Sport frei!

Nur 10 Minuten fußläufig von unserem Haus befindet sich das “Tequila Paradise”. Das ist nicht nur eine Bar, in der es Cocktails gibt. Vielmehr kann man an diesem Ort großzügig Familienfeiern, Hochzeiten etc. ausrichten (lassen).
Auf dem Gelände gibt es eine große Spielwiese sowie einen großen Kinderspielplatz mit Trampolin, fahrbaren kleinen Autos und Motorrädern, Seil-Klettergerüst, Wippe, Schaukel, Rutsche…also alles was ein Kinderherz höherschlagen lässt.
Außerdem kann man in einem Pool baden. Schwimmen können allerdings die wenigsten Rwandaer*innen. Wo sollten sie es auch lernen? Das Meer ist nicht in Reichweite und der Besuch von Schwimmhallen gehören nicht zum Grundschulunterricht. Vielmehr legt man dort Wert auf Ballsportarten und ganz besonders auf Fußball.
Zur Ausstattung des Tequila-Paradise-Areals gehört auch eine großflächige Mehrzweckhalle mit bodentiefen Fenstern. Sie wird je nach Anlass festlich geschmückt und ausgestaltet.

Damit auch für alle Gästen ausreichend und umfassend gesorgt ist, kann man Massagen buchen, einen Saunagang wagen und in einem kleinen Fitness-Studio die am Buffet angefutterten Pfunde der vortägigen Familienfeierlichkeit abtrainieren. Für 2,00 EUR erhält man ein Tagesticket und für 22,00 EUR ein Monatsticket und kann sich auch als Anwohner*in sportlich betätigen. Sauna und Swimmingpool kosten jeweils 2,00 EUR extra.

Auf den ersten Blick schaut der Fitness-Geräteraum gut ausgestattet aus, bis man feststellt, dass einige Geräte nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sind. Der Baudenzug ist gerissen, der Sitz lässt sich nicht mehr verstellen oder eine Halterung fehlt. Teilweise sind die Gewichte noch unterschiedlich große Zahnräder einer alten Maschine. Einige Sportgräte z. B. die Beinpresse sind aus Stahlteilen selbst zusammengeschweißt und verfügen über das TÜV-Zertifikat “Nutzung auf eigene Gefahr”. Trotzdem ist die Stimmung toll. Musik dröhnt aus den Boxen, dass die Fenster klirren. Brian, der Trainer, stellt sich gleich bei meinem ersten Versuch sportzumachen vor und erklärt, dass ohne seine Anleitung und ohne einen Trainingscoupon hier gar nichts geht. Na da bin ich ja froh! Hätte sonst nicht gewusst, wie ich das teilweise exotische Equipment bedienen soll. Nach meiner ersten Trainingseinheit von einer reichlichen Stunden bin ich platt und weiß, dass ich am nächsten Tag nicht ein Körperteil mehr bewegen kann. Brian wollte wohl einer Muzungu mal zeigen, was sportmachen bedeutet. Hat er geschafft! Und ich wollte wohl zeigen, dass auch eine Muzungu Sport machen kann! Touché! Er war erstaunt und ich fertig! Seither trainiere ich regelmäßig und auch Lotti war in den letzten 6 Wochen immer mit dabei.

Jobsuche in Kigali

Nun bin ich auf den Tag genau zwei Monate in Kigali und noch immer bin ich nicht richtig angekommen. Es ist schwieriger als erwartet, Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen oder ernst gemeinte Beschäftigungsangebote aufzutun. Das liegt aus meiner Wahrnehmung zum einen daran, dass Rwanda als DAS afrikanische Land mit dem besten Entwicklungspotential angesehen wird. Es besteht im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern extreme Sicherheit und Sauberkeit sowie große Freizügigkeit in Bezug auf Außenaktivitäten. Daher sind viele bekannte Hilfsorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit, einige Privatinitiativen und etliche NGO´s bereits vor Ort. Es scheint, als ob das Land “gesättigt” ist mit helfenden Helfern und Rat gebenden Fachkräften. Die Einheimischen scheinen keine große Begeisterung mehr aufzubringen, mit kurzzeitig und befristet in Kigali verweilenden Muzungus in (beruflichen und privaten) Kontakt zu treten. Die Kontakte bleiben daher eher oberflächlich. Ein Interesse, etwas von mir oder über mich und mein Herkunftsland erfahren zu wollen, habe ich bisher nicht wahrgenommen.

