu beobachten.

Hier stellen zwei Frauen gerade diese dünnen asiatischen getrockneten Griessnudeln her, die es bei uns abgepackt in den Asiashops zu kaufen gibt. In Indien werden sie als Süssspeise mit Milch und Zucker gegessen.
Was alles auf dem Kopf und wie viel auf einem Motorrad transportiert werden kann, ist-wie in anderen asiatischen Ländern auch- gigantisch. Wir haben Schwierigkeiten eine Tasche zusätzlich mitzunehmen und hier wird der ganze Hausstand, die komplette fünfköpfige Familie oder enorme Futtermengen für das Vieh auf diesem traditionellen Weg bewegt. Auf dem Land sind ausschließlich die Männer motorisiert unterwegs. In den Grossstädten fahren dagegen auch Frauen Motorrad oder Mofa.

Ravi, der Sohn unserer Gastgeber, transportiert hier ausnahmsweise mal nur die Hälfte des gerade frisch geschnittenen Maises. Das bekommen dann die Kühe gleich am Abend.

Die Armut ist unbeschreiblich. Niemand kann sich in Europa vorstellen, dass Menschen so leben. Hütten mit Wellblechdächern sieht man abseits der Dorfhauptstrasse überall. Mit hängenden Decken oder Matten wird versucht, kleine Bereiche abzutrennen. Privatsphäre gibt es nicht. Die Großfamilien besteht mindestens aus 3 Generationen, und meist leben auch noch Schwägerin/ Schwager oder verwitwete bzw. noch nicht verheiratete Familienangehörige mit im Haus. Ebensowenig existieren richtige Toiletten, nach unseren Vorstellungen. Viele der älteren Farmer/innen gehen zu ihren täglichen großen und kleinen Geschäften nach wie vor auf ihre Felder. Somit wäre schonmal gedüngt. Fehlt halt nur noch die Bewässerung.
Das Leben spielt sich zu 90% draussen ab: auf der Straße, auf dem Schotterweg oder direkt auf der Treppe vor dem Haus. Die Männer sitzen auf einer überdachten großflächigen Terrasse direkt auf dem Marktplatz in unmittelbarer Nähe zum Tempel und schauen dem Treiben um sie herum zu.
Kinder kennen kein Spielzeug. Sie nutzen alles was herumliegt wie z. B. Plastikmüll, Teile kaputter Haushaltsgeräte oder was die Umgebung hergibt wie z. B. Steine, Samen und Stöcke. Oft jagen sie in Scharen einfach nur laut kreischend durchs Dorf.
Gekehrt wird mit Reisigbesen oder gebundenen Palmblättern, gekocht wird auf offenem Feuer mit Holzscheiten. Es gibt zwar überall in den Häusern kleine Gaskocherstellen, die jedoch nur vereinzelt beim Kochen des Essens verwendet werden. Heißes Wasser wird nur über offenem Feuer gemacht. Daher werde ich leider hier nicht das Kochen erlernen. Aber Anregungen bekomme ich allemal.