Gorillas und Vulkane

Letztes Wochenende habe ich mich spontan entschlossen, mit zwei Studenten in den Norden mitzufahren, um in den Vulkanbergen zu wandern. Das Gebiet ist ja eigentlich wegen der Gorillas bekannt. Allerdings muss man für eine Sunde Gorillabesuch ca. 1500 Dollar bezahlen. Das ist sicherlich ganz nett aber außerhalb jeder Diskussion für mich. Eine Eintagestour auf den Bisoki mit Führer kostet 50 Eur. Die Tour dauert ca. 8h für 17km und 1000 Höhenmeter. Soweit die Fakten. Auf dem Weg dahin passiert man die typischen ländlichen Lehmhütten, die Gegend selbst hat sich mittlerweile ein wenig auf Touristen eingestellt. Der Startpunkt ist für alle der selbe. Es mischen sich also einfach Tourengeher mit exzentrisch reichen Amis, die sich die letzten Gorillafamilien ansehen wollen, die es noch gibt.

Vom Wetterbericht nicht so richtig vorhergesagt, gab es am Morgen bevor wir losgingen einen heftigen Regen, was sich dann später ziemlich auf die Tour auswirkte. Trotzdem ging es dann voller Enthusiasmus los.

Der Auf- und Abstieg geriet dann zum Schlammspektakel. Ein kleiner Tip – vermeidet es, bei schlammigen Verhältnissen mit profillosen Sneakern einen moderigen Berg hinaufzukrauchen. Das kann anstrengend werden.

Begleitet wurden wir natürlich wieder wie in Indien von Wildhütern mit Gewehr, Gorillas haben wir natürlich nicht gesehen, auch wenn wir an einer der Familien wohl ziemlich nah vorbeigelaufen sind.

Irgendwann waren wir dann aber wieder unten – ich war unterwegs ziemlich an meinen Grenzen, bin die letzten 100 Höhenmeter kaum vorangekommen, was sicher ein wenig mit der Höhe zu tun hatte – und natürlich damit, dass ich ein wenig aus der Form war.

Geburtstag in der Fremde

Es ist mal wieder soweit – ein weiterer Geburtstag in der Ferne – diesmal sogar ohne Sonni, was dieSituation nicht wirklich besser macht. Da ich jedoch mittlerweile in unser neues Zuhause eingezogen bin, habe ich mich kurz entschlossen durchgerungen, einen Teil meiner Kollegen zu einer kleinen Party einzuladen. Organisiert wird das alles ziemlich einfach. Man besorgt vom lokalen Hochzeitsausstatter 25 Stühle und zwei Tische, die auf Fahrrädern angeliefert werden.

Ich baue einen kleinen Geburtstagsschrein, damit Sonni wenigstens virtuell anwesend ist – da es Ostern ist, gab es sogar noch ein Osterlamm dazu.

Dann kommen noch zwei Kästen Bier dazu und eine Flasche Wein – den Rest an Getränken bringen die Gäste mit. Wichtig ist dann noch die Musik – dafür haben wir die Anlage der Eltern eines Kollegen abgebaut, damit es auch ordentlich laut ist – war auch ordentlich laut. Wichtig ist natürlich das Essen – dazu wird eine ganze Ziege am Markt gekauft und mit einem halben Tag Vorlauf zu Brochettes verarbeitet – das sind Fleischspieße, die mit viel Tomatentunke und weiteren Gewürzen veredelt werden und anschließend gegrillt. Dabei wird von der Ziege jedoch wirklich alles verarbeitet – alles! Beliebte Spezialität sind die Brochettes, die die Innereien dann verarbeiten. Dazu wird alles in den Darm gestopft, gekocht, in Scheiben geschnitten, gewürzt und dann gegrillt. Es schmeckte viel besser als der Herstellungsprozess vermuten ließ. Nur die Konsistenz war ein bisschen – ähm —— wenig, würde ich sagen.