Ich trainiere mindestens einmal wöchentlich in einem lokalen Fitness-Club mit den Einheimischen unseres “Umudugudu” (Ortsteil/Dorf). Am Eingangstresen sitzen abwechselnd stets die gleichen jungen Frauen. Wir begrüßen uns sehr freundlich und ich bemühe mich, einzelne Worte in Kinyarwanda einzubauen. Mehr passiert aber auch nicht. Keine Nachfragen zu meiner Person oder Hintergründen meines Aufenthaltes und auch kein “…lass uns doch mal nach dem Sport noch kurz zusammensitzen und quatschen.” Schade, das hatte ich mir anders vorgestellt. Es bedarf ständigen Interesses meinerseits an meinem neuen Umfeld. Sofern ich nachfrage, wird auch bereitwillig geantwortet und berichtet. z. B. erzählt dann der Trainer von seinem Autounfall am Wochenende oder die Tresenfrau erwähnt den Geburtstag ihres Kindes. Danach ist die Unterhaltung aber auch beendet. Obwohl ich z. B. berichte, dass wir im Nyungwe Nationalpark waren, kommt keine Nachfrage, wie es uns gefallen hat oder was wir gesehen haben. Doch das fehlende Interesse liegt nicht nur an der “Übersättigung”. Die Lebensverhältnisse hier sind doch noch stark getrieben von der Basisversorgung für die Familie und dem “Überleben”. So kommen Fragen nach Freizeit, Ausflügen, Unternehmungen etc. einfach keinem in den Sinn und werden daher nicht gestellt. Übliche Fragen auch von Fremden unterwegs sind immer: “Bist du verheiratet?” oder “Hast du Kinder?” und dann werden alle weiteren Fragen rund um die Familie abgewickelt.
Da hier nur wenige Leute einen Job haben, ergeben sich Themen und Nachfragen zur Arbeit auch einfach nicht bzw. sie sind nicht interessant. Auch das ist ein Grund für die, durch uns oft als übergriffig empfundenen Fragen nach unserem Privatleben. Ich dagegen identifiziere mich über meine berufliche Tätigkeit, über erreichte Ziele und konkrete Ergebnisse. Ich bin enttäuscht, wenn andere diese Zusammenhänge in Meetings oder in Planungsgesprächen nicht auf- und begreifen oder würdigen. Effektivität und Effizienz sind hier keine erstrebenswerten Maßeinheiten. Wozu auch? Schließlich haben viele Einheimische nur  eines zu viel, nämlich Zeit und in dieser ohnehin nichts zu tun, außer zu warten.

Bereits Mitte September hatte ich ein Vorstellungsgespräch. Kein “übliches”, wie ich es bisher selbst mit Bewerber*innen geführt habe oder wie ich mich aus meiner Berufsanfangszeit daran erinnere. Mit dem GIZ- Chef in Rwanda war ich in einem Hotelrestaurant zum Mittagessen verabredet. Ein tolles kleines Hotel mit Dachterrasse und Blick über die Dächer von Kigali.

