Vom 27.09. bis 03.10. fand ein “Hackathon” zur Überwindung von Einschränkungen im Alltag bei Menschen mit Behinderung” statt. Ein Hackathon ist nichts Kriminelles, wie ich ursprünglich dachte. Für Läufer ist der Marathon eine Herausforderung und für Technikfreaks ist es eben ein Hackathon. Junge IT-Spezialisten aber auch Visionäre waren aufgerufen, sich zu einem 7-tägigen Wettbewerb anzumelden, um digitale Lösungen für Alltagsprobleme von Menschen mit Behinderungen zu entwickeln. Alles unter Anleitung von IT-Spezialisten aus Kigali, vordergründig RISA (Rwanda Information Society Authority) und GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) Mitarbeitende. Aus 60 Bewerberteams wurden 25 Teams zugelassen, und nach drei Tagen sollten nur noch die 15 Besten ihre Lösungen weiter entwickeln können. Von diesen 15 kämen dann nur weitere 10 Teams in die Endrunde. Von diesen wiederum würden 5 Teams prämiert. Sie erhalten nach dem Hackathon nach wie vor inhaltliche aber auch finanzielle Unterstützung zur Umsetzung und Implementierung ihrer Idee auf dem real existierenden Markt in Rwanda, als Prototype. Was für eine geile Idee!
Die Veranstaltung wurde von RISA mehrere Monate lang konzipiert und geplant. Die Auftaktveranstaltung dazu war der “open-space Workshop” zum Thema “Bridging the disability digital devide”, von dem ich bereits berichtet habe. Ähnlich wie dieser verliefen dann auch die Tage des Hackathons. Die Idee ist einfach großartig, und es machte viel Spaß, dabei zu sein. Aber das Chaos ist nicht ansatzweise vor- und darstellbar. Aufgrund meiner beruflichen Qualifizierung war ich plötzlich im Organisationsteam für die Gesamtveranstaltung (50 teilnehmende Personen) und im Verlauf dann sogar die Hauptverantwortliche und Jurymitglied. Und das, obwohl ich von Technik und IT-Lösungen gar nix verstehe. Aber eins nach dem anderen!
Am Donnerstagabend bekam ich eine eMail mit der Tagesordnung für alle Veranstaltungstage des Hackathons und auch den Hinweis, dass wir uns am Freitag 8:00 Uhr zur letzten bzw. erstmaligen Abstimmung bezüglich der Ausgestaltung treffen würden. Ich kannte von den angeschriebenen verantwortlichen Personen nur Sylvie, die Organisatorin des Workshops am 13.09. und dadurch hatte ich ansatzweise eine Vorstellung, was mich erwarten würde. Alle anderen 5 Männer/Frauen waren Vertreter*innen von der GIZ, RISA, der staatlichen Universität oder anderer staatlicher Autoritäten wie z. B. der NCPD (National Council for People with Disability = Nationale Vereinigung für Menschen mit Behinderungen) oder MoH (Ministry of Health = Gesundheitsministerium).
Selbstverständlich war ich am Freitag zum geplanten Abstimmungstreffen 8:00 Uhr die erste und bis 8:45 Uhr auch die einzige Anwesende. Ich wartete geduldig im Bürotrakt des DTC (Digital Transformation Center) in der 7. Etage eines Hochhauses. Das DTC ist ein modernes Büro-Loft, was mich an ein hippes Friedrichshainer Startup-Loft erinnert. Geschmackvolle moderne Ausstattung z. B. hohe rollbare Tische in unterschiedlichen Formen und Größen, die als Whiteboard beschrieben werden können. Die gläsernen und damit transparenten Büroräume wirken hell und freundlich. Sie sind mit der neuesten Technik ausgestattet. Eine Café-Bar mit gemütlichen Sitzecken ist als Empfangsbereich gestaltet. Sogar ein Billardtisch und eine Tischtennisplatte stehen für die junge IT-Elite bereit. Unglaublich!
Sylvie eröffnete die Veranstaltung, begrüßte die Teilnehmenden und stelle die anwesenden Verantwortlichen vor, Grace und mich! Danach war sie verschwunden, anderweitig beschäftigt und aktiv in allen möglichen Themen. So wurde ich plötzlich zur “Inhaberin” der Veranstaltung, die erstmalig in Rwanda und als Aushängeschild für Afrika geplant war und Menschen mit Behinderungen einbezog. In drei Teams arbeiteten blinde und taubstumme Männer mit. Sie waren mit entsprechender Spezialtechnik, einem Übersetzer und einer Begleitperson vor Ort.
Ohne offizielles Mandat, ohne Kenntnisse der Strukturen in Rwanda/Kigali, ohne Kontakte zu und ohne Kenntnisse über die staatlichen Strukturen bezüglich der Verantwortlichkeit für Menschen mit Behinderungen war ich Ansprechpartnerin. Sie sei überaus dankbar für meine Unterstützung, war stets die Antwort von Sylvie, wenn ich sie auf diese Tatsache hinwies. Sie verließ sich voll und ganz auf mich und Grace. Immerhin wurden uns noch 4 Student*innen zur Seite gestellt, die auf Anweisung kleine Aufgaben übernehmen könnten. Allerdings saßen sie erst einmal nur in einer Ecke, starrten auf ihre Handys oder hatten Kopfhörer in den Ohren und schauten Videos. Das ging ja gut los! Aber was hatte ich erwartet?