Dann wurde die Musik aufgedreht und getanzt – was bei den Einheimischen ein wirklich sehenswerter Anblick ist – die können sich alle bewegen – egal in welcher körperlichen Verfassung – dick oder dünn – fit oder gebrechlich – hässlich wie die Nacht oder schön wie Sonni. Sehr beeindruckend und für mich selbst ein wenig beschämend. Aber Spaß hat’s gemacht. Hier noch ein paar Bilder von der Party.

Remember

Die letzten beiden Wochen bin ich in vielen Veranstaltungen eingebunden gewesen, die zum Gedenken der Toten vor 25 Jahren stattfinden. Vieles davon passiert wirklich auf staatlicher Ebene, so dass man leicht annehmen könnte, dass dies alles nur staatlich gelenkt ist. Zum Beispiel gibt es ein einheitliches Logo, dass überall verwendet wird, und hier zum Beispiel an den an diesem Tag geschlossenen Restaurants angebracht ist.

Je mehr man jedoch in Kontakt mit den Bewohnern kommt, desto stärker wird einem bewusst, wie stark dieses Thema im Alltag aller Bewohner verankert ist. Meine Kollegen auf Arbeit verbringen im April sehr viele The bei Gednkfeierlichkeiten für Angehörige, sei es am 14. April für den Vater, am 17, April für den Onkel oder am 19. April für die Tante mit den Kindern. Es dreht einem das Herz um, wenn man merkt, wie tief die Wunde ist, die hier vor 25 Jahren geschlagen wurde.
Auch wenn man teilweise schon eine leichte Distanz zu der institutionalisierten Trauer mitbekommt (eine Kollegin lästerte über eine andere vor Kurzem – sie würde wohl gerötete Augen haben, da sie die ganze Woche geweint habe) – ist doch im Allgemeinen die Auseinandersetzung für mich echt und wenig gesteuert.
Ein Kollege erzählte mir, dass zu Beginn das ganze Land von April bis Juli nicht arbeitsfähig war – alle trauerten und fuhren zu den Orten der Massaker an ihren Familienangehörigen. In dieser Zeit fanden keine Feste oder Parties statt. Später versuchte man dann das ganze zu kanalisieren und auf die Woche nach dem Start des Massakers zu beschränken. Die meisten nutzten dann diese eine Woche um ihre Heimat zu besuchen und it ihren verbliebenen Angehörigen zu trauern. Mittlerweile ist seit diesem Jahr auch diese eine Woche de facto eine volle Arbeitswoche, auch wenn am Nachmittag viele Veranstaltungen stattfinden.

Sonntag

Die größte offizielle Veranstaltung ist die Feststunde im Amahoro Stadion, das während des Genozids einer der wenigen Zufluchtsorte war.  Sie ist der Endpunkt des “walk to remember” der vom Parlament bis zum Stadion führt und von der gesamten eigenen und geladenen Politprominenz angeführt wird. Die Stadt ist in einem totalen Ausnahmezustand. Dauernd werden irgendwelche Staatsgäste empfangen, begleitet, verabschiedet. Aus Deutschland war Horst Köhler da. Die Feierstunde selbst sehr unprätentiös, einige Reden, ein Chor und der Bericht eines Zeitzeugen. Während dieses Berichtes brachen einige Besucher hysterisch zusammen und mussten nach draußen gebracht werden. Einige davon waren jedoch laut eines Kollegen von mir, der näher dran saß, jünger als 25 Jahre und konnten eher nicht die eigenen Erlebnisse sondern eher die der Bekannten oder Verwandten verarbeitet haben. In meinem Umfeld war es eine ältere Frau, die von ihren Nachbarn und Ordnungspersonal nach draußen geleitet wurde.
Zur Musik gab es Kerzen, was insgesamt als das Licht gelöscht wurde, einen sehr bewegenden und berührenden Moment ergab.