Aus Zeitgründen verzichteten wir dann zwar aufs Essen, tranken einen Kaffee und in einem kurzen informellen fachlichen Austausch waren schnell die jeweiligen Positionen er- und geklärt. Im Großen und Ganzen ging es um die Ausgestaltung einer Assistenz der Geschäftsführung. Ein sehr lockeres und sympathisches Aufeinandertreffen. Den Job habe ich wohl, allerdings wird die Stelle formal noch nicht so schnell nachbesetzt und es braucht noch einige Zeit bis…
Was und wie sich auch immer die Dinge hier für mich entwickeln, es wird zur richtigen Zeit das Richtige sein. Davon bin ich überzeugt! Bis dahin bin ich weiterhin in ein Projekt von RISA zu “Innovate4disability” eingebunden. Dabei lerne ich viel und kann meine fachlichen Erfahrungen sowie mein Organisationstalent gut einbringen. Schließlich möchte ich nicht irgendetwas machen, sondern auch im hiesigen Umfeld nachhaltige Ziele erreichen, Ergebnisse produzieren und Entwicklung ermöglichen! Das ist und das bleibt (vorerst) auch so!

Mittlerweile besteht auch eine realistische Chance auf eine Zusammenarbeit mit Thomas im Rahmen meines Projektes. Darauf freue ich mich, denn auch als Arbeitsteam sind wir richtig gut!

Prominenz zum Feiertag

Zwischen Rwanda und Deutschland besteht eine enge Verbindung aufgrund der leidvollen Geschichte beider Länder, die bis in die Gegenwart hineinwirkt. Deutschland muss sich mit den Massenmorden an den Juden und Rwanda mit dem Genozid an den Tutsi auseinandersetzen. Trotz dieser unvorstellbaren Ereignisse haben die Völker beide Länder einen Neuanfang und eine Aus- oder Versöhnung geschafft. Das Gesellschaftliche Gedächtnis wird durch eine traditionelle Erinnerungskultur jährlich mahnend aufgefrischt. Der Neuanfang nach dem Mauerfall 1989 wird am 3. Oktober in Rwanda jedes Jahr in der Deutschen Botschaft oder in der Deutschen Residenz (Sitz des Deutschen Botschafters) begangen. Alle Deutschen, die an diesem Tag in Rwanda leben und arbeiten, werden zu einem feierlichen Abend mit der politischen Elite Rwandas und Deutschlands am Nationalfeiertag eingeladen. So waren wir in diesem Jahr auch mit dabei. Thomas hatte sogar durch mehrmalige offizielle Anfragen erwirkt, dass auch Lotti mit dabei sein konnte. Am 05.10. wird jährlich “in return” in Deutschland ein Rwandischer Nationalfeiertag gemeinsam begangen und eine Delegation reist dann an.

