Fussball WM 2018

Selbstverständlich sind wir auch im Fussballfieber! Die späten Spiele laufen bei uns dann 23:30 Uhr im Livestream. Trotzdem haben wir das Spiel gegen Schweden gesehen und in der letzten Sekunde laut gejubelt.
Um möglichst wenig Unterbrechungen zu riskieren, sitzen wir mit zahlreichen Verlängerungskabeln, Akkus und unlimited Internet von „airtel“. Doch manchmal bleibt das Bild einfach so stehen, weil das Internet dann wackelt.
Mal schauen wir drinnen, um vor den Kids Ruhe zu haben, die uns ständig über die Schulter schauen, sobald ein Laptop oder ein Handy im Einsatz ist. Mal fiebern wir open air mit, mit Blick auf die Kühe.

Eine erste Entscheidung wird es ja heute schon geben. Daumen drücken!

PS von Thomas: Durch etwas technische Verzögerungen geht der Post hier erst nach unserem Ausscheiden raus – unser einziger Trost ist, dass sich hier kein Mensch für Fußball interessiert sondern nur Cricket (außer wenn das Ganze auf der Titelseite von „Times of India“ stehen sollte, was ich nicht hoffe). Die mitleidigen Gesichter hätte ich hier echt nicht ertragen. Wenn es wenigstens Alkohol gäbe…

PPS: Es steht auf der Titelseite – was wird das für ein beschissener Tag morgen:

Tag des Bullen

Ich weiss nicht, wie viele Feiertage es in Indien genau gibt, es sind jedoch unzählige und für jeden erdenklichen Anlass. Heute war „Tag des Bullen“! Keine Ahnung, was genau dieser Tag bedeutet aber es gab sehr lustige Erlebnisse. Bereits am frühen Morgen waschen die Farmer ihre Kühe und Bullen. Das ist echt lustig anzusehen, da sie teilweise richtig eingeseift werden. Danach werden die Hörner bunt angemalt, meist rot aber andere Farben haben wir auch gesehen. Einige sind auch mit richtig bunten Halsbändern geschmückt oder haben sogar „Ganzkörpertattoos“ erhalten.

Da wir heute somit schulfrei hatten, waren wir wieder unterwegs. 1,5 Stunden sind wir mit unserem klapprigen Motorrad in die Berge gefahren, in die kleinen Ausläufer der Westghats. Dort wollten wir etwas wandern. Dafür hatten wir uns sogar unsere dicken Wanderschuhen angezogen- als Schlangenschutz in unwegsamem Gelände. Unterwegs haben wir wieder viele nette Leute getroffen, mit denen wir uns zwar nicht verständigen aber trotzdem unterhalten konnten. Mit Händen und Füssen, Mimik und Gestik geht doch immer irgend etwas. Auch das Wetter hat ganz grossartig mitgespielt, nur klitzekleine Regenschauer aber ansonsten wunderschöne Ausblicke.

Das Management in Pune/USA hat unseren Veränderungsvorschlag für die Schulkonzeption angenommen. Damit sollte sich nun endlich schrittweise die lang gewünschte finanzielle Stabilität für die Schule erreichen lassen.

In den letzten zwei Tagen sollten 10 Angehörige von Schülern aus der 6-8. Klasse darüber informiert werden, dass in der English Medium School die Klassen ihrer Kinder leider nicht mehr fortgesetzt werden können. Mit nur 1 bis 4 Schülern lässt sich die Qualität des Unterrichts nicht sicherstellen und das Zusammenlegen dieser drei Klassen ist inhaltlich natürlich auch nicht möglich.