Lange Schlangen am Einlass

Eine Flut von Kerzen

Montag

Am Montag Nachmittag gab es sozusagen politische Bildung. Am Nachmittag gab es direkt bei meinem Arbeitgeber für alle Mitarbeiter eine obligatorische Veranstaltung in der über Planung und Ausführung des Genozids gesprochen wurde. Leider wurde sowohl Präsentation als auch Fragestunde in Kinyarwanda gehalten, so dass es für mich schwer war zu folgen. Immerhin konnte ich einiges von der Präsentation life übersetzen. Für mich war es dabei interessant, herauszubekommen, ob die Erinnerungskultur tatsächlich mit der aktuellen Regierung verwoben wird, wie ich es eigentlich vermutet hatte und auch aus DDR-Zeiten so kannte. Es kamen jedoch m.E. keine der üblichen Phrasen vor – In der ganzen Präsentation fehlten die Begrifflichkeiten für die RPF oder Paul Kagame. Auch den Feedbacks der Mitarbeiter zu Folge ging es im Wesentlichen tatsächlich um die Geschichte und Durchführung des Genozids.

Mittwoch

Die die offizielle Gedenkveranstaltung meines Arbeitgebers fand gemeinsam mit der staatlichen Post statt um die getöteten Mitarbeiter der Post zu ehren. Diesmal ging die Veranstaltung 3 1/2 Stunden – und war auch durchgängig auf Kinyarwanda. Da es diesmal nichts Schriftliches gab, konnte ich noch schlechter folgen und konnte das Geschehen nur leidlich verfolgen. Es begann mit einem Gebet, anschließend gab es Blumen zum Niederlegen am Gedenkstein, es gab Reden, das Entzünden einer Gedenkflamme und ein Gedicht, vorgetragen von drei Mitarbeiterinneren der Post. Den bewegenden Teil musste ich mir danach von meinem Chef erzählen lassen, der mir erklärte dass die eine Rede von einer Zeitzeugin war, die seit den Sechziger Jahren dort in der Post gearbeitet hatte und die vielfältigen Unterdrückungen, die es auch vorher schon gegeben hatte, am eigenen Leib miterlebt hatte.

Ich bin mir nach den letzten beiden Wochen nicht sicher, ob das Wort “instrumentalisieren” tatsächlich in diesem Zusammenhang richtig ist oder eher das Wort “kanalisieren”. Ich werde weiterhin versuchen, einen möglichst neutralen Blick zu behalten.

Befreiung

Man kann am 7. April nicht einfach einen Blog-Eintrag machen und über irgend etwas aus Ruanda berichten.
Am 7. April vor 25 Jahren begann das lang vorbereitete Morden an fast 1 Millionen Tutsi und an moderaten Hutus hier in Ruanda. Das Grauen, das die einzelnen Menschen hier erlebt haben, die rohe Gewalt und das Entsetzen sind nicht in Worte zu fassen. Ich habe es bisher noch nicht geschafft, zu einer der Genozid-Gedenkstätten zu gehen, da ich mich diesem Schrecken noch nicht stellen konnte.

In den letzten Wochen habe ich mich jedoch viel mit dieser Thematik beschäftigt. Selbstverständlich wirkt sich die Vergangenheit auf die heutige Gesellschaft aus. Es wird durch die Regierung versucht, mit einer institutionalisierten Erinnerungskultur einerseits das Thema nicht vergessen zu machen, es jedoch andererseits für die Stabilisierung der aktuellen Regierung auszunutzen. Dieser Balanceakt gelingt mal mehr und mal weniger gut. Auf der einen Seite hat sich die ruandische Gesellschaft tatsächlich Genozid-Leugnern zu erwehren und hat aus diesem Grund 2008 die offizielle Benennung von “Genozid” zu “Genozid an den Tutsis” geändert – auf der anderen Seite wird durch das Ausweisen von z.B. der BBC nach einem kritischen Bericht insgesamt ein Klima der Meinungskontrolle geschaffen, dass schwerlich als stabil gelten kann. Persönlich kann ich das Vorgehen zwar durchaus nachvollziehen, glaube jedoch nicht, dass man damit dauerhaft eine Heilung der Wunden erreicht. Ob dies überhaupt nach so einem Trauma gelingen kann, ist sowieso fraglich.