Die Deutsche Residenz war unerwartet klein, jedoch überall sehr festlich dekoriert. Erstmalig schritten wir als geladene Gäste auf einem roten Teppich vom Eingangsbereich der Villa in den Garten. Dort stand ein großes weißes Zelt mit strahlenden Kronenleuchtern und der Garten war mit Lichterketten geschmückt. Pünktlich zur offiziellen Eröffnung trafen wir ein. Eine Zeremonienmeisterin verkündete den Ablauf des Abends. Es würden selbstverständlich die beiden Nationalhymnen erklingen und gesungen werden, anschließend würde die offizielle Begrüßung erfolgen und daran anschließend die Rede des Ehrengastes, des Deutschen Gesundheitsministers- Jens Spahn. Abschließend würde der Rwandische Umweltminister sprechen und erst danach folge der kulinarische und für alle vermutlich interessantere Teil des Abends. Wie Recht die Zeremonienmeisterin doch hatte. Ich muss zugeben, dass das Erklingen der Deutschen Nationalhymne in dieser Situation mich nicht völlig unbeeindruckt gelassen hat. Wann hören, geschweige denn singen wir Deutschen unsere Hymne. Wir hören sie zur Fußball-Weltmeisterschaft und ich ärgere mich, wenn nicht einmal die Spieler der Nationalmannschaft mitsingen! Zum Nationalstolz wurden wir Deutschen nicht erzogen und trotzdem kam in mir ein Anflug davon auf. Um uns herum wurde sogar mitgesungen und so habe auch ich leise den Text mitgesprochen. Ein sehr ergreifender Moment, Gänsehaut!
Da der neue Botschafter Deutschlands in Rwanda, Dr Thomas Kurz, bisher noch nicht offiziell seine Ernennungsurkunde vom Präsidenten erhalten hat, begrüßte stellvertretend die Interimsleiterin der Deutschen Botschaft alle Anwesenden mit einer recht lustigen und kurzweiligen Rede.
Tiefgreifender war dann selbstverständlich die Ansprache unseres Gesundheitsministers. Er verwies auf die beispielhafte, langjährig gute Zusammenarbeit. Die Geschichte beider Länder ermahne jedoch auch alle, sich trotz unterschiedlicher Meinungen für demokratische Vielfalt, Respekt, Wertschätzung und Menschlichkeit einzusetzen.
Von der Rede des Rwandischen Umweltministers habe ich trotz der Nähe zum Rednerpult nicht so viel mitbekommen, da zweimal ein kurzer Stromausfall das Festzelt in Dunkelheit versetzte und dadurch auch das Mikrophon ausfiel. Schnell wurden jedoch von der Zeremonienmeisterin Kerzen aufs Pult gestellt und ohne peinliche Unterbrechung lief alles reibungslos weiter. Profis eben!

Wir hatten absichtlich und auch aus Zeitgründen auf ein Abendessen verzichtet und hofften nun, nach dem offiziellen Teil des Empfanges, auf die deutschen Köstlichkeiten, die uns von der Zeremonienmeisterin bereits angekündigt worden waren. Es gab jedoch kein Buffet, sondern zahlreiche Kellner*innen servierten kleine Leckereien in “französischer Verzehrgröße” aus der “German Butchery” in Kigali. So kamen wir in den Genuss von Reibeküchlein, Apfelstreuselkuchen, Bienenstich, Minigläschen gefüllt mit käseüberbackenen Spätzle und Salzbrezelchen. Für den größeren Hunger bestand die Chance auf eine Grillwurst.

Es war ein wunderbarer Abend! Wir trafen einige Leute, die wir unterdessen durch die GIZ, RISA oder andere Organisationen kennengelernt hatten. Nach einem Blick durch die Menge der anwesenden Gäste wurde für mich noch einmal mehr deutlich, dass in diesem Umfeld schon sehr besondere Persönlichkeiten leben und arbeiten. In Europa stehen auf entsprechenden Empfängen eindeutig die Männer, traditionell gekleidet in schwarz, dunkelblau oder grau im Vordergrund. Hier sah ich binationale Paare jeglichen Alters in bunter traditioneller Kleidung oder in extravaganter festlicher Abendgarderobe. Auch die jungen aufstrebenden Business-Men bzw. Politiker mit gezwirbelten Bärten und ihren Begleiterinnen in silberglänzenden Hosenanzügen mit herausstechenden Accessoires oder Kopfbedeckungen waren ein interessanter und bunter Blickfang am Abend. Wir schienen da irgendwie nicht hinzugehören: zu normal, zu unauffällig!

Wie vielfältig die Looks, wie unterschiedlich die privaten Interessen, die einzelnen beruflichen Hintergründe und die gewünschten Zukunftsperspektiven auch waren, in kurzen Gesprächen fand anscheinend doch jeder mit dem anderen immer einen kleinen gemeinsamen Nenner.