Leider hat der von uns beauftragte Lehrer nur teilweise die abgestimmten Informationen an die Angehörigen weitergegeben. Somit sind Gerüchte aufgekommen und Baba wurde von Dorfbewohnern und auch vom Serpanch in den USA angerufen und gefragt, ob denn die Schule schliessen würde. Daraufhin wurde die gesamte, gerade erst vom Management beschlossene und verkündete Veränderung erneut auf ihre Sinnfälligkeit hinterfragt. Plötzlich kamen wieder alte Vorschläge und Kompromisse auf den Tisch, die bereits ausgiebig mit allen Verantwortlichen diskutiert und aus den unterschiedlichsten Gründen nicht berücksichtigt werden konnten.
Auf unserer Farm tauchten abends 21:00 Uhr plötzlich „Vertreter der Schule“ auf, die im Namen der Lehrer und des Schulmanagementteams „neue Überlegungen“ präsentierten. Ich war pappe satt und habe das auch unmissverständlich den Herren gegenüber kommuniziert! Ich fand es total dreist, bei uns zu dieser Zeit aufzuschlagen und so zu tun, als ob nun plötzlich neue Ideen auf dem Tisch liegen, die unbedingt zu prüfen sind. Wir hatten stundenlang über mehrere Tage kalkuliert, Inhalte des Finanzbudgets geprüft, Thomas hatte sogar mehrere Varianten berechnet und in Exceltabellen dargestellt und selbstverständlich fehlte auch die Abstimmung mit den Verantwortlichen in den USA nicht. Das ist in Summe richtig viel Arbeit, alles zusammenzustellen und regelmässig zu pflegen. Dadurch sind wir jedoch nun auf den Rupie genau aussagefähig gegenüber dem Management. Thomas stellt diese Zahlenwunderwerke alle zusammen, ich bin mit in deren inhaltlicher Überprüfung involviert. Nunmehr gibt es wieder einen tagesaktuellen Überblick über die Schülerzahlen, die bereits gezahlten Schulgebühren für das neue Schuljahr, die offenen Gebühren aus dem letzten Schuljahr sowie über die Finanzlage der 4 Schulbusse, die alle defizitär betrieben werden. Selbst die Zahlung der Gehälter aller 10 Lehrer liegt in unseren Händen. Teilweise wurden deren Gehälter mit den zu zahlenden Schulgebühren für die Kinder verrechnet. Da nie etwas dazu aufgeschrieben wurde, erinnert sich auch nur zögernd der eine oder andere an diese Tatsachen.

Aufgrund der zahlreichen Schwierigkeiten heisst es für das Management in den USA nun „Sekt oder Selters“, es muss dringend eine Entscheidung getroffen werden bzw. an der getroffenen muss festgehalten und intensiv weiter gearbeitet werden. In den nächsten Tagen werden wir das neue Konzept den Lehrern vorstellen, Fragen beantworten und mit neuen Massnahmen versuchen, sie auf die Veränderung positiv vorzubereiten.

Ich hoffe sehr, dass uns damit doch noch etwas Nachhaltigkeit möglich wird und eine stabilere Finanzbasis geschaffen werden kann. Von einer Qualitätsverbesserung für die Schüler aufgrund des neuen Konzeptes bin ich ohnehin überzeugt.