Grace ist IT-Spezialistin und im Businessmanagement als Businessanalystin tätig. Eine wunderbare Frau: organisiert und strukturiert. Wir waren uns von Anfang an sympathisch und fanden schnell eine gute gemeinsame Arbeitsbasis. Nach kurzer Zeit war für uns klar, was in der Organisation des Events alles unberücksichtigt bzw. unabgestimmt geblieben war. Als erstes kollabierte unsere Tagesordnung. Der für eine Stunden eingeplante Referent tauchte einfach nicht auf. So saßen ca. 50 junge Leute aufgeregt, was wohl passieren würde, in einem für sie genauso unbekannten wie aufregenden Umfeld und warteten auf Informationen. Diese Situation konnte ich noch ganz gut mit einer Vorstellungsrunde überbrücken. Dabei machte ich mir Notizen, um auch kein Projekt zu vergessen und inhaltlich in die Thematik reinzukommen. Die Hälfte der dahingenuschelten englischen Statements ging an mir vorbei. Ein Mikrophon musste her, die Akustik in den großen offenen Räumen war mies und keiner verstand ein Wort. Egal! Erst einmal sollten sich alle registrieren, schließlich wollten die Teilnehmer die Fahrkosten erstattet bekommen. Außerdem war auch die tägliche Anwesenheit ein Kriterium für die erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb. Wo waren nur die Teilnehmerlisten? Ich bat eine Studentin im Sekretariat nachzufragen. Erfolglos. An diese Listen hatte man nicht gedacht. Gut, dann mussten sie erstellt werden. Eine lästige aber in diesem Fall sehr nützliche Sache, da auch der zweite Referent nicht auftauchte und wir mit den Listen nun auch die nächste Stunden gut überbrücken konnten. Ich bat Grace unterdessen eine
Powerpoint-Präsentation vorzubereiten, falls wieder mal ein Referent ausfallen würde! Inhalt?? Egal! Irgendwas, was zum Thema passte. Inklusion vielleicht! Gute Idee! Oder doch lieber “Wie baue ich eine Präsentation auf?” Auch gut, schließlich mussten alle 25 Gruppen ihre digitalen Lösungen in 7 Tagen vor der Jury präsentieren. Alle Themen und Inhalte sind willkommen! Einfach machen, war das Motto!
Wieso ist es nur so stickig in diesen Räumen? Kann bitte mal jemand die Fenster öffnen? 50 Leute verbrauchten offensichtlich schon etwas mehr Luft, also ordentlich Durchzug bitte! Leider konnten die Fenster nicht oder maximal eine Handbreit geöffnet werden, aus Sicherheitsgründen. Macht nix, dann schaltet doch die AC an. Wo war nur die Fernbedienung abgeblieben? Security! Können Sie bitte mal… Ich war am Durchdrehen und wusste nicht, was ich zuerst machen sollte. Nach 10 Minuten hatte der Security-Mann die Fernbedienung gefunden aber diese war ohne Batterien und wir somit weiterhin ohne Frischluft. Ätzend! Ich schickte einen Studenten los, Batterien zu kaufen 4 Stück AAA. Er kam jedoch mit AA zurück und es war immer noch stickig. In dieser Art und Weise ging es weiter.
Das Catering mit kleinen Snacks zur Kaffeepause kam nach mehreren Erinnerungsanrufen 11:30 Uhr. Auch der dritte Referent, der für den Nachmittag geplant war, hatte unterdessen per eMail abgesagt. Wenigstens das! Danke! Nun würde Grace einspringen müssen aber sie war mittlerweile bestens vorbereitet. Sie erklärte allen Anwesenden, wie ein “Design Thinking Process” aufgesetzt werden müsse und wie dieser dann in Form eines “Elevator pitch” zu präsentieren wären. Wow! Diese Begriffe hatte ich noch nie gehört. Wenigstens bekam ich in diesem Chaos noch ein wenig Wissenszuwachs!
Die Inhalte waren sehr erhellend, nicht wirklich neu aber mit glänzenden englischen Bezeichnungen. Design Thinking ist einfach nur ein kreativer Prozess, in dem man sich überlegt, wie man ein neues Business von der Geschäftsidee bis zur Umsetzung bringt. Der Elevator pitch ist eine kurze Präsentation in der Länge einer Fahrstuhlfahrt (elevator), also richtig kurz…Sekundensache! Wie überzeuge ich in Sekunden meinen Gesprächspartner von meiner doch so coolen Idee! Eine Herausforderung, in der Tat.
Die Präsentation von Grace kam richtig gut an, die Teilnehmer sollten und wollten sie umgehend zur weiteren Nutzung haben. Also 25 Speichersticks raus und hin und her und abgespeichert. Virus sei Dank, es ist nix passiert! Dabei waren alle IT-Freaks über WLAN mit dem Server des DTC verbunden, um online arbeiten zu können. Was für eine Sicherheit!
Bis 18 Uhr hangelten wir uns gemeinsam durch den Tag, organisierten Namensschilder für die Teilnehmenden, ließen sie in Kleingruppen themenbezogen arbeiten, suchten nach Arbeitsmaterialien jeglicher Art von Stiften über Papier und hatten dabei viel Spaß am Improvisieren. Trotz allem freuten wir uns auf die nächsten Tage. Was wohl noch kommen würde? Thomas holte mich mit dem Auto ab, da sein Büro nur 15 Minuten Fußweg vom DTC entfernt ist.
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