Hackathon

Vom 27.09. bis 03.10. fand ein “Hackathon” zur Überwindung von Einschränkungen im Alltag bei Menschen mit Behinderung” statt. Ein Hackathon ist nichts Kriminelles, wie ich ursprünglich dachte. Für Läufer ist der Marathon eine Herausforderung und für Technikfreaks ist es eben ein Hackathon. Junge IT-Spezialisten aber auch Visionäre waren aufgerufen, sich zu einem 7-tägigen Wettbewerb anzumelden, um digitale Lösungen für Alltagsprobleme von Menschen mit Behinderungen zu entwickeln. Alles unter Anleitung von IT-Spezialisten aus Kigali, vordergründig RISA (Rwanda Information Society Authority) und GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) Mitarbeitende. Aus 60 Bewerberteams wurden 25 Teams zugelassen, und nach drei Tagen sollten nur noch die 15 Besten ihre Lösungen weiter entwickeln können. Von diesen 15 kämen dann nur weitere 10 Teams in die Endrunde. Von diesen wiederum würden 5 Teams prämiert. Sie erhalten nach dem Hackathon nach wie vor inhaltliche aber auch finanzielle Unterstützung zur Umsetzung und Implementierung ihrer Idee auf dem real existierenden Markt in Rwanda, als Prototype. Was für eine geile Idee!

Die Veranstaltung wurde von RISA mehrere Monate lang konzipiert und geplant. Die Auftaktveranstaltung dazu war der “open-space Workshop” zum Thema “Bridging the disability digital devide”, von dem ich bereits berichtet habe. Ähnlich wie dieser verliefen dann auch die Tage des Hackathons. Die Idee ist einfach großartig, und es machte viel Spaß, dabei zu sein. Aber das Chaos ist nicht ansatzweise vor- und darstellbar. Aufgrund meiner beruflichen Qualifizierung war ich plötzlich im Organisationsteam für die Gesamtveranstaltung (50 teilnehmende Personen) und im Verlauf dann sogar die Hauptverantwortliche und Jurymitglied. Und das, obwohl ich von Technik und IT-Lösungen gar nix verstehe. Aber eins nach dem anderen!

Am Donnerstagabend bekam ich eine eMail mit der Tagesordnung für alle Veranstaltungstage des Hackathons und auch den Hinweis, dass wir uns am Freitag 8:00 Uhr zur letzten bzw. erstmaligen Abstimmung bezüglich der Ausgestaltung treffen würden. Ich kannte von den angeschriebenen verantwortlichen Personen nur Sylvie, die Organisatorin des Workshops am 13.09. und dadurch hatte ich ansatzweise eine Vorstellung, was mich erwarten würde. Alle anderen 5 Männer/Frauen waren Vertreter*innen von der GIZ, RISA, der staatlichen Universität oder anderer staatlicher Autoritäten wie z. B. der NCPD (National Council for People with Disability = Nationale Vereinigung für Menschen mit Behinderungen) oder MoH (Ministry of Health = Gesundheitsministerium).

Selbstverständlich war ich am Freitag zum geplanten Abstimmungstreffen 8:00 Uhr die erste und bis 8:45 Uhr auch die einzige Anwesende. Ich wartete geduldig im Bürotrakt des DTC (Digital Transformation Center) in der 7. Etage eines Hochhauses. Das DTC ist ein modernes Büro-Loft, was mich an ein hippes Friedrichshainer Startup-Loft erinnert. Geschmackvolle moderne Ausstattung z. B. hohe rollbare Tische in unterschiedlichen Formen und Größen, die als Whiteboard beschrieben werden können. Die gläsernen und damit transparenten Büroräume wirken hell und freundlich. Sie sind mit der neuesten Technik ausgestattet. Eine Café-Bar mit gemütlichen Sitzecken ist als Empfangsbereich gestaltet. Sogar ein Billardtisch und eine Tischtennisplatte stehen für die junge IT-Elite bereit. Unglaublich!