Vertrauen

Trotz der unangenehmen Dinge, die wir in der Schule eingeführt haben wie z. B. das gehaltsrelevante Zeitmanagement für die Lehrer, die Vor- und Nachbereitungszeit von 1 Stunde pro Unterrichtstag im Anschluss an den Unterricht und nun auch noch die Schliessung der 6. bis 8. Klasse, bringen uns doch viele Lehrer Vertrauen entgegen. Sie sehen uns nicht als „Feinde“, die ihre Schule zerstören. Natürlich sind sie erstaunt über das Ausmass an Veränderungen und die Brisanz der finanziellen Situation, in der die NGO steckt. Jedoch haben sie Achtung und Vertrauen in unsere Entscheidungen, da sie Kompetenz und Transparenz erleben. So viele Informationen, so viel Mitbestimmung und so viel Struktur kennen sie bisher nicht. Auch in Diskussionen besteht trotz der ernsten Inhalte eine verhältnismässig offene Gesprächskultur. Sogar die Frauen sagen zunehmend stärker ihre Meinung, planen mit uns, bringen Lösungsvorschläge und sind aktiver als vor drei Monaten. Das ist eine für alle ganz positive Entwicklung.
Wir werden trotz allem zum Tee oder sogar zum Essen von einigen Lehrern eingeladen. Darüber freuen wir uns natürlich sehr.
Heute waren wir in Waki, einem Dorf 3 km von unserem entfernt, eingeladen. Dort lebt einer der Lehrer, Popat. Er ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat einen 10 Monate alten Sohn. Gemeinsam wohnt er mit ihnen und seinem Vater in einem winzigen Haus, bestehend aus einem Wohn- und Schlafraum (1 Bett für alle) und einer Küche. Insgesamt sind diese beiden Zimmer vielleicht 16 qm gross. Allein bewirtschaftet er die Farm von 4 bis 7 Uhr früh und danach ist der Marathi- und Hindi- Lehrer. Als Alleinverdiener hängt die gesamte Versorgung an ihm und er erzählte, dass er so manche Nacht nicht schlafen kann, weil er grübelt, wie er das alles schaffen soll.
Das Feld hat er für die nun anstehend Regenzeit gut vorbereitet. Er hat einen Wasserspeicher mit Pumpe gebaut und auf der gesamten Fläche für 600 Granatäpfelbäum Bewässerungsschläuchen verlegt. Das war eine richtige Investition. Nun fehlen im 10.000 Rupien, um die jungen Bäume zu kaufen und in die Erde zu bringen. Da die Schule 2,5 Monatsgehälter nicht zahlen konnte, fehlt ihm nun dieses Einkommen und alle Arbeit war umsonst!? Das ist die Frage, die er sich täglich stellt.
Wir haben bisher gedacht, unser Aufenthalt auf der Farm ist einfaches Landleben. Bei unserem Besuch heute haben wir jedoch festgestellt, dass es noch einfacher und ärmer zugehen kann.
Auf dem Hinweg nach Waki sind wir in einen mächtigen Monsunregen gekommen und mussten uns für ca 1 Stunde in einer fremden Bauernhütte am Strassenrand unterstellen. Dort hatte Popat auf uns gewartet, um gemeinsam weiterzufahren. Die Erde weicht so schnell auf, das in Sekundenschnelle alles schlammig ist, riesige Pfützen und sogar kleine Bäche entstehen und man nicht mehr laufen oder Motorrad fahren kann.
Die sprachliche Verständigung mit Popat ist nur sehr eingeschränkt möglich, daher waren wir sehr erstaunt, als er einen kleinen Fotobildband aus seiner Tasche zog und uns die abgebildeten Orte erklärte. Es war herzerweichend zu sehen und zu hören, wie gern er selbst reisen würde. So verging die Wartezeit recht schnell und kurzweilig.

Als der Regen aufgehört hatte, sind wir gemeinsam noch ca 1 km zu Fuss bis zu Popats Farm gelaufen. Dorthin gelangt man in der Regenzeit wirklich nur zu Fuss. Popat lief selbstverständlich barfuss, was in den Schlammmassen am einfachsten ist. Wir versuchten es auch, kamen aber nicht sehr weit, da überall Dornen, Müll und Steine den Boden bedecken. Also Schuhe wieder an. Unsere Schuhsohlen hatten nach wenigen Minuten jedoch einen enormen Stroh- Schlamm-Batzen als Absatz, dass das Laufen fast nicht mehr möglich schien. Achtung Rutschgefahr! Bei Ankunft vor dem Farmhaus erst einmal Füsse waschen und dann …einfachstes Landleben erfahren. Zu unserem Erstaunen war es jedoch das erste Farmhaus, in dem wir einige Bücher und Zeitschriften auf einem kleinen Wandregal entdeckten.
Wir bekamen erst Tee angeboten, sind dann die Farm abgelaufen und danach gab es noch eine kleine Schüssel gekochte Reisflocken mit Kräutern und Erdnüssen.
Zum Abschluss noch ein Gemeinschaftsfoto! Popat war so stolz, uns seine Familie vorzustellen und seine Farm zu zeigen. Mit nur ganz wenigen Englischkenntnissen, hat er uns sein ganzes Leben erzählt und gesagt, dass er sich so sehr freut, mit uns nun auch mal englisch zu sprechen. Er will es üben, um sich zu verbessern.

Vom Kindergarten bis zur 9. Klasse werden derzeit in der „English Medium School“ die Schüler unterrichtet. Seit Jahren besteht das grosse Problem darin, dass bis zur 4. Klasse die Schülerzahlen sehr hoch und hoch sind und ab der 5. Klasse sinken sie schrittweise immer weiter ab. In diesem Schuljahr haben wir teilweise in den höheren Klassen nur noch zwischen 3 bis 5 Schüler. Eine Ausnahme ist lediglich die neue 9. Klasse. Das sind die allerersten Schüler überhaupt, die hier in Alegaon in der Schule englisch beschult wurden.