Mich erinnert all das sehr an meine Jugend und die institutionalisierte “Befreiung vom Hitlerfaschismus durch die ruhmreiche Sowjetarmee”. Ähnlichkeiten sind augenfällig. In einem von mir gelesenen Artikel wurde das aktuelle System als “Erziehungs- und Entwicklungsdiktatur” bezeichnet, was ich ganz treffend finde.

In meiner Wahrnehmung haben die Leute inzwischen jedoch genug vom Trauern. So wurde ich z.B. gestern zu einer Homeparty eingeladen – am Abend vor den Genozid-Feierlichkeiten, zu einer Zeit als vor 25 Jahren mit dem Abschuss der Präsidentenmaschine das Morden begann. Für mich war das schon ein wenig befremdlich. Am Abend davor gab es Livemusik im Vergnügungsviertel von Kigali. Die ganze Jugend traf sich und tanzte zu afrikanischen und internationalen Klängen.

Die nächste Woche ist jedoch ganz der (institutionalisierten) Trauer gewidmet. Früher gab es eine ganze Woche frei, um heimzufahren, sich mit den überlebenden Angehörigen zu treffen. Inzwischen sind es nur noch halbe Tage. Am Montag erwarten wir nachmittags einen Redner der Regierung in unserer Organisation, der eine Trauerrede halten wird, am Mittwoch trifft sich die ganze Einrichtung zu einer Trauer- und Gedenkveranstaltung. Ich versuche für mich, einen mentalen Balanceakt zu erbringen, einerseits, die Opfer zu ehren, mich aber nicht von der Propaganda vereinnahmen zu lassen. Ich denke aber, das mir das als Deutscher mit den reichhaltigen Erfahrungen der jüngeren Geschichte durchaus gelingen kann.

Zum Weiterlesen hier noch ein paar Links:

  • Die offizielle ruandische Seite: http://kwibuka.rw
  • Der Bericht des alleingelassenen UN Kommandeurs von 1994: Amazon
  • Der Dokumentarfilm zu dem Buch: Youtube

Kwibuka heißt im Übrigen Erinnern – der Titel des Blogeintrages ist der offizielle Titel der diesjährigen Erinnerungsfeierlichkeiten.

Umuganda

Jeden letzten Samstag im Monat ist Umuganda. Für Menschen mittleren bis “reiferen” Alters mit Ostvergangenheit ist die ganze Aktion ein wohlbekannter Begriff. Es handelt sich um nichts anderes als den allseits beliebten Subbotnik. Witzigerweise findet das ganze auch noch am Samstag statt. Alle Einwohner nehmen am “freiwilligen” Community-Tag teil. Das kann alles Mögliche sein: Müll wegräumen, Hecken an der Straße stutzen aber auch echte Community-Arbeit als sozialer Helfer oder Arzt. Auf dem Land ist die soziale Kontrolle noch stärker ausgeprägt als in der Stadt. Da scheint das Ganze ohne Zwangsmaßnahmen zu funktionieren. In Kigali habe ich mir sagen lassen, liegt die Beteiligung bei unter 20%. Bis um 12 Uhr mittags sind die Straßen lehrgefegt und die Geschäfte größtenteils geschlossen. Ich habe den Parkplatz vor meinem nächsten Supermarkt mal während und nach dem Umuganda fotografiert. Das ist schon ein Unterschied.

Die wohlhabenderen Leute verziehen sich einfach in ihre Häuser und lassen die anderen die Arbeit machen. Kurz nach 12 werden die Polizisten wieder vom Parkplatz abgeholt und das Leben geht wieder los. Irgendwie wirklich nicht sehr viel anders als im Osten.