Sylvie eröffnete die Veranstaltung, begrüßte die Teilnehmenden und stelle die anwesenden Verantwortlichen vor, Grace und mich! Danach war sie verschwunden, anderweitig beschäftigt und aktiv in allen möglichen Themen. So wurde ich plötzlich zur “Inhaberin” der Veranstaltung, die erstmalig in Rwanda und als Aushängeschild für Afrika geplant war und Menschen mit Behinderungen einbezog. In drei Teams arbeiteten blinde und taubstumme Männer mit. Sie waren mit entsprechender Spezialtechnik, einem Übersetzer und einer Begleitperson vor Ort.
Ohne offizielles Mandat, ohne Kenntnisse der Strukturen in Rwanda/Kigali, ohne Kontakte zu und ohne Kenntnisse über die staatlichen Strukturen bezüglich der Verantwortlichkeit für Menschen mit Behinderungen war ich Ansprechpartnerin. Sie sei überaus dankbar für meine Unterstützung, war stets die Antwort von Sylvie, wenn ich sie auf diese Tatsache hinwies. Sie verließ sich voll und ganz auf mich und Grace. Immerhin wurden uns noch 4 Student*innen zur Seite gestellt, die auf Anweisung kleine Aufgaben übernehmen könnten. Allerdings saßen sie erst einmal nur in einer Ecke, starrten auf ihre Handys oder hatten Kopfhörer in den Ohren und schauten Videos. Das ging ja gut los! Aber was hatte ich erwartet?

Grace ist IT-Spezialistin und im Businessmanagement als Businessanalystin tätig. Eine wunderbare Frau: organisiert und strukturiert. Wir waren uns von Anfang an sympathisch und fanden schnell eine gute gemeinsame Arbeitsbasis. Nach kurzer Zeit war für uns klar, was in der Organisation des Events alles unberücksichtigt bzw. unabgestimmt geblieben war. Als erstes kollabierte unsere Tagesordnung. Der für eine Stunden eingeplante Referent tauchte einfach nicht auf. So saßen ca. 50 junge Leute aufgeregt, was wohl passieren würde, in einem für sie genauso unbekannten wie aufregenden Umfeld und warteten auf Informationen. Diese Situation konnte ich noch ganz gut mit einer Vorstellungsrunde überbrücken. Dabei machte ich mir Notizen, um auch kein Projekt zu vergessen und inhaltlich in die Thematik reinzukommen. Die Hälfte der dahingenuschelten englischen Statements ging an mir vorbei. Ein Mikrophon musste her, die Akustik in den großen offenen Räumen war mies und keiner verstand ein Wort. Egal! Erst einmal sollten sich alle registrieren, schließlich wollten die Teilnehmer die Fahrkosten erstattet bekommen. Außerdem war auch die tägliche Anwesenheit ein Kriterium für die erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb. Wo waren nur die Teilnehmerlisten? Ich bat eine Studentin im Sekretariat nachzufragen. Erfolglos. An diese Listen hatte man nicht gedacht. Gut, dann mussten sie erstellt werden. Eine lästige aber in diesem Fall sehr nützliche Sache, da auch der zweite Referent nicht auftauchte und wir mit den Listen nun auch die nächste Stunden gut überbrücken konnten. Ich bat Grace unterdessen eine
Powerpoint-Präsentation vorzubereiten, falls wieder mal ein Referent ausfallen würde! Inhalt?? Egal! Irgendwas, was zum Thema passte. Inklusion vielleicht! Gute Idee! Oder doch lieber “Wie baue ich eine Präsentation auf?” Auch gut, schließlich mussten alle 25 Gruppen ihre digitalen Lösungen in 7 Tagen vor der Jury präsentieren. Alle Themen und Inhalte sind willkommen! Einfach machen, war das Motto!