In den ersten zwei Wochen des neuen Schuljahres kommen und gehen die Schüler, so dass man nie genau weiss, wer eigentlich nun tatsächlich aufgenommen wurde und auch dementsprechend das Schulgeld gezahlt hat. Eltern setzen ihre Kinder einfach in die Schulbusse, die wie immer ihre Touren über die umliegenden Dörfer fahren. Keiner weiss, wer die Kids sind und in welchen Jahrgang sie gehören. Es ist ein einziges Chaos. Von ca. 30 krakelenden Kleinkindern heulen zeitgleich immer 5, sie scheinen einander „anzustecken“. Die Kinder werden, nach alter pädagogischer Tradition, in den Räumen eingeschlossen damit sie nicht heulend nach draussen laufen und andere Unterrichtseinheiten stören können. Zwei Lehrerinnen setzen sich dem ohrenbetäubenden Lärm aus, sind aber völlig am Ende. Das sei jedes Jahr so, berichten sie uns aber eine Methode zum Umgang damit (bei uns ist das die Kita-Eingewöhnungsphase) gibt es hier nicht. Wir sind jedoch „Weltmeister im Improvisieren“. Ich male mit den Kids, baue Holzklotztürme und singe aus lauter Verzweiflung mein ganzes Repertoire an deutschen Kinderliedern immer und immer wieder. Hätte ich doch nur öfter mit meinen Patenkindern Lene und Jara gesungen oder Musik gemacht, dann wäre ich jetzt besser aufgestellt und würde mehr Kinderreime und -lieder kennen.
Auch Thomas hält den Krach nicht mehr länger aus und schliesst schnell noch einen alten PC mit seinem Handy zusammen, recherchiert im Internet und dann erklingen endlich Kinderlieder in Marathi und es gibt sogar einen Cartoon zu sehen. Es ist ansatzweise Ruhe! Entspanntere und dankbare Gesichter bei den beiden erschöpften Lehrerinnen.

Finanziell ist das bisherige Konzept so nicht mehr wirtschaftlich fortzusetzen. Es wurde schon bisher kein Gewinn mit der Schule zum Reinvestieren erwirtschaftet. Unterdessen stehen selbst die jährlichen privaten Investitionen unserer Gastfamilie in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand, der allgemein zum Erhalt betrieben werden muss. Ausserdem sind für die höheren Klassen weitere Investitionen nötig wie z. B. ein Computerkabinett und ein Labor. Das Geld dafür kann jedoch nicht über die Schulgelder refinanziert werden.
Daher hatten wir bereits im April, nach ersten groben Budgetplanungen und Finanzhochrechnungen, eine Konzeptveränderung vorgeschlagen. Diese wurde jedoch bisher nicht wirklich geprüft, sondern aus Loyalitätsgünden gegenüber Baba verworfen.

Da sich nun die Schwierigkeiten in der Schule häufen (keine neuen Lehrer, sinkende Schülerzahlen, kein Management vor Ort, zu geringe Einnahmen, wenig Spenden) haben wir nun doch noch den Auftrag bekommen, unseren Konzeptionsvorschlag (nur noch Kita und bis 4. Klasse) zu kalkulieren. Daher stehen für Thomas wieder umfangreiche Excel-Stunden auf der Tagesordnung.

Der Bau des neuen Klassenzimmers für die 9. Klasse ist nun selbstverständlich auch gestoppt. Das Basement ist unterdessen allerdings fertig. Daher müssen wir auch noch überlegen, was perspektivisch damit geschehen kann. Vermutlich werden wir nur noch die Fussbodenabdeckung beauftragen und den Platz überdachen lassen. Dann ist das halt ein Picknickplatz für die Kinder zur Mittagspause. Derzeit essen sie in den Klassenräumen. Es besteht allerdings Sturzgefahr auf der neuen „Terrasse“ aber ich denke, das interessiert hier erstmal niemanden…

Wir sind gespannt, was unsere Berechnungen und Überlegungen in den nächsten Tagen für Ergebnisse und Entscheidungen bringen.