Wieso ist es nur so stickig in diesen Räumen? Kann bitte mal jemand die Fenster öffnen? 50 Leute verbrauchten offensichtlich schon etwas mehr Luft, also ordentlich Durchzug bitte! Leider konnten die Fenster nicht oder maximal eine Handbreit geöffnet werden, aus Sicherheitsgründen. Macht nix, dann schaltet doch die AC an. Wo war nur die Fernbedienung abgeblieben? Security! Können Sie bitte mal… Ich war am Durchdrehen und wusste nicht, was ich zuerst machen sollte. Nach 10 Minuten hatte der Security-Mann die Fernbedienung gefunden aber diese war ohne Batterien und wir somit weiterhin ohne Frischluft. Ätzend! Ich schickte einen Studenten los, Batterien zu kaufen 4 Stück AAA. Er kam jedoch mit AA zurück und es war immer noch stickig. In dieser Art und Weise ging es weiter.

Das Catering mit kleinen Snacks zur Kaffeepause kam nach mehreren Erinnerungsanrufen 11:30 Uhr. Auch der dritte Referent, der für den Nachmittag geplant war, hatte unterdessen per eMail abgesagt. Wenigstens das! Danke! Nun würde Grace einspringen müssen aber sie war mittlerweile bestens vorbereitet. Sie erklärte allen Anwesenden, wie ein “Design Thinking Process” aufgesetzt werden müsse und wie dieser dann in Form eines “Elevator pitch” zu präsentieren wären. Wow! Diese Begriffe hatte ich noch nie gehört. Wenigstens bekam ich in diesem Chaos noch ein wenig Wissenszuwachs!

Die Inhalte waren sehr erhellend, nicht wirklich neu aber mit glänzenden englischen Bezeichnungen. Design Thinking ist einfach nur ein kreativer Prozess, in dem man sich überlegt, wie man ein neues Business von der Geschäftsidee bis zur Umsetzung bringt. Der Elevator pitch ist eine kurze Präsentation in der Länge einer Fahrstuhlfahrt (elevator), also richtig kurz…Sekundensache! Wie überzeuge ich in Sekunden meinen Gesprächspartner von meiner doch so coolen Idee! Eine Herausforderung, in der Tat.
Die Präsentation von Grace kam richtig gut an, die Teilnehmer sollten und wollten sie umgehend zur weiteren Nutzung haben. Also 25 Speichersticks raus und hin und her und abgespeichert. Virus sei Dank, es ist nix passiert! Dabei waren alle IT-Freaks über WLAN mit dem Server des DTC verbunden, um online arbeiten zu können. Was für eine Sicherheit!

Bis 18 Uhr hangelten wir uns gemeinsam durch den Tag, organisierten Namensschilder für die Teilnehmenden, ließen sie in Kleingruppen themenbezogen arbeiten, suchten nach Arbeitsmaterialien jeglicher Art von Stiften über Papier und hatten dabei viel Spaß am Improvisieren. Trotz allem freuten wir uns auf die nächsten Tage. Was wohl noch kommen würde? Thomas holte mich mit dem Auto ab, da sein Büro nur 15 Minuten Fußweg vom DTC entfernt ist.

“The Women´s bakery” (Die Bäckerei der Frauen)

Es war zwar nicht DER “Frauentag” und doch stand dieser Tag mal ganz im Zeichen der Frau(en). Lotti und ich gönnten uns eine kleine Auszeit vom Studieren und Bewerben. Wir wollten “The women´s bakery” besuchen. Dieses wirklich tolle Frauenprojekt unterstützt seit mehreren Jahren Frauen, nicht nur in Kigali. Es bietet ihnen eine Ausbildung (Bäckereihandwerk) und anschließend einen zuverlässigen und fair-bezahlten Job in einer der Bäckereien. Das nenne ich Entwicklungshilfe, sowohl für das Land als auch für die einzelnen Frauenpersönlichkeiten.

Die Bäckerei befindet sich von uns aus auf der anderen Seite der Stadt. Ein Spaziergang dorthin von ca. 1 Stunde wird uns guttun. An der großen Hauptstraße wollten wir nicht gehen, und so versuchten wir mit Google Maps unseren Weg durch das Wohnviertel und durch einen schmalen, bewirtschafteten Grünstreifen im Tal von Kigali zu finden.

Abseits der Hauptwege zeigt sich das Leben der Einheimischen weitaus weniger großstädtisch. Man sieht kleine Lehmhütten mit nur einer schmalen Tür in der Mitte und winzigen Lichtschlitzen unterhalb des Daches. Fenster sind eher eine Seltenheit. Vermutlich zum Schutz vor Sonne und Hitze? Wir empfinden die Temperaturen um die 30 °C gar nicht als so heiß aber die Bauweise ist, selbst bei größeren Häusern, in dieser Beziehung einheitlich.
Erstaunlich für uns ist das enge Nebeneinander von arm und reich, einfach und prunkvoll, alt und neu. Man findet es überall in der Stadt und ist erstaunt, was sich plötzlich hinter der nächsten Weggabelung im Gegensatz zu dem gerade Gesehenen plötzlich auftut. Ein Beauty-Salon befindet sich neben einem Verkaufsstand, an dem ausgewaschene Joghurtbecher gefüllt mit Feuerholz und Kohle angeboten werden. Ein Luxushotel mit Spa folgt auf drei kleine Farmhäuser und deren Bananenpflanzen auf dem angrenzenden, privat bewirtschafteten Acker. Frauen laufen barfuß in ihrem Wohnviertel herum, balancieren große flache Schalen gefüllt mit Obst auf ihren Köpfen- ein Baby auf den Rücken geschnallt. Sie werden überholt von Frauen, die in silbergrau-glänzenden Geländewagen die ausgewaschenen Holperstraßen entlang zum Einkauf fahren. Und dann sind da auch noch wir: Muzungus, die laufen und Rucksäcke auf dem Rücken haben. Was für ein Anblick muss das wohl für die Einheimischen sein! Sie schauen oft skeptisch und erst nach unserem Standardgruß in Kinyarwanda folgt manchmal ein Lächeln oder auch eine gemurmelte Antwort. Sind wir ein Störfaktor, der nicht hierhergehört? Wir fühlen uns manchmal irgendwie fehl am Platz und unwohl. Allein würden weder Lotti noch ich diese Seitenwege gehen, doch gemeinsam ist es für uns ein spannendes Ereignis.
Zu zweit können wir besser damit umgehen, sprachlos angeschaut zu werden oder leise “Muzungu, Muzungu” zu hören. Kinder bleiben auf ihrem Schulheimweg aufgeregt vor uns stehen, strecken die Hand aus und sagen ihren einzigen englischen Satz auf: What is your name? Wir antworten gefühlte 50 Mal am Tag in Kinyarwanda und fügen auch noch “Nishimiye ku bamenya” (schön, dich kennenzulernen) hinzu. Häufig folgt dann herzliches Gelächter, aber wir sind stets bemüht, uns sprachlich zu erproben. Zwei, drei Sätzen helfen auf alle Fälle, die gegenseitige Unsicherheit abzubauen. In unserem Wohnviertel kennen uns namentlich mittlerweile sehr viele, und wir werden auch sehr oft auf der Straße mit Namen gerufen. Dann winken wir nach links und rechts und hoffen, dass unsere (manchmal etwas erzwungene) Offenheit ein wenig ansteckend ist.
Nach einer Stunde erreichen wir “The women´s bakery” und sind auf ein Neues erstaunt, was sich abseits der großstädtisch-touristischen Pfade für ein wunderschönes Café finden lässt. Wir verbringen mehrere Stunden dort: lesen, schreiben, recherchieren und genießen erfrischende Smoothies, bekommen den bisher leckersten grünen gemischten Salat und auf dem Rückweg (speziell für Thomas) nehmen wir drei Brezeln mit, bestreut mit Kräutern, Salz oder Zimt. Sie sind die Bäckereispezialität!

Wir können nur hoffen, dass sich das Bäckerei-Konzept weiterhin bewährt. Ganz sicher aber kommen wir wieder!